Lehre

Jetzt fängt es erst an

Ein Gespräch mit Daban Shadala, Repräsentant der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) in Wien


Die PUK ist mit einem Sitz im Übergangsrat sowie mit zwei MinisterInnen und dem Vize-Premier in der irakischen Übergangsregierung vertreten. Was waren die Gründe, in diesen Gremien mitzuwirken?

Die PUK ist eine kurdische Partei, die 1975 gegründet wurde; in den 70er und 80er Jahren hat sie durch einen Guerillakrieg Widerstand geleistet, in den 90ern stellte sie gemeinsam mit der KDP, der zweitgrößten kurdischen Partei, die Regierung in der autonomen Regionalverwaltung. 1994 kam es durch Einmischung der Nachbarländer zu einem Bürgerkrieg, ab 1998 gab es einen Waffenstillstand. Bevor der neue Irakkrieg begann, sind die beiden Parteien unter den Druck der USA geraten, sie sind nach Amerika eingeladen worden, und es wurde klipp und klar gesagt: 'Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.'

Die kurdischen Parteien waren nicht für den Krieg, aber sie waren für einen Machtwechsel im Lande. Sie mussten eine Entscheidung treffen, wie sie mit den Amerikanern umgehen sollten, weil es klar war, dass sie sicher kommen würden. Wir handelten nach dem Motto 'Wenn wir eine Hand nicht abschneiden können, müssen wir sie küssen', vor allem wollten wir nicht mehr zur Zielscheibe der Interessen der Großmächte werden, denn wir haben schon oft draufgezahlt, wenn wir nur unsere eigenen Interessen verfolgt haben.

Die Amerikaner haben uns dazu aufgefordert, uns für eine klare Linie zu entscheiden. Wir waren an einem Machtwechsel interessiert; früher hatten wir probiert, mit unseren Freunden in Europa eine friedliche Möglichkeit zu finden, Saddam zu beseitigen, aber wir sind - vor allem von der Linken - tief enttäuscht worden. Mit der europäischen Politik sind wir in einer Sackgasse gelandet, weil die Politiker geglaubt haben, dass es immer noch besser wäre, Saddam Hussein an der Macht zu behalten als die Folgen eines Krieges zu riskieren, ohne zu wissen, welche die sein würden. Wir sind der Meinung, dass sie beim Irakkrieg total versagt haben, denn wenn sie sich hinter unsere Forderungen gestellt hätten, wäre es gar nicht so weit gekommen.

Nach der Befreiung - und wir betrachten es als Befreiung des Landes, obwohl es sehr viele Menschen das Leben gekostet hat und auch viele Ungerechtigkeiten während des Krieges passiert sind; aber Krieg ist etwas Unmenschliches, und der Irak befand sich unter Saddam Hussein in einem Dauerkrieg, er hat tagtäglich durchschnittlich 150 Menschen am Tag in den Gefängnissen gefoltert und auf die brutalste Art und Weise hingerichtet - nach der Befreiung also war uns klar, dass es momentan nicht realistisch ist, ein eigenes Kurdistan zu haben, dass der Irak wieder zentralisiert wird. Es gab Gespräche mit den Alliierten, dass wir uns beteiligen sollen an der Zentralregierung in Bagdad. Erstens, damit wir dort auch mitreden können, und zweitens, damit wir uns mit unserer Regierungserfahrung am Wiederaufbau des Landes beteiligen.

Welche Erfahrungen hat Ihre Partei dabei gemacht?

Natürlich gab es im Regierungsrat auch sehr heftige Diskussionen mit unseren arabischen Miteinwohnern des Landes und mit anderen ethnischen Gruppierungen: Obwohl sie vor dem Krieg vers Saddam Hussein von hechiedene Abkommen mit uns unterschrieben haben, wollten sie, nachdemute auf morgen gestürzt war, von vielen Versprechungen nichts mehr wissen. Es gibt auch unter Arabern intellektuelle und säkulare Parteien und Persönlichkeiten, die nach wie vor die kurdischen Interessen verstehen und der Meinung sind, dass die Kurden als Mitbewohner des Landes auch Forderungen stellen sollen, aber es gibt eine breite Linie von den Fundamentalisten bis zu den panarabischen Faschisten, die das in Frage stellen. Die Erfahrungen sind also nicht sehr erfreulich, wir sollten nicht zu sehr jubeln, dass wir zwei Minister in Bagdad haben, und uns damit zufrieden geben, sondern es fängt jetzt erst an. Wir müssen die Rechte der kurdischen Bevölkerung in der irakischen Verfassung durchsetzen, damit die Kurden nicht wieder als Bürger zweiter Klasse betrachtet werden.

