Tanz / Ritual -
Integrität und das Fremde

Copyright (C) Marianne Nürnberger 2001
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4. Teil


Multikulturalität und Tanz

Interkultureller Tanz in Großbritannien unter besonderer Berücksichtigung südasiatischen Tanzes. Interkultureller Tanz in Österreich. Interkulturelle Begegnungsfelder. Streiflicht auf ein Tanzstück über multikulturelle Identität - Shobana Jeyasinghs "Making of Maps".

 

Die Darstellung des nationalen Charakters durch Tanz bekommt in multiethnischen, postkolonialistischen und postkolonialen Gesellschaften eine besondere zweifache Bedeutung. Einerseits gibt es indigenen Tanz als Ausdruck der eigenen Kultur, die sich gegenüber einer anderen Kultur eigenständig zu behaupten hat, zwischenstaatlich und auch innerhalb der multiethnischer Staaten, als Repräsentation zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Dieser Aspekt ist besonders im theatralen Kontext spürbar. Andererseits gibt es Mischformen von Tanz, die ein Ergebnis der verschiedenen Wellen von Einflüssen aus anderen Kulturen sind. Aus den permanenten Einflüssen geht eine außerordentlich reiche Formenvielfalt und ein hohes integratives, sozialisierendes Potential hervor, dass sich zur pädagogischen und soziologischen Verwendung anbietet. So sind beispielsweise die modernen indischen und afrokaribischen Tanzformen der Tanzszene Großbritanniens sowohl Teil der britischen Kultur als auch Ausdruck der Identität jener Kulturen aus der sie entstammen (Academy 1983:8).

Um die friedliche Koexistenz in modernen multiethnischen Staaten zu ermöglichen, ist eine umfassende multikulturelle Bildung notwendig, die jedoch nicht in allen multi- ethnischen Staaten in gleicher Qualität verwirklicht wird. Multikulturelle Bildung verzichtet auf vorurteilsbeladene, ideologisch gefärbte und separatistische Standpunkte. Sie beinhaltet, um mit Naima Prevots (63) (1991: 48) Worten zu sprechen, das Öffnen von Türen - Türen durch die man gemeinsam gehen kann. Multikulturelle Bildung bietet eine Chance, sich miteinander Wissen über einander anzueignen und dadurch Furcht und Misstrauen zu überwinden. In Schulen für Schüler und Schülerinnen verschiedener kultureller Herkunft muss jede und jeder von ihnen die Chance haben, sich selbst und sein Volk im Unterrichtsstoff wiederzufinden (Starna 1990 zitiert nach Schwartz 1991:46).

Tanz hat in vielen asiatischen, afrikanischen, südamerikanischen und anderen Kulturen hervorragende Bedeutung und besitzt überall sozialisierende Traditionen. Tanz anderer Völker ist nicht nur unterhaltend durch seine Andersartigkeit, sondern kann hervorragend dazu verwendet werden, Wissen über kulturelle Unterschiede, über Geschichte, Gesellschaft, Ethik und Religion zu vermitteln (Schwartz ibid.). Es kann nicht geleugnet werden, dass Multikulturalität bereits Teil der europäischen Tanztraditionen ist. Dazu kommt, dass Tanz Freude macht. Nichts liegt daher näher, als dem Tanz im multikulturellen Unterricht und in anderen multikulturellen Sozialisationsbereichen einen zentralen Platz einzuräumen.

In England gibt es eine Reihe von Tanzhochschulen, die Tänzer für die Arbeit in der Gemeinschaft ausbilden. Dance within the community ist der größte Wachstumsfaktor für Anstellungen im Tanzbereich in England geworden (Laban Centre undat.: 9). Englische Tanzanimateure, wie diese Sozialarbeiter auf dem Gebiet des Tanzes im allgemeinen genannt werden, arbeiten in gemeindeeigenen Kunstzentren sowohl in Städten als auch in ländlichen Regionen. Sie arbeiten mit einem breiten sozialen Spektrum, von Kindern bis zu den Ältesten, von Jugendtanzgruppen bis hin zu Behinderten oder Inhaftierten. Ihre Bedeutung wird von Arbeitgebern und Geldgebern, wie verschiedenen Lokalautoritäten und regionalen Kunstbehörden, aber auch durch Förderer aus der Privatindustrie anerkannt. Pionierinstitute, wie etwa das Laban Centre in London, haben den Bereich Community Dance vor mehr als einem Jahrzehnt in ihr Trainingsprogramm aufgenommen. Auch Organisationen, die ihre Tätigkeit der Förderung außereuropäischer Tanzformen widmen, arbeiten in diesem Bereich. Als eine der ersten hat die Academy of Indian Dance 1989 den Bereich 'Community' in ihre Arbeit aufgenommen. Im Rahmen der genannten Sozialisierungsziele gehören seit Anfang der Achtzigerjahre immer mehr auch interethnische Aktivitäten zum Aufgabenspektrum der Tanzanimateure, die auch immer öfter auf nichteuropäische Tanzstile spezialisiert sind (Information: Dir. Mira Kaushik).

 

Interkultureller Tanz in Großbritannien unter besonderer Berücksichtigung südasiatischen (64) Tanzes

Kategorien interkultureller Tanzaktivität. Der Prozess der Institutionalisierung.

 

Nur in wenigen Ländern wird die Wichtigkeit des Tanzes als Mittel zur Integration unter- schiedlicher Kulturen so ernst genommen, wie in Großbritannien. Die britische Tanzkultur besteht heute nicht nur aus Folklore, klassischem und zeitgenössischem Tanz, sondern integriert auch Tanzeinflüsse aus Afrika, der Karibik, Südasien, China, Südamerika und aus anderen Kulturen (Grau 1997:56). Die Bedeutung von Tanz als Kulturprodukt schlägt sich auch in statistischen Erhebungen nieder, die Grau (ibid.: 55) zusammenfasst: Jede Woche werden genauso viel Eintrittskarten für Diskotheken und Tanzhallen verkauft wie für Fußballspiele und Kinobesuche (Brinson 1991: 3). "Come dancing" ist der Titel jener Fernsehserie, die die längste Spielzeit aufweist (Ward 1993: 17) und Tanzbewegungen sind ein wichtiges Element der hochpopulären Aerobic- und Step-Klassen, die ganztägig an fast allen Tagen des Jahres angeboten werden (Thomas 1995: 2).

Unter den zahlreichen Ethnien des Landes zeichnen sich heute die Südasiaten durch besonders effektive Organisationsformen und kompetente kulturelle Vertretungen für Tanz aus. Nach offiziellen Zahlen sind von den rund 54,9 Mill. Einwohnern Großbritanniens etwa 40.000 Srilankaner und 840.000 Inder. Doch ist die Konzentration von Südasiaten in einzelnen Städten und Stadtvierteln erheblich höher. Im Großraum Londons, mit einer Bevölkerung von etwa 6,7 Mill., sind immerhin 5,2 % der arbeitenden Bevölkerung Inder. In Leicester sind von den ca. 270.000 Einwohnern 7,7 % Inder. (65) Inoffizielle Schätzungen sprechen von weit höheren Anteilen, etwa in Leicester einem knappen Drittel an Südasiaten, größtenteils Indern. Südasiaten konzentrieren sich in eigenen Wohnvierteln, wie in der Gegend von East Ham Street im Bezirk Newham in London, wo die Geschäftsportale und Passanten ein starkes indisches Flair vermitteln. Die Region von Southall, einem Vorort Londons, beherbergt nach offiziellen Zahlen zu 50% Inder, weitere 10% sind Pakistani und andere Asiaten (66) Dort wo sich bestimmte ethnische Gruppen über Generationen hinweg konzentrieren, werden sie zu einer politischen Kraft, die die Stadtverwaltung über Wählerstimmen mitgestaltet. Vor diesem Hintergrund bekommen die sozialen und pädagogischen Einbindungen indischen Tanzes in Schulwesen und Kulturarbeit politische Relevanz.

Viele der südasiatischen Immigranten tendieren in England dazu, ihre eigene Kultur weiterzupflegen, nicht unbedingt, um sie authentisch zu bewahren, aber doch insofern, als sie stark bestrebt sind, ihrer ethnischen Identität - vor dem Hintergrund der täglichen Erfahrungen als Vertreter einer Minorität in der Fremde - eine gewisse Kontinuität zu verleihen. Tradition wird zu einer Angelegenheit des Selbstbewusstseins. Während viele sich gerne den Notwendigkeiten von Berufswechsel, wandelnden Erfordernissen der Ausbildung und Technologien aussetzen, verlangen sie von Kunst im allgemeinen und Tanzkunst im besonderen die Sicherung der asiatischen Psyche und Identität (Academy 1994:2).

Die Soziologin Chotu Warrier (Academy 1983:13) stellte 1983 Ergebnisse einer Untersuchung asiatischen Publikums in Großbritannien vor. Ihre englandweite Erhebung basierte auf Indern der Mittelklasse und der Arbeiterschicht. Sie fand heraus, dass die meisten Menschen, die indischen Tanz und Musik studierten, als Motivation die Bewahrung ihrer Kultur angeben, dass sie diese in der Regel aber mehr auf die Volkskultur beziehen als auf die klassischen künstlerischen Traditionen ihrer Heimat. Während etwa 60 Prozent der Mittelklasseeltern der Meinung waren, dass ihre Tochter traditionelle Musik oder Tanz lernen sollte, waren nur sehr wenige von ihnen der Ansicht, ihre Tochter solle sich darin beruflich qualifizieren. Jene Befragten, die sich nicht für Tanz und Musik engagierten, gaben als Beweggrund dafür nicht etwa Desinteresse, sondern in erster Linie den Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten in ihrer Nähe an.

Die Kathak-Tänzerin Nilima Devi (Interview am 22.3.1994 in Leicester) bestätigt diese Tendenz, fügt aber hinzu, dass nur ihre Privatschüler (die auch den Anfahrtsweg zu ihrem Wohnsitz in Kauf nehmen) lange und konsequent genug bei der Sache bleiben, um an der Aufführungsarbeit ihrer Tanztruppe teilnehmen zu können. Andererseits haben sich durch ihre Gastworkshops an anderem Ort (in Nottingham) bereits neue autonome Tanzaktivitäten herausgebildet, die nun ohne ihr Zutun gedeihen. Die Mobilität der Tanzlehrer ist also auch der generellen Verbreitung von Tanzaktivitäten dienlich. Ergänzend berichtet Alpana Sengupta (in Academy 1983:15) 1983 von einem Projekt zum klassischen indischen Kathak an einer ethnisch gemischten Schule, dass nach einer Woche die asiatischen Kinder zu Hause blieben, während die weißen Kinder sich durch den Unterricht faszinieren ließen. Es ist also nicht generell der Fall, dass asiatisches Publikum das treueste Publikum asiatischer Tanzworkshops ist. Einige dieser verschiedenen Tendenzen, Interessen und Bestrebungen werden durch die Subventionspolitik der britischen Regierung zumindest graduell unterstützt, und zwar in erster Linie, wenn sie dem Grundsatz der friedlichen Koexistenz und der Förderung des gegenseitigen Verständnisses zwischen den Kulturen dienen und insofern sie mit wechselnden politischen und ökonomischen Erwägungen vereinbar scheinen.

 

 

Kategorien interkultureller Tanzaktivität
 

Unter den indischen Tänzern und Tänzerinnen und zwischen den Tanzorgansisationen in England (67) gibt es eine rege künstlerische, organisatorische, ökonomische und politische Auseinandersetzung mit den gewandelten Aufführungsbedingungen des Westens. Diese Bedingungen umfassen vor allem:

  1. frontale Bühnen mit moderner Bühnentechnik,
  2. ethnisch gemischtes Publikum, das neben farbigen und weißen Nichtindern unterschiedlicher Herkunft auch Inder umfasst, die ihrer eigenen Kultur schon lange entfremdet sind,
  3. Erfordernisse modernen Marketings,
  4. Die Notwendigkeit der Einbeziehung neuer Anwendungsbereiche auf den Gebieten des Bildungs- (education) und Sozialwesens (community).

Auf diese Bedingungen gehen die Aktivisten indischen Tanzes in unterschiedlicher Weise und Intensität, je nach spezifischer Ausbildung, Neigung und kultureller Umgebung ein. Man kann hier grundsätzlich drei Kategorien unterscheiden:

  1. Aktivitäten von einzelnen Tänzerinnen und Tänzern von begrenzter lokaler Bedeutung und ohne oder mit mäßiger Subventionierung: Ihr Markt besteht zum einen aus potentiellen Schülerinnen und Schülern, die in erster Linie aus den Emigrantenfamilien ihrer eigenen Kultur stammen. In zweiter Linie betreiben sie Theateraktivitäten in kleinerem Rahmen für ein Publikum, das zum Großteil aus demselben Bevölkerungskreis stammt.
  2. Aktivitäten von einzelnen Tänzerinnen und Tänzern von überregionaler Bedeutung und hoher Subventionierung: Sie konzentrieren sich über Aufführungen auf einen Kulturmarkt, der sich zu einem guten Teil aus einem multiethnischen Publikum zusammensetzt und füllen auch größere Theater. Sie betreiben in unterschiedlicher Intensität auch internationale Tourneetätigkeiten. Um an höhere Subventionen heranzukommen, die ihre aufwendigeren Produktionen erst ermöglichen, müssen sie auch auf dem pädagogischen und sozialen Sektor Aktivitäten zeigen, die jedoch deutlich ihrer Bühnenarbeit untergeordnet werden.
  3. Aktivitäten von Institutionen, deren Angestellte sich der Verbreitung von indischem Tanz durch Projektarbeit und Lehrtätigkeit widmen. Sie erhalten eine breite Palette von Subventionierungen aus staatlichen, industriellen und privaten Quellen. Ihr Klientel richtet sich nach der Institutspolitik. Generell sind modern und multikulturell ausgerichtete Institute für ein breiteres und auch europäisches Klientel interessanter, während traditionelle Ausrichtung die höhere tänzerische Qualifikation in der Ausbildung verspricht.

Die komplexere dritte Kategorie von Aktivitäten wird im nächsten Abschnitt vorgestellt, während in der Folge die beiden ersten Kategorien anhand einiger Exponenten indischer Tanzkunst praktisch greifbar gemacht werden sollen.

Jene südasiatischen Tanztraditionen, die bereits im Natyashastra genannt sind, wurden im Laufe der Zeit als margi, wörtlich "hoher Weg", bezeichnet. Es gab jedoch stets auch andere regionale Lokaltraditionen, die desi, "Land, landschaftlich", genannt wurden. Diese waren keine Volkstänze, sondern ebenfalls hochvirtuose Formen mit ihren eigenen Lehrschriften (shastra) (Iyer 1997b:6). Iyer (ibid: 7) vertritt die Auffassung, dass bis zu einem gewissen Grad die Gegenwartsformen des britischen südasiatischen Tanzes, nach der Art ihrer Beziehung zu den traditionellen und modernen margi-Form des indischen Subkontinents, als neue desi-Formen bezeichnet werden könnten. Alle der in der Folge vorgestellten Tänzer und Tänzerinnen sind, zumindest unter anderem, auch Exponenten dieser neuen britischen Form südasiatischen Tanzes. Sie sind von westlichen Tanzformen beeinflusst, unterhalten jedoch in erster Linie Beziehungen sowohl zu den klassischen und rituellen Tanzstilen Südasiens als auch zu jenen modernen indischen Formen, die früher als Ballett bezeichnet wurden, die selbst schon Produkt interkultureller Auseinandersetzung sind und heute zumeist unter der Kategorie Tanzdramen abgehandelt werden, zum Beispiel im Stil Uday Shankars oder Tagores. Sie sind jedoch auch von jenen indischen Tänzen beeinflusst, die in erster Linie festlichen Ursprungs und den Gemeinschafts- und Volkstänzen zuzuzählen sind, wie zum Beispiel dem Bhangra. Zeitgenössische britische südasiatische Tänzer können also aus einer sehr breiten Palette an Bewegungsstilen und Traditionen schöpfen, um ihr eigenes Idiom herauszubilden.

Vijayambigai und Nilima Devi sind Beispiele für die eher begrenzte lokale Rolle einer durch staatliche Subventionen nicht (Vijayambigai) bzw. mäßig (Nilima Devi) geförderten Tänzerin, die ihr Klientel an Publikum vor allem innerhalb des eigenen Wohnviertels (Vijayambigai in London) oder Heimatstadt (Nilima Devi in Leicester) aufbauen konnte. Ihr Publikum setzt sich größtenteils aus Mittelklasseangehörigen indischer Abstammung zusammen. Ihre Arbeit zeigte eine große Varianzbreite von Gruppenchoreographien für Kinder- und Erwachsenenballette bis zu Solodarbietungen. Vijayambigai arbeitet in den Stilen Bharata Natyam, Kathakali, Kuchipudi, Nilima Devi arbeitet im Kathak-Stil und beide auch in experimentellem Stil, z.B. auf der Basis von indischen Tanz- und Kampftechniken (Vijayambigai) oder beeinflusst durch westliches Ballett (beide). Beide sind zu überwiegendem oder stark überwiegendem Anteil im Unterrichtssektor tätig. Nilima Devi ist als Staatsangestellte für die Bereiche Education und Community im Fach indischer Tanz im Bezirk Leicester verantwortlich. In dieser Position genießt sie ein sicheres Einkommen und eine hohe Achtung, was auch der Arbeit mit ihren Privatschülern und ihrer Aufführungstätigkeit mit eben diesen Schülern zugute kommt. Sie wird deshalb auch oft für repräsentative Veranstaltungen und Aufgaben in Leicester herangezogen. Aufgrund dieser Vertragsanstellung konnte sie mir auch einige Einblicke in die allgemeine Kulturpolitik Großbritanniens gewähren.

Nilima Devi arbeitet seit 15 Jahren als Tanzlehrerin in ihrer Privatschule und unterrichtet nun bereits die dritte Schülergenerationen von Tänzern in ihrem sechsjährigen Diplomkurs in Kathak, der sich streng an dem professionellen Standard in Indien orientiert. Sie berichtet, dass die Nachfrage nach indischer Kultur und indischem Tanzunterricht in den ersten Jahren am größten war, wo es noch kaum entsprechende Angebote gab. Unter ihren ersten Schülerinnen waren viele bereits so um die 25 Jahre alt. Doch nur zwei Schülerinnen aus dieser ersten Generation von fast 100 Anfängern schlossen ihr Diplom ab. Die zweite Schülergeneration wusste von ihrem Kursangebot bereits in einem Alter von sechs oder sieben Jahren. Sie begannen schon im Volksschulalter mit ihrem Training. Nilima berichtet, dass sie eine Klasse von etwa 25 Schülern in dieser Generation unterrichtete, von denen sich einige durch Zu- und Abgänge abwechselten. Unter ihnen gab es vier, die ihr Diplom erlangten, während die meisten nur zwei bis maximal vier Jahre dabei blieben. Die wenigsten hielten die Doppelbelastung während der Abschlussprüfungen für den Pflichtschulunterricht durch. In der dritten Generation betreut Nilima Devi nun etwa 15 Schüler, die ebenfalls recht jung zu tanzen begonnen haben. Sie kann seit etwa 1990 keine größere Anzahl an Schülern mehr privat betreuen, weil ihre Aktivitäten als Beauftragte des City Councils den Großteil ihrer Arbeitszeit in Anspruch nimmt. Nilima Devi unterrichtet ihre Schüler einmal pro Woche, was sie jedoch als unzureichend für eine professionelle Tanzausbildung empfindet. Der Unterricht beinhaltet neben dem eigentlichen Tanztraining auch Geschichte und Theorie des Tanzes, Informationen über verschiedene Tanzstile sowie Rhythmuskunde. Die Schüler erhalten auch häufige Gelegenheiten zu öffentlichen Auftritten. Für eine professionelle Karriere als Tänzer oder Lehrer müssten sie jedoch ein Vollzeittraining in Indien oder in England absolvieren. Nilima Devi plante deshalb 1994 die Einrichtung eines professionellen Trainingskurses für die Stile Kathak, zeitgenössisches Ballett und klassisches Ballett als ganztägige Berufsausbildung zum Tanzlehrer für Pflichtschulabsolventen und junge Erwachsene. Über die westlichen Tanzstile sollen die Aspiranten an Choreographie und Bühnentechnik herangeführt und ein breites Ausbildungsprofil gesichert werden. Auf diesem bikulturellen Boden kann sich dann in fundierter Weise ein modernes multikulturelles tänzerisches Wirken entfalten. Sie sieht die Zukunft dieser Art von Ausbildung jedoch mehr im Bereich Community oder Education als im Performance-Bereich. Die kreative Arbeit ist bislang noch nicht in einer Weise aufbereitet, die zielführenden Unterricht erlaubt. Doch immerhin würde durch ein solches neues Institut ein besseres technisches Fundament geschaffen. Das bisherige Diplom ihrer Tanzschule ist auf indischen Tanz beschränkt und deshalb, wie sie meint, von begrenzter Attraktivität für Ausbildungssuchende. Das Diplom des neuen Instituts wird ein nationales britisches Diplom sein, von dem sie sich erhofft, das es größere Anerkennung findet.

Die Choreographin Shobana Jeyasingh und das Tänzerpaar Pushkala Gopal und Unnikrishnan können als Beispiel für Tänzer mit großzügiger staatlicher Förderung ihrer Bühnenproduktionen gelten. Ihre Arbeit ist durch eine große (Pushkala Gopal und Unnikrishnan) bzw. ausschließliche (Shobana Jeyasingh) Hinwendung zur Aufführungs- praxis gegenüber der Lehrtätigkeit gekennzeichnet. Für die Erlangung von überlebens- wichtigen staatlichen Subventionen ist aber heute in England ein Nachweis von Aktivitäten in den Sektoren Sozialwesen und Bildungswesen erforderlich. Auch die international bekannte Choreographin indischer Herkunft Shobana Jeyasingh ist - neben ihrer tänzerischen Arbeit - als staatliche Subventionsempfängerin in England dazu verpflichtet, auf dem Sektor 'Dance in Education' Bildungsarbeit zu leisten. Sie und ihre Angestellten bieten strukturierten Unterricht und choreographische Aufgabenstellungen in Workshops an, die auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnitten sind. Die Palette der Aktivitäten reicht von Angeboten für Nichttänzer bis zu solchen für fortgeschrittene Tanzstudenten. Professionelle Bharata Natyam-Tänzerinnen führen die Erziehungsarbeit aus. Gleichzeitig wird das aktuelle Programm der Kompanie in dem Theater des jeweiligen Bezirks gezeigt. In den Studientagen und der Sommerschule der Kompanie können Teilnehmer ihre tänzerischen und kompositorischen Fähigkeiten erweitern. Das Verständnis und die Wertschätzung von Tradition und Innovation innerhalb des Bharata Natyam zu entwickeln, ist das erklärte Ziel von Vorträgen mit Vorführungen, von Schulmatineen und Videos und anderen Lehrbehelfen für Lehrer. In Abschlussdiskussionen und Fragebogenuntersuchungen bemüht sich die Kompanie um Feedback zu ihrer Arbeit. 1993/94 schuf die Kompanie zum Beispiel "Rhythmic Manoevres" als ein Ergebnis des für Bildungsprojekte verliehenen Sainsbury's Arts Education Award. Über 1000 junge Leute wurden in Nottingham, Bradford und Liverpool in auf  Performance basierende Projekte involviert. Solche Aktivitäten können auch, wie bei Jeyasingh, teilweise oder ausschließlich durch Angestellte der Kompanien ausgeführt werden. Nur für wenige gut subventionierte Tänzer tritt auf diese Weise die soziodidaktische Arbeit innerhalb der indischen Gemeinden Englands hinter der künstlerischen Arbeit zurück. Das Publikum der stärker subventionierten Tänzer ist typischerweise ethnisch gemischtes Publikum, oft auch überwiegend nichtindisch.

