Lehre

Der Sprinter als Ejakulat

Auf Platz 21 der heurigen Tour de France landete mit Guillaume Martin ein Fahrer mit abgeschlossenem Philosophie-Studium: ein Nietzsche-Spezialist, der auch schon ein Theaterstück geschrieben hat. Querverbindungen zwischen diesen Welten gab es immer wieder, und der Radrennsport wurde schon des Öfteren als der „Sport für Denker“ ausgegeben. Der Bielefelder Covadonga-Verlag hat sich seit einigen Jahren ganz der, wenn man so will, ‚intellektuellen‘ Radsportliteratur verschrieben und jetzt unter dem Titel „Der Rennradfahrer und sein Schatten“ eine „kleine Philosophie des Straßenradsports“ herausgebracht, verfasst von Olivier Haralambon, noch einem Philosophen, der früher mal von Berufs wegen im Sattel saß. Doch von dem, was hier als Philosophie daherkommt („Alles, was der Radrennfahrer will, ist schnell fahren.“), soll hier gar nicht die Rede sein, denn darauf kann man sich auch kaum mehr konzentrieren, ist man erstmal eingetreten in die Metaphernwelt dieses Philosophen: Was der Verlag als „sprachmächtig“ vermarktet, ist nämlich eine bizarre Anhäufung von Männerphantasien auf zwei Rädern.

Dass Haralambon den „Plastiknuckel“ seiner Trinkflasche für ein „archaisches Element“ seiner Sexualität hält, mag man noch hinnehmen, doch dass er „diese zuckerverklebten Plastikflaschen wie Brüste gepresst“ hat, will man schon nicht mehr wissen. Und das ist das Prinzip: Der Typ sieht einfach überall Frauenkörper, die es zu nehmen gilt, auch in Zusammenhängen, auf die Mann erst mal kommen muss! Das „köstliche Gefühl“, mit einem Rennrad durch die Gegend zu fahren, stellt sich ihm etwa so dar: „Wie ein Mund, dessen Zunge verborgene Hautfalten ableckt, kam ich in den feuchten Falten der Landschaft voran.“ Früher hatte er sein Rennrad in seinem Zimmer „schlafen“ lassen und es in verschiedenen Stellungen „mit Liebe“ ausgeleuchtet, „ein wenig so“ – na klar – wie „die unendlichen Landschaften des Körpers meiner Frau“.
Ein Rezensent hat über dieses Buch geschrieben, es gehöre zu den Texten, „deren Sätze man zwei Mal liest, um das Wunder zu wiederholen“; ich hingegen habe sie oft zwei Mal gelesen, weil ich schlicht nicht glauben konnte, was da steht: Massensprints bei Radrennen „liefern ein wunderbares Bild des Überschwangs, der letzten Zuckung“, mit der das Peloton „den Sieger über die Ziellinie ejakuliert“. Die Landschaft also eine feuchte Falte und das Fahrerfeld ein Riesenpenis: „Nachdem es sich lange geschüttelt und bewegt hat und Stufe um Stufe die Sprossen der Lust erklomm“, kommt ihm die (schon wieder!) „archaische“ Fähigkeit zu, „seinen eigenen Propheten ins Sein zu stoßen“. Damit ist es raus, und gegen Schluss bemüht sich der Verfasser gar nicht mehr um das, was die F.A.Z. in ihrer Rezension für „Lyrismen“ hält: Die Côte de la Redoute, ein legendärer schwerer Anstieg in Belgien, gilt es nicht nur zu bezwingen, sondern eigentlich „zu ficken“, was die Sache „viel genauer“ beschreibe.

Lustig sind all diese Projektionen an dieser Stelle schon längst nicht mehr. Ein Kernpunkt von Haralambons Philosophie des Straßenradsports ist, dass das Radrennfahren vor allem eine „mentale Sache“ sei und so gesehen zu allerletzt ein Sport: „Vergessen Sie den Sport.“ Im vorliegenden Fall vergesse ich lieber die Philosophie. 

Erschienen in der Sportkolumne "Turnstunde" in MALMOE 84 (2018)