Ein demokratisches Kurdengebiet im Norden eines föderalen Irak ist wohl nicht im Interesse der Türkei, die sich nun stärker der EU zu- und von den USA abwenden könnte. Wie könnte sich das auf die Lage Israels auswirken, würde dadurch ein zumindest nicht feindlich gesinnter Partner in der Region abhanden kommen?

Die Sorgen der Türkei sind unbegründet. Die Türkei hat während beiden Golfkriegen eine große Rolle gespielt, obwohl sie beim zweiten eine ganz andere Strategie gehabt und der USA eine klare Absage erteilt hat, dass die Truppen durch ihr Land einmarschieren. Ein Hauptgrund hierfür war die Kurdenfrage: Die Türkei hat verlangt, dass die Kurden im Norden des Landes entwaffnet werden, doch die Amerikaner haben das nicht gemacht, weil sie die Kurden als Partner bezeichnen. Im Gegenteil, sie haben die Kurden bewaffnet. Damit hat die Türkei ein Problem, schließlich leben dort ja auch 20 Millionen KurdInnen.

Aber das mit Israel ist eine andere Frage, weil Israel immer ein Partner der Amerikaner war und es auch bleiben wird, speziell die jetzige Regierung von Bush ist sehr gut mit der israelischen Regierung befreundet. Und das betrifft auch die Türkei, die fühlt sich ein bisschen von den Amerikanern beleidigt, weil sie fürchtet, dass die Kurden in dem Land vielleicht ein alternativer Partner für Israel werden. Das ist aber nicht so, denn die Israelis sehen in der Türkei noch immer einen stabilen Staat, der viel mehr eine Garantie darstellt als ein Volk, das auf 4 verschiedene Länder aufgeteilt ist - wir sind von so vielen abhängig: Wir sind abhängig von den Amerikanern, wir sind abhängig von Syrien, wir sind abhängig von der Türkei, wir sind abhängig vom Iran - geographisch gesehen haben wir es also nicht gerade leicht. Leider sind die Kurden also - strategisch gesehen - kein Stabilitätsfaktor für Israel, aber wir halten Kontakte auf höchster Ebene. Warum sollten wir auch nicht gute Kontakte mit den Israelis pflegen? Auch wir haben gelernt, Politik zu machen.

Eines der Hauptprobleme im jetzigen Irak ist der alltägliche Terrorismus. An dieser permanenten Unruhe sind auch die Nachbarländer interessiert: auf der einen Seite Syrien und Saudi Arabien, die kein Interesse an einem stabilen und demokratischen Irak haben und auf der anderen Seite der Iran. Wie realistisch ist da die Hoffnung auf eine demokratische Zukunft für den Irak?

Vieles wird davon abhängen, ob wir zusammenhalten. Wo 35 Jahre lang ein Regime wie das Ba'th-Regime geherrscht hat, das Menschen auf die brutalste Art und Weise gefoltert und eine Kultur hinterlassen hat, in der man Saddam Hussein als Vater, als Gott, als Familie betrachten musste, wird von heute auf morgen ein demokratisches Land nicht so einfach zustande kommen, weil Generationen mit dieser Angst aufgewachsen sind. Es gibt auch noch immer Leute im Irak, die glauben, dass Saddam Hussein wieder an die Macht kommen wird, weil sie nichts anderes kennen, weil sie 35 Jahre lang total von der Außenwelt abgeriegelt und isoliert waren.

