Lehre

Theweleit Herbstkollektion

Der Meister trifft Pasolini

Vorneweg noch ein Nachtrag und Schlusswort zum Adorno-Jahr: "Aphoristiker sind Diktatoren" lautet der Aphorismus, den Klaus Theweleit für den Jubilaren hat, "ob Adorno oder Karl Kraus". Am Frankfurter und seinem Gefolge hat er sich immer wieder zu reiben, auch im soeben erschienenen Buch "Deutschlandfilme" will es wohl mehr das Thema als der Autor, dass gegen "Teddie's Verdikt" Berufung eingelegt wird.
Theweleit befasst sich also mit Film, mit Jean-Luc Godard, mit Alfred Hitchcock, mit der Präsenz der diversen Deutschlands im "Kinohirn nicht-deutscher Filmemacher". Zur Anwendung kommt wieder das unnachahmliche Hinsehen, das Entdecken dessen, was mit den Augen nicht zu sehen ist (oder zu sehen sein soll), das Aufspüren gespeicherter Blicke. Den größten und interessantesten Teil des Buches macht aber eine Auseinandersetzung mit Pier Paolo Pasolini aus, mit seinem Film "Salò - Die 120 Tage von Sodom".

Die Motivation liegt in der Tat auf der Hand: In Pasolinis Verfilmung des De Sade-Stoffes, den er in die faschistische Republik Salò des Jahres 1944 verlegt, geht es ebenso um Sexualität ALS Gewalt, rituelle Übertretung und ihre Inszenierung, wie Theweleit dies in seinem Opus Magnum "Männerphantasien" (das übrigens zeitgleich zum Film entstand) und im späteren Aufsatz "Männliche Geburtsweisen" erarbeitet hat. Noch vor 3 Jahren beklagte er im Nachwort zur Taschenbuchausgabe, dass die Täterforschung Marke Goldhagen (oder auch Hilberg) in der treffenden Beschreibung des eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen für die Vorgänge auf der individuellsten Ebene der Täter über ratlose Pathologisierungen und das Wörtchen "sadistisch" nicht hinauskommt - nun befasst er sich abermals mit dem etymologischen Paten dieser Bezeichnung und sieht in Pasolinis Werk "die erste (und wahrscheinlich einzige) filmische Dokumentation aller KZ Greuel".

Diese Kernthese ist nicht neu: Eine Trennung von Faschismus als System und seiner in verdichteter Beschreibung zum Ausdruck kommenden Substanz, wie Roland Barthes sie vornimmt, ist für Theweleit nicht haltbar, ein Schluss, der an der von ihm als Dogma erlebten Singularität des Holocaust rüttelt und die Erkenntnisse Adornos zum industriellen Charakter der Massenvernichtung auf das bereits zitierte "Verdikt" reduziert.
Zweierlei Einwände (zumindest) sind da zu machen: Von Pasolinis Film gilt der Stehsatz, er habe den Stoff "in den Faschismus verlängert", in die Konsumwelt der 70er Jahre, aber auch ins 14. Jahrhundert, wie die Entlehnungen bei Dante zeigen. Dass der Theweleit'sche Universal-Faschismus-Ansatz davon magisch angezogen wird, ist verständlich, die KZ's unbedingt dabei haben zu wollen, wäre allein schon abenteuerlich genug, sie zum Thema des Filmes zu erklären, kommt aber genau dem gleich, was der Autor über (seine) Bücher beklagt: Die "Exegeten" machen sie, nicht die Autoren. Zweitens kritisiert er ganze Generationen von "Adorno-Adepten" dafür, dass sie dessen Argumentation unkritisch übernähmen, seine Nachweise a priori überzeugend fänden - da mag was dran sein, doch leider bemüht sich Theweleit genauso wenig um ihre Widerlegung und argumentiert gewissermaßen auch nur mit sich selbst. In diesem Zusammenhang wird ein Gefühl, das die Lektüre des ganzen Buches begleitet, besonders stark: Gegen den "Frankfurturismus" (K.T.) wird ein gleichermaßen bekenntnishafter "Theweleitismus" aufgebracht, der Autor zum Apologeten seiner selbst.

Neu und spannender ist der Ansatz, Pasolinis Verständnis des filmischen Ausdrucks ins Spiel zu bringen, wonach das Medium im Gegensatz zu allen anderen Sprachformen ohne zu erarbeitende Symbole auskommen kann. Bezeichnendes und Bezeichnetes können in eins fallen, die Wirklichkeit durch sich selbst zum Ausdruck gebracht werden. Eine Haus kann durch ein Haus evoziert werden, es muss nicht das authentische, aber das "richtige" sein. Diese Argumentation wurde auch von Deleuze theoretisiert (den Theweleit, um seiner Trademark der unakademischen Schreibe treu zu bleiben, zur Gänze im Anhang versteckt), und hätte sie - in diesem Kontext - nicht einen Haken, machte sie das Hütchenspiel "wo ist Salò/Fordismus/Auschwitz?" plausibel. Der Haken liegt genau in der Tatsache, dass auch Deleuze davon ausgeht, dass "die Sprache der Objekte" eine "intelligible Materie" produziert, die aber nur über Ko- und Denotation beim Rezipienten funktionieren kann. Enzo Siciliano schreibt über Pasolini, er habe De Sades "romanhafte Aktion" eben genau zu einem "Symbol" reduziert. "Salò" heißt in Italien AUCH Beginn der Resistenza, der Schauplatz, der "die Villa eines deportierten Juden sein könnte", steht dagegen in Wien womöglich für den weitgehend ungebrochenen Konsens der Volksgemeinschaft in Sachen Vernichtung. Es ist Theweleit unbenommen, sich SEINEN Signifié herauszupicken ("die Villa/das KZ" schreibt er wörtlich), aber er kann nicht das restliche Publikum in seine Käseglocke zwingen. Die semiotische Transgression funktioniert nicht und wirkt eher naiv.

Wie der bis heute ratlos distanzierte Umgang mit Pasolinis "verstörendem" Werk, das mann von sich selbst fernhalten will, entlarvt wird; dass - wie schon bei der Wehrmachtsausstellung nachgewiesen - Seriosität weit mehr Inhalt als Form ist; die Strategien zur Zerschneidung abtötender medialer Assoziationsreihen: das freilich ist Theweleit at he's best. Ein gutes Buch? Natürlich, so wie Adorno immer recht hat, sind Theweleit-Bücher immer gut.


Klaus Theweleit: Deutschlandfilme. Filmdenken & Gewalt. Stroemfeld/Roter Stern Frankfurt a.M./Basel 2003

Erschienen in MALMOE