Während sich Pushkala Gopal und Unnikrishnan noch deutlich um eine Vermittlung indischer Inhalte, Formen und Ideologie in für Europäer verständlicher Form und auch um westliche Inhalte in für Inder bestimmte Ästhetik bemühen, hat sich Shobana Jeyasingh der tänzerischen Darstellung von Prozessen der Internationalisierung verschrieben. Sie genießt die breitere internationale Reputation. Jeyasinghs Themen sind das Zeitalter der Kommunikationstechnologien, der emanzipierten und in verschiedenen Hemisphären der Welt kreativ agierenden indischen Frau und der Kulturvermischung. Dabei bemüht sie sich um das westliche Publikum und distanziert sich von der Konnotation des 'Ethnischen' zum indischen Kunsttanz. Bezeichnend erscheint in diesem Zusammenhang, dass Shobana Jeyasingh den Begriff des 'Ethnischen' wegen seiner Nähe zu Gesellschaftstanz und Folklore als degradierend empfindet. Sie möchte indischen Kunsttanz als eine 'klassische' Kunst gewürdigt wissen (68).

Demgegenüber versuchen etwa Pushkala Gopal und Unnikrishnan heute, die indische Tanzsprache zu indischer Musik im Ganzen beizubehalten und Solodarbietungen auf der Bühne zu gruppieren sowie gelegentlich auch durch Sprache zu kommentieren, um ihre Inhalte einem multiethnischen Publikum nahe zu bringen. Bühnenarbeit für Emigranten der eigenen Kultur und für fremdes Publikum im Ausland macht ganz spezielle Adaptionen nötig, die garantieren, dass die Darbietungen auch 'ankommen', die Inhalte verstanden werden und die Ästhetik des Stückes goutiert wird. Ihr Anliegen der Kulturvermittlung dokumentieren Unnikrishnan und Pushkala Gopal auch durch die Institution einer Kunstdirektorin während ihrer Proben, deren Aufgabe die Kontrolle der interkulturellen Verständlichkeit der gezeigten tänzerischen Handlung ist. Das erfolgreiche indische Tänzerpaar Pushkala Gopal und Unnikrishnan lebt so wie auch Shobana Jeyasingh in London. So wie viele ihrer Kollegen haben sie verschiedene Strategien entwickelt, um die kulturellen Barrieren zu überwinden. Eine dieser Strategien betrifft die Themenwahl. Sie haben bereits viele Stücke mit Inhalten gestaltet, die einem westlichen Publikum bekannt sind, wie zum Beispiel "Der Widerspenstigen Zähmung" ("The Taming of the Shrew") oder "Die Schöne und das Biest" ("The Beauty and the Beast"). Nach Khan (1997:30) haben sie in diesen meist langen Stücken, die gegen Ende der Achtzigerjahre entstanden, in Herausforderung ihrer Einstellungen als traditionelle Tänzer hauptsächlich mit westlichen Theaterdirektoren (am erwähnenswertesten unter ihnen Hilary Westlake) zusammengearbeitet.

Wie ich bereits im Abschnitt über "Frauenrollen" erläutert habe, arbeitet das Duo als ich sie im März 1994 Gelegenheit bei Probenarbeiten beobachten durfte, gerade an einem Thema aus der Mahabharata. Sie hatten das Gefühl, dass die Zeit jetzt dazu reif wäre, dem Publikum ein Stück ihrer eigenen Kultur zu zeigen. Sie behandelten die Geschichte, wie bereits erwähnt wurde, nach einem modernen Konzept: einerseits, indem sie Draupadi in den Mittelpunkt rückten und den Blickwinkel der Frau thematisierten, andererseits, indem sie die Möglichkeit der Gerechtigkeit eines Krieges problematisierten. Um die Inhalte anders als bloß durch die Gesten der indischen Tanzstile zu vermitteln, wurden besondere Ausdrucks- mittel eingesetzt, die Inhalte oder Emotionen interkulturell verständlich machen sollten. So wurde einmal ein Gesang in englischer Sprache eingeblendet, einmal ein tamilisches Gedicht in emotionellem und harschen Ton vorgetragen, an mehreren Stellen gab es einzelne Sätze, die die Gestalt der Draupadi auf Englisch spricht. Dazu gibt es dann noch Programmtexte in Englisch, die die Erzählung erläutern. Alles ist auf ein gemischtes Publikum von Europäern und Asiaten ausgerichtet. An der Probenarbeit nimmt ein technischer Leiter teil, der für die technische Verwirklichbarkeit der Projekte in einem modern ausgestatteten großen Theaterraum verantwortlich ist. Aber interessanter noch ist der Posten der Theaterdirektorin, die zur Zeit meiner Anwesenheit von Sitara Ramurti besetzt war. Sie ist als mit indischen Tanzformen vertraute Person dafür verantwortlich, dass das, was die Tänzer durch ihre Bewegungen sagen wollen, auch tatsächlich in einer für das westlich akkulturierte (69) Publikum verständlichen Form dargebracht wird, sie fällt auch andere Entscheidungen, die notwendig sind, um dem modernen Kontext der Aufführung Genüge zu tun.

Piali Ray hat ihre Aktivität als Künstlerin heute gegen jene als Direktorin von Sampad und Vorstandsmitglied der Management-Organisation für SO-asiatischen Tanz ADiTi zurückgestellt. Ihre Arbeit war ausschlaggebend durch die Uday Shankar Schule in Kalkutta beeinflusst, die von Anfang an durch große Offenheit gegenüber europäischen Präsentationsformen und nichtindischen Bewegungsstilen gekennzeichnet war. Piali Rays Arbeit bestach durch farbenprächtige Kostüme, exakte Gruppenchoreographien und zeigte Experimente, wie die Zusammenarbeit mit dem in England ansässigen afrokaribischen Choreographen Jacky Guy. Sie sieht ihre Hauptaufgabe heute ebenso wie Nilima Devi in der Konfliktbewältigung innerhalb der multiethnischen Gesellschaft Englands. Demselben Zweck haben sich die zahlreichen indischen Kulturorganisationen Englands verschrieben, deren Wirkungsbereiche deshalb nicht nur Ausbildungsangebote in indischem Tanz, sondern vor allem auch die Betreuung erzieherischer und soziotherapeutischer Anliegen umfassen. Die wichtigsten von ihnen werden im folgenden Kapitel vorgestellt.

 

 

Der Prozess der Institutionalisierung

 

Es waren Uday Shankars frühe Innovationen in den Zwanzigerjahren und Ram Gopal's gefeierter ersten Auftritt 1939 in London, die das Interesse an indischem Tanz in Großbritannien beflügelten. Während der Vierzigerjahre entstanden erste kulturelle Nischen für regelmäßige indische Tanzaktivitäten über sogenannte 'Kulturabende' in den Städten, wenn auch in sehr begrenztem Rahmen. Bis 1950 spielte indischer Tanz die Rolle des interessanten Exoten und in England:

Tänzer wie Shanta Rao, Krishnan Kutty und Ram Gopal versuchten vergebens in der westlichen Kultur Fuß zu fassen, doch die Zeit war noch nicht reif. Erst 1940 gab es ein Arts Council, das, nach einem Prozess des Umlernens über die Bedeutung des indischen Tanzes als förderungswürdigen Bestandteil britischer Kultur, die Risiken ausgleichen konnte. In den Sechzigerjahren kam es zu ersten Veränderungen. Ravi Shankar war als Sitarspieler 1958 beim Edingburgh Festival aufgetreten und wurde von Ali Akhbar Khan als Sarodspieler gefolgt. In den Sechzigern konnten die Mitglieder des Asian Music Circle Tanz von Künstlern erlernen, die aus Indien auf Besuch kamen. Damit begann eine Bewegung, die zur Gründung der heutigen, in London stationierten Zentren für indischen Tanz, wie das Bharata Vidiya Bhavan oder die Academy of Indian Dance führte.

Nicht zuletzt auch aufgrund des tänzerischen, pädagogischen und wissenschaftlichen Wirkens der aus dem faschistischen Deutschland Geflüchteten Tänzer Laban und Jooss und deren Mitarbeiter und Schüler konnte sich in England nach zahlreichen Widerständen Tanz als einer von sechs Komponenten der Leibesübung im Rahmen des nationalen Lehrplans durchsetzen (Academy 1994: 10). In Bezug auf die kulturelle Bedeutung außereuropäischen Tanzes kam es in den Siebzigerjahren zu einer Serie von öffentlichen Debatten, als junge Praktikanten aus den nach geburtenstarken Jahrgängen rasch angewachsenen Studentenpopulation alte Vorstellungen und Vorurteile in Frage stellten. Neue Aufführungsorte wurden neben den traditionellen Tanzräumen, Theatern, Galerien und Tanzstudios, erschlossen. Die neue Performance-Arbeit fand ihren Weg auf die Straßen und in andere unübliche Räume für Kunst, wie Pubs, Schulen, Garagen und Warenhäuser. Sozialarbeiter unter den Künstlern infiltrierten Gemeinden und Arbeiterbezirke mit ihren Initiativen (Khan 1997: 26f). Khan (ibid.: 27) schreibt über diese Zeit:

Diese Professionalisierung der Tanzkunst zeigte sich in einer Hinwendung zu der Klassikbewegung indischen Tanzes in subkontinentaler Prägung (70) und von radikalem Konser- vatismus, aber auch in der Entwicklung neuer und experimenteller Formen die aus einem Dialog mit der Kultur des Westens erwuchs.

Generell lassen sich zwei Entwicklungstendenzen in dieser Zeit aufzeigen, einerseits eine allgemeine Unterstützung multikultureller Aktivitäten seitens des Staates und andererseits die Abkehr zumindest einiger Künstler, wie z.B. des Kathak-Tänzerpaares Pratap und Priya Pawar, von der Ausrichtung außereuropäischer Kunst auf ein westliches Publikum, in einer verstärkten Hinwendung zu anderen außereuropäischen Formen, wie der Zusammenarbeit der beiden genannten Künstler mit Flamenco- oder karibischen Tänzern (ibid.).

Ein Government Green Paper bestimmte 1977, dass der kulturelle Pluralismus in den nationalen Lehrplan miteinzubeziehen sei (Academy 1983:13). Als generell die Tanzaktivitäten zwischen 1978 und 1979 rasch expandierten, stand das Arts Council vor einem großen Finanzierungsproblem, da die Regierung sich außerstande sah, eine reguläre Anhebung der Gelder durchzuführen. Von den 80 Millionen Pfund Budget des Arts Council gingen 2,82 Millionen in die Finanzierung von Tanz, 2,468 Millionen zu den vier Hauptkompanien des Landes, Festival Ballet, Contemporary Dance, Rambert und Northern Ballet, so dass bloß 0,358 Millionen für alle anderen Tanzaktivitäten übrig blieben. Die Londoner Region erhielt den Großteil dieses restlichen Geldes, während andere Regionen unzureichend gefördert wurden. Schon 1983 berichtet jedoch der Report on Academy of Indian Dance Seminar, dass sich die vom Arts Council ins Leben gerufene und finanziell getragene Bewegung der Tanzanimateure auf afrokaribischen und indischen Tanz auszuweiten begonnen hatte, wenn auch Finanzierung, Forschung, Informationsstand und Popularität des Tanzes noch als unzureichend beklagt wurden (Academy 1983: 4f,8f). In dem grundsätzlich förderlichen Kulturklima Großbritanniens schritt auch die Institutionalisierung des südasiatischen Tanzes voran. Man kann am Beispiel der Gründungskontexte der verschiedenen Organisationen und anhand ihrer historischen Reihenfolge gewisse grund- legende Entwicklungstendenzen und Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf die Entwicklung ethnischer Repräsentanz durch Tanz und seiner interkulturellen Anwendungen ablesen:

 

Das Bharata Vidiya Bhavan (71) ist die älteste Organisation in Großbritannien, die sich der Pflege südasiatischer Tanztraditionen verschrieben hat. Das Institut ist die Tochtergesellschaft einer indischen Mutterorganisation zur Pflege traditionellen indischen Kulturgutes, welche bereits 1972 in einer 100m²-Wohnung in London einen Zweig eröffnete. In dieser Residenz befand sich bereits ein kleines Buchgeschäft, Wohnplätze, zwei kleine Unterrichtsräume für Musik, Tanz und Yoga und eine Bibliothek. Seit dieser Zeit hat sich die Basis der Organisation dramatisch erweitert. Dieser Erfolg wurde dadurch erleichtert, dass die Mutterorganisation einen der größten indischen Verlage besitzt. Es ist dies nach Auskunft des Direktors der Londoner Zweigstelle der zweitgrößten Verlag nach der Rama Krishna Mission, welcher sich auf philosophische Bereiche beschränkt, und verfügt im Gegensatz zu diesem über eine breite Streuung von kulturellen, religiösen, ethischen, epischen und anderen Themenbereichen. Der zweite Faktor, der die Popularität des Instituts sicherte, war der Begründer der indischen Mutterorganisation, K.M. Munshi, der als Anhänger von Gandhi, als Freiheitskämpfer, Rechtsgelehrter und Kulturförderer auch in ausschlaggebenden angloindischen Kreisen großes Ansehen genießt. Die Gründung der indischen Mutterorganisation stand ursprünglich im Zusammenhang mit der Förderung des brahmanischen Ideals des Schutzes der Kühe. Ein zweites Ziel war die Förderung der Verbreitung von Sanskrit. Nandakumar betonte jedoch, dass es sich bei dieser Organisation nie um ein hinduistisches oder religiöses Institut gehandelt hatte. Vielmehr ging es um die Förderung der Ideale Gandhis. Ihre Förderer glaubten explizit an den Wert aller Religionen. Die Organisation wendete sich schrankenlos an alle, die Interesse an indischer Kunst und Kultur zeigten. Doch erst als sich die Organisation nach und nach zu allgemeineren Kulturförderungsprogrammen hinwandte, vergrößerte sie ihre Basis erheblich. Heute hat die Organisation nach Angabe von Nandakumar über 70 Kulturzentren und mit ihnen 70 Lehrinstitute, die Grundschulen, Internate, aber auch z.B. technische Schulen umfassen. Munshi initiierte schließlich die Ausweitung auf London um 1972. Danach wurden Zentren in New York (um ca. 1982), Lissabon (um ca. 1990) und Manchester und außerdem in Mexiko und in Kanada gegründet. Tanzklassen wurden im Londoner Bharata Vidya Bhavan 1975/76 in kleinem Maßstab begonnen. Bald wurden die alten Räumlichkeiten zu eng. Als 1977 das gegenwärtig als Sitz genutzte ehemalige anglikanische Kirchengebäude zu Verkauf angeboten wurde, wurde es unter der Auflage erworben, die Fassade intakt zu halten - eine Bedingung, die für die säkulare Organisation kein Hindernis darstellte. Heute werden unter dem Dach des Kirchengebäudes 22 Lehrgegenstände an 860 Schüler vermittelt. Sie lernen indischen Tanz, klassischen nordindischen Tanz und klassischen südindischen Tanz, Kathak und Bharata Natyam. Darüber hinaus werden Sitar, Tabla, Mrdangam, Harmonium, Flöte, Violine, hindustanischer Gesang, Musik aus Bengalen und andere klassische indischen Stile, Atemübungen (pranayama) und Meditation, Sanskrit, Hindi, Bengali, Gujarati und Tamil regelmäßig unterrichtet. Ein Großteil der Schüler, 1994 etwa 230, studieren Tanz. Unter ihnen sind 10-15% in der Regel westlich, der Rest zum Großteil südasiatisch und speziell indisch. Den Großteil der Klassen, mehr als 70%, stellen weibliche Schüler. Die häufigste Altersgruppe ist jene der Acht- bis Fünfundzwanzigjährigen. Unter den Sprach- und Musikstudenten finden sich auch einzelne alte Menschen, zwischen dem sechzigsten und achtzigsten Lebensjahr. Im Lehrplan werden generell traditionelle und indische Inhalte gepflegt. Moderne westliche Bühnentechnik findet zum Beispiel nur sehr geringen Eingang, während indisches Theater, indischer Bühnendekorationsstil, indische Schauspieltechnik und indische Schauspielleitung sehr wohl unterrichtet werden. Das Institut ist das älteste und größte indische Lehrinstitut in London und auch das kulturell authentis

chste. Dies wird auch dadurch begünstigt, dass Vollzeitlehrkräfte - zwei davon für Tanz, sechs für Musik, einer für Theater - täglichen Unterricht halten, den die Schüler mindestens zweimal pro Woche besuchen sollen, aber auch täglich an fünf Tagen in der Woche besuchen können. Hinzu kommen dann noch 12 Teilzeitlehrer für die restlichen Fächer. Schließlich werden verschiedentlich Vorträge und Workshops über Aspekte indischer Kunst und Kultur von Fachleuten unterschiedlicher Herkunft im Institutsgebäude und auch in den Medien, an Universitäten oder in Kulturzentren und dergleichen gehalten, die je nach Thema auch ein multiethnisches Publikum anziehen können. Mindestens einmal monatlich sind Fachleute dieser Art aus Indien zu Gast.

Die älteste Organisation, die sich explizit um eine über die Grenzen der indischen Emigrantengemeinde hinausgehende Verbreitung außereuropäischen Tanzes in England bemüht, ist die Academy of Indian Dance. Die Academy wurde 1979 als Commonwealth Institut durch Tara Rajkumar gegründet. Bis 1984 beschränkte sich die Tätigkeit des Instituts auf die Bewerbung und Würdigung indischen Tanzes im multiethnischen Umfeld und auf die Förderung indischer Tanzpraxis. Danach versuchte man diese Ziele durch die Umwandlung der Organisation in eine Tanzgruppe, die durch Großbritannien tourte, umzusetzen. Die Academy sammelte professionelle Tänzer aus verschiedenen Gegenden Englands, um sie unter der Leitung von V.P. und Shanta Dhanayan, die aus Indien einreisten, zu vereinen. Durch die Erarbeitung der beiden Stücke, "Adventures of Mowgli" und "The Return of Spring", wurden erste Produktionserfahrungen gesammelt.

Die Tanzerzählung nach Kipling über Mowgli, den Dschungelknaben, wurde um 1983 das erste Tanzdrama, das kein religiöses oder klassisches Thema zum Inhalt hatte. Die Dhanajayans, ein bekanntes Tänzerpaar aus Indien, choreographierten das Stück. Shobana Jeyasingh trat als 'Panther Bagheera' auf, Pushkala Gopal als 'Bär', Unnikrishnan als 'Mowgli' und Pratab Pawar als besonders vortrefflicher 'Tiger Sheer Khan'. Es wurde darin eine Form kreiert, die verschiedene klassische Tanzstile enthielt, aber gleichzeitig als solche auch aufrechterhielt, Odissi, Bharata Natyam und Kathak. (Khan 1997:27)

Die an diesen beiden Stücken Beteiligten gehören heute zu den bekanntesten und erfolgreichsten indischen Tänzerinnen und Tänzern in England. Pushkala Gopal sowie Pratap und Priya Pawar, halten ihre Sitze heute im Management der Academy, Shobana Jeyasingh ist heute Treuhänderin der Academy und seit Mitte der 80er Jahre eine erfolgreiche experimentelle Choreographin von heute internationalem Ruf. T. Unnikrishnan arbeitet als Tänzer und Choreograph mit Pushkala Gopal eng und ebenfalls sehr erfolgreich zusammen. Bis 1987 wurden im Zuge der Arbeit mit dieser indischen Tanztruppe die ersten Auftrittsmöglichkeiten für in Indien ausgebildete, aber in England ansässige Tänzer und Tänzerinnen geschaffen. Gegen Ende der Achtzigerjahre traten Probleme mit den Sponsoren auf, die eine Rückorientierung der Arbeit auf die ursprünglichen Ziele forderten. Seit dieser Zeit gibt die Academy im wesentlichen nur mehr Informationen über Auftrittsmöglichkeiten für britisch-indische Tänzer weiter. 1988 wurde Mira Kaushik Direktorin der Academy. Sie setzte eine Dreiteilung der Aufgaben in die Bereiche 'Training', 'Erziehung' (education) und 'Soziales' (community) durch. Während sich bis 1991 die Arbeit des Instituts auf London beschränkte, wurde sie in der Folgezeit auch auf andere Regionen Englands ausgedehnt. Die Academy of Indian Dance ist eine Treuhandgesellschaft, deren Treuhänder einflussreiche Personen aus dem Bereich des künstlerischen Mainstream südasiatischen Tanzes sind, die sich zweimal jährlich versammeln. Die Umsetzung der Ziele bestimmt das Managementkomitee, das sich mit den Hintergrundanliegen, wie indischer Tanz im Unterricht an allgemeinbildenden Schulen oder im Rahmen von sozialen Aufgaben befasst. Die Treffen des Komitees resultieren in Weisungen an den Stab. Dieser besteht aus je zwei Angestellten für die drei Aufgabenbereiche, einer Verwalterin (1995: Helen Smart) und ihrer Vertretung (1995: Karen Jacobs). Das Büro der Organisation ist in The Place in London stationiert, einem Tanzhaus von internationalem Prestige, das auch westlichen Tanz und ein Tanzarchiv beherbergt. Den Erziehungsbereich leitete 1995 Tina Cockett, den Sozialbereich Uzma Hameed. Das Tanztraining der Academy ist ähnlich wie in anderen Schulen für indischen Tanz in England strukturiert und orientiert sich an den traditionellen indischen Lehrmethoden. Es handelt sich um Abendkurse, in denen in erster Linie Erwachsene durch Lehrer, die aus Indien kommen, unterrichtet werden. Viele kommen nach einer abgeschlossenen Tanzausbildung zur Academy, um an ihrer Professionalisierung zu arbeiten. Neben Südasiaten besuchen etwa 30% Nichtasiaten die Kurse. Der reguläre Unterricht findet einmal wöchentlich statt. 1994 waren es um die sechzig überwiegend weibliche Schüle- rinnen, von denen selten mehr als fünfzehn in einer Klasse zusammen unterrichte wurden, unter den Fortgeschrittensten selten mehr als fünf, wobei hier der Anteil der Männer höher ist. Gastprogramme von indischen Künstlern ergänzen das Angebot, wodurch indische Tänzerinnen dem englischen Publikum vorgestellt werden. Sie erhalten neben der Gelegenheit für Auftritte auch die Möglichkeit Workshops abzuhalten. Den Schülern soll die Möglichkeit geboten werden, jene Erfahrungen zu sammeln, die mit der direkten Arbeit mit Meistern des Fachs einhergehen. Sie können die Persönlichkeiten auf sich wirken lassen und die Tanzkunst aus erster Hand erfahren und lernen. Zumeist sind es Intensivtrainings- und Meisterklassen, die auf solche Art gebildet werden. In ergänzenden Kursen wird im Rahmen von mehrmals jährlich stattfindenden Studienwochen Wissen zu anderen Gebieten, wie Philosophie, Religion, Musik, visuelle Kunst, aber auch Themen wie Unfallprophylaxe und gesünderes Tanzen, Verwaltungstechniken oder Bühnentechnik, die in Verbindung mit indischem Tanz stehen, vermittelt. Dabei werden regelmäßig Gelehrte englischer Hochschulen zu Vorträgen eingeladen. Die Academy übernimmt aber auch selbst die Organisation der Forschung zu bestimmten Themen, wie dies zur Gesundheitsprophylaxe der Fall war. Forschungsergebnisse werden an andere Organisationen wie Sampad weitergegeben, um ihre Verbreitung zu fördern.

