Lehre

irgendwie sicher auf verschiedensten ebenen

Globalisierungskritische Neuerscheinungen

Die Publikationsflut zu Theorie und Praxis der globalisierungskritischen Bewegung wird immer diversifizierter, und manchmal kann es durchaus gewinnbringend sein, Texte miteinander in Bezug zu setzen, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben (wollen).

ZULÄSSIG IST DAS allein deshalb, weil bestimmte Anknüpfungspunkte immer die selben sind doch was aus der zapatistischen Rebellion, aus der Chiffre Seattle 1999 oder Hardt und Negris "Empire" gelesen wird, führt mit gutem Grund in verschiedenste Richtungen.

So hat etwa Leo Kühberger unter dem Titel "we make history" einen schmalen Band herausgebracht, der einen unverhohlen parteiischen Blick auf die globalisierungskritische Bewegung wirft. Nach einem nützlichen Überblick auf mögliche Deutungen der "HERRschenden ordnung der welt" sowie auf Geschichte und Entwürfe ihrer Oppositionen, werden drei Exemplare der Multitude interviewt: einer von den Tute Bianche, eine von Attac und einer aus Seattle. Deren Reflexionsniveau lässt allerdings hoffen, es möge für diese Bewegung nicht repräsentativ sein, und Interviewpassagen wie "und irgendwie glaub ich auf jeden fall, dass es, ich suche jetzt gerade nach dem richtigen wort, notwendig, notwendig ist glaube ich das richtige wort. weil's, ich weiß nicht, ich mein sicher auf verschiedensten ebenen, ich glaub nicht dass das, das alleinige sein kann, aber ich glaub das ist total das wichtige zeichen" mögen in einer Diplomarbeit, die der Text ursprünglich war, ihren Platz haben, in einer Buchpublikation sind sie schlicht eine Zumutung. Doch kritische Reflexion ist ohnehin Sache dieses bunt bebilderten und in trendy Minuskelschrift daherkommenden Bandes nicht; Theorie sei darüber hinaus "far from the movement", sinniert auch der Italiener. Kühbauer kennt die Theorie sehr wohl, ebenso sind ihm die Elemente, die diese Bewegung auch kritisierenswert machen, durchaus geläufig, doch fühlt er sich ihr viel zu verbunden, als dass er diese Diskussion ernsthaft betreiben möchte. Von einem guten Abschnitt über das Ambivalente an den NGO's abgesehen, verbleibt alles Andeutung; sogar von "verkürzter Kapitalismuskritik" hat der Autor gehört und weiß sie auch zu benennen, er kommt aber nicht auf die Idee, sie mit Antisemitismus in Verbindung zu bringen, der in seinem Text nur ein einziges Mal vorkommt: in einer Fußnote, in der die Attac'sche Fixierung auf die Finanzmärkte problematisiert wird, wenn auch nicht inhaltlich, sondern nur wegen ihrer Einseitigkeit.

UNGEWOLLT LIEFERT Leo Kühbauer damit einen Beleg für die These, dass das Bekenntnis zu den "Blinden Flecken der Globalisierungskritik", wie es im Titel eines Wiener Attac-Seminars zu Antisemitismus heißt (siehe S.14), mittlerweile eben auch schon zum guten Ton gehört: es biete die Möglichkeit, "Lernfähigkeit zu suggerieren, um dann genauso weiterwerkeln zu können wie früher." Zu lesen ist dies im Band "Spiel ohne Grenzen", der einen Großteil der Referate des gleichnamigen Kongresses (SPOG) in München vom Mai '03 versammelt, auf dessen Begleitgetön von Zu-, Absagen und "Abgrenzungsritualen" ich keinen weiteren Raum verschwenden werde; nur so viel: Spätestens die Lektüre der Textsammlung macht klar, dass es (strategisch begründeter) Humbug ist, hinter den OrganisatorInnen, ReferentInnen und Aussagen des Kongresses eine homogene Sekte zu vermuten, die den No Globals, deren "Zu- und Gegenstand" Thema der Veranstaltung war, nur Böses will. Belegen lässt sich dies etwa an den Antworten auf die Frage, ob die Bewegung für radikale Linke "anschlussfähig" sei, da sie in den unterschiedlichen Texten mit gleicher Vehemenz bejaht wie verneint wird.

