(Zwischenwelt, Nr.1/2, 2005)
Ljiljana
Radonic berichtet in ihrem Buch Die
friedfertige Antisemitin? von diesen ganz gewöhnlichen deutschen und österreichischen
Frauen, welchen plötzlich, bedingt durch den
„Kriegs -„ oder „Osteinsatz“, zahlreiche berufliche Karrieren in bis
dahin ungekanntem Ausmaß offen standen.
Dieser empirischen Darstellung aber liegt eine theoretische Frage zugrunde, die
die Autorin in ihrer Studie zu beantworten versucht: Sind Frauen ebenso
antisemitisch wie Männer? Oder gibt es geschlechtsspezifische Merkmale, eine
Differenz zwischen dem Antisemitismus von Frauen und Männern? Ist der
autoritäre Charakter ein rein männliches Phänomen? Und gelingt es Frauen
ebenso wie Männern einen „psychischen Gewinn“ aus dem Antisemitismus zu
ziehen?
Provoziert
durch Margarete Mitscherlichs Buch Die
friedfertige Frau, bildet dessen Kritik gleichsam den Dreh- und Angelpunkt
von Radonic‘ Überlegungen: Die berühmte Psychoanalytikerin behauptet, daß
Frauen aufgrund ihrer Über-Ich Strukturen zum Antisemitismus erst gar nicht
fähig seien, ihm vielmehr nur „verfallen“ würden, gleichsam „als Folge ihrer
Identifikation mit männlichen Vorurteilen“. Aus Angst vor Liebesverlust neigten
sie dazu, „sich mit dem Aggressor zu identifizieren, sich seiner Meinung zu
unterwerfen und sie zu teilen.“ Dermaßen entmündigt und von Männern
instrumentalisiert enthebt Mitscherlich die Frauen jeder Verantwortung für nationalsozialistische
Verbrechen. Gerade aber diese These von der Frau als Opfer stieß in der
Frauenbewegung auf große Resonanz: Sofern Feministinnen sich überhaupt mit dem
Thema Frauen und Nationalsozialismus beschäftigten, übernahmen sie zumeist
unhinterfragt Mitscherlichs Ideologie von der Frau als dem weniger aggressiven,
viel mehr friedfertigen Geschlecht.
Ljiljana
Radonic ist die erste, die sich kritisch und systematisch mit den Thesen der
Analytikerin auseinandersetzt und auf der Grundlage der Psychoanalyse das
Verhältnis von Frauen und Antisemitismus untersucht. Nach einer kurzen
Einführung in die Grundbegriffe der Lehre Freuds stellt sie die Frage, ob die
Psychoanalyse heute überhaupt noch imstande ist, die Theorie des
Geschlechterverhältnisses erklären zu können; eine durchaus berechtigte Frage,
wird doch von vielen Feministinnen die Psychoanalyse insgesamt als
biologistisch und frauenfeindlich verworfen. Auf sehr differenzierte Weise
kritisiert die Autorin Freuds Theorie der Weiblichkeit, arbeitet deren
Schwachpunkte heraus, insbesondere den Biologismus, verweist aber zugleich auch
auf Ambivalenzen. Freud, der sich bekanntlich davor hütete, seine Erkenntnisse
als endgültig und abgeschlossen zu betrachten, bewahrte sich insbesondere in
der Frage des Geschlechterunterschiedes stets eine gewisse Skepsis, die ihn
offen machte für jede neu gewonnene Beobachtung und Erfahrung. Radonic verweist
in diesem Zusammenhang sowohl auf seine widersprüchlichen Bemerkungen über den
weiblichen Masochismus, von dessen gesellschaftlicher Bedingtheit Freud
überzeugt war, als auch auf seine ambivalenten Aussagen zum weiblichen
Narzißmus. Und sie widerlegt vor allem die These, daß Frauen aufgrund
mangelnder Kastrationsangst ein schwächeres Über-Ich haben als Männer. Unverzichtbar
sei die Psychoanalyse, so die Autorin, weil sie erklären kann, „wie sich
gesellschaftliche Zwänge im Allgemeinen auf die Psyche der Einzelnen - Männer
wie Frauen – auswirken ... und warum nicht zugelassene und verdrängte Wünsche
und Bedürfnisse auf gefährliche Art nach außen kanalisiert werden können“.