Die Organisation Sampad mit Sitz im Midland's Arts Centre (MAC) Birmingham wurde um 1991 von Piali Ray, nach drei Jahren Tätigkeit als staatliche regionale asiatische Tanzanimateurin für West-Midland, aus dem Bedürfnis nach einer permanenten südasiatischen Kulturentwicklungsorganisation heraus gegründet. Sampad bedeutet 'Reichtum'. Sampad entwickelte sich also auf Basis der kulturpolitischen regionalen Struktur und nicht mehr aus dem spezifischen internationalen Kontext des Commonwealth heraus. Piali Ray studierte zwischen 1966 und 1974 am Uday Shankar Cultural Centre in Kalkutta vor allem modernen indischen Tanz und setzte ihre Ausbildung bis 1979 mit einem Perfektionstraining in Bharata Natyam fort. Daneben erwarb sie sich an der Universität von Kalkutta 1979 den akademischen Titel Master of Arts (MA) aus dem Fach Indologie. 1982 emigrierte sie nach Birmingham. Als sie am englischen Festival of India im selben Jahr auf Initiative des indischen Botschafters teilnahm, ergaben sich daraus soziale Kontakte, die zur Gründung einer ersten Tanzklasse mit 24 Teilnehmern führten. Dieses Festival hatte, wie Simon Dove (in Academy 1983:14) als Beauftragter des Bharata Vidya Bhavan in West-London rückblickend ausführt, generell eine große Bedeutung bei der Stimulierung von Interesse an indischer Kunst und schuf allerorts Möglichkeiten darauf aufzubauen. Dies war besonders wichtig in einer Zeit als die Medien kaum Raum für indische Tanzveranstaltungen zur Verfügung stellten und Kritiken indischer Tanzaufführungen rar waren. Rays Schülerinnen, die zwischen 6 und 35 Jahre alt sind, die meisten jedoch in der Altersgruppe zwischen 14 und 25 Jahren, waren zumeist indischer Herkunft. Es befanden sich jedoch auch einzelne englischer Abstammung und auch einzelne männliche Schüler unter ihnen. Wegen der Übungsräumlichkeiten entwickelte sie einen engen Kontakt zum MAC. 1984 gründete sie mit etwa 23 Mitgliedern die Tanzgruppe Natyam, welche unter anderem am International Garden Festival in Liverpool teilnahm und in London vor Prinz Charles tanzte.

1986 wird sie Asian Dance Animateur für East Midland's Region, 1987 für West Midland's Art. Aufgabe der Tanzanimation ist es in erster Linie, über den Tanz Möglichkeiten zur kulturellen Auseinandersetzung zu liefern, die gesellschaftliche Anerkennung der Kunstform voranzutreiben und Vorurteile gegenüber dem südasiatischen Tanz abzubauen. Piali Ray nannte vor allem drei solche Vorurteile:

  1. dass klassischer Tanz außerhalb religiöser Riten keinen Platz in der Gesellschaft hätte,
  2. dass indischer Volkstanz formell anspruchslos und daher von geringem Prestige wäre und
  3. dass indischer Tanz unflexibel sei und sich nicht für zeitgenössische Anwendungen eigne.

1988 erarbeitet sie mit Jacky Guy und der Cucuma Dance Company "Human Machine". 1989 gastiert sie im Rahmen des Tagore Festivals Rabindra Mela mit "Poetry in Motion" in New Jersey, bevor sie 1991 Sampad gründet. 1993 wird ihr "Parishod" beim Rabindra Mela in New Jersey aufgeführt. Heute ist Piali Ray in erster Linie um Sampad bemüht.

Sampad ist als Verein konstituiert, der über ein Komitee mit verschiedenen Sitzen verwaltet wird. Neben dem Stab, der aus der Direktorin, einem Kassier und den Sekretärinnen besteht, werden über 70 freiberufliche zweisprachige Künstlerinnen und Künstler aller Kunstgattungen projektbezogen beschäftigt. Sampad wird durch das West Midland's Arts Forum als Regionalstelle des Arts Council of Great Britain finanziert. Dazu kommen Gelder von lokalen Behörden, wie dem Birmingham City Council, und diversen gemeinnützigen Fonds der Privatwirtschaft. Ziel ist es, ein möglichst breites Publikum von Aktivisten und Zusehern für ein möglichst breites Spektrum an südasiatischer Kunst, Musik, Tanz, aber auch visueller Kunst, Theater oder Kunsthandwerk, zu gewinnen. Dies geschieht neben der Vermittlung verschiedener Kunsttechniken, der Erforschung künstlerischer Entwicklung, der Projektorganisation inklusive Dokumentation und Evaluation, der Organisation von Workshops, Demonstrationen und Ausstellungen, vor allem über die Entwicklung einer Infrastruktur für asiatische Kunst in England. Der Kommunikation dienen über dies die zwei Hauptveranstaltungen der Institution, ein Festival im März und eine wissenschaftliche Konferenz im Oktober jeden Jahres. Sampad arbeitet eng mit den südasiatischen Kulturorganisationen wie der Academy of Indian Dance und ADiTi (s.u.) zusammen. Piali Ray ist Vicechair von ADiTi. Auch mit nichtasiatischen Kulturorganisationen, wie dem MAC, mit Unterrichtsorganisationen sowie mit anderen sozialen Hilfsorganisationen wie Art Link, einer Behindertenhilfsorganisation, welche Künstler für Betreuungsarbeiten ausbildet und Fachleute für Projekte vermittelt, wird kooperiert. Es gibt eine eigene Jugendtanztruppe von Sampad, die Asian Youth Dance Company, die experimentell arbeitet und neben den klassischen indischen Tanzformen auch Kampfsporttechniken und verschiedene moderne, auch westliche Musikstile einbezieht, an der auch einzelne Tänzerinnen englischer Abstammung teilnehmen. Sampad engagierte sich 1995 insbesondere für die Professionalisierung der Ausbildung für Lehrer und Verwaltungsbeamten in den neuen interethnischen Bereichen, vor allem den Special Needs Groups und im Pflichtschulunterricht. Zentrales Anliegen ist die Heranbildung einer künstlerischen Elite aus der zweiten Generation, den Kindern der indischen Emigranten, die zumeist kein Training in Indien mehr absolviert haben und die nun zwischen zwei Kulturen stehen, die Vermittlung eines neuen kulturellen Selbstbewusstseins an diese Menschen und neuer Perspektiven.

ADiTi ist eine Organisation für die Entwicklung südasiatischen Tanzes, die sich als Gesellschaft mit beschränkter Haftung institutionalisiert hat und von einem Komitee unter wechselndem Vorsitz geleitet wird. ADiTi wurde 1991 mit Unterstützung durch das Arts Council gegründet. ADiTi wird überwiegend durch öffentliche und private Förderungen finanziert, die 1993 125.000 des insgesamt 135.000 englische Pfund umfassenden Jahresbudgets betrugen. Seit 1991 nimmt ADiTi Managementaufgaben in enger Zusammenarbeit mit dem West Yorkshire South Asian Dance Project wahr, das 1992 als praktisches Laboratorium unter ADiTi subsummiert wurde. Neben der Unterstützung dieses regionalen Teams versteht sich ADiTi als Ratgeber, Informationszentrum und als Unterstützung für englische Gruppen und Individuen, die auf dem Sektor von südasiatischer Musik und Tanz arbeiten, und als Ansprechpartner für kulturspezifische Anfragen von regionalen Behörden, Lehrinstitutionen und Sozialarbeitern. ADiTi arbeitet darüber hinaus an mehreren themenspezifischen Foren des Landes mit. 1998 waren 39% der Mitglieder von ADiTi Tänzerinnen und Tänzer, der Rest sind Musiker, Kunstgönner, Journalisten, Beamte der regionalen Kunstbehörden, Vertreter und Vertreterinnen von Tanzagenturen, Kunstorganisationen, Kunstberater, Behindertenorganisationen, Lehrerinnen und andere. ADiTi organisiert Festivals, lokale Initiativen und Konferenzen, bringt Tänzer mit Musikern, Filmschaffenden und anderen Künstlern zusammen und unterhält enge Beziehungen zu allen bereits genannten Tanzorganisationen. Die Herausgabe eines alle zwei Monate erscheinenden Blattes und themenspezifischer Einzelpublikationen ergänzen das Angebot.

Die Aktivitäten der genannten Organisationen führten dazu, dass südasiatischer Tanz auch in den Vorlesungsbetrieb der Universitäten (Grau 1997) eingeführt wurde. In der Regel handelt es sich hierbei zunächst um gelegentliche Vorträge mit Tanzdemonstrationen, dann auch irreguläre Workshops und Seminare, die heute über alle Bereiche südasiatischer Tanzkunst, Volkstanzformen und klassische Formen, aber auch über die modernen britischen Entwicklungen, abgehalten werden. Sie sind zumeist Teil des Bildungsangebotes zu den Gebieten 'Tanz in der Gemeinschaft', 'Tanz und Kultur' oder 'Tanz und Gesellschaft' und dienen der Illustration breiterer soziologischer, politischer, historischer und kultureller Themen. Nur selten sind sie jedoch Bestandteil der Choreographie- und Ästhetikkurse. Einige Institutionen, die Hochschulabschlüsse für Tanz anbieten, wie das Laban Centre, die London Contemporary Dance School, die Surrey University und die Middlesex University, bieten, zumeist seit Anfang der Neunzigerjahre, auch Einheiten zu unterschiedlichen Aspekten südasiatischen Tanzes an, vor allem in der Form von Einführungskursen in einen oder mehrere klassische Stile, wie Kathak, Bharata Natyam, Odissi oder Kathakali. Diese Kurse wurden in die existierenden Tanz- und Theaterkurse integriert. Sie wurden bisweilen als bloße 'Alibiaktionen' kritisiert, die mehr aus Gründen politischer Korrektheit betrieben wurden als um der Sache selbst willen. Doch boten und bieten sie immerhin Einblicke in einzelne wichtige Regionen des Welttanzes und der Bandbreite von Bewegungsformen:

In diesen Hochschulen werden seit einigen Jahren jedenfalls außereuropäische Tänzer als Lehrkräfte eingestellt, die teilweise noch in ihrer Heimat in traditioneller Weise unterrichtet wurden. Die Hochschulen wollen ihren Studenten einen direkten Zugang zu fremden Lehrtraditionen und dem Formenreichtum fremder Stile ermöglichen. Einige dieser Institutionen lassen dann auch Studenten zum Studium zu, die keine europäische Tanzausbildung, sondern eine Tanzausbildung außereuropäischer Stile abgelegt haben. Die Middlesex University (72) in London und die De Montfort University in Leicester bieten zum Beispiel asiatische Tanzstile im Hochschulabschluss an (Rathod 1994:12f.). Subodh Rathod, der sein indisches Tanztraining in London am Bharata Vidya Bhavan, an der Academy of Indian Dance und an der University of Middlesex erhalten hat und der 1989 durch ein Arts Council / ADiTi Advanced Training Bursary auch in Indien studieren konnte, stellte jedoch noch 1994 als Mangel fest, dass asiatische Kunsttanzstile nicht in gleichem Maße als generelle tänzerische Qualifikation in Europa anerkannt werden, wie die verschiedenen kontemporären europäischen Stile, wie etwa Graham-Stil oder Cunnigham-Stil.

Im Herbst 1995 startete ein neuer Typ von Hochschulkursen, der in Zusammenarbeit zwischen Middlesex University und University College, Bretton Hall als Bestandteil der Unterrichtsstrategie von ADiTi entstand. Die Ausbildung schließt mit einem dualen Certificate for Dance Artists in Schools (South Asian Dance) ab und stellt einen Schritt in Richtung einer Annäherung zwischen dem südasiatischen Tänzerberuf und dem Tanzausbildungssystem dar. Die Tänzer sollen vor allem für die Unterrichtsarbeit innerhalb des Lehrplans der primary- und secondary education vorbereitet werden (ibid.:58 und Iyer 1997c:65). Surrey University bietet einen Bachelor of Arts-Kurs im Fach "Dance and Cultur" an, indem nun endlich südasiatischer Tanz künstlerisch gleichberechtigt neben den anderen Technikangeboten des Programms steht. Die Abteilung hat sich auf den Unterricht von Kathak beschränkt, der nun im ersten Jahr als Pflichtfach, neben Ballett sowie einem zeitgenössischen abgeleiteten Stil und einem afrikanischen abgeleiteten Stil, unterrichtet wird. Im zweiten Jahr entscheiden sich die Studenten entweder für eine weitere Verbreiterung des Stilangebotes oder eine Spezialisierung auf zwei der ursprünglichen Stile. Die Möglichkeit der weiteren Verbreiterung auf verschiedene Stile, die heute Teil der britischen Kulturlandschaft sind, wie beispielsweise auch Capoeira oder Lambada, soll vor allem Lehrer für theoretische Fächer, wie Historical Perspectives, Dance and Politics, Concepts of Culture und Critical Perspectives hervorbringen, die Unterrichtsbeispiele aus einer breiten Basis an praktischen Erfahrungen schöpfen können (Grau 1997:59). Die London Contemporary Dance School (LCDS) startete im Herbst 1995 ein siebenwöchiges Pilotprojekt mit der Shobana Jeyasingh Dance Company (SJDC). Dieses Projekt diente der Auslotung des künstlerischen und pädagogischen Potentials eines komplementären Angebotes an verschiedenen Techniken für Tänzer mit unterschiedlicher Vorbildung. Sieben Tänzer von SJDC, unter ihnen sowohl nordamerikanische als auch britische Tänzerinnen, mit und ohne Vorbildung in westlichen Stilen, und sechs von LCDS, die meisten von ihnen im Abschlussjahr des Bachelor of Arts Hounours degree course, wurden einer breiten Palette an Bewegungsvokabularien ausgesetzt, um ihre Kreativität zu stimulieren und verschiedene Arten der Arbeit und des Gebrauchs des Körpers zu erforschen. Tänzer mit Ausbildung in zeitgenössischen Stilen, wie Graham, Cunningham und Limon wurden einem speziell abgewandelten Training im Bharata Natyam unterworfen. Tänzer mit klassischem indischen Tanztraining erhielten eine Basistraining in zeitgenössischen Stilen und Ballett, wie sie im ersten Jahr der professionellen Tanzausbildung des LCDS angeboten wird. Grau fast die Ergebnisse zusammen:

Angebote dieser Art könnten jedenfalls einen Beitrag dazu leisten, das Gefälle zwischen westlichen und südasiatischen Tanzprofessionalisten etwas abzubauen. Dies vielleicht auch in Bezug auf ein noch kaum erwähntes Phänomen: dass nämlich einige westliche Choreographen bereits mit südasiatischen Tänzern zusammengearbeitet haben, dass aber die entsprechende Umkehrung, die Zusammenarbeit zwischen südasiatischen Choreographen und westlichen Tänzern noch weitgehend ausständig ist. (ibid.: 61)

 

Im speziellen Fall Großbritanniens erfolgte die Erschließung des kulturellen Potentials einer ethnischen Tanzkunst im multikulturellen Raum in drei Etappen:

  1. Initiative aus dem Mutterland, Gründung einer ersten Organisation zur Repräsentation strikt traditioneller Kulturformen im Ausland. Es werden hohe Qualitätsmaßstäbe für die ethnische Tanzform gesetzt, das gesellschaftliche Profil erhöht sich. Wegen der traditionellen Orientierung wird das interethnische Potential kaum ausgelotet.
  2. Initiative im internationalen Rahmen: Gründung einer Kulturorganisation, die sich expliziter mit den neuen Aufgabenstellungen im interethnischen Bereich befasst, kreative Ansätze werden entwickelt, neue Methoden und Inhalte ausprobiert. Ein erstes experimentelles 'Laboratorium' der Tanzaktivitäten erkundet die Möglichkeiten, Übergänge und Grenzen im Spannungsfeld zwischen nationaler Repräsentation und interethnischer Kommunikation nach dem Prinzip des trial and error.
  3. Weitere regionale und überregionale Institutionen werden ohne Hilfe aus dem Mutterland und ohne Hilfe von internationalen Organisationen, aber mit staatlicher und auf dem Boden einer kulturfreundlichen Subventionsgesetzgebung auch mit privatwirtschaftlicher Unterstützung des Gastlandes gegründet. Unterschiedliche lokale und ökonomische Bedürfnisse werden nun abgedeckt. Die Kulturszene professionalisiert sich, neue Ausbildungswege für interethnisches Tanzspezialistenwesen werden begründet. Professionelles interethnisches Kulturmanagement entwickelt sich.
  4. Gelegentliche Vortragsdemonstrationen, Workshops und Seminare über verschiedene Bereiche der Tanzkunst des Mutterlandes und der neuen interkulturellen Formen finden Eingang in Universitäten und Hochschulen.
  5. Universitäten und Hochschulen entwickeln reguläre Lehrgänge für einzelne Tanzstile der Emigrantenkultur. Ein allmählicher Aufwertungsprozess mit dem Ziel der künstlerischen Gleichstellung der Stile der Immigrantengemeinde mit den Tanztraditionen der Gastgeberkultur beginnt.

 

 

Interkultureller Tanz in Österreich

Die Wiener Tanzfestwochen - Indien und die Welt. Natya Mandir - Indische Tanzlehre in Wien. Interkulturelle Tanzausbildung im Rahmen der Internationalen Tanzwochen Wien. Förderung marginalisierter Sozialgruppen in Wien.

 

Während Österreich auf dem Gebiet internationaler Tanzfestivals weltweit an einem der führenden Plätze zu finden ist, ist die Praxis interethnischer Tanzerziehung im großen und ganzen noch Domäne kommerzieller und idealistischer Einzelinitiativen, die im wesentlichen kaum einer staatlichen und kulturpolitischen Steuerung unterliegen. Bei einem Ausländeranteil von fast 10% (ca. 721.000) an der Gesamtbevölkerung von ca. 8 Mill., sind Ausländer keine vernachlässigbare Größe. Die größte Gruppe unter ihnen stellen die Ex-Jugoslawen, mit ca. 327.000, und Türken, mit ca. 143.000 Einwohnern. Die größte Konzentration von Ausländern findet sich in der Landeshauptstadt Wien, die mehr als ein Drittel aller Ausländer beherbergt (ca. 231.000) (73). Wien hat hinter Dornbirn den zweithöchsten Anteil an ausländischen Schülern (21,9%) auf Bundesebene. Eine besonders hohe Ausländerrate findet sich an bestimmten Schultypen einzelner Stadtbezirke Wiens. Im Bezirk Hernals sind 73,4% der Hauptschüler Ausländer (74). Insgesamt gab es in Wien im Schuljahr 1994/95 4.937 Schüler aus dem Bereich des ehemaligen Jugoslawiens und 11.075 Schüler aus der Türkei, aber zum Beispiel nur 276 indische Schüler (75).

Insgesamt ist nichtwestlicher Tanz auf den Wiener Bühnen kein Novum mehr. Die internationalen und auch außereuropäischen Darbietungen sind von ganz herausragender Qualität. Die vom Kulturamt der Stadt Wien alle zwei Jahre veranstalteten Wiener Internationalen Tanz-Festivals und die auf private Initiative zurückgehende internationale Reihe ImPuls-Tanz sowie die Kurse der Sommer- und Wintertanzwochen derselben Veranstalter sorgen seit Jahren für regelmäßige, vielfältige und hochqualitative Darbietungen aus der ganzen Welt. Das Wiener Internationale Tanz-Festival und die Sommertanzwochen wurden 1998, vom 2. Juli bis 16. August, aus strukturellen und finanzierungspolitischen Gründen erstmals unter dem Titel ImPuls Tanz'98, Europa-Festival für Zeitgenössischen Tanz zusammengefasst.

Für die vorliegende Arbeit interessiert aus Vergleichsgründen und auch aufgrund der historischen Entwicklung der außereuropäischen Anteile an internationalen Tanzfestivals zum einen die Situation indischen Tanzes in Österreich, zum anderen natürlich auch, welche allgemeinen Aktivitäten auf dem Gebiet interkulturellen Tanzes, der Tanzausbildung und anderer Aktivitäten im Erziehungswesen stattfinden.

 

 

Das Wiener Internationale Tanz-Festival - Indien und die Welt

 

Außereuropäischer Tanz fand erstmals im Rahmen des Wiener Internationalen Tanz-Fests Tanz'82 als Teil der Wiener Festwochen 1982 auf Initiative des künstlerischen Leiters Gerhard Brunner in die österreichische Theaterlandschaft Eingang. Brunner wies während des diesem Abschnitt zugrundeliegenden Interviews (Graz 2.7.1998) darauf hin, dass es bereits zwei international orientierte Vorläufer dieser Wiener Tanzfestwochen vor ihrer späteren biennalen Form gegeben hat. 1958 organisierte Erika Hanka als Ballettdirektorin der Wiener Staatsoper ein dreiwöchiges Ballettfestival, bei dem auch Kompanien aus Tiflis und Spanien zu sehen waren. 1969 organisierte dann zu einem Großteil bereits Gerhard Brunner, damals noch Kritiker und späterer künstlerischer Hauptverantwortlicher der Wiener Internationalen Tanz-Festivals, für den Intendanten der Wiener Festwochen, Ulrich Baumgartner, ein sehr erfolgreiches vierwöchiges internationales Tanzfestival als erstes Pilotprojekt der Wiener Festwochen, das ausschließlich dem Tanz gewidmet war. Die beiden genannten internationalen Tanzveranstaltungen präsentierte jedoch noch keine außereuropäischen Tänze.

Die Tatsache, dass indischer Tanz der erste außerwestlichen Kunsttanz war, der in Wien im Rahmen von internationalen Tanzfestivals gezeigt wurde, geht darauf zurück, dass die Gestaltung dieser Festivals weniger in Abhängigkeit von kulturpolitischen Erwägungen als von den Aktivitäten, Eindrücken und Initiativen einzelner starker Persönlichkeiten der österreichischen Kulturszene gestaltet wurden. Biographischen Zufällen kommt in der österreichischen Tanzkulturlandschaft oft eine besondere Bedeutung für die Gestaltung breiter Bereiche zu, wie auch aus den folgenden Abschnitten noch deutlich wird. Brunners Interesse an außereuropäischem Tanz wurde etwa um 1971 geweckt, als ihn eine Reise nach Indien führte und er dort zum erstenmal Gelegenheit bekam, indischen Tanz zu sehen und in der Folge, während fünf weiterer Indienreisen, von indischen Fachleuten und akademischen Künstlern über den Tanz zu lernen:

Nach und nach erwarb sich Brunner auf diese Weise ein vertieftes Verständnis über die Vielfalt, Komplexität und den künstlerischen Wert indischer Tanzkunst. Um 1982 fand diese persönliche Auseinandersetzung Brunners mit Südasien seinen öffentlichen Ausdruck in der Gestaltung der ersten Veranstaltung der Wiener Internationalen Tanz-Festivals, in deren Rahmen außereuropäischer und eben indischer Tanz gezeigt wurde. Die Vorbereitung dieses Festivals wurde von Brunner bereits 1979 in Angriff genommen. Das Projekt wurde mit Unterstützung des damaligen Wiener Kulturstadtrats Zilk realisiert. Von seinen ersten Indienreisen inspiriert, setzte er mit Hilfe der Finanzierungserfahrung von Hildegarde Waißenberger, die die notwendige zusätzliche Summe von 1,2 Mill. Schilling aufzutreiben vermochte, seine Idee durch, einen Indienblock in diese Veranstaltung zu integrieren. Dieser Block wurde zum absoluten Publikumsliebling dieses Festivals. Die Investition hatte sich jedenfalls gelohnt. Brunners Beweggründe waren dabei aber in erster Linie kulturpolitischer Natur gewesen:

Sein erstes Anliegen also war den Horizont der bekannten künstlerischen Welt für seine Landsleute zu erweitern, das östliche 'Jenseits' hinter dem westlichen 'Diesseits' erfahrbar zu machen, den Schleier der Ignoranz gegenüber dem Fremden, genauer gesagt, gegenüber der hohen Kultiviertheit des Fremden zu lüften.

Seine eigene Vorliebe ging freilich noch auf andere Indieneindrücke zurück, die Brunner in seinem Aufsatz "Ursprung und Ziel" im Programmheft zum Tanzfestival Tanz'90 veröffentlichte und die er mit vielen Indienfahrern gegen Ende der Sechziger- und Anfang der Siebzigerjahre teilte. Damals war Indien noch nicht ein mit den heutigen Verhältnissen vergleichbar leicht erreichbares und infrastrukturell aufgeschlossenes Ferienziel. Auch suchten die noch relativ geringe Anzahl Europäer in Indien vielleicht noch nicht so sehr den preiswerten Konsum. Sie wurden jedenfalls, mehr als heute, durch das Erleben Indiens auf eine Suche nach alternativen Lebensformen und Philosophien geschickt:

Der indische Tanz mit seinen mythologischen Inhalten und die indische Religion mit ihren zahlreichen Bezügen zu den Zyklen des Lebens, zum kosmischen Tanz des Werdens und Vergehens, wurden über die indischen Informanten Brunners zu seiner Landkarte indischer Kultur (76). Bald in das Zentrum dieser Landkarte und jedenfalls an erster Stelle in einer Reihung der Tanzkünste stellte Brunner zunächst den Bharata Natyam, den er auch zuallererst nach Österreich bringen wollte, weil er dachte:

Doch schon bei Tanz '82 wurden, damals in der wunderschönen Architektur der Kirche von Steinhof in Wien, neben Bharata Natyam durch Alarmel Valli auch von Raja und Radha Reddy Kuchipudi und von Sanjukta Panigrahi Odissi gezeigt. Die Aufführungen der erstklassigen Tanzkünstler aus Indien waren ein grandioser Erfolg, obwohl sie teilweise unter sehr schwierigen Umständen stattfanden. Denn die von Otto Wagner erbaute Kirche durfte aus Gründen des Denkmalschutzes, wegen der Gefahr der Kondenswasserbildung, nicht geheizt werden. Die architektonisch interessante, hell und freundlich erscheinende Kirche bot sich einerseits als Aufführungsort an, um dem Publikum auf einer Erlebnisebene die anziehende Verknüpfung von Religion und indischem Tanz zu vermitteln. Andererseits konnte man auf diese Weise die Beschränkungen der Guckkastenbühne umgehen.