Wenn auch insgesamt wenig Neues, bietet der Band einen guten Überblick darüber, wovon Kühbauer nicht schreiben will: was etwa struktureller Antisemitismus und Antiamerikanismus miteinander zu tun haben, welche Standardargumente der sog. Globalisierungskritik auf reinen Mythen beruhen, wer sich unter diesem Label sonst noch so tummelt und warum die Anziehungskraft für Rechte keine Panne sondern inhaltlich angelegt ist. Eine echte Enttäuschung ist der Beitrag zu "Empire", der im Wesentlichen aus der Aneinanderreihung einer nicht mehr nachprüfbaren Flut von Zitaten aus dem Buch besteht und dabei zu teilweise abenteuerlichen Schlüssen gelangt, die mit einer solchen Argumentationsführung zur reinen Glaubensfrage werden.

DANN SCHON LIEBER DAS ORIGINAL: Thomas Atzert und Jost Müller haben einen Band herausgegeben, der etwas willkürlich in "theoretische, historische, soziologische und politische Aspekte" strukturiert eine Reihe von Essays versammelt, die die in "Empire" vertretenen Thesen fortschreiben, weiterdenken und zum Teil auch kontroversiell diskutieren. Über die Rezeptionsgeschichte von "Empire" ist bald gleich viel gesagt worden wie über den Inhalt (s. MALMOE 11), und wenn auch die Herausgeber nicht umhinkommen, abermals die Legende vom "Katechismus der Globalisierungskritik" zurückzuweisen, ist es ganz wohltuend, mal wieder vor allem davon zu lesen, was an den Entwürfen dran ist statt davon, wie suspekt allein diese oder jene positive Bezugnahme ist. Spannend sind etwa die Beiträge zum General Intellect, der in Anlehnung an Marx die Perspektive auf eine Form von Massenintellektualität eröffnet, wie sie angesichts der bekannten Deutung der neuen Verhältnisse von Souveränität, angesichts des Übergangs zu Arbeitsteilungen, die durch die immaterielle Arbeit nicht eben übersichtlicher geworden sind, in postoperaistischer Tradition ausgearbeitet wird. Wenn dieser "Massenintellektualität" als emanzipatorische Hoffnungsträgerin allerdings mit dem Argument das Wort geredet wird, dass sie sich von zu "positivistischen" Entwürfen etwa der Marke Bourdieu absetzt, dann muss die schwärmerische Bezugnahme auf die famose Multitude genauso dieser Kritik unterzogen werden, so differenziert sie hier auch noch einmal ausgearbeitet wird. Zum Ausdruck kommt das in so rhetorischen Handlungsaufträgen an "die Multitude", allein durch ihr "Sein", wie Negri schreibt, "die absolute Grenze der imperialen Souveränität" zu setzen.

Sogar im SPOG-Buch steht, dass "mit Foucault wesentliche Strukturen der Macht erkennbar wurden", wenn dieses Verdienst auch in den Schatten gestellt werde vom zunehmenden Abstand zur Analyse der politischen Ökonomie. Genau diese Verknüpfung werde aber von "Empire" geleistet, und Atzerts und Müllers Band belegt auch, dass hier mehr betrieben wird, als "kritische Begriffe durch methodologische Etiketten" zu ersetzen, wie es in München hieß; was wieder einmal den Wunsch hinterlässt, die Leute mögen sich mehr gegenseitig lesen.

Leo Kühberger: we make history. bewegungen widerstand GLOBAL institutionen kapitalismus. Graz 2004
AStA der Geschwister-Scholl-Universität München (Hg.): Spiel ohne Grenzen. Zu- und Gegenstand der Antiglobalisierungsbewegung. Berlin 2004
Thomas Atzert / Jost Müller: Immaterielle Arbeit und imperiale Souveränität. Analysen und Diskussionen zu Empire. Münster 2004

Erschienen in Malmoe # 21 /2004