Um mögliche
geschlechtsspezifische Formen des Antisemitismus begreifen zu können, stellt
Radonic anschließend zunächst die ganz allgemeine Frage, welchen „psychischen
Gewinn“ Antisemiten aus ihrem Haß auf Jüdinnen und Juden ziehen, bzw. nach dem
Stellenwert der gesellschaftlichen Bedingtheit dieser Form der Konfliktlösung.
In Anlehnung an die Kritische Theorie werden anhand der grundlegenden Studien zum autoritären Charakter von
Adorno u.a. jene psychischen Mechanismen dargestellt, die diesem „Charakter“
zugrunde liegen, wie Verdrängung und Aggression, Macht und Disziplin, gestörte
Objektbesetzungen, der anale Charakter, konformistische Rebellion sowie die
pathische Projektion. „Das Pathische am Antisemitismus“ schreiben Adorno und
Horkheimer in der Dialektik der
Aufklärung, “ist nicht das projektive Verhalten als solches, sondern der
Ausfall der Reflexion darin. Indem das Subjekt nicht mehr vermag, dem Objekt
zurückzugeben, was es von ihm empfangen hat, wird es selbst nicht reicher,
sondern ärmer.“
Wesentlich
auch ist Radonic‘ Unterscheidung zwischen Rassismus und Antisemitismus: Ist der
Antisemit immer auch rassistisch, so tritt bei ihm noch ein grundsätzliches
Moment hinzu: „Zu all den Merkmalen rassistischer Projektion kommt dem
Antisemiten zusätzlich noch die Möglichkeit gelegen, Hass gegen Autoritäten
ohne Schaden für die Wir-Gemeinschaft auf andere als Autorität Imaginierte abwälzen zu können.“ Gezielt wird dabei auf
die Juden als die vermeintlichen Repräsentanten des Geistes und des Geldes.
Was
schließlich die Frage des „psychischen Nutzens“, den der Antisemit und die
Antisemitin aus seiner bzw. ihrer wahnhaften Projektion bezieht, anlangt, so
ist der freilich nur im Rahmen von Freuds Massenpsychologie und deren
Interpretation durch die Kritische Theorie zu beantworten: Denn erst in einer
ihm gleich gesinnten Gemeinschaft oder Masse kommt es, so die Autorin, zu jener
kollektiv-narzistischen Aufwertung, die der Antisemit braucht, um seinen
Affekten freien Lauf zu lassen. Dazu bedarf es zugleich eines Objekts, bzw.
Führers, das an die Stelle des Ich-Ideals - der verinnerlichten Autorität des
Vaters - tritt. Die Ersetzung dieser
internalisierten Autorität durch das Objekt, des nationalsozialistischen Staates,
aber schafft durch die Identifikation des Einzelnen als auch der Individuen
untereinander eine direkte Bindung an den Führer, wodurch das Gewissen außer
Kraft gesetzt wird; erst jetzt kommt es zur kollektiven Entladung des
antisemitischen Hasses.
Dieser
antisemitische Wahn aber kennt kein Geschlecht, wie Radonic in ihrem letzten
Kapitel Geschlechterverhältnis und Antisemitismus nachweist. Darin geht
es, abgesehen von der bereits erwähnten Aufdeckung der Verstrickung von
Frauen in die nationalsozialistischen Verbrechen und ihrer damit verbundenen
narzistischen Aufwertung, die sie als Angehörige der deutschen
Volksgemeinschaft im Kampf gegen die Juden erfuhren, auch um die kritische
Auseinandersetzung unterschiedlicher feministischer Positionen.
