Lehre

High Involvement
Ohne Subjektivität ist auch Starmania nichts, und Theorie pfeift aus dem Loch. Dem letzten?

Was haben Marx und all jene, die mehr oder weniger zur Kritik unserer herrschenden Verhältnisse beigetragen haben, gemeinsam? Sie vernachlässigen das Subjekt. Doch schlussendlich geht es genau darum, auch deshalb, weil die herrschenden Verhältnisse wenn auch verselbstständigt immer noch darauf angewiesen sind, von Einzelnen nicht nur ertragen, sondern auch aufrecht erhalten zu werden. Jede Kritik also, welche die Rahmenbedingungen von Individualität außer acht lässt, sich demnach nicht um eine kritische Theoriebildung rund um's Subjekt bemüht, greift zu kurz. In das Loch, das diese theoretische Leerstelle hinterlässt, kippt alle Theorie und wird dadurch nichts weniger als "falsch".
Dieses gewagte Bild stammt von der Berliner "initiative not a love song", die vor etwas mehr als 3 Jahren entstanden ist, zunächst einer Bestandsaufnahme von Kritischer Psychologie Raum und Struktur zu geben, in weiterer Folge aber den Kontakt zur Gesellschaftskritik außerhalb der eigenen Disziplin zu suchen, um - wie gesagt - "einen Diskurs der kritischen Theorie des Subjektes voranzutreiben". Dies vor allem im Rahmen von Seminaren und Kongressen, deren letzter im vorvergangenen Sommer dem "Subjekt (in) der Berliner Republik" gewidmet war und dessen inhaltlicher Output nun in Buchform vorliegt.

Der erhobene Anspruch, die Kritik von der "objektiven Irrationalität" auf ihre subjektiven Bedingungen zu erweitern, erfolgt in dem Band sehr uneinheitlich. Die Themenbereiche der 9 Beiträge sind so naheliegend wie die Verhältnisse selbst: Sexualität, Geschlechterverhältnis und weibliche Subjektbildung unter spätkapitalistischen Voraussetzungen, sowie Subjekttheorie von Arbeit, Behinderung und Kulturindustrie.
Vor allem in Bezug auf letztere macht Frank Dirkopf sehr eindrucksvoll vor, wie der "Export" von kritischer psychoanalytischer Theorie auf aktuelle Ereignisse, in dem Fall die kulturindustriellen Hervorbringungen Container- und Castingshow, anwendbar sind: Indem er nachweist, wie diese Shows mit einem gegenwärtigen Handling von Affekten einhergehen, das diese im übelsten kapitalistischen Sinn für die individuelle Produktivität verfügbar machen soll (statt sie wie bisher einzufrieren), indem er aber auch zeigt, wie diese Medienphänomene gesamtgesellschaftlich relevant werden, da sie durch eine demonstrative Abisolierung von Über-Ich und Ich-Ideal (zählt bei diesen Shows ja mehr die "Arbeit an sich selbst" als ihr Resultat) die Etablierung (post)moderner Herrschaftsformen zumindest bebildern und affirmieren ohnehin.
Wie sich eigentlich schon aus der Themenstellung ergibt, ist das der Komplex, um den sich die ganze Textsammlung dreht, wie nämlich Herrschaft mit der jeweiligen Subjektkonstitution verbunden ist und sich in sie einschreibt, ohne sich dem Individuum unbedingt bewusst zu machen; es erlebt sie gewissermaßen als die famose zweite Natur. Mehr noch: "Der Wille, sich in die Verhältnisse einzuhausen macht parteiisch für sie und ihre Resultate."
Dass davon auch vordergründig emanzipatorische Ansätze betroffen sind, wird exemplarisch verdeutlicht am Gleichheitsfeminismus der Marke Beauvoir, dem Andrea Trumann überzeugend ein Verständnis von Naturaneignung und Kampf um Platz an der kapitalistischen Sonne nachweist, das sich vortrefflich in herrschende Verhältnisse einarbeiten lässt, sowie am Antikolonialismus der Marke Arafat. Andrea Woeldike und Thomas von der Osten-Sacken liefern zwar einen guten Text, leben aber am offensten aus, was sie mit den meisten AutorInnen des Buches teilen: Sie haben nicht wirklich Lust, über Deutschland zu schreiben, die leider wahre These, dass der "antiimperiale Kampf längst zur versteinerten Herrschaftsform im Inneren degeneriert" ist, muss mal wieder mit den "linken" Paradeantisemiten aus Wien belegt werden.

Überhaupt hat die Auseinandersetzung mit Antisemitismus schon mal bessere Seiten gesehen. In manchen Texten kommt sie wie nachträglich eingearbeitet, wie als obligates Bekenntnis lose daher, in anderen steht sie für einen verfolgenswerten Strang, der angedeutet aber nicht verfolgt wird. Absoluter Tiefpunkt ist jedoch der Text von Frank Oliver Sobich, der sich eigentlich mit Rassismus befassen will, aber doch von den Juden nicht lassen kann. Nachdem er ungezählte Male "Juden und Schwarze", "Abschiebeknast oder KZ" sowie "große Schwänze und Geldgier" gleichgesetzt hat, erdreistet er sich, einen Abschnitt zur "Spezifik des Antisemitismus" einzufügen, der die Erkenntnisse einschlägiger Debatten durch reine Spekulation ersetzt, sich in Wertkritik versucht, um abermals bei der buchstäblichen Gleichsetzung von "Hass auf Chinesen in Südasien, Inder in Afrika" und "wohl auch Araber in Südamerika und Antisemitismus weltweit" zu landen. Diesem Herrn scheint alle Theorie in besagtes Loch gekippt zu sein, noch bevor er sie gelesen hat.

Ein Beitrag zur von der Herausgeberin angestrebten "Kritik an affirmativer Subjektivität" ist der Band allemal, doch geht es mit wenigen Ausnahmen mehr um das allgemeine bürgerliche als um das spezifische Berliner Subjekt; daran ist ja grundsätzlich nichts auszusetzen, bis vielleicht auf die Tatsache, dass der ambitionierte Titel des Buches theoretisch nicht auf- und inhaltlich kaum eingelöst wird.

initiative not a love song (Hg.): Subjekt (in) der Berliner Republik. Verbrecher Verlag Berlin 2003 ISBN 3-935843-31-3

Erschienen in Malmoe #17

 

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