Leider ist es so, dass die meisten ehemaligen Oppositionellen und jetzigen Beteiligten an der Regierung keine echte Basis haben; vom Ausland aus Oppositionspolitik zu machen ist etwas anderes als dort unten in der Realität Politik zu machen. Die Ba'thisten wiederum haben bei gar keiner Partei eine neue Heimat gefunden, sie sind mit vielen Irakern verfeindet, weil sie Menschen von der ehemaligen Opposition und auch aus den eigenen Reihen gefoltert und ermordet haben. Aus meiner Sicht war es ein schwerer Fehler der Amerikaner, dass sie die Grenzen offen gelassen und so die Terroristen ins Land gezogen haben. Sie haben nicht damit gerechnet, dass es so weit kommen wird. Es war auch ein Fehler, den Sicherheitsapparat und das irakische Militär einfach aufzulösen und damit 2 Millionen Arbeitslose auf die Straße zu stellen. Während des Hussein-Regimes hat nichts in dem Land funktioniert, und die Leute haben die Erwartung gehabt, wenn die Amerikaner das Land besetzen, wird alles in Gange gebracht. Aber wie soll das gehen, wenn auch vorher gar nicht funktioniert hat?

Das sind die Gründe, weshalb sich der Terrorismus in dem Land verbreitet hat, warum er Fuß fassen konnte und manche Leute ihn auch unterstützen. Aber Falluja, wo die Terroristen sich verschanzt haben, ist nun beseitigt, die Grenzen sind ein bisschen dichter gemacht, und so wird die Unterstützung aus den Nachbarländern schwieriger, die in der Tat kein Interesse an einem demokratischen föderalen Irak haben. Denn die glauben: Wenn die Irakis jetzt Demokratie und Freiheit genießen und ihre eigenen Völker irgendwann einmal im Irak auf Urlaub sind und sich dort die Situation anschauen, dann machen sie sich Gedanken darüber, dass es ihnen auch so gut gehen könnte. Die könnten auch irgendwann sagen, dass sie gerne westlich orientiert sein möchten und von den eigenen Produkten etwas haben wollen, von den Bodenschätzen und den anderen nationalen Produkten, was in den Nachbarländern derzeit alles in Waffen oder auch in Terroristen investiert wird. So wie die Diktatur von Saddam Hussein, unter der die irakische Bevölkerung nur 1% vom Nationalprodukt hatte, mit dem Rest wurden die palästinensischen Selbstmordattentäter oder der Terrorismus in Afghanistan finanziert, der gegen den Westen gerichtet war; auch das hat Saddam Hussein unterstützt, obwohl er selbst ein Produkt des Westens war.

Welche sind die Erwartungen der PUK für die kommenden Parlamentswahlen?

Am 30. Jänner finden im Norden des Landes gleichzeitig 3 Wahlen statt: die irakische Nationalversammlung wird gewählt, also das irakische Parlament mit 275 Sitzen, das kurdische Parlament, das hat 111 Sitze, und drittens die Provinzräte, Landtagswahlen sozusagen. Wir haben ursprünglich darauf gesetzt, dass wir mit den arabischen Parteien eine irakische demokratische Liste aufstellen, aber die ist nicht zustande gekommen, weil wir zu verschiedene Meinungen vertreten haben, und die Araber sich zurückgezogen haben. Also haben wir beschlossen, eine eigene Liste mit den kurdischen Parteien für den gesamten Irak aufzustellen. Wir hoffen, dass am 30. so viele Kurdinnen und Kurden wie möglich zu den Wahlen gehen und ihre Stimmen abgeben, sowohl im Inland als auch im Ausland. Doch im Ausland gibt es Schwierigkeiten, weil es auf der ganzen Welt insgesamt nur 14 Wahllokale gibt, für den gesamten europäischen Raum nur 7, Österreich ist davon nicht betroffen; das heißt, in Österreich lebende Iraker müssen nach Berlin gehen, und zwar 2 Mal: das erste Mal müssen sie ein Formular holen, und dann ein zweites Mal, um die Stimme abzugeben. Wir haben ausgerechnet, dass pro Person 600 Euro zur Verfügung gestellt werden müssten, und das wird sehr schwierig für die Kurden sein. Wir sind jedenfalls dabei, so viele Menschen wie möglich dazu zu mobilisieren, zu den Wahlen zu gehen, denn speziell für die PUK und die KDP ist es entscheidend, dass möglichst viele Kurden ihre Stimme abgeben, weil es unser Schicksal entscheidet. Wir möchten mit unseren Mandaten im Parlament in Bagdad den Paragraphen 58 durchsetzen. Da geht es um die Arabisierung der kurdischen Gebiete im Norden des Landes, wo die Kurden am meisten vertrieben wurden und an ihrer Stelle Araber eingezogen sind. Mit diesem Paragraphen wollen wir auf demokratische Art und Weise erreichen, dass die Leute, die von zu Hause weg waren, die entwurzelt worden sind, in ihr Heimatland zurückkehren können und ihre eigene Freiheit, ihr Leben und ihre Bürgerrechte genießen können.
Für uns ist es wichtig, dass wir in Bagdad vertreten sind, denn wir wissen genau, dass unsere Probleme zur Zeit nicht im Norden des Landes gelöst werden, unsere Rechte werden nicht im Norden des Landes geregelt, sondern in Bagdad. Je mehr Einfluss durch Mandate oder Minister oder Präsidenten wir dort haben, desto leichter ist es, unsere Rechte zu erlangen.