Nicht nur
war von zahlreichen Historikerinnen bis in die späten achtziger Jahre die
Beteilung von Frauen am Nationalsozialismus kaum thematisiert worden, sondern,
und das war weitaus problematischer, ihre Geschichte wurde häufig in einem
gleichsam identitätsstiftenden Sinne umgeschrieben; geeint in dem Versuch,
Frauen als Opfer nationalsozialistischer Herrschaft darzustellen, sprechen
diese Autorinnen ihre Geschlechtsgenossinnen von jeder Verantwortung und Schuld
frei. KZ-Aufseherinnen, so heißt es etwa, seien bloß von Männern
instrumentalisierte „Aufsichtsmaschinen“ gewesen, Denunziantinnen hätten aus
„Rachegelüsten für patriarchale Verkehrsformen“ gehandelt, und überhaupt seien
Frauen genau wie Juden Opfer patriarchaler Herrschaft gewesen. Bei Mitscherlich
rangieren Frauen im nationalsozialistischen Staat gar nur „knapp vor den
Kühen“. Feministischen Theologinnen blieb es allerdings vorbehalten, Kritik am
Patriarchat mit genuinem Antisemitismus zu verbinden und mehr oder weniger
indirekt zu behaupten, Juden seien an ihrer Vernichtung selber schuld, was eine
besonders widerliche Form der Verkehrung von Opfern und Tätern und
Verharmlosung der Shoah darstellt.
Radonic ist
zuzustimmen, wenn sie schreibt, daß die Theorie des Patriarchats für die
Erklärung aller Formen der Vergesellschaftung, einschließlich des
Nationalsozialismus, „in höchstem Maße unzulänglich ist“. Indem sie aber auf
die Entstehung des autoritären Charakters in der Familie, also unter der
Autorität des Vaters, hinweist, deutet sie selbst, ohne es zu wollen, darauf
hin, daß ein psychoanalytisch reflektierter Begriff von Patriarchat, der die
kritische Theorie der Gesellschaft mit einschließt, notwendig wäre, um zu
begreifen, in welcher Weise sich der autoritäre nationalsozialistische Staat in
den Individuen etablieren kann. Ein solcher Begriff müßte im selben Sinn
erklären können, worin die Differenz besteht, die im anderen Falle die
Etablierung eines solchen Staates nicht erlaubt.
Wenngleich
schon allein die historischen Fakten jeden Zweifel an der These von der Frau
als dem „friedfertigen Geschlecht“ beseitigen sollten, so muß dennoch auch
deren psychoanalytische Begründung überprüft werden. Radonic macht dies zum
einen an dem Begriff der Kastrationsangst fest, den sie als weitgehend
symbolisch und für beide Geschlechter gültig – als „Einschränkung sexueller
Strebungen durch den/die mächtige(n)
Rivalen/in“ – begreift. Das Verdrängungs- und Aggressionspotential aber wäre
dann, entgegen Mitscherlichs Behauptung, bei Mädchen und Knaben das gleiche. Andrerseits
aber verweist sie auf Else Frenkel-Brunswick‘ und Sanfords Studie „Die
antisemitische Persönlichkeit“, die 1944 in den USA mit Studentinnen
durchgeführt wurde. Demnach verläuft der potentielle Unterschied auf ganz
bestimmte Weise entlang der Geschlechterrolle und betrifft die jeweils
verdrängten Inhalte: Weil Männern gemeinhin Aggressionen eher zugestanden
werden als Frauen, so Radonic,
verschieben und projizieren sie „nur“ jene Aggressionen, die gegen eigene
Autoritäten gerichtet sind, „während der andere Teil sowieso ungehindert an
Schwächeren ausgelassen wird“. Frauen hingegen, „die sich im größeren Maße als
Männer als ohnmächtig erfahren“, äußern nicht zuletzt aus Angst vor
Liebesverlust, in jeder Hinsicht weit weniger Aggressionen, die sie aber
gleichwohl haben. Antisemitismus und Rassismus bieten also auch hier die
perfideste Möglichkeit psychischer Entlastung.
Ljiljana Radonic. Die friedfertige Antisemitin? Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis
und Antisemitismus, Europäische Hochschulschriften, Verlag Peter Lang,
Frankfurt a. Main, Bd./Vol.508, 178 Seiten, Euro 39.-