Der kroatische „Krieg“ um die Erinnerung

Der Heimatländische Krieg hat die Kroaten dermaßen zusammengeschweißt, dass sie ein „Krieg um die Erinnerung“ an Jasenovac und Bleiburg nicht ernsthaft auseinanderbringen kann

Unter dem Titel „Krieg um die Erinnerung“ ist vor einigen Monaten in Frankfurt ein Buch der Wiener Politikwissenschaftlerin Ljiljana Radonic erschienen, in dem die Mediendebatten über Jasenovac und Bleiburg in Kroatien analysiert werden. Es geht um den Umgang mit jenen Ereignissen aus der Vergangenheit, die in der kroatischen Öffentlichkeit seit dem Ende der 1989er bis heute einen zentralen Platz einnehmen und in dem sich das Verhältnis der Kroaten zur NDH, zu Jugoslawien und dem Sozialismus widerspiegelt. Zwischen 1990 und 2008 hat sich dieses Verhältnis gewandelt. Die Autorin studierte sorgsam mehrere Hundert in Kroatien zwischen 1985 und 2008 erschienene Zeitungsartikel. Ende der 1980er wurde Jasenovac als Todeslager charakterisiert, während Bleiburg keine Erwähnung fand. Während der Tuđman-Regierung wurde der Antifaschismus delegitimiert, viele antifaschistische Denkmäler wurden zerstört und Jasenovac und Bleiburg miteinander gleichgesetzt. Anfang der 1990er kam es zu einer rot-schwarzen Koalition (aus Partisanen und Ustascha), so dass fast keine Teilung in Faschisten und Antifaschisten mehr existierte. Die Erinnerung an Jasenovac wurde mit der Verurteilung eines serbischen Faschismus verknüpft, und es gab den Plan, in Jasenovac auch jene Kroaten zu begraben, die im Heimatländischen Krieg gefallen waren. Diese Debatte über das „Mischen von Knochen“ wurde ebenso beleuchtet wie der Revisionismus und Antisemitismus von Franjo Tuđman klar erkannt wurde. Während der Zagreber Vjesnik Ansichten ähnlich jenen Tuđmans vertrat, hielt Novi list aus Rijeka an der Charakterisierung von Jasenovac als Todeslager fest und dort wurde abgestritten, dass Kroatien eine Versöhnung von Faschisten und Antifaschisten brauche. Während in Vjesnik Bleiburg als „kroatischer Holocaust“,  „nationales Golgota“ und „Kreuzweg“ bezeichnet wurde, die Opferzahlen übertrieben und die Täter als Jugo-Partisanen und Serbo-Kommunisten externalisiert wurden, unterschied man in Novi list zwischen unschuldigen Opfern und getöteten Ustascha, aber auch hier wurden die Serben als neue Faschisten gedeutet. Die Autorin hat gut erkannt, dass die Berufung auf den Antifaschismus im Widerspruch zur Viktimisierung Bleiburgs steht.

Nach 2003 ändert sich die Vergangenheitspolitik unter dem Druck Brüssels. Auch in Vjesnik wird der Bleiburg-Diskurs bunter. Eine Debatte wird darüber eröffnet, ob Bleiburg das Werk von Serben und Jugo-Kommunisten sei (Vjesnik) oder auch der Kroaten (Novi list). Verschiedene Arten der Ethnisierung des Verbrechens werden deutlich. Die Nationalisten wiederholen weiterhin, Bleiburg sei nur gegen Kroaten gerichtet gewesen, während Jasenovac ein Sammellager gewesen sei. Die Kapitulation der NDH wird über Bleiburg in eine Tragödie verwandelt. Die andere Seite behauptet hingegen, dass niemand von den Ermordeten in Jasenovac schuld an den Bleiburger Opfern sei, während in Bleiburg viele waren, die für die Morde in Jasenovac verantwortlich waren und dass der Kommandant der Kolonne, die in Bleiburg zerschlagen wurde, Maks Luburić war, der erste Kommandant von Jasenovac. In der Zeitung aus Rijeka wird hinzugefügt, man solle nicht verheimlichen, dass in die Liquidierungen in Bleiburg auch Andija Hebrang, Franjo Tuđman und Janko Bobetko verwickelt waren. Die Autorin weist überzeugend, klar und maßvoll auf viele Mäander der kroatischen Debatte über Antifaschismus, die Bereinigung des Antifaschismus von Kommunismus, die Relativierung der NDH, aber auch auf die Widerstände gegen diese Entwicklungen hin.

Dennoch kann die Frage nicht vermieden werden, ob die dargestellte Spannung der kroatischen Erinnerung zwischen Jasenovac und Bleiburg von struktureller Natur ist. Nein, da sie nicht gefährlich für das System werden kann? Über eine strukturelle Spannung könnte man sprechen, wenn es um den Krieg um die Erinnerung in Bezug auf die Natur des Heimatländischen Krieges ginge: Befreiung oder Sezession. Das fehlt. Der blinde Fleck der kroatischen Erinnerungspolitik ist gerade das Verhältnis zum Heimatländischen Krieg. Es geht nicht nur darum, ob es während der Operation „Sturm“ zu einem Genozid gekommen ist, worauf Srđan Vrcan aufmerksam gemacht hat, sondern darum, ob der Sinn des Heimatländischen Krieges die Befreiung oder die Sezession war. In Kroatien wurde diese Debatte niemals eröffnet. Vielmehr handelt es sich nicht um eine bloße Befreiung, sondern um die Stunde null kroatischer Geschichte. Der Heimatländische Krieg hat die Kroaten dermaßen zusammengeschweißt, dass sie ein „Krieg um die Erinnerung“ an Jasenovac und Bleiburg nicht ernsthaft auseinanderbringen kann. Es ist schade, dass in diesem wichtigen Buch dieser Befreiungskontext unterschätzt worden ist. Wenn ihm größere Bedeutung zugemessen worden wäre, hätte sich logisch die Frage ergeben, ob in Kroatien wirklich ein Krieg um die Erinnerung herrscht oder es sich um eine weniger wichtige, wenn auch quälende Differenz der Akteure handelt, die sich sonst demonstrativ über den neuen Mythos von der endgültige Befreiung aus dem jugoslawischen Kerker und vom Serbo-Kommunismus einig sind. Deshalb sollte die Spannung zwischen Jasenovac und Bleiburg nicht zu einem Krieg um die Erinnerung erklärt werden. Über einen Krieg könnte man möglicherweise sprechen, wenn sich die Kroaten in Bezug auf die Frage nach dem Sinn der Operationen „Blitz“ und „Sturm“ von 1995 spalten würden. Da über diese Dinge in Kroatien nicht gesprochen wird, gibt es auch keinen Krieg um die Erinnerung. Außerdem haben die Normalisierung der Erinnerung und das Verbot des Jugoslawismus in der kroatischen Verfassung in Wirklichkeit die Debatte über Jasenovac und Bleiburg kastriert. Da es sich nur um scharfe Debatten zwischen antifaschistischen und antijugoslawischen Gleichgesinnten handelt, hätte der Titel dieses Buches ruhig unter Anführungszeichen gestellt werden können. Das bedeutet jedoch nicht, dass es kein wichtiger Beitrag zur Erklärung der zeitgenössischen kroatischen Erinnerungskultur und der Rolle der bewaffneten Vergangenheit beim Verschwinden Jugoslawiens ist.

Professor an der Philosophischen Fakultät in Belgrad

Todor Kuljić

Veröffentlicht in: Politika, 15.12.2010

http://www.politika.rs/rubrike/ostali-komentari/Hrvatski-rat-oko-secanja.sr.html