In das selbe Tanzfestival, Tanz'82, fand unter der Überschrift "New Dance", ein weiterer äußereuropäischer Stil mit spezieller asiatischer kultureller Geladenheit zum ersten mal Eingang in die österreichischen Bühnen: Eiko und Koma, ein japanisches Tänzerpaar, das in Japan bei Min Tanaka und in Deutschland bei einer Schülerin von Mary Wigman, Manja Chmiel, studierte, zeigten eine Verschmelzung von Elementen des Deutschen Ausdruckstanzes mit dem modernen japanischen Butoh. Beim Festival Tanz'82 beeindruckten sie in solchem Ausmaß, dass sie zu Tanz'84 erneut nach Wien geladen wurden.

Nach der ersten erfolgreichen Einführung außereuropäischen Tanzes in die Festivalkultur Wiens, griff Brunner immer wieder auf verschiedene außereuropäische Tänze zurück. 1984 wurden in der Secession orientalischer Tanz aus dem arabischen Raum mit der libanesischen Tänzerin Nadia Gamal präsentiert, die eine Schule für orientalischen Tanz in den USA leitete und Workshops im Rahmen internationaler Tourneen gab. Das Programm- heft gibt einen historischen Überblick in Anlehnung an Karkutlis (1983) populäre Einführung in den Tanzstil. Eiko und Koma traten wieder am Wiener Ballett-Festival Tanz'84 auf und es kam auch Min Tanaka, ein puristischer Soloperformer des japanischen Butoh erneut nach Wien, nachdem er im Herbst des Vorjahres zum erstenmal in Österreich, in Graz und Wien, aufgetreten war.

1986 wurden neben dem Flamenco der New Yorker Kompanie von Pilar Rioja, auch Tänze aus Brasilien von der Kompanie Dance Brazil unter der Leitung von Jelon Vieira gezeigt. In der ersten Programmhälfte wurde eine komprimierte Theaterversion einer Candomble-Zeremonie aufgeführt: Nach einer symbolischen Darstellung der Vorbereitung des Rituals treten sieben der wichtigsten Orixas auf, deren Bedeutungen im Programmheft jeweils kurz erläutert werden. Es folgt ein Gesellschaftstanz, ein Kriegstanz und "Eu Bahia", eine Reverenz vor der afrikanisch beeinflussten Religion von Bahia im nördlichen Teil von Brasilien, in der Elemente des Samba und des Capoeira präsentiert wurden. Zu anderen Terminen wurde der Zweiakter "Orfeu Negro" gezeigt.

1988 zeigte das kubanische Nationalensemble Conjuncto Folklórico Nacional de Cuba drei unterschiedliche Programme.

1990 wurde zum zweitenmal ein Indien- Spezialfestival veranstaltet, diesmal mit vier Bharata Natyam-Interpretinnen, Leela Samson, Chitra Visweswaram, Sudharani Raghupathy und Malavika Sarukkai, zwei Odissi-Darbietungen, durch Madhavi Mudgal und wieder durch Malavika Sarukkai und einer Kathak- Tänzerin, Saswati Sen.

1992 wurden afrikanische Tänze durch das Nationalballett von Zaïre, und den Hahizé-Club, Elfenbeinküste, gezeigt. Das Nationalballett von Zaïre zeigten eine Neufassung des Orpheus Mythos als Ballett-Oper, "Elima Ngando", und zu anderen Terminen das revue- artige "Rhythmen aus Zaïre", der Hahizé-Club zeigte seine individuellen Adaptionen von Tänzen und Liedern der Elfenbeinküste, vor allem mit modernen Beiträgen versehene Bété-Folklore.

1994 wurde sowohl traditioneller als auch moderner Tanz und Musik aus Indonesien durch die Tanztruppen zweier indonesischer Kunsthochschulen, von Surakarta und Denpasar, und durch die Murgiyanto Dance Company vorgeführt. Tanz'94 brachte darüber hinaus Lin Hwai-Mins Cloud Gate Dance Theatre aus Taipeh zum erstenmal nach Wien, das "Nine Songs" und "Legacy" brachte. Lin Hwai-Min studierte in New York unter anderem in den Studios von Martha Graham und Merce Cunnigham. Nach seiner Rückkehr um 1972 in seine Heimat erlernte er einige klassische Tanzstile seiner weiteren Heimat, Peking-Oper und Hoftänze Koreas und Japans. Er begründete die erste moderne Tanztruppe Taiwans. In seinen in Wien gezeigten Stücken behandelte er einige politisch umstrittene Themen der jüngeren Geschichte seiner Heimat, wie zum Beispiel die Rolle der Kuomintang, mittels eines beeindruckenden synkretistischen choreographischen Stils, der modernen westlichen Tanz mit traditionellen und modernen Stilelementen aus China, Korea und Japan verbindet.

1996 fand zum drittenmal eine Präsentation indischer Tänze statt, in dem zum zweitenmal Kathak, durch Birju Maharaj und erneut auch Saswati Sen präsentiert wurde. Dabei bedauert Brunner insgesamt in Bezug auf den doch so reich präsentierten indischen Tanz einige Stile nicht gezeigt haben zu können. So zum Beispiel Kathakali mit seinen Vorformen und Manipuri oder auch Chhau.

Die ersten Inspirationen in Bezug auf außereuropäischen Tanz hatte Brunner aus den Metropolen London und Paris bezogen, wo er bereits in den Sechziger und Siebzigerjahren afrikanische, kambodschanische oder indonesische Tänze sehen konnte: "Man weiß ja, was Paris zum Beispiel in Bezug auf afrikanischen Tanz bedeutet, und London in Bezug auf den indischen". Später versuchte er dann, dieses Erlebnis der Weltoffenheit nach Wien zu tragen. Die biennalen Tanzfestivals von 1982-1996 in Wien wurden nach und nach, was ihre Gesamtkomposition angeht, zu einer europaweit einzigartigen Institution. Es war das zweifellos eine kulturelle Öffnung zur Welt hin, ein Neugierigmachen. Und Brunner wollte ganz bewusst politisch sein mit diesem Weg, indem er zum Beispiel inmitten einer aktuellen Europadebatte einen Afrikaschwerpunkt wählte, um auf das Weiterbestehen einer Nord-Süd-Problematik hinzuweisen und auf diese Weise auch in dem beschränkten Wirkungsrahmen der Theaterwelt ein politisches Statement abzugeben. In der direkten Gegenüberstellung von Kathak und Flamenco bei Tanz'96 versuchte er dann auch, kulturelle Verbindungen zwischen geographisch weit auseinanderliegenden Kulturen sichtbar zu machen. Nachdem die beiden Veranstaltungen parallel gelaufen waren, lud Brunner die Interpreten der beiden Stile zu einer gemeinsamen Performance auf die Bühne:

Von 1982 bis 1996 gab es das Wiener Internationalen Tanz-Festival als ständige biennale Einrichtung, in deren Rahmen zuerst indischer Tanz und später auch andere außereuropäische Tanzstile neben den internationalen Tanzgrößen des Westens ihr Publikum finden konnten. 1998 trat Gerhard Brunner dann aus Gründen der Struktur der Wiener Festwochen und der Finanzierung in eine Partnerschaft mit Karl Regensburger und Andrée Valentin, so dass das Wiener Internationalen Tanz-Festival mit ImPuls Tanz verschmolzen, die zweite internationale Tanzreihe Wiens, über die in der Folge noch berichtet wird. ImPuls Tanz '98 zeigte an außereuropäischen Tänzen unter anderem zum zweitenmal in Wien und diesmal im Volkstheater das Cloud Gate Dance Theatre aus Taipeh mit "Portrait of the Families", einem der wichtigsten Stücke von Lin Hwai-Min, das die Kolonisation Taiwans durch Japan, seine Okkupation durch Rotchina und das US-Bombardement zum Inhalt hat und dessen Choreographie eine Synthese aus Modern Dance und Elementen aus den Tanztraditionen Chinas, Japans und Koreas beinhaltet. Im Kasino am Schwarzenbergplatz trat dann zum zweitenmal Alarmel Valli mit klassischem Bharata Natyam in Wien auf, nunmehr als gereifte und in Indien gefeierte Tänzerin.

Zu Anfang der Entwicklung der Tanzfestwochen stand Brunners Glaube an die Problemlosigkeit einer Konzeption des Festivals als einer breiten Zusammenschau von Kulturen, von pionierhaften westlichen Einzelinterpreten über renommierten Ballettkompanien verschiedener Staaten bis zu den außereuropäischen Tänzern und Kompanien. Heute würde er dieses Konzept zugunsten der vertieften Abbildung der Tanzlandschaft so hochdifferenzierter Natur, wie in Indien, lieber in einem separaten Rahmen verwirklichen.

 

 

Natya Mandir - ein indischer Tanzverein in Wien

 

Ein Interview mit der Bharata Natyam-Tänzerin und Leiterin des Tanzinstitutes Natya Mandir sowie Chefredakteurin der Vereinszeitschrift Natya Mandir News, Radha Anjali, zahlreiche Gespräche mit Erika Neuber, Schülerin von Radha Anjali und promovierte Ethnologin, sowie Recherchen über indische Kulturorganisationen in Wien, wie die Österreichisch-Indische Gesellschaft, die Vienna Malayalee Association oder das Bindu-Centre for Indian Culture in Austria, bestätigten das Vorhandensein eines sehr aktiven, aber kleinen Kreises von Interessenten und von einigen kleinen Vereinen, die indische Tanzkunst und tanzkünstlerische Aktivität in Österreich fördern. In Wien steht das mehr konservative und auch in großem Ausmaß religiöse Interesse an indischen Tanzstilen und der diesen Stilen zugrundeliegenden Philosophie deutlich gegenüber interkulturellen Aktivitäten im Vordergrund.

Radha Anjali (per Anklicken mehr zu Biographie und Stil) ist die Leiterin des Vereins Natya Mandir (per Anklicken zur Vereins-Homepage - Achtung kein relink!), der es sich zum Ziel gemacht hat, die indische Tanzkunst in Österreich zu fördern. Natya bedeutet Tanz und Mandir bedeutet Tempel, Ort, Stätte. Inoffiziell wurde Natya Mandir 1983, also ein Jahr nach Tanz'82 mit seinem ersten Indienschwerpunkt, gegründet. Seit 1990 besteht der Verein offiziell und seit 1992 erscheint dreimal jährlich die Natya Mandir News - Zeitschrift für indische Tanzkultur in Österreich. Die "Natya Mandir Schule" ist die Stilbezeichnung des von Radha Anjali vor allem am Universitäts-Sportinstitut in Wien unterrichteten Bharata Natyam Tanzes (Bharata Mandir News, Heft 17, Herbst 1997 :3).

 

Foto von Andi Diem, Tanzschülerinnen des Natya Mandir in Wien

 

Radha Anjali beruft sich in ihrer Arbeit auf die Lehrer Kama Dev, Adyar K. Lakshman und die Lehrerin Kalanidhi Narayan (ibid:10 f). Radha Anjali (Interview, 20.12.1993, Wien) erzählt, dass sie vor allem auch aufgrund ihrer 'orthodox' indischen Lebensweise von den Indern in Österreich akzeptiert wird und indische Kinder zu ihr in der Tanzunterricht geschickt werden.

Der sich in den letzten Jahren allmählich öffnende Konservatismus war Ausdruck des relativ 'exotistischen' Interesses der Österreicher an indischer Kultur und der sehr kleinen, sich also auch als kulturell gefährdet erfahrenden, indischen Gemeinde in Wien. Dennoch lassen sich auch in Wien einige unerlässliche Adaptionen der Unterrichtsmethoden an westliche Verhältnisse und seit einiger Zeit auch vereinzelte experimentellere Darbietungen beobachten. Im allgemeinen fällt jedoch eine deutlich stärkere Abgrenzung und Ängstlichkeit gegenüber modernen Kultursynkretismen auf als etwa in England. Die Interessensgemeinde an indischem Tanz war Anfang der Neunzigerjahre, zum Zeitpunkt der Recherchen zu diesem Abschnitt, im Begriff, sich über ihre bis dahin eher enge Abgrenzung hinaus zu entwickeln.

Zur Geschichte des indischen Tanzes in Wien, verwies Radha Anjali 1993 (Interview am 20.12.1993 in Wien) darauf, dass seit dem Beginn der Achtzigerjahre der Bekanntheitsgrad indischen Tanzes rasch gestiegen ist, dass indischer Tanz als ein Teil des österreichischen Tanzgeschehens nunmehr  recht etabliert erscheint. Anfänglich wurden indische Tanzvorführungen nur im kleinen und privaten Rahmen gezeigt und durch Mundpropaganda und über private Adressenkarteien beworben. Durch die Initiativen der Wiener Festwochen, Tanz'82 und dann noch einmal Tanz'90, an denen indischer Tanz massiv präsentiert wurde, kam es dann zu einem großen Aufschwung an Popularität. Nach den Aufführungen von Tanz'82 in der Kirche von Steinhof begannen sich Einzelne auch näher mit indischem Tanz zumindest in der Theorie zu befassen, so dass bei den Aufführungen von Tanz'90 in der Secession bereits ein verständnisvolleres und auch kritischeres Publikum für indischen Tanz angesprochen werden konnte.

 

Das Angebot an nichtwestlichen Tanzkursen ist in Österreich mit Ausnahme der Sommertanzwochen insgesamt meist kleinen und kleinsten Vereinen und hauptsächlich Einzelpersonen überlassen, die alle zusammen keine substantielle staatliche Förderung erfahren. Unter ihnen fallen durch ihre Zahl die Anbieter von orientalischem sogenannten 'Bauchtanz' und von afrikanisch beeinflussten Stilen auf. Von einer staatlichen Förderung der Tanzkultur der wichtigsten ethnischen Minderheiten, wie der Emigranten aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türken in Wien, kann kaum gesprochen werden.

 

 

Interkulturelle Tanzausbildung im Rahmen der Internationalen Tanzwochen Wien

 

Meine Interviews mit Ismael Ivo und Karl Regensburger, den Begründern der Workshopreihe der Internationalen Tanzwochen und der Tanzperformancereihe ImPuls Tanz in Wien, und mit anderen in- und ausländischen Künstlern, die in Wien arbeiten, gaben Aufschlüsse über Wiener internationale tanzkünstlerische Dialoge im großen wie auch im kleinen Maßstab. Dabei kam in erster Linie die viel schwierigere kulturelle und ökonomische Situation des Tanzes und insbesondere der Tanzausbildung in Österreich gegenüber Großbritannien (77) zum Ausdruck. Die Organisatoren der Sommer- und Wintertanzwochen waren zum Zeitpunkt der Erhebungen zweifellos die wichtigsten und prominentesten Anbieter auf dem Sektor interkultureller Tanzausbildung in Österreich. Als Begleitereignis zu den Kursen werden jedes Jahr auch eine Vielfalt an internationalen Bühnenvorführungen im Rahmen von Impuls Tanz angeboten, die den Tanzkursen zusätzliche Attraktivität verleihen. Die Geschichte dieser bedeutenden Kulturinitiative ermöglicht vielschichtige Einblicke in die Chancen und Problematiken des österreichischen Tanzkulturbetriebs, der insgesamt von einer Konzentration auf den Aufführungsbetrieb zu Ungunsten des Ausbildungswesens gekennzeichnet erscheint.

Regensburger erzählte (Interviews, 27.10.1994 und 12.1.1995, Wien), dass alles damit begonnen hatte, dass er Ende 1982 einen Management-Job am privaten Bildungsinstitut Tanzforum Wien annahm. In dieser Zeit begann Tanz, auch außereuropäischer Tanz, in Wien en vogue zu werden. 1980 war das erste internationale Tanzfestival der Stadt Wien, das seither alle zwei Jahre stattfand, und das Interesse an Tanz aus dem Ausland und auch an außereuropäischem Tanz war im Ansteigen. Regensburger begann deshalb, ausländische und außereuropäische Tanzlehrer an das Tanzforum einzuladen, die auf großes Interesse der Schüler stießen, was wiederum den Umsätzen des Tanzstudios zugute kam. Aus geschäftlichen Erwägungen heraus lud Karl Regensburger dann in seiner Suche nach populären Lehrern auch Ismael Ivo als Lehrer ein, der damals schon mehr darstellte als ein vielversprechendes Talent aus São Paulo. Ivo kam - und sein Workshop wurde ein umwerfender Erfolg. Regensburger erzählte über Ivos Arbeit am Tanzforum:

Die am Tanzforum tätigen Lehrer traten in der Folge an Regensburger mit dem Wunsch heran, er möge doch auch für Auftritte für sie und ihre Schüler sorgen, damit eine breitere Öffentlichkeit für die Leistungen der Schule erreicht werde. Regensburger trat daraufhin 1983 in Kontakt mit Erwin Piplits, der später das Wiener Theater Odeon leitete. Piplits vermietete den Lehrern des Tanzforums das Serapionstheater im Rahmen eines österreichischen Beitrags zu der von ihm damals gestalteten internationalen Tanzserie, für den Zeitraum von zwei Wochen. Dieses Programm von Piplits war herausragend gut besetzt - unter anderem lief dort Anne Theresa de Keersmaekers sensationelles Stück "Rosas tanzt Rosas" in der Wiener Premiere. Jedenfalls wurde auch Ismael Ivo durch das Tanzforum dazu eingeladen, mit seinen Schülern einen 20-minütigen Programmteil zu einer gemeinsamen Produktion des Tanzforums zu gestalten. Der gemeinschaftliche Plan misslang und die Kooperative zerschlug sich. Aber das Serapionstheater war von Regensburger bereits gemietet worden. Zum Glück hatte Ivo sein abendfüllendes Stück, "Ritual of a Body in Moon", das er mit geringem Aufwand jederzeit aufführen konnte - einen Solotanz in Begleitung eines Perkussionisten. Dieses Stück lief also zunächst zwei Wochen am Serapionstheater. Aufgrund seines großen Erfolges erreichte Regensburger dann noch eine weitere Woche Spielzeit, die Ismael Ivo mit den Schülern des Tanzforums in Anlehnung an den alten Plan gestalten konnte. Ivo hatte sofort ein enormes Medieninteresse hervorgerufen: die illustrierte Beilage der auflagenstarken Kronenzeitung brachte einen siebenseitigen Farbbericht über "Ritual of a Body in Moon" - und die Vorstellungen waren täglich ausgebucht. Ivo hatte danach ein paar Anschlusstermine in Deutschland und bat Regensburger, nach dem unerwarteten Erfolg in Wien, ihn als Manager zu begleiten. So begann dieser seine Erfahrungen als Tanzmanager zu machen. Regensburger erzählte von seinem Glück an der Schaubühne, sofort Spielzeit für Ivo zu bekommen, eine Spielzeit als erste Tanzaufführung in dem besten Berliner Theaterhaus. Danach gewann Regensburger die bereits berühmte Pina Bausch zur Zusammenarbeit - und Ismael Ivo trat tatsächlich im Wuppertal auf. Und es ging in diesem Stil weiter. Nach den vielen erfolgreichen Kursen, die Ivo in Wien geben konnte, wurde schließlich zwischen den beiden Männern die Idee der Wiener Tanzwochen geboren. Es sollten zunächst einige engagierte ausländische Tänzer und Lehrkräfte nach Wien eingeladen werden um eine neue Tanzkultur entfalten zu helfen:

Regensburger und Ivo planten eine erste Veranstaltung im Wiener Universitäts-Sportzentrum auf der Schmelz. Die Organisatoren des Sportzentrums waren anfangs keineswegs entgegenkommend, denn kurz zuvor hatte jemand anderer eine ähnlich gelagerte Tanzlehr- veranstaltung versucht und war mit zwei Millionen Schilling Schulden Bankrott gegangen. Dennoch setzte sich die Idee von Ivo und Regensburger durch, auch weil das neue Projekt viel kleiner und überschaubarer anfing, mit nur zwei oder drei Organisatoren. Ivo und Regensburger luden 1983 sechs Lehrkräfte nach Wien ein, unter anderem Germaine Acogny aus dem Senegal sowie Joe Alegado und Walter Raines, also sehr gute und auch schon sehr bekannte Tänzer. Das finanzielle Kalkül des Projekts ging entsprechend gut auf. Obwohl es Karl Regensburger heute als Naivität bereut, dass er nicht schon damals und vor Beginn der Veranstaltungsreihe um Förderungsmittel der Stadt Wien angesucht hatte:

Erst 1986 trug die Stadt Wien schließlich 300.000 Schilling bei. Das damalige Bundesministerium für Unterricht und Kunst lehnte die Förderungsansuchen der Sommertanzwochen restriktiv ab und bewilligte erst 1989 erstmals Mittel. So fanden sich die Organisatoren in einer Schere zwischen dem erfolgreichen Wachstum des Publikums der Sommmertanzwochen einerseits und einer unnachgiebigen Haltung der öffentlichen Hand auf der anderen Seite. Regensburger vermutet:

Der Aufbau der Tanzwochen war also schwierig. Die Tanzwochen waren bis zum Zeitpunkt der Erhebungen 1995 zum überwiegenden Teil durch die Einnahmen von den über 2.000 Besuchern der verschiedenen Tanzkurse finanziert. Die Subventionen, die aus öffentlicher Hand hinzukamen, sicherten nicht mehr als ein bloßes Überleben der Veranstaltungsreihe. 1995 hatten die Tanzfestwochen nach 12 Jahren regelmäßiger Erfolge noch immer keinen Anteil am ordentlichen Budget des Kulturamtes der Stadt Wien. Regensburger meinte dazu scherzhaft, "im Grunde sind wir immer wieder eine Überraschung, dass wir was machen". Zuweilen war es nur der lukrative Tourneetätigkeit Ivos zu verdanken, dass die Liquidität der Veranstalter bei plötzlichen Engpässen gewahrt blieb. Glücklicherweise gab es immer wieder erfolgreiche Auftritte Ivos, wie in der großen Halle der Kampnagelfabrik in Hamburg, wo fünf Wochen lang täglich achthundert Besucher kamen um ihn zu sehen. 1993 betrug das Gesamtbudget der Sommertanzwochen zum Beispiel ca 18 Millionen Schilling. 4,8 Millionen davon trug die Stadt und eine Million der Bund. 62% wurden durch Karteneinnahmen des Performancefestivals und Kursgebühren des Lehrangebots gedeckt sowie aus Geldern privater Sponsoren, wie zum Beispiel Banken und Kreditkartenclubs.

Mit verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften gibt es Abkommen über kostenlose Promotion, durch Inserate, Ankündigungen, Plakate, im Austausch gegen Inserate dieser Medien in den Programmheften der Sommertanzwochen. Ganz allgemein wird das Werbebudget immer kostenintensiver, da gegen eine stetig wachsende Konkurrenz der Unterhaltungsindustrie angekommen werden muss. Die Tanzwochen kommen ohne Ausfallshaftung aus, was bedeutet, dass eine etwa 90-prozentige Auslastung erreicht werden muss. Regensburger ist deshalb immer weniger bereit, im Management Risiken einzugehen, und in der Gestaltung rangieren nun zwangsläufig immer mehr rein kommerzielle Gesichts- punkte vor künstlerischen Aspekten und interessanten Experimenten.

