Peer Review


Die Bedeutung von Peer Review
Die Funktion von Peer Review ist vielfaltig; in der Hauptsache werden folgende drei Ziele verfolgt:

(i) die Qualitätssicherung von wissenschaftlichen Veröffentlichungen,
(ii) darauf aufbau-end die Karriereplanung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch nachvollziehbare, möglichst“objektive”, quantitative Kriterien, sowie
(iii) die Beurteilung von Finanzierungswürdigkeit wissenschaftlicher Forschungsprojekte.

Die Bedeutung von Peer Review bei der wissenschaftlichen Karriere ist enorm: eine Publikation, welche in einer Zeitschrift erscheint, deren Beitrage nicht dem Peer Review unterworfen werden, ist zumeist “nichts wert”. Deshalb sind sowohl der wissenschaftliche Nachwuchs, als auch die arrivierten Wissenschafter gezwungen, sich dem Verdikt der Gutachter zu stellen. Obwohl die meisten Autoren hinter verschlossenen Türen ihre Frustration im Umgang mit dieser Art von Zensur ausdrucken, gilt es als unangebracht, darüber öffentlich Kritik anzubringen; es sei denn, man ist gewillt, sich demVorwurf auszusetzen, dass man nur über die Kritik der ganz persönlichen unzureichenden Forschungstätigkeit lamentiert (englisch “whiner”).

Peer Review wird auch als Hilfe fur den Autor gesehen, seine Arbeiten zu verbessern. Den Herausgebern dient Peer Review zur Vermeidung der Veröffentlichung von unbedeutenden, plagiativer, fehlerhaften, falschen oder gar gefälschten Resultaten. Ob diese Vorteile, sollten sie realisiert werden, die noch zu nennenden Nachteile der wissenschaftlichen Zensur aufwiegen; darüber mag sich jeder Leser ein eigenes Urteil bilden.
Schließlich sind es nicht zu einem geringenTeil sein Steuergeld und seine Interesse am Fortschritt, die hier betroffen sind.
Peer Review im historischen Wandel.
Die historische Entwicklung von Peer Review ist noch wenig dokumentiert, verdiente aber eingehenderer Betrachtungen. Nach 1650 entstanden die ersten Zeitschriften von wissenschaftlichen Gesellschaften, deren Mitglieder sich als “Peers” verstanden. Beispiele sind das Institut de France oder der Royal Society of London, welche fruhe Zeitschriften wie das Journal des Savants oder die Philosophical Transactions herausgaben, die sich bereits Fachgutachter bedienten. In welcher Form dies geschah, wurde noch nicht hinreichend untersucht. Dass es bereits fruh zu erstrebenswerten Verbesserungswünschen kam, dokumentiert beispielsweise ein Zitat von Babbage um 1830 [1]:
... it would be a material improvement on the present mode, if each paper were referred to a separate Committee, who should have sufficient time given them to examine it carefully, who should be empowered to communicate on any doubtful parts with the author; and who should report, not only their opinion, but the grounds on which that opinion is formed, for the ultimate decision of the Council...
Keine Rede ist hier von der Notwendigkeit der Anonymitat der Begutachtung; und genauso wenig von ihren Kosten.
Peer Review hat sich im angloamerikanischen Raum, insbesondere in den USA, herausgebildet. Schließlich hat sich das amerikanische Peer Review-Modell ganzlich



Nutzt Peer Review mehr als schaden anzurichten?

