Theweleit
Herbstkollektion
Der Meister trifft Pasolini Vorneweg noch ein Nachtrag und Schlusswort zum Adorno-Jahr:
"Aphoristiker sind Diktatoren" lautet der Aphorismus, den Klaus
Theweleit für den Jubilaren hat, "ob Adorno oder Karl Kraus".
Am Frankfurter und seinem Gefolge hat er sich immer wieder zu reiben,
auch im soeben erschienenen Buch "Deutschlandfilme" will es wohl
mehr das Thema als der Autor, dass gegen "Teddie's Verdikt"
Berufung eingelegt wird. Die Motivation liegt in der Tat auf der Hand: In Pasolinis Verfilmung des De Sade-Stoffes, den er in die faschistische Republik Salò des Jahres 1944 verlegt, geht es ebenso um Sexualität ALS Gewalt, rituelle Übertretung und ihre Inszenierung, wie Theweleit dies in seinem Opus Magnum "Männerphantasien" (das übrigens zeitgleich zum Film entstand) und im späteren Aufsatz "Männliche Geburtsweisen" erarbeitet hat. Noch vor 3 Jahren beklagte er im Nachwort zur Taschenbuchausgabe, dass die Täterforschung Marke Goldhagen (oder auch Hilberg) in der treffenden Beschreibung des eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen für die Vorgänge auf der individuellsten Ebene der Täter über ratlose Pathologisierungen und das Wörtchen "sadistisch" nicht hinauskommt - nun befasst er sich abermals mit dem etymologischen Paten dieser Bezeichnung und sieht in Pasolinis Werk "die erste (und wahrscheinlich einzige) filmische Dokumentation aller KZ Greuel". Diese Kernthese ist nicht neu: Eine Trennung von Faschismus
als System und seiner in verdichteter Beschreibung zum Ausdruck kommenden
Substanz, wie Roland Barthes sie vornimmt, ist für Theweleit nicht
haltbar, ein Schluss, der an der von ihm als Dogma erlebten Singularität
des Holocaust rüttelt und die Erkenntnisse Adornos zum industriellen
Charakter der Massenvernichtung auf das bereits zitierte "Verdikt"
reduziert. Neu und spannender ist der Ansatz, Pasolinis Verständnis des filmischen Ausdrucks ins Spiel zu bringen, wonach das Medium im Gegensatz zu allen anderen Sprachformen ohne zu erarbeitende Symbole auskommen kann. Bezeichnendes und Bezeichnetes können in eins fallen, die Wirklichkeit durch sich selbst zum Ausdruck gebracht werden. Eine Haus kann durch ein Haus evoziert werden, es muss nicht das authentische, aber das "richtige" sein. Diese Argumentation wurde auch von Deleuze theoretisiert (den Theweleit, um seiner Trademark der unakademischen Schreibe treu zu bleiben, zur Gänze im Anhang versteckt), und hätte sie - in diesem Kontext - nicht einen Haken, machte sie das Hütchenspiel "wo ist Salò/Fordismus/Auschwitz?" plausibel. Der Haken liegt genau in der Tatsache, dass auch Deleuze davon ausgeht, dass "die Sprache der Objekte" eine "intelligible Materie" produziert, die aber nur über Ko- und Denotation beim Rezipienten funktionieren kann. Enzo Siciliano schreibt über Pasolini, er habe De Sades "romanhafte Aktion" eben genau zu einem "Symbol" reduziert. "Salò" heißt in Italien AUCH Beginn der Resistenza, der Schauplatz, der "die Villa eines deportierten Juden sein könnte", steht dagegen in Wien womöglich für den weitgehend ungebrochenen Konsens der Volksgemeinschaft in Sachen Vernichtung. Es ist Theweleit unbenommen, sich SEINEN Signifié herauszupicken ("die Villa/das KZ" schreibt er wörtlich), aber er kann nicht das restliche Publikum in seine Käseglocke zwingen. Die semiotische Transgression funktioniert nicht und wirkt eher naiv. Wie der bis heute ratlos distanzierte Umgang mit Pasolinis "verstörendem" Werk, das mann von sich selbst fernhalten will, entlarvt wird; dass - wie schon bei der Wehrmachtsausstellung nachgewiesen - Seriosität weit mehr Inhalt als Form ist; die Strategien zur Zerschneidung abtötender medialer Assoziationsreihen: das freilich ist Theweleit at he's best. Ein gutes Buch? Natürlich, so wie Adorno immer recht hat, sind Theweleit-Bücher immer gut.
Erschienen in MALMOE |