Die Kurse sind lukrativer als das gleichzeitig laufende Performancefestival, das einen höheren Aufwand an Nebenkosten hat. So fallen etwa die Kosten der Kompanien an, die sich aus Produktions-, Reise- und Aufenthaltskosten zusammensetzen. Läuft der Performancebetrieb zum Beispiel im Volkstheater ab, so muss für den Theaterbetrieb ein Stab von 35 Leuten allein für die Publikumsbetreuung, von den Billetteuren bis zu den Sicherheitskräften, gestellt werden. Weitere 15 Leute sind Mitglieder des technischen Stabs, relativ wenig, wenn man weiß, dass das Volkstheater für den Normalbetrieb 42 Bühnentechniker zur Verfügung hat. Dazu kommt, dass zusätzlich zu der Miete des Theaterraumes teilweise Licht- und Tontechnik angemietet werden muss, da die Performances vom technischen Anspruch her höher sind als der normale Spielbetrieb im Volkstheater. Die Abendeinnahmen des Theaters decken deshalb in der Regel nicht mehr als die Kosten des Hauses, in dem die Veranstaltungen stattfinden.

Die Sommertanzwochen starteten als reines Tanzkursangebot. 1988 wurde jedoch beschlossen ein Performancefestival unter dem Namen ImPuls Tanz dazu zu organisieren. Es fand damals im Theater Der Kreis unter der Direktion von Tabori zum erstenmal statt. Das Konzept des begleitenden Performancefestivals wurde beibehalten, obwohl es kaum zusätzliche direkte Gewinne versprach, da es Leute nach Wien brachte, die sonst nicht gekommen wären. Denn nicht alle Künstler, die angesprochen wurden, fanden sich bereit nach Wien zu fahren, nur um zu unterrichten. Das Angebot, gleichzeitig auch die Arbeit ihrer Kompanien zeigen zu können, lockte auch Tänzer wie z.B. Merce Cunningham an, der normalerweise keine Workshops dieser Art gibt. Das bedeutete, dass das Niveau der Tanzwochen durch das Performancefestival stark angehoben werden konnte. Merce Cunningham steht natürlich auch für profitablen Theaterbetrieb. Aber andere, wie zum Beispiel die aus Montpellier stammende Mathilde Monnier, die 1994 mit "Pour Antigone" auftrat, sind erstklassige Künstler und Choreographen, die für sich noch kein volles Haus bedeuten, weil sie nicht dieselbe Popularität und breite Anziehungskraft besitzen. Insgesamt lässt der Kursbereich jedenfalls auch mehr kommerziellen Freiraum für den Performancebetrieb zu, so dass dieser nicht gänzlich nach kommerziellen Gesichtspunkten gestaltet werden muss. Aber auch im Lehrangebot gibt es Kurse, wie den Jazztanz, die mit etwa 30 Studenten sehr gut besucht sind und andere Kurse, wie zum Beispiel Einzelimprovisationsklassen, die bei gleich hohen Kosten nur vielleicht 10 Teilnehmer betreuen können. Auch hier sind es die populären Angebote welche exklusivere Angebote erst möglich machen.

Die Auswahl der nichtwestlichen Tanzlehrer erfolgt über ein Informationsnetzwerk, welches sich über die Jahre hinweg entwickelt hat. Allein für den Performancebetrieb sind es mehr als vierhundert Videos, die jährlich zur Begutachtung einlangen und mehr als hundert Briefe im Monat. Mehr als fünfhundert Empfehlungen, Anträge und Curricula jährlich müssen für den Kursbetrieb gesichtet werden. Ismael Ivo sichtet die Anträge nicht nur nach ästhetischen Kriterien. Er lädt Künstler ein, die etwas zu sagen haben:

Ismael Ivos Ruf und Ausrichtung prägt diesen Strom an Bewerbern in Hinblick auf einen überproportionalen Anteil an Südamerikanern, insbesondere Brasilianern. Dominierend sind neben afroamerikanischen dann auch afrikanischen Stile. Auch westliche moderne Stile sind in größerer Breite vertreten. An nächster Stelle stehen Butoh-Interpreten, alle anderen Stile tauchen nur sporadisch auf. Regensburger betont, dass die Tanzwochen auch zum Dialog zwischen den Künstlern der verschiedenen Kulturen und Tanzstile beträgt, und Treffen zwischen den Performern werden von den Organisatoren ermutigt. So gab es 1993 ein Projekt, in dem Carlotte Ikeda, Butoh-Tänzerin aus Tokyo, mit Susanne Linke, Ausdrucks- tänzerin aus Essen, gemeinsam unterrichteten. Dabei traten auch Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Solistinnen zu Tage, die jede für sich seit mehr als 10 Jahren berühmt sind. Der Austausch zwischen den Künstlern und die Zeit, die für gemeinsame Gespräche und Aktionen zur Verfügung gestellt wird, schlägt sich ganz allgemein auf das Niveau der Tanzwochen nieder. Die Künstler selbst lieben diesen Dialog, nutzen die Kontakte und darin enthaltenen weiteren beruflichen Chancen und sind dann auch generell mit mehr Einsatz bei ihrer Arbeit innerhalb der Tanzwochen. Diese Leistung macht kurzfristige Mehrkosten wieder wett, die daraus erwachsen, dass man die Künstler einige Tage länger einladen muss. Dennoch: diese spezielle Form der Zusammenarbeit im Unterricht, das Co-teaching zwischen Susanne Linke und Charlotte Ikeda war eher ein Einzelfall. Einerseits unterrichtete die Japanerin Schülerinnen der Deutschen und umkehrt. Andererseits kam es auch zu gemeinsamen Unterrichtsformen. Die Studentinnen begannen ihre Erfahrungen untereinander auszutauschen, und auch die Künstlerinnen hatten ihren Austausch. Solche experimentellen Klassen sind aus Organisationsgründen nicht leicht zu verwirklichen. Interessant erscheint bei diesem Fall auch, dass die Reaktion der Studenten auf das Angebot im ersten Moment eher negativ ausfiel, während die Künstlerinnen spontan dafür zu begeistern waren. Die Schüler wollten sozusagen "ihre" Lehrerin haben und nicht die andere. Doch nach einigen Anfangsschwierigkeiten wurden die meisten dann doch sehr von dem Neuen mitgerissen und waren zuletzt ganz euphorisch über das Erlebnis. Den Profis ist die Wichtigkeit eines interkulturellen Austausches sofort einleuchtend, während Schüler und Laien erst in der Praxis ihr Interesse daran entdecken. In diesem speziellen Fall betraf das vor allem die Erfahrung der gemeinsamen Wurzeln und gegenseitigen Befruchtung von Butoh und Ausdruckstanz, wie sie in späteren Kapiteln noch näher erläutert werden.

Ismael Ivo streicht heraus, dass nicht nur die Tanzausbildung durch die Interkulturalität bereichert wird:

In den letzten Jahren wird die Funktion der Tanzwochen als Drehscheibe und Treffpunkt zwischen etablierten Balletten, die über ausreichende Ressourcen verfügen und freien Künstlern, die zum einen als Ideenlieferanten für die großen Kompanien wichtig werden und denen zum anderen hier auch wertvolle Arbeitsplätze geboten werden, immer bedeutender. Durch die Breitenwirkung der Programmaussendungen, steigt die Bedeutung eines Engagements bei den Tanzwochen für eine künstlerische Laufbahn. Viele kleinere Studios bemühen sich Lehrer zu bekommen, die an den Tanzwochen unterrichtet haben, so dass mit Folgeengagements gerechnet werden kann. Auch die Zusammenarbeit mit ausländischen Festivalorganisatoren nimmt zu, mit Leuten, die nach Wien kommen, um sich mit Regensburger und Ivo zu besprechen, wobei die allgemeine touristische Anziehungskraft Wiens ebenfalls eine Rolle spielt.

Auch Kontakte zu Lehrorganisationen aus dem Ausland entwickeln sich. So zum Beispiel mit Anne Theresa de Keersmaeker aus Brüssel, die 1994 mit ihrer Truppe Rosas im Volkstheater in Wien gastierte. Es gibt immer wieder Anfragen an die Tanzwochen von verschiedenen Tanzinstituten nach Lehrern, die vermittelt werden können.

Als wunder Punkt im Rahmen der österreichischen Tanzkulturpolitik erscheint, dass es immer wieder bloß ausländische Lehrer sind, die hier über Österreich vermittelt werden. Regensburger bedauert in diesem Zusammenhang das Ausbleiben der Etablierung einer konkurrenzfähigen zeitgenössischen Ausbildung nach internationalem Standard in Österreich. 1991 gab es diesbezüglich Vorschläge der Tanzwochen zur Gestaltung des Projekts Tanzhalle Wien zu einem nationalen Tanzzentrum. Dazu wurde ein mehr als hundert Seiten starkes Konzept erstellt, dass eine zweijährige und eine vierjährige Ausbildung unter der Leitung von Mary Overlie vorschlug. Overlie stammt aus New York und zeichnet bereits für verschiedene Tanzausbildungen in den USA und an der New York Universität verantwortlich. Sie wurde für ihre Leistungen in der Tanzausbildung bereits öffentlich ausgezeichnet. Ein profilierter Tanzkünstler zu sein bedeutet im allgemeinen noch nicht, auch zur Tanzausbildung etwas wirklich Wegweisendes beitragen zu können. Mary Overlie war indes eine Spezialistin der allerersten Wahl für ein solches Projekt, für ein Ausbildungszentrum, das keine Kopie der anderen großen europäischen Tanzschulen sein sollte, wie zum Beispiel der deutschen Folkwangschule in Essen, des holländischen European Dance Development Center in Arnheim oder der französischen Schule in Angers.

Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass 1991 weder das Konservatorium der Stadt Wien noch irgendeine andere Tanzschule des Landes die Lücke einer zeitgenössischen Tanzausbildung mit den entsprechenden Lehrern und der entsprechenden modernen Lehrphilosophie zu füllen vermochte. Dennoch wurde dieser Vorschlag von den einflussreicheren österreichischen Tänzern, vor allem von jenen der freien Tanzszene, mit der Begründung abgelehnt, dass die Entwicklung und Budgetierung des Performancesektors wichtiger sei als der Ausbildungssektor des österreichischen Tanzes. Einerseits ist dies Ausdruck der beschränkten Budgetierungspolitik für Tanz in Österreich, die eine ausschließende Wahl zwischen den beiden Sektoren notwendig erscheinen ließ. Die Tänzer entschieden sich also für ein Theater und kein Lehrinstitut. Andererseits spielte hier auch die mangelnde Identifikation der älteren Tänzer mit den Fünfzehn- bis Achtzehnjährigen Studenten eine Rolle, mit jungen Leuten, die eine gute Ausbildung brauchen, um eine bessere Zukunft zu haben als ihre Vorgänger. Schließlich stand sicherlich auch eine gewisse kulturpolitische Angst hinter dieser Entscheidung, Angst davor, dass die Tanzwochen nun auch noch den Ausbildungssektor kontrollieren könnten. Denn während Regensburger versicherte, österreichische Lehrkräfte auch dann noch einzustellen, wenn ihr Niveau bei einem ausländischen Bewerber als unzureichend eingestuft würde, fühlen sich österreichische Tänzer durch die internationale Ausrichtung der Tanzwochen notorisch benachteiligt. An Mary Overlie sei, nach Regensburger, in erster Linie der Umstand, dass sie aus Amerika stammt kritisiert worden, obwohl in ihrem eigentlichen Lehrkonzept von einer engen Zusammenarbeit mit Europäern ausgegangen worden war. Man habe unter anderem Argumente vorgebracht, wie 'dass sie als Amerikanerin nicht europäisch denken könne'.

In den letzten Jahren, nach Regensburgers Ansicht etwa seit 1990/91, wird nach einer Phase der kulturellen Öffnung nun auch immer mehr generell kritisiert, dass österreichische öffentliche Gelder dazu dienen, ausländische Künstler zu engagieren, statt dass dieses Geld sozusagen 'im Land' bleibt. Diese Tendenz ist als Reaktion der Fremdenfeindlichkeit auf einen knappen Markt zu verstehen. Allerdings darf über den Konkurrenzdruck nicht vergessen werden, welche positiven Impulse von den ausländischen Künstlern für die eigene Tanzszene gesetzt werden und natürlich auch, dass der überwiegende Teil der Schüler der Tanzwochen, etwa 60%, aus Österreich stammen und die Früchte dieser Bemühungen also auch im Inland selbst aufgehen. Diese kulturpolitischen Tendenzen entsprechen den in der Einleitung zu dieser Schrift genannten und generell im Steigen begriffenen Vorbehalten und Ängsten gegenüber Ausländern. Diese Fremdenfeindlichkeit entspricht ja insgesamt mehr den irrationalen Ängsten, die Zeiten verminderten Wirtschaftswachstums auf einer primitiven Ebene des Futterneides hervorzurufen pflegen, als dass sie etwas mit vorausblickenden Einsichten in überregionale Strukturen zu tun hätte. Die entsprechenden kulturpolitischen Tendenzen sind in der Regel einer freien künstlerische Qualitätsorientierung durchwegs abträglich. Solche Tendenzen erschweren auch etwas die Gespräche der Betreiber der Tanzwochen mit Vertretern der Politik. Aus Angst vor unmittelbarem Konkurrenzdruck werden auch von den österreichischen Tänzern selbst langfristigere Chancen zur Entwicklung der Tanzkunst verpasst. Diese Situation hängt schließlich eng damit zusammen, dass dem Tanz als Kunstform ganz allgemein in Österreich insbesondere seit Anfang der Siebzigerjahre eine nur marginale Rolle in der Kulturlandschaft eingeräumt wird:

Die universitäre Verankerung ist eine wichtige Forderung, um Tanz als Kunstform höher zu profilieren. Im Theater- oder Musikbereich wird in Österreich kulturpolitisch viel vorsichtiger agiert und auch viel weniger leicht abgeurteilt oder ins Lächerliche gezogen.

 

 

Förderung marginalisierter Sozialgruppen in Wien

Tanz mit Behinderten. Ausbildungsförderung von durch ihre Herkunft marginalisierten Tänzern. Förderung des Unterrichts von fremden Tänzern und interkulturellem Tanz.

 

 

Tanz mit Behinderten
 

Die Aktivitäten der Tanzwochen erweiterten sich seit 1992 auf karitativer Basis auf Tanzkurse für Behinderte, was eine seltene Pionierleistung in Österreich darstellt. Die Inspiration dazu kam von der Arbeit mit Behinderten am Alvin Ailey American Dance Centre, wo Ismael Ivo Arbeit mit Blinden beobachten konnte, ein Erlebnis, dass ihn sehr berührte. Es war für Regensburger und Ivo jedoch nicht leicht, in Österreich für ein derartiges Projekt die richtigen Ansprechpersonen zu finden. Dazu kam die spezielle Situation am Universitätssportzentrum in Wien, wo das körperliche Nebeneinander von eher zarten Tänzern und kräftigen Sportlern schon für einigen Zündstoff und auch für Witzeleien seitens der 'Sportler' auf tiefster Ebene gesorgt hatte. Die Lehrarbeit der Tanzwochen war einerseits deshalb und andererseits auch wegen des neuen, skepsiserregenden, internationalen Publikums auf der Schmelz ohnehin ein 'ungeliebtes Kind'.

Erst 1991 als der Golfkrieg für Schlagzeilen sorgte, hatte der damalige Direktor des Sportzentrums es abgelehnt, wie er sagte, 'die Verantwortung für die Konfrontation zwischen arabischen und amerikanischen Gaststudenten der Tanzwochen zu übernehmen'. Er forderte Polizeischutz (!) an, und zwar gleich zwei Kriminalbeamte und zwei Wachebeamte, die ihm auch genehmigt wurden. Dieses Vorgehen zog schließlich aber doch eine Beschwerde des Innenministeriums wegen Verschwendung der 110.000,- Schilling an Steuergeldern nach sich. Immerhin war das Parlament von nur drei Polizisten bewacht worden und es war nicht ganz einsichtig, warum das Tanzwochenpublikum von vier Beamten behütet werden sollte.

1992 gab es neue Auseinandersetzungen. Diesmal waren die Ausscheidungskämpfe der Behindertenolympiade von der Universitätsbehörde genau in die Zeit der Sommertanzwochen hineingeplant worden, so dass die Veranstaltungen der Tanzwochen unterbrochen werden hätten müssen. Regensburger einigte sich mit Prof. Haslinger vom Österreichischen Bundes-Blindenerziehungsinstitut jedoch nicht nur in Bezug auf dieses Problem gütlich. Er fand in ihm generell einen Verbündeten im Kampf gegen gemeinsam erlittene Ausgrenzung und endlich auch einen Ansprechpartner für das geplante Behindertenprojekt der Tanzwochen. Die nachfolgenden gemeinsamen Veranstaltungen im Rahmen der Sommertanzwochen wurden ein großer Erfolg. Die Behinderten-Workshops waren mehr als ausgelastet, die Nachfrage war kaum zu stillen. Doch auch hier fehlten einerseits finanzielle Unterstützungen, andererseits auch einfach kooperative Gesten der öffentlichen Hand, so dass diese Kurse zum Großteil aus den Ressourcen der Tanzwochen finanziert und mit überproportionalem Einsatz kulturpolitisch verteidigt werden mussten. Eine große Rolle spielten dabei Berührungsängste mit Behinderten und dass man sich in Österreich eben ganz anders als in Großbritannien nicht vorstellen kann, wie freudig Behinderte das Tanzangebot annehmen und welchen großen Nutzen sie davon haben.

1994 entstand das Video "Miteinanders. Auch andere spielen mit", über die Arbeit der Tanztherapeutinnen Maria Dinold und Katalin Zanin mit einer Gruppe von Behinderten und Nicht-Behinderten im Rahmen der Wintertanzwochen. Man sieht, wie die Teilnehmer sich einander durch Fingerspiele annähern, dann an den Händen halten und sich umeinander bewegen, jeder nach seinen Möglichkeiten. Gegenseitig zeichnen die Teilnehmer einander die Körperumrisse mit Kreide am Boden nach, danach konnten sie diese Umrisse selbst mit den Fingern nachfahren und mit einer Schnur nachlegen. Verschiedene Körperkontaktformen werden erprobt: Kontakte mit einer Hand, einem Körperteil - etwa dem Ellenbogen. In der Folgephase musste die Berührung dann auch in der Bewegung umeinander irgendwie aufrecht erhalten bleiben. Auch die Grenzen des Raumes wurden körperlich erkundet: mit geschlossenen Augen tastet man sich entlang der Wände weiter. Das Erlebte wurde im Gespräch verarbeitet, bevor eine neue Partnerarbeit begann: der passive Körper des Partners wird am Boden 'ausgestreckt', Blickkontakte werden bewusst verändert, passive Gliedmaßen des Partners werden in verschiedene Stellungen gebracht, man kriecht unter einander durch, überklettert einander, bewegt sich durcheinander. Schließlich wurde auch der Abschluss des Workshops dokumentiert, die gemeinsame Gestaltung des Stückes "Asterix und Obelix in Ägypten", das Schminken, Kostümieren, die Anfertigung von Kulissen und Dekor. In einer letzten Szene des Videos sieht man kostümierte 'Sklaventreiber', eine 'Fahrt' zwischen Pyramiden, eine 'Kleopatra' im Bade, die von singenden 'Löwen' begleitet wird. - Insgesamt eine fröhlich-faszinierende Dokumentation der 'Unvorstellbarkeit' Behindertentanz.

Viel zur Überwindung von Schwellenängsten gegenüber Behinderten tragen außerhalb der Tanzwochen vor allem Einzelinitiatoren, wie zum Beispiel Daniel Aschwanden bei, der Anfang der Neunzigerjahre gemeinsam mit Christian Polster, einem jungen Tänzer mit Down-Syndrom, die Wiener Tanzgruppe Bananenschweine gegründet hat, an der auch Performancekünstler im Rollstuhl teilnehmen.

Die Tanztherapie kann sich dank eigener Lobbybildung seit Mitte der Achtzigerjahre langsam etwas besser in Österreich behaupten, wenn auch ihre Popularität gegenüber Deutschland oder gar England als noch immer sehr gering einzustufen ist. Immerhin werben in Österreich drei verschiedene tanztherapeutische Schulen um Klienten und Ausbildungswillige. Im Gegensatz zu England stehen in der Tanztherapie nahezu ausschließlich euro-amerikanische Tanztechniken im Mittelpunkt. Es gibt allerdings vereinzelte Initiativen, Tanzstile der Emigrantenkulturen pädagogisch und integrativ an Schulen anzuwenden, wovon noch die Rede sein wird.

 

 

Ausbildungsförderung von durch ihre Herkunft marginalisierten Tänzern
 

Zur Förderung von Tänzern aus der sogenannten Dritten Welt gibt es im Rahmen des Lehrangebots der Tanzwochen Wien kooperative Stipendienstrategien. Einerseits werden Freistellungen von Kursgebühren und kostenlose Unterbringungen in Wien angeboten. Andererseits werden Institutionen dazu eingeladen, jeweils zwei Stipendiaten ihrer Wahl nach Wien zu schicken, wobei erwartet wird, dass diese Institutionen Reisekosten und Verpflegungsgeld für ihre Schüler stellen. Obwohl diesen Institutionen keine direkten Vorschriften über die ethnische Herkunft ihrer Stipendiaten gemacht werden können, ist es doch übliche Praxis, zum Beispiel der Folkwangschule, nichtwestliche Tänzer auszuwählen, weil es allgemein bekannt ist, dass Stipendien für diese Schülergruppe die einzige Chance zur Weiterbildung darstellt. Regensburger versicherte, dass er diese Regelungen für in keiner Weise ausreichend hält, aber doch für einen Ansatzpunkt, an dem weiter gearbeitet werden soll.

Nach der plötzlichen politischen Öffnung Osteuropas stellte sich vor allem der Andrang an Tschechen, Ostdeutschen und Polen als neues förderungspolitisches Problem dar. In den ersten Jahren mussten von den Veranstaltern Förderungsbeträge von mehreren hunderttausend österreichischen Schillingen zur Verfügung gestellt werden, da die Kurs- gebühren für diese Gruppen absolut unerschwinglich waren, indem sie teilweise dem Ausmaß eines doppelten Monatsgehalts in diesen Herkunftsländern gleichkamen. Einerseits wurden die Kurse dann von diesen Gruppen regelrecht überschwemmt, andererseits hatte sich aber auch eine gewisse Euphorie über die neuen Möglichkeiten bei Veranstaltern, Lehrern und Schülern breitgemacht, die zu einem guten Teil von der ungeheuren Neugierde und Energie dieser neuen Schüler getragen wurde, so dass auch von einer großartigen Befruchtung der Veranstaltungen zu dieser Zeit gesprochen werden kann.

Generell ist es sehr schwer, interne Förderungsmittel, die für ausländische Studenten zur Verfügung gestellt werden, budgetär gegenüber öffentlichen Subventionsgebern zu vertreten. Hier wird man immer wieder mit der Auflage konfrontiert, dass kulturelle Förderungsmittel ausschließlich für Österreicher eingesetzt werden sollen.

 

 

 

Förderung des Unterrichts von fremden Tänzen und interkulturellem Tanz

 

Im staatlichen Bereich fallen in erster Linie die öffentlich geförderten, aber doch kostenpflichtigen Kurse der Volkshochschulen ins Auge, die seit mehreren Jahren Unterricht in fremden, in erster Linie auch nichtwestlichen Tänzen und Bewegungstechniken anbieten, vor allem Afrotanz, T'ai Chi Ch'uan aus China und auch nach einer Zeit relativen Desinteresses wieder den orientalischen sogenannten 'Bauchtanz', der wegen seiner Hebung des Selbstbewusstseins für fülligere Frauen und als Befreiung weiblicher Sexualität hierzulande boomt.

