Lehre

Ein Schritt vor und zwei zurück

Wer das Kunstfeld mit Gramsci durchgräbt, erfährt einiges über die Politik der Biennalisierung.

Es war nicht gerade eine Sternstunde in der Geschichte von MALMOE, als wir uns 2007 zum Teil der „documenta 12 magazines“ machen ließen – das Unbehagen an diesem neoliberalen Outsourcing von theoretischer Arbeit haben wir in Ausgabe #38 auch formuliert. Nun bietet ein Buch von Oliver Marchart die Möglichkeit, diese Kritik in einen größeren Zusammenhang einzubetten, der die d12 nicht eben gut dastehen lässt. Denn dieses internationale Zeitschriftenkonsortium hatte den Zweck, „die fehlende Intelligenz vor Ort zu kompensieren“, und ist für Marchart nur eins von mehreren Symptomen einer expliziten Theoriefeindlichkeit und -ferne der d12, die er schlüssig in einer Reihe von „Verschiebungen“ verortet, an denen sich aus emanzipatorischer Sicht der Rückschritt ablesen lässt, den die d12 (kuratiert von Roger M. Buergel und Ruth Noack) im Vergleich zu den vorangegangenen dX und D11 darstellt.

Theoretischer Ausgangspunkt dabei ist Gramsci, mit dem sich Biennalen als „Hegemoniemaschinen“ lesen lassen, in welchen die (gerade dominierende) bürgerliche Kultur zum Ausdruck kommt. Die von Laclau/ Mouffe auch diskurstheoretisch weitergedachte Hegemonietheorie besagt bekanntlich, dass kulturelle Dominanzverhältnisse nie statisch noch monolithisch zu denken sind, dass Verschiebungen im Feld selbiges verändern und stets neue Ausgangslagen schaffen, hinter die auch die Reaktion nicht treten kann; dass emanzipatorische Kritik vereinnahmt und von den Kritisierten produktiv gewendet werden kann, dass aber der „Stellungskrieg“ um kulturelle Hegemonie – geschickt und durchaus auch institutionell geführt – in einem heterogenen und unübersichtlichen Feld viel Potenzial bietet, die Dominanzkultur anzugreifen.

Marchart also richtet diese Perspektive auf besagte Verschiebungen und weist nach, wie auf der d12 die noch fünf Jahre zuvor (übrigens unter seiner Mitwirkung) etablierte Politisierung durch „Dekontextualisierung, Formalisierung und Ästhetisierung“ der Arbeiten buchstäblich neutralisiert wurde, wie die Umsetzung postkolonialer Kritik einer „Rezentrierung des Westens“ weichen musste, und wie man noch 2007 hinter die elementarsten Erkenntnisse einer Analyse der Kunstvermittlung als „spezifisches Wissen-Macht-Dispositiv“ zurückfallen kann. Bereichert wird diese Beweisführung um eine begrüßenswerte Kritik am anti-israelischen Ressentiment des sich kritisch wähnenden Kunstbetriebs und um die Idee, das Buch mit mit je einem (leider etwas redundanten) Theoriekapitel zu den Schlüsselbegriffen seines Titels nicht nur beginnen, sondern auch enden zu lassen.

Zwei Auslassungen nur sind Marchart anzukreiden: Zum einen hält er sich kaum mit der Frage auf, woran sich das positiv konnotierte „Kritische“ oder „Gegen-Hegemoniale“ denn festmachen lässt: Das poststrukturalistische Leitmotiv der Uneindeutigkeit scheint just für Gut und Böse nicht zu gelten. Zum anderen bleibt er das Glied in seiner sonst stringenten Argumentationskette schuldig, worin sich seine hegemonietheoretische Analyse von herkömmlicher politischer Kritik unterscheidet. Man sieht ja recht eindeutig, dass es mit den beauftragten KuratorInnen mehr oder weniger Einzelpersonen sind, die über den Weg verfügen, den die Hegemoniemaschine nimmt. Zeichnet es den Band gerade aus, dass er für Insider des Kunstsystems gleichermaßen aufschlussreich sein dürfte wie für LeserInnen, die kaum einen Fuß ins „Feld“ setzen, wäre es doch ein Leichtes gewesen, auch Einblick in die Hintergründe dieser Auftragsvergaben zu geben: denn ein Buergel macht noch keine Hegemonie.

Oliver Marchart: „Hegemonie im Kunstfeld. Die documenta-Ausstellungen dX, D11, d12 und die Politik der Biennalisierung“, Verlag Walther König, Köln 2008

Erschienen in MALMOE # 46 (Juni 2009)

Nach oben