Lehre

Sag was Linkes!

FM Einheit hat einmal auf den Vorwurf, die Einstürzenden Neubauten würden nun kommerzielle Musik machen, erwidert, dann könne er sich zumindest zu Gute halten, die kommerzielle Musik verändert zu haben. Hat Nanni Moretti die Politik verändert?

Ein Land, in dem Polizisten und Staatsanwälte als politische Stars bejubelt werden, ist per se ein reaktionäres Land, unkten einige wenige Anfang der 1990er-Jahre, als im Zuge der großen Schmiergeldskandale in Italien ein ganzes politisches System auf juristischem Weg entsorgt wurde. Die hierzulande breit rezipierte Riesenkundgebung auf der Piazza San Giovanni in Rom am 14. September, als eine parteiunabhängige Gruppe rief und eine Million Menschen kam, kann durchaus in dieser fragwürdigen Tradition gesehen werden, auch wenn Antonio Di Pietro, dem Untersuchungsrichter-Star von damals, das Rederecht verweigert wurde. Die Kundgebung richtete sich nämlich gegen das Cirami-Dekret, welches zu nichts anderem gemacht scheint, als Silvio Berlusconi von diversen lästigen Verfahren zu befreien.

Eine unabhängige Justiz als Wert an sich war also ein inhaltliches Herzstück der Kundgebung, der Staat als positiver Bezugspunkt allerorten präsent: Die offizielle Website bot die italienische Verfassung im Volltext an, den die Gleichheit der BürgerInnen garantierenden Artikel gab es auf Che-Guevara-T-Shirts gedruckt zu kaufen, während die Gewerkschaften sich bei ihren Ständen mehr auf den Paragraphen mit dem Recht auf Arbeit konzentrierten. Schlechte Zeiten also für KritikerInnen, welche die zivilgesellschaftliche Euphorie nicht so ganz teilen wollten, die darauf hinwiesen, dass sich der italienische Staat noch selten als guter Verbündeter erwiesen hat, und die lieber Abschiebeknäste als Justizpaläste umringt hätten: Schnell geraten sie in die Rolle derer, die nicht genug Phantasie haben, das Potenzial eines so breiten “anti-politischen” Bündnisses zu erkennen. “Ideologisch” zu sein kann in den Debatten schnell zum Schimpfwort werden.

Die Verknüpfung der Themen Justiz und Gefängnis konnte am selben Tag gerade mal tausend AktivistInnen zu einer Solidaritätskundgebung mit protestierenden Gefangenen locken, die VertreterInnen des Mitte-Links-Spektrums, welche in ihrer Regierungszeit schließlich die Gefängnisse mit MigrantInnen und Drogenabhängigen mit angefüllt haben, hielten sich fern, von den zivilgesellschaftlichen Promis kamen einmal mehr nur die tapferen Dario Fo und Franca Rame. Der Filmemacher Nanni Moretti hingegen war mit den Vorbereitungen “seiner” Kundgebung und mit Interviews beschäftigt, in denen er sich unermüdlich zu betonen gezwungen sah, keine politischen Ambitionen zu haben. Die Grenze zwischen “Bewegung” und Parteien scheint nachvollziehbar, aber jene zwischen “Bewegung” und Politik?

Was Nanni Moretti anfasst, wird zu Gold, der enorme Zulauf zu seiner Initiative ist nur ein Beispiel dafür. Als Produzent, als Filmförderer, als Regisseur – er hat nur Erfolge, seine Filme sind so etwas wie linkes Allgemeingut, Zitate daraus geflügelte Worte. Für eine gewisse intellektuelle Schicht ist er spätestens jetzt eine Ikone. In gleicher Weise ist Silvio Berlusconi, der Unternehmer, der smarte Geschäftsmann, der Steuersparer und schillernde Erfolgsmann eine Ikone der mittelständischen Schichten, die ihn wählen. Der inszenierte Showdown zwischen 2 Champions verschiedener Welten, zwischen der Ikone des aufgeklärten Kinos und jener des kommerziellen Fernsehens, mag willkürlich sein, vielsagend ist er allemal.

Konventionelle BerufspolitikerInnen werden vermutlich viel stärker daran gemessen, was sie sagen und tun, während Berlusconi und Moretti jeweils große Bevölkerungsteile hinter sich wissen, die sie dafür unterstützen, was sie darstellen. Morettis Selbstbild, nicht “zur Politik” zu gehören, sondern ihr lediglich im nun eingetretenen Ernstfall “von außen” Zurufe zu erteilen, verkennt seine Rolle im Spiel von Repräsentationen, die er nicht erst seit gestern einnimmt. Die Systeme der Staatsmacht und ihre Regeln mögen gleich bleiben, aber öffentliches Handeln und politische Popularität haben sich verändert – Politik hat sich verändert, und Nanni Moretti steht mittendrin.

Erschienen in Malmoe # 8 / 2002