Was den sogenannten 'Bauchtanz' betrifft, steht der Aspekt der feministischen Befreiung von den körperästhetischen Vorgaben der Schlankheit und Jugendlichkeit in der westlichen Gesellschaft in einem unübersehbaren Spannungsverhältnis zum gesellschaftlichen Status der Frauen und zu der gesellschaftlichen Rolle des modernen Varieté-Stils, auf dem diese Tanzart beruht, in der arabischen Welt. So wie orientalischer Tanz, nicht ausschließlich, aber doch in den meisten Kursen, in Österreich gelehrt wird, entspricht er jenem Tanz, der im arabischen Bereich vor allem zur Unterhaltung von Männern in Clubs und einschlägigen erotischen Etablissements gezeigt wird. Dieser Stil wurde aus einem Konglomerat von Volkstanzformen (raksh beledi) mit westlichen exotistischen Kostümformen entwickelt (Buonaventura 1984: passim, vor allem 116f.). Professionelle österreichische Bauchtänzerinnen berichteten in Gesprächen 1994 und 1995 in Wien zum einen von der eher harten Konkurrenz zu arabischen Immigrantinnen in den mehr oder minder authentisch geführten 'arabischen' gastgewerblichen Betrieben, in welchen Tänzerinnen zur Unterhaltung und Konsumationsförderung ihrer Gäste engagiert werden. Zum anderen erzählen sie auch von der eher unerwarteten Konfrontation mit der Konnotation der sexuellen Verfügbarkeit, die dieser eigentlichen Varietéformen des raksh beledi in der Kultur des arabischen Raums anhaftet. Diese Arbeitswelt hebt sich scharf von der Szenerie in den populären Kursangeboten für Bauchtanz in Europa ab, wo oft ganz ausdrücklich eine neue, freiere Weiblichkeit verkündet wird. In Amerika hatte sich der Erfolg der seit Anfang der Sechzigerjahre betriebenen Belly-Dance-Studios noch mehr auf dem Versprechen begründet, dass der Bauchtanz die Männer zu Hause halten würde (Karkutli 1983).

Zur interkulturellen Bedeutung des T'ai Chi Ch'uan ist zu erwähnen, dass sich im Rahmen der Tätigkeit verschiedener privatwirtschaftlich funktionierender Vereine, als Beispiel kann die sehr erfolgreiche Arbeit im Wiener T'ai Chi Verein Shambhala gelten, auch die Akzeptanz für chinesische Medizin in Österreich erhöht hat. Das nährt nicht nur eine steigende Zahl von Angeboten der Akupunktur, sondern auch zum Beispiel mehr oder minder qualifizierte Beratungen zur chinesischen Ernährungslehre. Im Rahmen der körperlich-geistigen Techniken weiten sich auch die verschiedenen Lehrangebote für Ch'i Gong aus, dessen Atem- und Visualisationstechniken neue Zugänge auch für die Tanztherapie eröffnen. Im Rahmen dieser Aktivitäten gibt es einen regen saisonalen Unterrichtsbetrieb durch chinesische Lehrer, die vor allem zu Sommerakademien als Gastdozenten nach Österreich eingeladen werden. Solche Aktivitäten werden aus Gewinnen des Lehrbetriebs finanziert und genießen kaum oder gar keine staatliche Förderung. Insgesamt ist zu den meisten staatlich geförderten Kursangeboten von Tanz und anderen kulturgeladenen virtuosen Bewegungsformen aus der Fremde zu bemerken, dass ihnen eher mäßige interkulturelle Bedeutung in Österreich zukommt, in dem es die größten Minderheitengruppen im Land, jene des ehemaligen Jugoslawien und aus der Türkei, unberücksichtigt lässt.

Was die Förderung der wichtigsten innerösterreichischen Minderheiten, der Immigranten aus Jugoslawien und aus der Türkei, betrifft, wurde 1991/92 ein Projekt durch die Tanzwochen Wien lanciert, das jedoch scheiterte. Das Projekt wurde aus der Überlegung heraus in Angriff genommen, dass Aktionszentrum der Tanzwochen, das Universitätssportzentrum, auf der Schmelz im Wiener Bezirk Fünfhaus angesiedelt ist, und somit in einem Lokalbereich, der eine besonders hohe Konzentration an Türken und Jugoslawen aufweist. Es scheiterte nach den Überlegungen Regensburgers auf zwei Ebenen: einerseits gelang es nicht, dem Projekt die rechte kulturpolitische Form auf Bezirksebene zu geben, zum anderen gab es seitens der Türken massiven Widerstand gegen das Projekt, die sich aus der Wahl des Kursangebotes ergaben, in dem Tanzstile wie Jazztanz, Steptanz und dergleichen unterrichtet werden sollten. Dieses Angebot, dass relativ naiv als alternatives Mittel zum Aggressionsabbau zwischen den Bevölkerungsgruppen konzipiert worden war, erschien für die in Frage kommenden Knaben als 'unmännlich'. Die Mädchen der betreffenden Familien wurden generell ungern aus dem Haus gelassen. Regensburger gab unumwunden zu, dass man sich dabei nicht um die Tanzkultur der Türken und Jugoslawen selbst bemüht hatte, weil man dort einfach 'zu wenig zu Hause' war. Die Nachgespräche zwischen Regensburger und dem Münchner Kulturpolitiker Heiner Zametzek ergaben dann auch, dass für derartige Projekte jahrelange Vorarbeiten, insbesondere vertrauensbildende Maßnahmen notwendig sind. Zusätzlich bedarf es dann selbstverständlich auch politischer und auch fachlicher Unterstützung während der Dauer des Projekts, zum Beispiel auch seitens erfahrener Sozialarbeiter, um langfristig wirksame Maßnahmen setzen zu können. So ist das Projekt auch daran gescheitert, dass Tanz in Österreich nicht als förderungswürdiges Mittel für den Abbau interkultureller Spannungen etabliert war, dass die entsprechenden Fachleute entweder nicht vorhanden oder nicht allgemein zugänglich waren und dass es auch keine politische Unterstützung für derartige Projekte gab.

Es gibt einige Einzelinitiatorinnen, die im Rahmen der Österreichischen Schulen versuchen, über das Medium Tanz interkulturelle Bildungsarbeit zu leisten. Einige Beispiele für diese Art von Arbeit finden sich im Abschnitt "interkulturelle Tanztherapie im Unterrichts-, Sozial- und Gesundheitswesen". Bildungspolitisch interessant erscheint hier, dass es 1995 noch keine öffentliche Förderungsnische für diesen Bereich gab. Hingegen wurden erste universitäre Vorstöße, zum Beispiel seitens der Hochschule "Mozarteum" in Salzburg gesetzt, wo etwa Barbara Haselbach im Sommersemester 1993 ein Seminar zum Thema "Musik und Tanz als Medien Interkultureller Ästhetischer Erziehung" abhielt und, darauf aufbauend, Birgit Kastenhuber (1994) im Rahmen ihrer zweiten Diplomprüfung den Bericht zu einem praktischen Projekt an einer zweiten Klasse einer Volksschule in Salzburg mit demselben Titel vorlegen konnte, dessen Durchführung vom Bezirkschulrat Salzburg Stadt und dem Landesschulinspektor offiziell genehmigt wurde. In der betreffenden Schul- klasse befanden sich unter anderem Kinder, die selbst aus der Türkei, aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus Tschechien stammten oder deren Eltern teilweise aus diesen Gegenden kamen. Kastenhuber verwendete Materialien aus allen in der Klasse vertretenen Kulturen. Kastenhuber (1994:51) bemerkt in den abschließenden Worten zu ihrer Arbeit:

Eine allgemeine Initiative zum Thema Tanz an österreichischen Schulen, der allerdings den interkulturellen Bereich kaum berührte, wurde im selben Jahr, 1994, im Rahmen eines "LehrerInnenfortbildungsseminares" durch das Österreichische Kultur-Service in Zusammenarbeit mit einigen anderen Institutionen gesetzt (78). Dieses Projekt fand ebenfalls in Salzburg, im Schloss Goldegg, unter der Leitung von Aurelia Straub statt. In seinem Rahmen hatten 14 Lehrer und Lehrerinnen der verschiedensten Schultypen vier Tage lang Gelegenheit, mit Profitänzern und -tänzerinnen zu arbeiten und zu diskutieren. In der Folge entstanden 14 unterschiedliche Tanzprojekte an Schulen, die in der Broschüre "Begegnung mit Tanz" (ÖKS 1994) dokumentiert wurden. In einzelnen Projekten wurde zumindest die Thematik des sozialen Außenseiters aufgegriffen, z.B. durch Kriechbaum und Kocher (Lehrerinnen) und Weinzierl (Tänzerin) in ihrem Projekt "The Blue Outsider" (ibid.: 16). Die Broschüre stellt im Abschnitt "Kontakte" Adressen von 24 Tänzern und Tänzerinnen zu Verfügung, die sich bereits in österreichischen Schulprojekten engagierten.

In Mödling gelang eine weitere Projektrealisierung, die vom österreichischen Kulturservice (ÖKS), dem Kulturamt der Stadt Wien und der Gemeinde Mödling subventioniert wurde, in der 1994 vorerst ein Schuljahr lang an der Karl-Stingl Volksschule in Mödling vier Gruppen zu je zwölf bis vierzehn Kindern von Marjeta Greif nach der Laban-Methode betreut wurden.

Der Tanzdirection - Verein zur Verbreitung von Tanz im Schul- und Bildungsbereich ist ein erstes Forum des Austausches in der Zusammenarbeit von Menschen, die in diesem Bereich tätig sind oder es werden wollen. Die Obfrau dieses seit 1993 bestehenden Vereins, Christine Kaufmann, bemüht sich seit Jahren um die Etablierung von Tanz an Österreichs Schulen und veröffentlichte auch einige Artikel zu diesem Thema in der österreichischen Zeitschrift Tanz-Affiche.

Christine Kaufmann selbst ist nach der Methode Cary Rick in Bewegungsanalytischer Tanztherapie ausgebildet und arbeitete bereits an verschiedenen Wiener Schulen. Sie begann mit einem pädagogischen Tanzprojekt an der Börsegasse im Rahmen des freiwilligen Nachmittagsunterrichts. 1994 richtete sie im sonderpädagogischen Zentrum Galileigasse zwei Kleingruppen von etwa 5-6 Kindern im Rahmen der normalen Unterrichtszeit einer 3. Klasse ein, in der verhaltensauffällige Kinder tanztherapeutisch betreut wurden (79). Christine Kaufmann (80) ist seit 1994 auch in der Volksschule Vereinsgasse tätig, wo sie mit Kleingruppen arbeitet, aber auch einzelne besonders "schwierige" Schüler tanztherapeutisch betreut hat.

Sie hob in ihren Gesprächen mit mir besonders die Problematik der Finanzierung ihrer Tanzprojekte an Schulen hervor. Die Kooperationsbereitschaft der Schulen ist groß, die Erfolge in Bezug auf verbesserte Aufnahmebereitschaft, Lernfähigkeit und Ausgeglichenheit der Schüler nach relativ kurzer Zeit herzeigbar, die daraus gewonnenen Anregungen für das Lehrpersonal beträchtlich und der Bedarf nach Tanzprojekten deshalb ebenfalls vorhanden, doch betrachtet sich noch keiner der in Frage kommenden öffentlichen Geldgeber, weder ÖKS, noch Unterrichtsministerium, noch Stadtschulrat, für die Finanzierung langfristiger Tanzprojekte an Schulen für zuständig. Nur sehr mühsam können Gelder aus benachbarten Bereichen, z.B. Kindertheater an Schulen, für Tanz an Schulen aufgetrieben werden. Offiziell gibt es in Österreich keinen pädagogischen oder therapeutischen Tanz an Schulen und daher gibt es auch keine Subventionen dafür und vice versa! Das Projekt an der Schule Vereinsgasse konnte zum Beispiel nur durch die Finanzierung seitens eines privaten Vereins zur Suchtverhütung durch sozialisierende Maßnahmen an Schulen aufrecht erhalten werden.

Besonders überraschend ist auch hier wieder die Seltenheit interkultureller jugoslawisch- und türkisch-österreichischer Tanzaktivitäten an Wiener Schulen obwohl Türken und Jugoslawen, wie erwähnt, den größten Teil der nichtösterreichischen Schüler in Wien stellen. In der Schule Vereinsgasse in Wien haben Ausländer einen Schüleranteil von 70-75%. Christine Kaufmann hat dort auch schon gelegentlich Schüler und Schülerinnen ausländischer Herkunft tanztherapeutisch in Einzelsitzungen betreut. Aber erst 1995 startete sie ein erstes interethnisches Projekt an der Schule in der Kundmanngasse in Wien 3, das sich explizit um choreographische Umsetzungen ethnischer Konfliktsituationen und deren kunsttherapeutische Aufarbeitung bemüht. Dieses Projekt, an dem in wechselnder Zusammensetzung unter anderem österreichische, bosnische, türkische Mädchen und solche gemischter Herkunft, im Alter zwischen 15 und 18 Jahren, teilnehmen, soll auch filmisch dokumentiert worden sein. Das Interkulttheater in Wien hatte zuletzt eine abschließende Aufführung der in Zusammenarbeit mit den Schülerinnen erarbeiteten interethnischen Choreographie für Mitte Mai 1996 geplant. Christine Kaufmann (81) zu diesem Projekt:

 

 

Interkulturelle Begegnungsfelder

Traditionelle Tanzformen als erstes Begegnungsfeld. Die relative Bedeutung der Begegnungsfelder zueinander.

 

In multikulturellen Gemeinschaften kann die Tanzkunst von Immigranten, aber auch von sonstigen fremden Kulturen unterschiedliche interkulturelle Begegnungszonen befruchten. Sozialtherapie, Bildung und Unterhaltung können sich zu unterschiedlichen Anteilen in spezifischen Begegnungsfeldern verbinden, als da unter anderem genannt werden können:

  1. Traditioneller Tanz für Angehörige einer fremden Kultur in einem Gastgeberland
  2. Traditioneller Tanz mit Verständnishilfen für die Angehörigen des Gastgeberlandes und für bereits akkulturierte Angehörige der fremden Kultur, zum Beispiel einer zweiten Generation von Einwanderern.
  3. Tanz der fremden Kultur in seiner modernen Ausformung als World-Dance mit internationalem Anspruch für ein internationales Publikum.
  4. Tanz der fremden Kultur als Beitrag für die Tanzkultur der Gastgeberkultur, als Beitrag zur Diversifikation von Stilen der Gastgeberkultur und für ein generell breiteres Bewegungsvokabular (84) einheimischer Tänzer.
  5. Tanz der fremden Kultur als interkultureller Bildungsbeitrag im Unterricht an ethnisch gemischten privaten und staatlichen Schulen für Kinder und für Erwachsene unterschiedlicher Herkunft.
  6. Projektarbeit mit dem Tanz der fremden Kultur für eng umgrenzte Gruppen von Menschen mit speziellen sozialen oder therapeutischen Bedürfnissen.

Diese Begegnungsfelder existieren natürlich nicht getrennt voneinander, sondern sind durch vielfältige Bezüge untereinander verknüpft, wie dies im Folgenden noch sichtbar gemacht wird.

 

 

Traditionelle Tanzformen als erstes Begegnungsfeld

 

Schon auf der Ebene des ersten Begegnungsfeldes werden die Performer der fremden Kultur mit den Schauplätzen und Bühnen der Gastgeberkultur konfrontiert. Man kann das typische Setting eines solchen Aufführung von dem Standpunkt her betrachten, dass es sich "nicht so sehr um eine westliche Bühne als um eine Bühne im Westen" (Menski, Interview am 22.3.1994, Leicester) handelt: Die Personen, welche das Programm sehen, sind oft allesamt Angehörige derselben Emigrantengemeinde, der auch die Tänzer und Musiker entstammen. Ein zweiter Beweggrund für eine solche Sichtweise, die diese Performances kaum oder nicht von Aufführungen, wie sie in der Heimatkultur der Emigranten gepflegt werden abgrenzt, besteht darin, dass es realen Grund dafür gibt, solche Darbietungen auf dieselbe Weise darzubieten, wie dies in der Heimatkultur der Emigranten geschieht, geht es doch oft um eine Belehrung der Zuseher über ihre Heimatkultur und darum, ihnen ein möglichst' authentisches' Bild derselben zu vermitteln. 'Authentizität' bezieht sich in diesem Begegnungsfeld mehr auf 'Tradition' als auf tatsächlich in der Heimat gepflegtes Kulturgut, das auch zeitgenössische Elemente enthält. 'Tradition' bezieht sich mehr auf die Phase der nationalen Unabhängigkeit als auf die älteren und vorkolonialen Praktiken, so dass 'Authentizität' und 'Tradition' untrennbar mit nationalistischen Inhalten der postkolonialen Ära verbunden werden. Dies kann auch noch vor einem gemischten Publikum die Inhalte prägen, so wie etwa bei dem Kulturprogramm einer Schule in Leicester, in der Angehörige verschiedener Kulturen ihre Kinder gemeinsam mit englischen Kindern unterrichten lassen und in der ein Publikum aus afrikanischen, afrokaribischen, englischen und einer zweiten, bereits in England geborenen Generation von südasiatischen Zusehern soziodidaktisch unterhalten werden soll.

In der Praxis gibt es jedoch stets einige klare Unterschiede zu der Aufführungssituation in der Herkunftskultur der Immigranten. An erster Stelle rangieren die bereits genannten bühnentechnischen Aspekte, Beleuchtung, Beschallung, Kulissen, etc. Dann verhält sich das Publikum auch anders. Die in Leicester tätige Kathaktänzerin Nilima Devi berichtet etwa, dass in Indien das Publikum generell lauter ist, längere Darbietungen und auch Reden erwartet, während in England auch die indischen Emigranten konzentrierter und stiller sind, kürzere Darbietungen erwarten und keine allzu langen Reden tolerieren.

Auch in der Präsentation selbst werden rasch Veränderungen gesetzt, so verzichtete Nilima Devi bereits nach wenigen Vorführungen in England weitgehend auf den ritualisierten Rahmen der Kathak-Vorführung, zum Beispiel auf das namaskara. Als sie jedoch frisch aus Indien gekommen war, verwendete sie sehr wohl, wie in Indien üblich, Siva-Statuetten, die an den Seiten der Bühne aufgestellt wurden, und auch andere Requisiten, die auf den rituellen Kontext des Kathak als púja, Tanz als Gabe an die Götter, verwiesen. Selbst im Rahmen von Aufführungen für indisches Publikum in England, haben sich die Art der Präsentation, aber auch die gezeigten Inhalte rasch verändert. Heute werden eher abstrakte oder auch westliche Themen gegenüber den traditionellen indischen religiösen und mythischen Inhalten bevorzugt. Und auch die Begleitmusik hat sich verändert. So gestaltete Nilima Devi bereits einen Tanz zu Beethovens Klavierkonzert Nr.1, aber auch eine Inszenierung des Märchens vom "hässlichen Entlein" ("The Uggly Duckling") zu eigens komponierter indischer Musik. Nilima fand es äußerst schwer, in England gute indische Musiker zu bekommen. Sie brachte deshalb sogar ein indisches Ensemble nach Leicester und versuchte den Aufenthalt der Musiker ein halbes Jahr lang mitzufinanzieren - doch der Versuch scheiterte, und die Musiker mussten heimkehren. Wenn sie heute eine Neukomposition von guter indischer Begleitmusik braucht, lässt sie diese in Indien komponieren und auf Musikkassette aufzeichnen, und arbeitet dann in England mit dieser Kassette. Es ist also auch auf dem ersten Begegnungsfeld kaum möglich, sich Veränderungs- und Adaptionsprozessen gegenüber der anderen Kultur zu entziehen.

Die traditionellsten und am wenigsten an westliche Bedingungen angepassten Aufführungen fremder und emigrierter Künstler haben darüber hinaus ein oft verkanntes interkulturelles Potential, das sich direkt aus ihrer höheren 'kulturellen Geladenheit' ergibt: es bietet umfassenderes und kontextuelleres Wissen über die fremde Kultur an als modernisiertere Vorführungen. Die traditionellen Inhalte entstammen Mythen und Legenden und bieten umfassendere Einsichten in die Denkungsart und Lebensform, in Sitte und Habitus eines Volkes als viele andere Quellen. Wenn solche Inhalte durch geeignete Begleitmedien erläutert werden, bekommen gerade die traditionellsten Tänze der Fremden deshalb einen großen interkulturellen Bildungswert.

 

 

Die relative Bedeutung der Begegnungsfelder zueinander

 

Gerade dem relativ konservativen indischen Tanz des ersten Begegnungsfeldes kann im Rahmen des vierten Begegnungsfeldes, Tanz als Unterrichtsbeitrag an ethnisch gemischten Schulen, besondere didaktische Bedeutung zukommen. Es ist dies gleichzeitig auch ein Beispiel der gegenseitigen und wechselnden Bezüge der Felder zueinander. Der erzählende und psychologisierende Aspekt des indischen Tanzes kommt in traditionellen Darbietungen am stärksten zu tragen. Projekte über die Erzählzyklen der Ramayana und Mahabharata erfreuen sich großer Beliebtheit an englischen Schulen. Hier faszinieren neben den Inhalten, vor allem auch die klassischen tänzerischen Gestaltungselemente der Erzählweise: die subtile Mimik, Körperarbeit, Handgestik, daneben auch der emotionalen Gehalt der Rhythmen (tala) und Tonfolgen (raga) und die aufwendige und prachtvolle Kostümierung. Alle diese Elemente werden gemeinsam mit den gezeigten Inhalten auch in begleitenden theoretischen Materialien und in praktischen Übungen mit den Schülern thematisiert, bevor sie die eigentliche Tanzdemonstration sehen, um deren kulturelle Geladenheit sichtbar zu machen und damit auch ihren kulturellen Wert. Der traditionellste Weg der Gestaltung eines Tanzes ist hier oft der ganzheitlichste und ergiebigste Weg der Konfrontation mit einer anderen Lebensweise.

Nilima Devi beginnt ihren indischen Tanzunterricht an englischen Schulen zum Beispiel konsequent mit der alltäglichen indischen Begrüßung. Die Kinder, die ansonsten zueinander "Hallo!" und "Hi!" sagen, wenn sie einander begegnen, und sich an Händen und Schultern berühren, lernen von ihr, wie man einander in Indien durch die ruhige Bewegungs- abfolge des namaskara ohne körperliche Berührung seines Gegenübers begrüßt. Danach werden die verschiedenste Aspekte klassischen indischen Tanzes erläutert und geübt: die rhythmische und die improvisatorische Seite des Kathak, die mathematischen Aspekte klassischen indischen Tanzes, die Bewegungsstereotypen, Körperhaltungen, Benutzung von Gesten, wie man Finger verwenden kann, um eine Geschichte zu erzählen, etc. Und hier taucht auch gleich ein anderer neuer Aspekt für die Kinder auf: während die Kinder mehr oder minder gewöhnt sind, einander bei westlichen Tänzen zu berühren, sich zueinander zu platzieren, sich in Abhängigkeit von der Gruppe aufeinander zu beziehen, stehen sie während dieses Workshops auf ihrem eigenen Platz. Sie müssen sich auf sich selbst konzentrieren und selbständig lernen, ohne sich auf die Leistung anderer verlassen zu können. Diese Beispiele werden genannt, um auf eines hinzuweisen: Es macht durchaus Sinn, wenn einige der südasiatischen Tanzlehrer in England darauf beharren, das traditionelle südasiatische Element auch im interkulturellen Unterricht zu bewahren.

Es gab zum Beispiel im Rahmen einer Konferenz über südasiatischen Tanz im Unterricht in Birmingham 1994 Auseinandersetzungen um die Einbeziehung von kulturell geladenen Inhalten, wie der indischen Begrüßungsbewegung oder indischer Zahlworte für das 'Einzählen' der Tanzrhythmen als technisches Vokabular, in den Unterricht. Die Gegner dieser Praktiken setzen kulturelle Geladenheit mit kultureller Offensivität gleich und beklagen verstärkte Abwehrreaktionen seitens des nichtindischen Klientels. Die Befürworter sprechen von der Untrennbarkeit asiatischen Tanzes von asiatischer Kultur und befürchten, für bloße Assimilationsprojekte missbraucht zu werden, anstatt für die Erhaltung und Integration von kultureller Vielfalt arbeiten zu können.

