Lehre

Objektiv Politisch

Ein Interview mit Kurt Palm

Dieses Frühjahr erscheint ein neues Buch zu den Studierendenprotesten der letzten Jahre. Elisabeth Mixa und Ingo Lauggas haben dafür den Regisseur und Schriftsteller Kurt Palm interviewt, der sich in den 1970er Jahren an der Uni Salzburg engagiert hat. MALMOE brachte einen stark gekürzten Vorabdruck.

Wie kann man sich die Stimmung an den österreichischen Universitäten in den 70er Jahren vorstellen?

Ich habe meine Studienzeit in sehr wilder Erinnerung. Ich habe noch einen Kalender aus der Zeit: an fünf bis sechs Tagen in der Woche gab es eine Veranstaltung. Es kamen Gäste aus Angola oder Südafrika, um zu referieren, marxistische Theoretiker_innen aus der BRD, Elfriede Jelinek hat eine Lesung gehalten … jeden Abend war etwas los. Der Politisierungsgrad an der Uni war um ein Vielfaches höher als heute. Es gab keine Lehrveranstaltung, in der es nicht um Politik gegangen wäre. Es gab kein Institut, an dem es nicht auch eine linke Institutszeitung gegeben hätte. Der Kommunistische Student_innen Verband war in Salzburg eine politische Macht, ohne uns ging gar nichts. Ich habe Germanistik und Publizistik studiert, doch die politische Aktivität war mir das Wichtigste: Ich war in erster Linie politisch aktiv und erst in zweiter Linie Student. So etwas kann man sich heute, wo die Politisierung sukzessive abnimmt und das Desinteresse wächst, gar nicht mehr vorstellen.

Wie ist angesichts dieser Entpolitisierung und des hohen Studiendrucks, der wenig Spielraum zulässt, die studentische Protestbewegung vom Herbst 2009 zu erklären?

Ich kann hier nur eine Einschätzung von außen abgeben. Ich vermute, dass es Situationen gibt, in denen die quantitative Belastung in eine Art qualitativen Widerstand umschlägt. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass es oft nur eines kleinen Anstoßes bedarf, und 2009 war wohl die Besetzung des Audimax ein solcher Anstoß. Vermutlich sind da einige Dinge zusammengekommen, die das begünstigt haben. Aber ich würde diese Studierendenproteste auch nicht überbewerten, man muss doch auch sehen, dass sie in der Realität nicht allzu viel gebracht haben. Ich glaube, dass an den Universitäten noch mehr passieren muss.

Manche Beteiligte an den Protesten waren in Sorge, ideologisch vereinnahmt zu werden. Als ‚politisch‘ galt ihnen alles, was über Studierendenthemen und Bildungspolitik im engeren Sinne hinausgeht; was hingegen an der Uni passiert, wird offenbar nicht als ‚politisch‘ wahrgenommen. Ist das ein neues Phänomen?

Ja, das ist völlig neu. Als ich kürzlich in einer Fachhochschule vor ein paar hundert Leuten eine sehr politische Festrede für einen Abschlussjahrgang gehalten habe, waren die ProfessorInnen begeistert, doch einige Studierende beschwerten sich bei mir, weil sie das unmöglich fanden und betonten, dass sie nichts mit Politik zu tun hätten. Das waren AbsolventInnen um die zwanzig, denen offenbar immer gesagt wurde, dass Politik beim Studium keine Rolle zu spielen hat. Man ist manchmal mit Leuten konfrontiert, die politisch aktiv sind, ohne dabei gewissermaßen ‚wirklich‘ politisch aktiv zu sein – sie sind es zwar objektiv, haben aber Angst davor, dass man es auch so nennt.

Dennoch glaube ich, dass die Studierenden in Österreich die gesellschaftliche Gruppe sein können, von der ein Signal ausgeht. Wir haben damals, auch wenn es manchmal überstrapaziert wurde, den Kontakt zur ArbeiterInnenklasse gesucht. Das war nicht leicht, denn die ArbeiterInnenklasse wollte nur wenig von uns wissen, aber immerhin haben wir es versucht. Doch glaube ich auch, dass der zivile Ungehorsam auf eine neue Stufe gehoben werden und ein neues Stadium erreichen muss. Man muss sich im Vorhinein klar machen, wie man agieren will, damit das über das Audimax hinausgeht: Es muss jemandem weh tun! Da stellt sich die Frage, wie weit man zu gehen bereit ist.

Die Frage ist, ob dann die Bevölkerung noch zu gewinnen sein wird.

Es kommt darauf an, wie diese Taten kommuniziert werden. 2009 wurde diese Bewegung in der Öffentlichkeit doch relativ positiv wahrgenommen und stieß auf Verständnis. Wir hingegen hatten damals einen theoretischen Anspruch, den wir nicht einlösen konnten. An den wichtigsten Instituten stellten wir zwei Drittel der Studienrichtungsvertretung, wir hatten überall die absolute Mehrheit und lebten an der Uni daher in der Illusion, dass ein gesellschaftlicher Machtwechsel unmittelbar bevor steht. Das hat der Wirklichkeit außerhalb der Uni natürlich überhaupt nicht entsprochen, aber unsere Vision war es, uns mit den Leuten zu verbünden und das System zum Einsturz zu bringen. Dafür waren aber damals die objektiven Voraussetzungen viel schlechter als heute, denn es ging den Leuten sehr viel besser. Heute hingegen ist viel Resignation verbreitet, und trotzdem kann ich mir vorstellen, dass die Leute irgendwann aufstehen und sich wehren, weil sie ja ohnehin nichts zu verlieren haben. Wenn es also den Studierenden gelingt, noch eine gesellschaftliche Gruppe für sich zu gewinnen, dann haben sie gewonnen.

Literatur-Tipp
Elisabeth Mixa, Ingo Lauggas, Friedhelm Kröll (Hg.): „Einmischungen. Die Studierendenbewegung mit Antonio Gramsci lesen.“, Turia + Kant, Wien-Berlin 2011 (ISBN: 978-3-85132-646-8).

 

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