Letztlich ist diese Frage vermutlich nicht mit einem klaren “Nein” oder “Ja” zu beantworten. Zu komplex sind die Zusammenhänge mit wissenschaftlicher Karriereplanung und Geschäft. Jeder sollte sich selbst darüber ein Urteil bilden. Der Autor anerkennt zwar die großen Vorteile und Hilfen, die ihm Peer Review im Rahmenseiner wissenschaftlichen Tätigkeit geboten hat; er glaubt allerdings, dass diese Vorteile zumindest teilweise wieder wettgemacht wurden durch oft sinnlose Verzögerung der Publikation, verbunden manchmal mit einer Verzerrung des Inhaltes und sinnlosem Aufwand. Dies mag für ausgefallene “originelle” und innovative Inhalte eher gelten als für gut etablierte, wo die Qualitätsverbesserung durch Peer Review wohl eher zum Tragen kommt.
Letzt endlich wird vermutlich der Kostenfaktor ausschlaggebend sein; die Bibliotheken und öffentlichen Haushalte, sowie die autonomen Universitäten werden die explodierenden Kosten der Printmedien, welche Peer Review betreiben, nicht mehr zahlen wollen und können. Und die Peers werden nicht mehr unbezahlt und beinahe unbedankt aufwendige Gutachten erstellen wollen. Bedeutende wissenschaftliche Organisationen, wie etwa das Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS), die Max-Planck-Gesellschaft (MPI) oder die Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), um nur einige zu nennen, bekennen sich bereits jetzt in ihrer “Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen” eindeutig zu offenen, frei zugänglichen elektronischen Archiven. Dort werden auch klar die veränderten Rahmenbedingungen für das Peer Review ausgesprochen: “Es ist klar, das diese Entwicklungen das Wesen des wissenschaftlichen Publizierens und des existierenden Systems der Qualitätssicherung grundlegend verändern können.”[[...]] Wir beabsichtigen deshalb unsere Forscher und Stipendiaten dazu anzuhalten, ihre Arbeiten nach dem “Prinzip des offenen Zugangs” zu veröffentlichen; [[...]]Mittel und Wege zu finden, um für die “Open Access”-Beiträge und Online- Zeitschriften die wissenschaftliche Qualitätssicherung zu gewahrleisten und die Regelnder “Guten Wissenschaftlichen Praxis” einzuhalten; dafür einzutreten, dass “OpenAccess”-Veröffentlichungen bei der Begutachtung von Forschungsleistungen und wissenschaftlicher Karriere anerkannt werden; [[...]] Man wird sehen, welche Taten von diesen großen europäischen Wissenschaftsorganisationen folgen werden. Vielleicht bedarf es auch des couragierten Auftretens einzelner, prominenter, und finanziell und statusmäßig abgesicherter Wissenschafter, um diese Prozesse zu beschleunigen. Was die Finanzierung von Forschungsprojekten betrifft, wäre auch eine radikal andere Aufteilung von Forschungsgeldern als bisher vorstellbar ; etwa indem 70 % der Mittel über “Peers” verteilt werden, 20 % über ein Schöffensystem, sowie 10 % gänzlich zufällig. Eine solche Strategie musste aber begleitet und adaptiert werden durch nachträgliche Bewertungen, die wiederum durch Fachkollegen und Laienrichter zu erfolgen hatte. Abschließend soll noch einmal ein Aspekt wissenschaftlicher Arbeit erwähnt werden, den man nicht hoch genug bewerten kann: Wissenschaft kann nur lebendig und produktiv bleiben, wenn sie mit Leidenschaft betrieben wird, Freude bereitet und auch Spaß macht. Es hat wenig Sinn, Menschen, die bereit sind, einen Großteil ihrer Lebenszeit für wissenschaftliche Forschungen zu nutzen und dabei anteilig sehr schlecht bezahlt werden, auch noch Sand in den Weg zu streuen. Defätistische Einstellungen wie “save a tree, reject a paper”, wie man sie an Turen von “Peers” plakativ dargestellt vorfindet, gehören hinterfragt. Letztlich ist alles einem historischen Wandel unterzogen, auch die wissenschaftliche Publizistik und die Methoden, wie wissenschaftliche Leistungen bewertet werden. Wie Präsident Roosevelt einmal feststellte [19], bedarf eine funktionierende, sich entwickelnde Gesellschaft eine fortwahrende, friedliche Revolution.

Auszüge aus:
Svozil, Karl: "Der Alltag eines “Peers”, Biblos-Schriften 179, 73-94 (2004); presented at the ODOK '03 (Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare), Salzburg, Austria, September 2003 : URL: http://tph.tuwien.ac.at/˜svozil