Noch ein zweites Beispiel der Gegenwirkung zwischen dem ersten und allen weiteren Begegnungsfeldern wurde im Gespräch mit Nilima Devi angeschnitten. Sie berichtete, wie sie nach einem Jahr der erfolgreichen und kreativen Produktion eines innovativen Tanzabends mit modernen Gruppenchoreographien und neuer Musik unter dem Titel "Arabian Nights" das Bedürfnis hatte, zu den Wurzeln ihrer Tanzkunst, zur traditionellen Eleganz und Grazie der Soloperformance des Kathak zurückzukehren. Sie musste einfach wieder tiefer in die Tradition eintauchen, um aus erneuerter kultureller Sicherheit heraus -"to give me peace of mind", sind ihre eigenen Worte dazu - überhaupt wieder kreative und innovative Ideen hervorbringen zu können.

Jedes der genannten Felder hat seine essentielle Position und Bedeutung innerhalb interethnischer Kultur. Doch auch in der vorbildlichen kulturpolitischen Landschaft Englands werden nicht alle diese Gebiete gleichrangig gefördert. Besonders das unter Punkt eins genannte Begegnungsfeld wird als solches nicht gewürdigt. Dass Inderinnen für indisches Publikum in England tanzen, erscheint an der neueren Subventionspraxis gemessen als weniger erstrebenswert als die unter den Punkten zwei bis fünf genannten Aktivitäten. Dies steht im Zusammenhang damit, dass hier scheinbar am wenigsten dem kulturellen Umfeld der Emigration Tribut gezollt wird. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass dieser Schein trügen kann. Darüber hinaus ist aber auch noch eine andere Überlegung wichtig: In einer Minoritätenkultur wird Tradition eine Frage der Identität und Rückversicherung. Während sich viele Emigranten in Bezug auf Beruf, auf Ausbildung und im Gebrauch neuer Technologien wandlungsfähig zeigen, benutzen sie die Künste - und im Falle der Südasiaten in England in besonderem Maße den Tanz - zur Sicherung ihrer asiatischen Identität und Mentalität (Jeyasingh 1994: 2). Es darf kulturpolitisch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Möglichkeit der eigenen Kulturpflege und damit der Abgrenzung gegen das Andere erst den Boden darstellt, auf dem sich ein ausreichendes Bewusstsein kultureller Identität entwickeln kann, das eine erfolgreiche Integration ohne traumatische und verarmende Identitätsverluste ermöglicht:

E. Erikson (1988, 1995) hat in eindringlicher Weise klargemacht, dass auch in jeder individuellen Entwicklungsgeschichte die Erlangung von Integrität Leitthema und Krönung der persönlichen Entwicklung ist, und er hat in umfassender Weise argumentiert, dass die erste Voraussetzung zu einer erfolgreichen Entwicklung von persönlicher Integrität die Erlangung eines Identitätsbewusstseins ist. Diese Erkenntnisse sind von ihm auch als Erklärungsbasis für gesellschaftliche Bewegungen herangezogen worden, indem er etwa totalitäre Jugendbewegungen auf konflikthafte Prozesse der Identitätssuche zurückführte (Erikson 1995:111). Solche Forschungsergebnisse werden in Hinkunft nicht unberücksichtigt bleiben können, wenn von kultureller Integration in multiethnischen Gemeinschaften die Rede ist. Soll nicht offen die Assimilation und damit das völlige Verschwinden fremder Kulturen in der eigenen, dominanten Kultur zum politischen Programm gemacht werden, wird man sich damit abzufinden haben, dass eine ausreichende kulturelle Identität die unerlässliche Voraussetzung für die Erreichung einer umfassenden kulturellen Integrität in der Emigration ist. Erst dann kann eine erfolgreiche Integration eigener und fremder kultureller Elemente zu einer kontinuitätsfähigen neuen Kultur der Emigration erfolgen, die für Fremdes und Eigenes ein dialogfähiges und lebenswertes Zusammensein ermöglicht.

Die Vertreter der 'progressiven' staatskonformen indischen Tanzinstitutionen in England neigten lange Zeit zu der Auffassung, dass für das Begegnungsfeld des indischen Tanzes für Inder in England keine zusätzliche Förderung nötig sei, da das Bedürfnis zur Enklavenbildung und zum Rückzug in die eigene Gemeinde ohnehin groß genug ist, um sich selbst zu erhalten. Tatsache ist, dass bei einer Einschränkung materieller Ressourcen ein Absinken der Aufführungsqualität und -häufigkeit erfolgt, da zum Beispiel Probenzeiten oder die Beschäftigung von hochqualifizierten Begleitmusikern nicht ausreichend abgedeckt werden können. In weiterer Folge sinken die Theatereinnahmen, schließlich wird ein Überleben des Kulturbetriebes des ersten Begegnungsfeldes langfristig infragegestellt. Erste Auswirkungen der im oben genannten Sinne geänderten Subventionspolitik werden von betroffenen Künstlern - und heute auch von den Institutionen, welche sich ursprünglich für eine Neuregelung in diesem Sinne ausgesprochen haben - bereits beklagt.

Die künstlerischen Traditionen und die Wissensweitergabe künstlerischer Fertigkeiten und ideeller Inhalte stellen auch für die schon länger in der Fremde lebenden Emigranten einen wichtigen Kontakt zum Mutterland dar. Viele junge Menschen, die in der Emigration aufwachsen, kommen über künstlerische Darbietungen überhaupt zum erstenmal in engeren Kontakt mit der Kultur des Mutterlands. Kulturorganisationen, die die Kultur des Mutterlandes in der Emigration pflegen, leisten so ihren Beitrag zur Erlangung eines kulturellen Selbstbewusstseins inmitten einer Umgebung, die die Werte der Elterngeneration dieser Jugendlichen beständig infragestellt.

Tradition und Traditionalismus können in diesem Zusammenhang eine andere Bedeutung erfahren, als die der Fortschrittsverweigerung oder gar einer oft unterstellten kulturellen Regression. Bis zu einem gewissen Grad ist für den Emigranten Tradition das, was aus dem Mutterland kommt und beinhaltet durchaus auch moderne Praktiken und Stile. Andererseits zeigt der Befund meines Feldforschungsmaterials aus England (ausführlicher in Nürnberger 1996:177-250) die Tendenz, dass je enger die Emigranten- und Interessensgemeinschaft ist, desto strenger die Abgrenzung gegen die Gastgeberkultur gesetzt wird. Erklärlich ist dies aus der Angst vor Identitätsverlust, welche in kleinen Gemeinden überwältigender werden kann als in größeren. In der Praxis wirkt sich das dann so aus, dass die relativ kleine Indien-Fangemeinschaft in Wien gegen modernen indischen Tanz, selbst wenn dieser in Indien bereits akzeptiert wird, wesentlich länger Vorbehalte aufrecht erhielt und seine Akzeptanz längere öffentliche Diskussion erforderte als innerhalb der wesentlich stärkeren und selbstbewussteren Emigrantengemeinden in England. Dennoch berichteten auch indische Tänzer in England von dem Effekt, dass man unter Emigranten eine Einstellung bemerken kann, 'indischer sein zu wollen als das Mutterland'. Dieses Verhalten kann eine gewisse Gegenbewegung zu der Relativierung von Tradition in dem zuvor genannten Sinn - als 'alles, was aus dem Mutterland kommt' - bewirken und ist aus dem Ringen um kulturelle Identität inmitten einer übermächtigen Realität und Aktualität der Fremde heraus verständlich. An dieser Stelle ist vielleicht daran zu erinnern, dass Tanz als Mittel zur Sozialisation für Südasiaten eine besondere Bedeutung hat, da er im Zuge der Unabhängigkeitsbewegungen zur Nationalkunst ersten Ranges stilisiert wurde.

So oder so entkommen Emigranten auch innerhalb ihrer kulturellen Enklaven nicht der Auseinandersetzung mit den Bedingungen ihrer neuen Heimat. Im ersten Begegnungsfeld kann die klassische indische Tänzer-Emigrantin ihre Fähigkeit zur Adaption und zum kreativen Umgang mit einem beschränkten Ausmaß an neuen Anforderungen grundsätzlich erproben. Diejenigen, die die Herausforderung annehmen, werden oft zum weiteren Experimentieren animiert werden, was sie dann mehr oder minder automatisch aus dem monoethnischen Publikum hinausführt.

Das tägliche Leben in der westlichen Umgebung wirft Fragen und Möglichkeiten auf, die, sobald sie dem indischen Künstler bewusst werden, nach kreativer Umsetzung verlangen. Daraus entwickeln sich fast zwangsläufig Aufführungspraktiken, die einerseits den eigenen Erkenntnis- und kulturellen Integrationsprozess einem indischen Publikum nahe bringen wollen und die andererseits indische Tradition einem nichtindischen Publikum verständlich zu übersetzen bestrebt sind. In dieser notwendigen Etappe beginnt die Dialoghaftigkeit des künstlerischen Prozesses offensichtlicher zu werden, indem das zweite Begegnungsfeld betreten wird.

Um künstlerische Entlehnungen zulassen zu können, müssen zuerst die Ängste vor dem Fremden soweit abgebaut worden sein, dass die striktesten Formen der Abgrenzung fallen gelassen werden können, ohne dass Identitätsverlust befürchtet werden muss. Das setzt voraus, dass eine ausreichende kulturelle Identität in der Fremde aufgebaut wurde. Wenn die kulturelle Identität zerstört wird, erfolgt im günstigsten Fall Assimilation, die freilich auch erst über Generationen erfolgen kann. Zunächst jedoch wird sicher einmal die Bildung von Randgruppen und den damit einher gehenden Problemen wie Unzufriedenheit und Kriminalisierung gefördert, es kann keine kontinuitätsfähige Integration erfolgen. Der normale Prozess der Einarbeitung eigener Elemente in die Kultur der Fremde und fremder Elemente in die eigene Kultur ist gestört, die eigene Kultur wird verdrängt und geht schließlich gänzlich verloren. Eine Integration der eigenen Kultur in die fremde bzw. der fremden Kultur in die eigene bewirkt indessen eine Fülle neuer Formen, die letztlich für beide Kulturen eine Bereicherung darstellen.

In Großbritannien erhalten indische Tänzer heute nur dann Subventionen größeren Stils, wenn sie sich neben dem Kunstsektor auch auf den Sektoren education und community, 'Bildung' und 'Sozialwesen', betätigen. Mira Kaushik (85), Direktorin der modernen Academy of Indian Dance berichtete, dass der Bereich community die Anwendung indischen Tanzes im Sinne einer Förderung von Kreativität und Unterhaltung und zum primären Zweck soziale Isolation zu brechen und verschiedene Gemeinschaften zusammenzuführen, bedeutet. Es betreffe dies jede Art von orientierungslosen, problembehafteten oder oft verzweifelten Gemeinschaften, nicht nur asiatische oder indische. Das Interessante an den Projekten der Academy ist, dass sie nicht einfach indischen Tanzunterricht geben, sondern dass alle Arten populärer indischer Kunst als ein bereits vorhandenes Vokabular innerhalb der indischen Gemeinde angewendet wird, um größere gemeinschaftsübergreifende Projekte auszuführen, die nach Möglichkeit auch nach dem Abzug der Initiatoren noch weiterbestehen, Projekte zwischen Hindus und Moslems zum Beispiel oder für Blinde verschiedenster Herkunft.

In der Emigration hat Tanz als Darstellung des Eigenen in der Fremde jedoch vor allem andere Bedeutungen: Erstens wird Tanz zu einem Mittel, sich an die Heimat und die Traditionen des Herkunftslands zu erinnern und die Bindungen dorthin zu erneuern, indem Tanz in der Emigration traditionelle Identität vermittelt und erhält. Besonders im Fall einer durch politische Gewalt erzwungene Flucht aus der Heimat, kann Tanz in der Emigration auch Agit Prop-Charakter annehmen, der sich als Publikum die Angehörigen der eigenen Kultur sucht. Zweitens ist Tanz Mittel der Selbstdarstellung dem Gastgebervolk gegenüber, das Verständnis und Sympathie erwecken kann, Feindseligkeiten abzubauen, Respekt und Wertschätzung gegenüber der Emigrantenkultur zu erhöhen vermag, etc. Und drittens wird Tanz auch als kulturelles Mittel funktionalisiert, um die Erfahrungen in der Emigration mit den importierten Werten, Normen und Ideen in Einklang zu bringen oder zu hinterfragen. Hier wird Tanz zu einer Ausdrucksform für kulturelle Brüche, aber auch um Modelle für Neuformungen kultureller Identität zu erproben und zu präsentieren.

Die ersten beiden Formen der Funktionalisierung: die Aufrechterhaltung der Bindung an die Herkunftskultur und die Darstellung der Emigrantenkultur für die Gastgeberkultur scheinen dabei naturgemäß viel früher auf, als die drittgenannte Form, die zur Bedingung hat, dass einige der Sicherheiten der Herkunftskultur zugunsten einer größeren Offenheit gegenüber der Gastgeberkultur aufgegeben werden können. Das bedeutet auch, dass die ersten beiden Formen Affinitäten zu den archaischen Formen, wie Kriegstänze, Begrüßungstänze und Tänze der Selbstdarstellung als tänzerischen Konfrontation mit Fremden aufweisen. Die dritte Form indes, die das Leben in der Fremde selbst thematisiert und so zum Eigenen macht, und die zu ihrer Voraussetzung hat, dass zumindest die Künstlerinnen das Fremde weniger als Bedrohung und mehr als potentielle Freiheit aufzufassen vermögen, weist gewisse Parallelen zu der archaischen Form der tänzerischen Anrufung eines multikulturellen Götterpantheons, nach dem Typus des Kohomba Kankariya und somit der Friedens- und Heiltanzrituale auf.

 

Streiflicht auf ein Tanzstück über multikulturelle Identität -
Shobana Jeyasinghs "Making of Maps"

 

Shobana Jeyasingh hat mit ihrem Tanzstück "Making of Maps" ein gutes Beispiel für die Tanzaktivitäten des dritten Begegnungsfeldes geschaffen - einen Tanz der Emigranten in seiner modernen Ausformung als World-Dance, mit internationalem Anspruch, für ein internationales Publikum. Eine Analyse dieses Stückes erscheint auch deshalb im Rahmen der vorliegenden Arbeit als lohnend, da diese Art von Tanz in recht idealerweise jenen Typus von Interkulturalität verkörpert, dem in Großbritannien zur Zeit der Erhebungen (1994/95) der höchste Förderungsanspruch zugebilligt wurde.

Shobana Jeyasingh (86) ist in Madras geboren und lebte später in Colombo und Singapur bevor sie nach London übersiedelte. Sie lernte, so wie heute Hunderte anderer Tamilenmädchen, seit ihrem 7. Lebensjahr den Valluvoor-Stil des Bharata Natyam - nicht als Tempeltanz, sondern als standesgemäße und sozusagen 'anständige' Freizeitbeschäftigung in der modernen indischen Gesellschaft. Ihr Lehrmeister war Valluvoor Samuraj Pillai, der in Indien als Lehrer und Choreograph beträchtliche Popularität genießt. Seit 1981 trat sie in einem Zeitraum von etwa 9 Jahren erfolgreich als klassische Solistin dieses Stils auf und unternahm auch Tourneen nach Großbritannien mit diesem indischen Repertoire. Schließlich wurde sie jedoch unzufrieden mit der, wie sie es nennt, 'schizophrenen Lage', Tänze aus Indien unverändert nach England zu exportieren und sucht seit etwa 1988 nach neuen Ausdrucksformen, die der modernen und, wie sie bekräftigt, 'starken' Persönlichkeit der indischen Frau in der Emigration gerecht werden. Sie ist seit 1988 Direktorin der Jeyasingh Dance Company und hat seit diesem Jahr zahlreiche Stipendien in England erhalten. Sie arbeitet als Choreographin sowohl für Tanz als auch für Theater oder Fernsehen. Bekannt wurde sie durch ihre Innovationen innerhalb des Bharata Natyam-Stils und durch die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Komponisten wie Michael Nyman, Orlando Gough, Christoz Hatzis, Alistair MacDonald und zuletzt Glyn Perrin (Stand Sommer 1995).

Die wechselnden Mitglieder ihrer Kompanie waren bisher immer traditionell ausgebildete Bharata Natyam-Tänzerinnen, die sich durch eine gewisse Experimentierfreudigkeit auszeichnen. Shobana Jeyasingh will nicht wahllos Bharata Natyam mit westlichem Ballett vermischen, sondern vorsichtig, wie sie es formuliert, 'die körperliche Zweisprachigkeit der indischen Tänzerin in der Emigration' erkunden. Jene Zweisprachigkeit, die sich auch in der Kleidung der Inderin in der Emigration ausdrückt: Jeans und T-Shirts auf der einen, traditioneller Sari auf der anderen Seite und ein völlig unbefangener Wechsel zwischen beiden Bekleidungsformen. Bharata Natyam, sagt Jeyasingh, ist wie eine Muttersprache, aber ihre Tänzerinnen finden und erfinden auch andere Tanzsprachen, die etwas über ihre gegenwärtige Situation in der englischen Emigration aussagen. Shobana Jeyasingh wählt die Metapher des 'Ordentlichen und Unordentlichen', um über die Vermischung von Tradition mit Kulturwandelerscheinungen zu sprechen:

Die Arbeit der Kompanie möchte überkommene Vorstellungen über das, was indischer Tanz ist und was seine Möglichkeiten sind, in Frage stellen. Sie ist getragen von dem Glauben an die Offenheit von Tanz gegenüber persönlichem, zeitgenössischen und innovativem Gebrauch.

Shobana Jeyasingh verfügt über eine akademische Ausbildung. Sie erwarb den Titel eines Master of Arts (MA) in dem Fach Literatur an der Universität von Sussex, wo sie sich auf das Studium der Renaissance spezialisiert hatte. Überdies wurde ihr ehrenhalber der Titel eines Bachelor of Arts verliehen. Das Thema der Mappa Mundi der Renaissance spiegelt sich in ihrem Stück "Making of Maps" (1992) wieder. Ihre neuen Choreographien entstammen ganz allgemein ihrer besonderen Lebensweise: eine gebildete Frau indischer Abstammung, die in vier verschiedenen Staaten gelebt hat und zur Zeit in London wohnt. Sie sieht sich selbst als Stadtmensch und die Stadt empfindet sie als positiven Ort des Dialoges, einen Ort ohne ewige Wahrheiten und in einem steten Wandel begriffen. Städter, sagt sie, erfinden ihren Alltag ständig neu, sie ändern sich rasch und stellen immer Fragen. Diese Elemente des Wandels, des Infragestellens und Herausforderns stellt sie in das Zentrum ihrer Choreographien. Das 20. Jahrhundert ist für sie gekennzeichnet dadurch, dass immer mehr Menschen ihre Wurzeln verlassen und an anderen Plätzen leben. Das gilt auch für Menschen, die, wie dies heute oft der Fall ist, erst nach ausgedehnten Reisen in ihre Heimat zurückkehren. Auch sie wissen nicht mehr so genau, wo ihre Wurzeln sind. Jeyasingh glaubt daran, dass sich in den Menschen selbst Unterschiede zwischen Ost und West aufzulösen beginnen. Und dies gelte eben besonders für Weltstädte, in denen eben zum Beispiel Musik aus den entferntesten Gegenden der Welt in Läden an jeder Ecke erhältlich sind. Das sei aber auch sichtbar in den Kunstproduktionen des Westens, die von Einflüssen und Elementen des Ostens zehren, wie in der Musik von Phillip Glass und anderen Komponisten, die mehr an perkussiver oder ungewöhnlicher metrischer Struktur als an Melodielinien interessiert sind.

Die größte Stärke eines klassischen Tanzes, woher dieser auch immer kommen mag, sieht sie in dessen Objektivität in Bezug auf den kontinuierlichen Fluss historischer Veränderungen. Diese Objektivität könne sich nur darin beweisen, mit Vertrauen zur Gegenwart zu sprechen ohne dabei der Vergangenheit gänzlich den Rücken zu kehren. Ganz klar kommt in dieser Sichtweise ihr Anspruch auf die Verpflichtung der Tanzkunst zum Ausdruck, kulturelle Kontinuität in Zeiten der Veränderung aufrecht zu erhalten.

Gleichzeitig ist es ihr ein Anliegen, den Bharata Natyam für ein Mainstream-Publikum zu erschließen. Sie möchte, wie sie es ausdrückt, die Arbeit ihrer Kompanie so wenig wie möglich 'kulturell belasten', jedenfalls soweit dies ohne Abstriche in Bezug auf die spezifische Tanzästhetik des Bharata Natyam möglich ist. Sie betont deshalb auch die 'Objektivität, die ein klassischer Tanzstil bietet'. Alessandra Iyer (1997b: 17) sieht die Klassizität eines Tanzstils zum einen in Abhängigkeit von seiner Virtuosität, zum anderen in einem gewissen Widerspruch mit der Funktion einer rituellen Vorführung stehend. Auch sie verbindet also offenbar mit dem Anspruch der Klassizität einer Kunst eine Art von "Objektivität", wie die Herauslösung aus überlieferten religiösen Funktionen. Dies steht bereits im Widerspruch zu älteren kunstästhetischen indischen Ansichten über die gesellschaftliche Verpflichtung der Kunst, wie sie im Abschnitt "Ästhetik und Wert" (87) anhand der Darlegungen von Coomaraswamy ausgeführt wurden.

In der Vorrede auf ihrem Video 'Making of Maps' referiert Shobana darüber, dass Klassik kein Vorrecht der griechischen Antike sei. Diese Betonung erscheint vorerst übertrieben, denn längst nicht mehr ist das Adjektiv 'klassisch' auf die Antike des griechischen und römischen Imperiums beschränkt. Selbst der Duden läßt die Bedeutungen 'mustergültig, vollkommen, ausgewogen in Inhalt und Form, Maßstäbe setzend, altbewährt oder auch zeitlos' gelten. Jeyasingh selbst verwendete das Wort 'Klassiker' in unserem Gespräch als sie über Cunnigham oder Trisha Brown sprach, die sie liebt und bewundert. Sie mag im übrigen aber auch viele der jungen Kompanien, wie Wim Vanderkeybus oder The Rosas. Sie bemüht sich indes mit ihrer betonten Verwendung des Adjektivs 'klassisch' zum indischen Tanz um die Entwicklung eines 'Worlddance' mit indischer Perspektive, der ein Tanz der indischen Diaspora ist, der Rücksicht nimmt auf kulturelle und körperliche Eigenarten der Inderinnen. Ihr choreographischer Schwerpunkt liegt dabei auf nichtdarstellendem Tanz, obwohl es gerade im Bharata Natyam darstellender Tanz eine große Bedeutung hat. Ihr Tanz stellt sich selbst dar, sagt sie, will kein Abbild von etwas außerhalb seiner selbst sein - auch dann, wenn sie Gesten in ihre Choreographien einbezieht. Sie wolle in diesem Sinn 'Musik für die Augen' schaffen.

Shobana Jeyasingh genießt bereits einen internationalen Ruf. Ich habe 1994 ihre Probenarbeit in London gesehen und davor eine Aufführung von "Making of Maps" in Wien. Ihr Bühnentanzwerk bringt sie so nahe an westliche Sehgewohnheiten, dass indische Besonderheiten der Bewegung und Ästhetik oft nur mehr als Akzente wirken. Die Fremdheit der Inderin wird dadurch für den westlichen Zuseher durchbrochen. Die Tänzerin erscheint jedoch auf diese Art auch vertraut genug, um sich ihr anders als durch den Schleier des exotistischen Interesses zu nähern.

