Gründe für das Zitieren

Um die Aussage der Anzahl der Zitate als bibliometrischen Indikator zu beurteilen, sollte man die Gründe des Zitierens analysieren (28).  Die Zitatenanalyse nimmt an, daß eine intellektuelle Verbindung zwischender zitierten und der zitierenden Arbeit besteht. Es sind aber nicht alle Zitate gleicher Art.Weinstock (29) zählt 15 Gründe auf, aus welchen Autoren zitieren:
 1) Anerkennung
 2) als Verdienst anrechnen
 3) Identifizierung einer Methodologie (bzw. Meßinstrument oder Apparatur)
 4) Lieferung von Hintergrundsliteratur
 5) Korrektur der eigenen Arbeit
 6) Korrektur der Arbeit von anderen Wissenschaftlern
 7) Kritik der früheren Arbeit
 8) Unterstützung von Behauptungen
 9) Hinweis auf bevorstehende Arbeiten
10) Hinweis auf nicht zitierte Arbeiten, die wenig oder ungenügend verzeichnet sind
11) Beglaubigung oder Beweis von Daten und Fakten
12) Identifizierung von Originalarbeiten, in denen ein Begriff oder eine Theorie diskutiert wurde
13) Identifizierung von Originalarbeiten, in denen eponymische Begriffe oder Termini beschrieben oder eingeführt werden
      (ein Eponym ist eine Gattungsbezeichnung, die auf  eine Person zurückgeht)
14) Widerruf von Arbeiten und Begriffen anderer Wissenschaftler(negatives Zitat), und
15) Disput oder Kontroverse um die Priorität oder Originalität von Behauptungen (negatives Zitat).

Eine sehr ausführliche Untersuchung über die Rolle und Bedeutung der Zitate in der wissenchaftlichen Kommunikation gibt Cronin in seinem Buch "The citation process" (30). Die Gründe des Zitierens wurden auch von Murugesan et al. (31) untersucht, die sie nach folgenden Gruppen klassifizierten:

a) Begriffszitat versus Operationszitat
Diese Klassifizierung soll der Unterscheidung dienen, ob Begriff und Theorien der zitierten  Arbeit als Grundlagen der zitierenden  verwendet (Begriffszitat) oder nur als bloße Werkzeuge zitiert (Operationalzitat) werden.
b) Organisch vs. oberflächlich (auf englisch, perfunctory)
In diesem Fall werden nur die wesentlichen oder notwendigen von den entbehrlichen Zitaten getrennt.
c) Entwicklungsbezogen vs. nebeneinandergestellt
Die zitierten Arbeiten, die in der gleichen Linie wie die zitierende Arbeit einzuordnen sind, wie z.B. die Entwicklung einer Idee oder  eines Begriffs, werden von jenen getrennt, die zur zitierenden Arbeit parallel oder divergent verlaufen, wie z.B. ein  Kontrast oder
Vergleich mit anderen Ideen.
d) Bestätigend vs. verneinend (auf engl. confirmative vs. negational)
Diese Klassifikation unterscheidet zwischen zitierten Arbeiten die von der zitierenden Arbeit als gut oder unterstützend und als schlecht oder absagend bewertet werden.
e) Redundant
Ein redundantes Zitat bezieht sich auf eine Arbeit, welche, obwohl sie zur Entwicklung oder Erläuterung der zitierenden Arbeit beitragen konnte, neben anderen Arbeiten, die dieselbe Funktion spielen, zitiert wird.

Murugesan et al. haben bewiesen, daß diese Klassifikation folgende Eigenschaften aufweist:
a) sie ist leicht reproduzierbar, d.h. sie kann von einem Klassifizierer zu beliebiger Zeit mit im Wesentlichen gleichen Ergebnissen wiederholt werden, und
b) sie ist universell in dem Sinn, daß sie von verschiedenen Klassifizierern mit wesentlich gleichen Ergebnissen wiederholt werden kann.
Obwohl diese Nachweise nur mit einer Stichprobe von 600 Referenzen aus 30 Artikeln in Physical Review und nur von zwei Testpersonen (in diesem Fall dienten als Stichprobe nur die Referenzen eines einzigen Artikels) erbracht wurden, scheint sehr plausibel, daß Fachleute (nur Physikern wurde eine solche Aufgabe anvertraut) solch eine universelle und reproduzierbare Klassifikation zu erstellen befähigt werden.
Weiters fanden sie, daß 41% der Zitate zur Kategorie der "Oberflächlichen oder Unwesentlichen" gehören.

Auch P. Vinkler (32) hat sich mit dem Problem der Zitierungsgründe beschäftigt. Er unterscheidet zwei Gruppen,aus welchen ein Autor eine konkrete Arbeit zitiert. Die erste Gruppe bilden die sogenannten "professionellen" oder Berufsgründe, die zweite Gruppe die "privaten" oder Beziehungsgründe.
Diese Einteilung stimmt mit jener von J. Bavelas (33) überein, der zwischen "echtem Nutzen" und "less-than-noblepurposes" unterscheidet. Laut Befragungen wurden 70% der zitierten Arbeiten gründlich studiert, 25% nur quergelesen, und nur 5% als Zitat von anderen Artikeln übernommen.
Diese Aussagen scheinen übertrieben zu sein. Auf jeden Fall bedeutet Zitierung leider nicht immer Benützung des zitierten Dokumentes durch den zitierenden Autor. Vinklers Untersuchung, die etwa 480 Referenzen umfaßte, ergab, daß 81% der Referenzen aus Berufsgründen,2% aus Beziehungsgründen und 17% aus einer Kombination von beiden Arten von Gründen zitiert werden. Die Anzahl der Selbstzitate beträgt 22% .
Als Berufsgründe werden u.a. folgende angegeben:
1) Dokumentationsgründe
2) Anwendungsgründe, und
3) Bestätigungsgründe  (als Probe der Gültigkeit der Ergebnisse).
Nach diesen Ergebnissen spielen die Beziehungsgründe eine unwesentliche Rolle. Man sollte aber
a) die kleine Anzahl der betrachteten Fälle für solch ein Studium ( 484 Zitate, 20 Autoren),
b) die Art der Durchführung (die Autoren selbst wurden nach ihren Zitierungsgründen befragt!), und
c) die Bemerkung vom Autor selbst, nach der 40% der Befragten eine berufliche Beziehung zu denzitierten Autoren hatten oder haben werden, berücksichtigen.
Aufgrund dieser Ergebnisse hat P. Vinkler ein quasi-quantitatives Zitierungsmodell eingeführt. Subjektive Faktoren, die sehr schwer, wenn nicht unmöglich, einzuschätzen sind, wie z. B. die persönliche Begegnung auf einer Tagung, begünstigen eine mögliche Zitierung.
Gleichzeitig sollten auch die Gründe für die Unterlassung von Zitaten berücksichtigt werden, wie es später in dieser Untersuchung erklärt wird.
Komplexität des menschlichen Verhaltens und Subjektivität erschweren eine genauere Untersuchung der Mechanismen des Zitierens sehr, wenn sie nicht überhaupt unmöglich ist.
Es wird aber auch immer allgemeine Normen für das Zitieren geben, und auf diesen baut die Zitatenanalyse.