Krieg um die versöhnende Erinnerung – Vergangenheitspolitische Diskurse in Kroatien zwischen historischem Revisionismus und europäischen Standards

 

Forschungsleitend ist die Frage nach dem Wandel der Vergangenheitspolitik und der „Geschichte des Sagbaren“ (Achim Landwehr) im Laufe von vier politischen Phasen: der Endphase des Sozialismus (1985-1990), der Tudjman-Ära (1990-1999), der sozialdemokratisch angeführten Koalition nach den Wendewahlen (2000-2003) und nach dem Wahlsieg der reformierten ehemaligen Tudjman-Partei HDZ (2003-2008). Der Begriff Vergangenheitspolitik zielt dabei auf den politischen, justiziellen und kulturellen Umgang einer demokratischen Gesellschaft mit ihrer diktatorischen Vergangenheit ab, ohne symbolische Politikformen oder Diskurspolitik auszuschließen.

Kroatien kann in der Tuđman-Ära als autoritäres Wahlregime mit starken Demokratiedefiziten bezeichnet werden, was sich auch in der Durchsetzung der Vergangenheitspolitik, vor allem in der Repression kritischer Medien niederschlug. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass eine entscheidende Demokratisierung erst 2000 erfolgte, wird angenommen, dass die Jahre 1990 und 2000 diskursive Wende darstellten. Untersucht soll jedoch auch werden, ob mit dem neuerlichen Wahlsieg der ehemaligen Tuđman-Partei 2003 die Vergangenheitspolitik ebenso eine Wende nahm. Zum Abschluss soll nach dem Zusammenhang zwischen den sich seit der Holocaust-Konferenz in Stockholm im Jahr 2000 herausbildenden europäischen Standards der Erinnerung und dem nationalen Opfernarrativ gefragt werden: Wie wirkte sich die zunehmende Durchsetzung des Holocaust als gemeinsamem, negativem europäischem Gründungsmythos auf die Vergangenheitspolitik des seit 2000 auf den EU-Beitritt ausgerichteten Kroatiens aus?

Als Methode für den diskursanalytischen Kern der Arbeit dient die Diskursanalyse in Anlehnung an Reiner Keller und Siegfried Jäger. Analysiert wird die Berichterstattung in der staatlichen Zeitung Vjesnik und (der von 1993-2000 einzigen unabhängigen Tageszeitung) Novi list über drei diskursive Höhepunkte: die jährlichen Gedenkveranstaltungen in Jasenovac und Bleiburg sowie den Gerichtsprozess gegen den ehemaligen Jasenovac-Kommandanten Dinko Šakić.

Den theoretischen Hintergrund für die Untersuchung bilden neben vergangenheitspolitischen Konzepten Nationalismus- und Gedächtnistheorien, sowie die Schriften zur „Aufarbeitung der Vergangenheit“ der Kritischen Theorie.