 

Die Collage ist das sich aufdrängende und zweckdienliche Ordnungsprinzip der Choreographie "Making of Maps" von Shobana Jeyasingh und auch der musikalisch- akustischen Begleitung des Stücks, die von einem weißen Engländer, Alistair MacDonald, Lektor an der Universität von Birmingham, und einer Inderin, R.A. Ramamani, MA der Universität von Bangalore, Lektorin am Karnataka College of Percussion und am Natya Institute of Kathak, gemeinsam komponiert und zusammengestellt wurde. Auch die Musik ist eine Collage, bestehend aus modernen Klangwelten, Flughafengeräuschen, Straßenlärm, Radiolauten, Jazz, Techno und klassischer indischer Musik. Shobana Jeyasingh sucht und nutzt die bereits bestehenden Verbindungen zwischen moderner westlicher und östlicher Musik und östlichen rhythmischen Strukturen. Sie präsentiert einen spezifischen Blickwinkel, den sie mit vielen anderen Frauen teilt: Die emigrierte Inderin als Zentrum ihrer persönlichen 'Mappa Mundi', wobei die Landkarte der Renaissance Metapher für ihren spezifischen Blickwinkel, ihre Orientierung und Idee von der Welt in einer Relation zur Heimat (Jeyasingh 1997:32) ist. Die Choreographie zeigt Facetten des Lebens in westlichen Großstädten, die auch vielen von 'uns', europäischen indigenen Städtern, vertraut sind, die uns an Vereinzelung und Konkurrenz erinnern, aber auch an besondere Möglichkeiten von Freundschaften, Anregungen und Freiheiten. Der akustisch immer wieder präsente Flughafen und die zahlreichen Brüche in den Bewegungsabläufen machen einerseits prekäre Grenzen zum Fremden sichtbar, andererseits auch die Selbstverständlichkeit und Routinemäßigkeit ihrer Übergänge: Begegnung mit dem Fremden für eine Emigrantin - oder wie sich Shobana Jeyasingh gerne sieht - für eine 'Weltbürgerin'. Ihre Arbeit enthält neben den traditionellen Elementen indischen Tanzes moderne Elemente, die Brüche offenlegen sollen, wie Auf-dem-Boden-Rollen, Niedersinken und Fallen, gegenseitiges Berühren der Tänzerinnen, gegenseitiges Werfen, Einander-Aufhelfen und ähnliches. Auch das Bühnenbild und die Kostüme der Designerin Andrea Blotkamp, die in Holland und England ausgebildet wurde, spiegeln Instabilität, Übergänge, Schattierungen. Streifen von graublauer Seide hängen in asymetrischen Strukturen von Metallschienen herab und suggerieren Bewegung und Ungleich- gewicht, was durch die Hintergrundbeleuchtung noch betont wird, die die Stoffstreifen sich in Schattenlinien am Boden verlängern läßt. Die Farben der Kostüme reichen von blau über grau und grün bis zu malve. Die feinen Abstufungen verstärken das Gefühl für Prozesshaftigkeit und Mischformen und heben sich von der definierteren Qualität der Primärfarben, welche normalerweise mit indischem Tanz assoziiert werden, ab. Das Kostüm zeigt einfache Linien und lose Draperien, die ebenfalls eine Abweichung von der formellen Strenge, den scharfen fächerartigen Falten und dem reichen außeralltäglichen Schmuck des traditionellen indischen Tanzkostüms darstellen.

Der erste Teil des Tanzstücks handelt von dem Anlegen einer Karte, insbesondere dem Vermessen des Raums. Eine der Tänzerinnen sitzt ganz still, fast als ob sie meditieren würde. Sie begibt sich auf eine innere Reise, wie einen Traum oder eine Vision. Zwei Tänzerinnen durchmessen den Raum indem sie ohne sich zu erheben über die Bühne kriechen und gleiten. Eine andere Gruppe durchquert die Bühne sich in sehr klassischem Vokabular bewegend und etabliert so ein emotionales Verhältnis zum Raum. Der eine Teil heißt 'circles' und seine Choreographie beruht auf Kreisen und Halbkreisen. Ein anderer Teil heißt 'Ta Ka Dhi Mi' und zeigt alle Tänzerinnen im Bewegungseinklang zu einem regelmäßigen Rhythmus basierend auf dem indischen Vierschlag: Ta, Ka, Dhi, Mi. Er taucht zweimal auf und wird in unübliche Bewegungen aufgelöst, wie zum Beispiel die schon erwähnten Bodenrollen. Der gebogene Rücken in der Rolle bildet einen deutlichen Bruch mit der strikt aufrechten (88) traditionellen Rumpfhaltung. Ähnliches gilt für die Abwendung der Tänzerin in Bewegungen, die vom Publikum weg führen, die im Widerspruch zu der frontalen Betonung des klassischen Tanzes stehen.

 

 

 

"Friends"

Zwei Photographien und dazugehörige Labanotation der Körperaktivitäten
Mo= Monisha Patil-Bharadwaj, Vi= Vidya Thirunarayan.
Photos: Chris Nash, 1993. Labanotation: Jean Johnson Jones (Labanotation Institute)
(Shobana Jeyasingh Dance Company. Making of Maps - Resource Pack: 16 f.)

 

Im Abschnitt 'Freunde' entwickelt sich Duett-Arbeit aus einer Tanzphrase heraus. Eine Tänzerin wirft eine andere in einen Sprung. Die Musik reist von Straßengeräuschen zum indischen Raga Keervani, eine schmerzliche Stimmung vermittelnd. Die Duette erforschen intimere Beziehungen zwischen den Tänzerinnen, als ob in einer Reise zu den Wurzeln des Tanzes die abstrakten geometrischen Zwänge abgelegt würden. In den traditionellen Formen des Bharata Natyam sieht man physischen Kontakt in Gruppen und Duett-Arbeit sehr selten, es sei denn im Kontext von Tanzdramen. So wie im 'Ta Ka Dhi Mi' - Abschnitt benutzen die Tänzerinnen hier überdies physischen Kontakt um einander sowohl zu ziehen als auch fallen zu lassen. Hier wird nun eine Mischung aus symbolischer Berührung, zum Beispiel der Hände, gezeigt und der Verwendung von realem Gewicht um eine Partnerin vom Boden zu heben.

Wenn der letzte Ton von 'Keervani' verklingt, beginnt der letzte Abschnitt, 'Resolution'. Die alltäglichen Klänge der Straße erfüllen nach und nach die Bühne. Die kreisenden und konturierenden Bewegungen des Anfangs werden von zwei Tänzerinnen wieder aufgegriffen, die eine zentrale und fast statische Tänzerin umkreisen. Das Trio wird de facto von der zentralen Gestalt durch einen tiefen Schwung des Oberkörpers in Bewegung gesetzt. Langsamkeit verleiht den Körpern Schwere und kontrollierte Ruhe, wie ein Ausatmen nach langem Anhalten des Atems. (Jeyasingh Video und Resource Pack 1992)

 

Die Kathak-Tänzerin Nilima Devi ist der Meinung, dass Jeyasinghs stilistische Ausrichtung auf den Bharata Natyam ihre Art von Arbeit erleichtert. Es ist dies der populärste indische Stil in Indien und auch in England, der am meisten Förderung erfährt und daher auch eine ausreichende Anzahl an Professionalistinnen hervorgebracht hat. Es sei wesentlich schwerer, in England professionelle Kathak-Tänzerinnen für innovative Aufführungen zu bekommen. Aus der Orientierung des Kathak an tänzerischer Improvisation ergeben sich große individuelle Tanzstilunterschiede. Andererseits lädt gerade die improvisatorische Qualität des Kathak zu innovativen Experimenten ein, zu lebendigen und im einzelnen unvorhersehbaren Dialogen mit westlicher Musik etwa. Im Bharata Natyam gibt es fixierte Elemente - Alarippu, Jatisvaram, Sabdam, Varnam, Padam, Javali, Tillana, Mangalam - während der Kathak mehr von der Intensität des Augenblicks und dem improvisatorischen Vermögen von Individuen abhängt. Nilima Devi meinte, Shobana Jeyasingh würde die Teile des Bharata Natyam wie Bausteine (weiter oben wurde von Collagen gesprochen) in stets neuer Anordnung und Perspektive verwenden, was mit dem Kathak, der fixierte strukturelle Elemente in dieser Form nicht kennt, gar nicht möglich wäre. Jeyasingh könne den von ihr beschäftigten Komponisten klare strukturelle Anweisungen geben, die auf eben diesen Bausteinen aufbauten. Nilima Devi sieht hierin gleichermaßen den Aktionsraum und auch die Beschränkung von Jeyasinghs Werk (lt. Interview am 22.3.1994 in Leicester).

Man wirft Shobana Jeyasingh verschiedentlich Anbiederung an den Westen, ein Verleugnen ihrer kulturellen Wurzeln und eine Verflachung des Bharata Natyam vor, die sich aus ihren Interpretationen ergäben. Besonders ihr freier Gebrauch von westlicher Begleitmusik erweckt auf manche andere Tänzerinnen indischer Stile den Eindruck, dass sie an indischem Publikum nicht mehr interessiert sei. Wenn Jeyasingh ihre Tänzerinnen ohne die ansonsten obligaten Fußschellenbänder tanzen lässt, fehlt Inderinnen die gewohnte klangliche Akzentuierung der Schritte. Noch dazu werden die Glöckchen an den Füßen der Tänzerinnen auch als eine Art Garantie für deren Virtuosität gesehen: Nur fertig ausgebildete Tänzerinnen dürfen sie tragen, an halbfertig trainierten Laien würden sie zu rasch Fehltritte und rhythmische Unebenheiten verraten. Inder assoziieren also mit dem Fehlen der Glöckchen mangelnde Virtuosität. Von Jeyasinghs Choreographien her, ist es vor allem die Bereitschaft ihre Tänzerinnen mit dem Rücken zum Publikum tanzen zu lassen, die auf Inder schockierend wirkt, dann auch das Auf-dem-Boden-Rollen oder -Liegen, Haltungen die in die absolute Privatsphäre gehören und nicht auf eine öffentliche Bühne, wie manche meinen. Schließlich spielt auch Konkurrenzdruck und Neid bei der ablehnenden Haltung ihr gegenüber eine Rolle. Sie gehört zu den am besten subventionierten indischen Choreographinnen und es ist unumstritten, dass sie diese hohen Summen vor allem deshalb erhält, weil sie sich zu westlichem und internationalem Publikum hin orientiert, sich gegenüber Einflüssen des westlichen Kunsttanzes öffnet und dadurch auch größere Vorführräume zu füllen vermag. Es ist schon so: wer in ihrem Programmheft als Sponsor genannt wird, erreicht einfach mehr Leute als bei traditioneller orientierten Aufführungen dieses Genres. Umgekehrt wäre ihre auf internationale Tourneen abgestimmte und verschiedenste kulturelle Einflüsse verarbeitende künstlerische Produktionstätigkeit ohne größere Subventionsmittel unvorstellbar, die es ihr ermöglichen, professionelle Tänzerinnen, Musiker und Techniker zu engagieren. Indische Tänzerinnen Englands, die sich mehr als sie um ein Publikum ihrer eigenen kulturellen Herkunft bemühen, fühlen sich hier als zu Unrecht zurückgesetzt und von Subventionsmitteln ausgeschlossen. Sie beklagen, dass der didaktische Wert einer mehr an indischen Traditionen orientierten Arbeit nicht ausreichend gewürdigt wird. Sie sagen, dass Shobana Jeyasingh keine kulturelle Arbeit zur Förderung südasiatischer Minderheiten leiste, sondern sich ausschließlich für ihre kultursynkretistische Performancearbeit engagiert. Demgegenüber leisten viele andere südasiatische Tänzerinnen neben ihrer Performancearbeit vielschichtige tiefergehende und informativere Arbeit auf dem Unterrichts- und dem Sozialsektor, die, so wird argumentiert, direkter der südasiatischen Bevölkerung Englands zugute kommt.

Dieser Punkt ist nicht uninteressant und einiges an Überlegung wert: Was für eine Relevanz hat Multikulturalismus, wenn er sich bloß an westlichen Vorbildern orientieren darf, wenn nur synkretistische Formen unterstützt und gefördert werden? Welchen Platz hat dann das Morphem 'multi' vor 'kulturell' noch? Wird das deklarierte Ziel der Wissenserweiterung über das Fremde hier nicht empfindlich beschnitten? Soll multikulturelle Erziehung umfassende Darstellung der Anderen und Kontextualität beinhalten oder sollte die andere Kultur bloß in appetitlich aufbereiteten Fragmenten serviert werden? Wo die erstere Strategie auf Abwehr des Fremden aufgrund von Überforderung stoßen kann, lotet die zweite Strategie zuwenig kulturelle Räume aus, bietet sie vielleicht zu oberflächliche und verallgemeinernde Sichtweisen an. Übrig bleibt, was in dem allgemeinen Abschnitt über die "Begegnungsfelder" bereits gesagt wurde: jedes dieser Felder muss in einem lebendigen kulturellen Umfeld, das nicht assimilierend, sondern integrativ wirken soll, seinen Platz behaupten können.

 

 

Schlussfolgerungen

 

Tanz hat das Potential in multiethnischen Staaten eine wichtige kulturintegrative Rolle zu übernehmen. Dieses Potential kommt indes nur unter günstigen Bedingungen zur Entfaltung. In Ländern, in denen erstens eine oder mehrere der Bevölkerungsgruppen eine Tanzkunst pflegen, die historisch eine zentrale kulturelle Funktion beibehalten konnten - wie zum Beispiel Asiaten, Afrikaner, Afrokariben - und die zweitens über eigene Traditionen eines funktionierenden Kulturbetriebs verfügen - wie zum Beispiel der Emigrantenstrom der ostafrikanischen Inder, die aus Uganda, Kenia und Tansania vertrieben wurden (Khan 1997: 26) - bilden sich eher selbständige Initiativen zur Förderung ihrer Tanzkunst aus der betreffenden Bevölkerungsgruppe heraus als anderswo. Die dritte und sicherlich wichtigste Bedingung zur Entfaltung des kulturintegrativen Potentials von Tanz ist eine begünstigende interkulturelle Kultur- und Subventionierungspolitik. Ein Land, in dem diese Kriterien recht gut zum Ausdruck kommen, ist Großbritannien, das eine breite Palette an interkulturellen Tanzaktivitäten (89) aufweist. Hier kann sich das integrative Potential des Tanzes nicht nur über den Vorführungsbetrieb der Theaterbühnen, sondern auch im Bildungswesen und in sozialtherapeutischen Anwendungen breit entfalten. Auch die Institutionalisierung der Tanzkultur der Emigranten, insbesondere der Südasien kann als relativ weit fortgeschritten bezeichnet werden.

In Österreich ist der Theaterbetrieb das am besten entwickelte Medium interkultureller Tanzaktivität. Durch personelle Initiative im Rahmen der Tanzfestwochen seit 1982 hat auch Österreich in einem gewissen Rahmen eine besondere Affinität zu indischen Tänzen entwickelt, der allerdings hier anders als in Großbritannien keine historischen oder institutionalisierten interkulturellen Bezüge, außerhalb des generellen, zumindest graduellen Anstiegs der Popularität des indischen Kulturraums im Rahmen der Sechziger- und Siebzigerjahre für den Westen, gegenüber stehen. Der Sektor der interkulturellen Tanzausbildung scheint sich durch private Initiativen in verschieden großem Rahmen - exemplarisch genannt wurden die Wiener Sommer- und Wintertanzwochen als große internationale kulturelle Ereignisse und der relativ kleine Verein Natya Mandir als Organisation für die Verbreitung indischen Tanzes in Wien - ebenfalls recht gut zu entwickeln. Auch hier wirkt die Angebotsauswahl in erster Linie durch die persönlichen Vorlieben der Anbieter geprägt. Das kulturintegrative Potential des Tanzes wird durch diese Aktivitäten jedoch kaum genützt (90). Es verwirklicht sich erst umfassender in seiner Einbindung in das öffentliche Schulwesen unter Berücksichtigung aller wichtigen im Land ansässigen ethnischen Gruppierungen. Die besondere multiethnische Kulturstruktur Österreichs findet jedoch aus Mangel an kulturpolitischem Interesse und gezielter staatlicher Förderung kaum Berücksichtigung. Der Sektor der Einbindung des Tanzes in interkulturelle Allgemeinbildung über das Schulwesen erscheint hier trotz vereinzelter Initiativen noch stark unterentwickelt, ebenso wie der sozialintegrative Bereich der Randgruppenförderung und die Einbindung ethnischen Tanzes in therapeutische Anwendungen, wo noch ein großer Entwicklungsspielraum offen bleibt.


Anmerkungen:

 

63 Naima Prevots ist Professorin für Tanz an der American University in Washington, DC 20016, und engagiert sich für eine Weltperspektive in Hinblick auf Tanz und kreativen Ausdruck. blue2_5.gif zur Textstelle

64 Südasiatischer Tanz beinhaltet alle Tanzformen des Subkontinents. Einige von diesen sind klassisch, wie Bharata Natyam und Kathak, andere sind Volkstanzformen. Kathak wird sowohl in Indien als auch in Pakistan praktiziert, Bharata Natyam in Indien und Sri Lanka, Singapur, Malaysia ... Daher die Notwendigkeit den Terminus "indisch" zu verwerfen. (Iyer 1997:1) blue2_5.gif zur Textstelle

65 Zahlenangaben des Central Statistical Office in London aus dem Labour Force Survey von 1993 und dem Population Census von 1991. blue2_5.gif zur Textstelle

66 Census von 1991, zitiert nach Baumann 1995:725. blue2_5.gif zur Textstelle

67 Ich schulde meinen Dank den Tänzerinnen und Tänzern Nilima Devi, Piali Ray, Pushkala Gopal und Unnikrishnan, Shobana Jeyasingh und Vijayambigai Indra Kumar, die ich 1994 und 1995 interviewen durfte. Sie gestatteten mir Einblick in die sehr unterschiedlichen Aufführungspraktiken, Intentionen und Arbeitsbedingungen indischen Tanzes in England. Zusätzlich erhielt ich in dankenswerter Weise Informationen über die Kulturpolitik, tanztherapeutische Aktivitäten und Tanzanimationen für verschiedene Bevölkerungsgruppen sowie Tanzaktivitäten an englischen allgemeinbildenden Schulen und in der Erwachsenenausbildung durch Mira Kaushik, Direktorin der Academy of Indian Dance, Dr. M. N. Nandakumar, Direktor des Bharata Vidya Bhavan und Piali Ray, Direktorin von Sampad und Vorsitzende von ADiTi, womit ich die vier wichtigsten und aktivsten Organisationen für indischen Tanz in England erfasst habe, aber auch durch Werner Menski, der mir durch seine Sachkenntnis sehr behilflich war. Die Bibliotheken des Royal Anthropological Institute, der Academy of Indian Dance und die Archive von Sampad brachten zusätzlich schriftliche Quellen, Bücher, Artikel und Konferenzpapiere zutage. Von vielen der Tänzer und Institute konnte ich darüber hinaus illustrative Videos und Fotomaterial erhalten, die eine wertvolle Bereicherung des Quellenmaterials darstellen. blue2_5.gif zur Textstelle

68 Video & Ressource Pack Making of Maps, Jeyasingh Dance Company, London Dance Line Productions, 1995. blue2_5.gif zur Textstelle

69 Es ist an dieser Stelle vielleicht zielführend daran zu erinnern, dass neben Angehörigen europäischer Familien auch die zweite Generation der Emigranten - wenn auch zu unterschiedlichem Grad- zu dieser Gruppe der westlich Akkulturierten gehört. blue2_5.gif zur Textstelle

70 vgl. Kap.2 "Vom Ritual zur Bühnenkunst", den Abschnitt über die Reritualisierung des indischen Tanzes in der Rückbesinnung auf alte Überlieferungen in "Soziale und formale Neuorientierung". blue2_5.gif zur Textstelle

71 Informant zu diesem Abschnitt: Direktor Dr. M.N. Nandakumar, Interview am 10.3.1994 im Londoner Sitz der Organisation, 4a Castletown Road, London W149HQ. blue2_5.gif zur Textstelle

72 Vgl. auch Kapitel "Multikulturalität und Tanz", Abschnitt "Der Prozess der Institutionalisierung" blue2_5.gif zur Textstelle

73 Statistische Übersichten 1/1996, Blatt 14 "Bevölkerung", 14.1. "Bevölkerungsstand und Vorausschätzung", vom Österreichischen Statistischen Zentralamt. Eine Fortschreibung der Volkszählungsergebnisse von 1981 und 1991 unter Berücksichtigung der Geburten, Sterbefälle und Einbürgerungen sowie von Schätzwerten für den Wanderungssaldo (ab 1991 revidierte Zahlen). Die Zahlen wurden von der Autorin der vorliegenden Arbeit auf ganze Tausenderstellen gerundet. blue2_5.gif zur Textstelle

74 "Statistische Nachrichten" 7/1995:498 und 500. blue2_5.gif zur Textstelle

75 "Beiträge zur österreichischen Statistik", Heft 1.167, Wien 1995: "Das Schulwesen in Österreich, Schuljahr 1993/95". blue2_5.gif zur Textstelle

76 In dieser Landkarte nehmen allerdings auch die historisch bedingte und auch im Westen populäre Reritualisierung indischen Tanzes und die Proklamation des Sadir zum Bharata Natyam und in der Folge zum zentralen Tanzstil Indiens enthistorisierte und absolute Züge an.

vgl. Abschnitt "Reimport und Revival 'nationaler' Tanzformen" im Kapitel "Vom Ritual zur Bühnenkunst"  blue2_5.gif zur Textstelle

77 Einige Aspekte der historische Entwicklung dieser Vorrangstellung Englands auf dem Gebiet des Tanzes innerhalb Europas werden weiter hinten erläutert. blue2_5.gif zur Textstelle

78 Tanz Affiche (8. Jahrgang, Nr.55, Februar/ März 1995:5) und ÖKS (1994). blue2_5.gif zur Textstelle

79 Tanz Affiche, 7. Jahrgang, Nr. 52, August/ September 1994: 24f. blue2_5.gif zur Textstelle

80 Interviews mit Christine Kaufmann in Wien 1995 und 1996. Diese sind auch die Quelle des folgenden Abschnitts über Finanzierungsprobleme von Tanzprojekten an Österreichs Schulen. blue2_5.gif zur Textstelle

81 Ausschnitte aus dem Interview vom 31.1.1996 in Wien. blue2_5.gif zur Textstelle

82 "Kolo" bedeutet "Kreis", "Rad", und ist eine Bezeichnung für alle Tänze des ehemaligen Jugoslawien, die im Kreis oder offenen Halbkreis getanzt werden (Kastenhuber 1994:16 verweist auf Haselbach et al. 1990:361)blue2_5.gif zur Textstelle

83 Die Bewegungsanalytische Tanztherapie nach Cary Rick fokussiert ihre Methode auf eine Analyse der Motorik und nicht auf den tänzerischen Ausdruck verborgener Bewusstseinsschichten wie andere Schulen.blue2_5.gif zur Textstelle

84 Vergleiche hierzu auch das Kapitel "Vom Bühnentanz zum Ritual", insbesondere die beiden Abschnitte "Der Fundus der Fremde" und "Die neuen Riten: Transformation, Therapie, Kritik".blue2_5.gif zur Textstelle

85 Interview am 8.6.1995 in der Academy of Indian Dance in London. Videomitschnitte der Arbeit der Schule.blue2_5.gif zur Textstelle

86 Quellen: Interview mit Shobana Jeyasingh am 16. April 1994 in London, Begleitheft zu ihrem Video "Making of Maps" 1992 und einleitender Vortrag auf demselben Video.blue2_5.gif zur Textstelle

87 Siehe Kapitel "Grundlagen".blue2_5.gif zur Textstelle

88 Die Wirbelsäule wird allerdings in diesem Stil häufig seitwärts gekrümmt.blue2_5.gif zur Textstelle

89 Als Kritik aus dem eigenen Land wurde mancherorts geäußert, dass sich die Interkulturalität Großbritanniens allerdings mehr auf die Polarisierung zwischen der weißen, männlichen, europäischen Kultur gegenüber allen anderen Kulturen bezieht, während diese anderen Kulturen, zum Beispiel Inder und Afrokariben, keine Zeit füreinander haben, sondern sich in einem ständigen Dialog mit dem weißen Establishment befinden. (z.B. Iyer 1997a:2).blue2_5.gif zur Textstelle

90 Die Aktivitäten des Natya Mandir kommen allerdings dem interkulturellen Austausch zwischen Indern und Nichtindern in Österreich zugute. "Kaum" bezieht sich in diesem Fall nicht auf die qualitative, sondern bloß auf die quantitative, gesamtkulturelle Relevanz dieses Austausches, da es sich um eine ethnische Gruppierung von geringer Größenordnung im Vergleich zu den dominanten Immigrationsgruppen handelt. blue2_5.gif zur Textstelle


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Univ.-Doz. Dr. Marianne Nürnberger Uni Wien