Wie geht es Ihnen persönlich damit, wenn Sie sehen, wie eine so genannte Friedensbewegung Sympathien für den 'Widerstand' im Irak hegt, weil er sich gegen die USA richtet, wenn auf scheinbar linken Demonstrationen in Wien die alten ba'thistischen Fahnen geschwenkt werden?

Wir haben die Linken in Europa immer sehr geschätzt und viel Wert auf sie gelegt. Ich weiß nicht, wie diese Leute sich nun bezeichnen. Das was im Irak momentan geleistet wird, ist ja kein 'Widerstand', das ist Terror. Widerstand heißt nicht, dass man Kinder und Passanten, die normale irakische Bevölkerung in Mitleidenschaft zieht. Der Irak leidet unter diesem Terror, das Leben wurde in Bagdad und im ganzen sunnitischen Dreieck zum Stillstand gebracht. Jeder, der in der Früh zu einem Amt oder zur Arbeit geht, einfach nur das Haus verlässt, ist nicht sicher, ob er am Abend wieder nach Hause kommt. Ich frage also die Freunde dieses Widerstands, ob sie sich ein Bild davon gemacht haben, wer dabei ums Leben kommt. Wenn es gegen die amerikanischen oder die Koalitionstruppen ginge, meinetwegen, das wäre ein normaler Kampf: Die Amerikaner sind mit Gewalt ins Land gekommen und sie sollen durch einen Krieg wieder hinausgeschmissen werden. Aber so ist es nicht, sie richten sich vielmehr gegen die irakischen Einrichtungen, sie richten sich gegen die jungen Leute, die keine Arbeit haben und zur Nationalgarde wollen, gegen die Leute, die Beamte werden wollen, die verschiedene Lücken in verschiedenen Ämtern füllen und dort ihre Arbeit im Wiederaufbau eines demokratischen Landes leisten, denn die meisten Menschen wollen ja einen eigenen Beitrag leisten, um das Land zu demokratisieren.

Aber leider sehen wir immer wieder, dass die Linken in Europa, wenn auch nicht alle, eine Ideologie unterstützen, die auf Kosten der Irakis geht. In Österreich etwa hat man gehört, dass sie 10 Euro für den irakischen Widerstand sammeln und so den Terror unterstützen. Daher bin ich, muss ich sagen, tief enttäuscht von den Linken: Sie mögen die Amerikaner nicht, sie sind Antiimperialisten, aber auf Kosten der Irakis - das kann ich nicht machen. Wenn ich einen Konflikt mit anderen Ideologien habe, kann ich den nicht auf Kosten der anderen Menschen austragen, auf Kosten der irakischen Bevölkerung, die 35 Jahre lang unter dem Regime von Saddam Hussein gelitten hat. Diejenigen, die den Terror im Irak als Widerstand bezeichnen, sind gar nicht für Demokratie, sie haben in einer demokratischen Welt überhaupt nichts zu suchen. Sie irren sich, ich lade sie gerne ein, sie können sich dort ein Bild machen vom Land und sehen, was da los ist, das hat mit Widerstand gar nichts zu tun. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass sich die Linke und die Rechte mit dem islamischen Fundamentalismus gegen die Amerikaner zusammentun, auf Kosten der Irakis - und das wird politische Konsequenzen haben.

Das ist ein schönes Schlusswort.

Erschienen in Malmoe # 24 / 2005