Lehre

Keanu Chiasma Charisma

Irgendwann im Februar druckte der Standard in seiner "Leute"-Rubrik eine dpa-Meldung, deren voller Inhalt darin bestand, dass "Keanu Reeves, Hollywoodstar" nach eigenen Aussagen an ein Leben nach dem Tod glaube. Eine solche Belanglosigkeit mag nur übergehen, wer den Roman "Frank & Anastasia" nicht gelesen hat und somit auch nichts weiß vom Chiasmus, mit dem dieser Schauspieler die Filmwelt beschenkt und der eine solch profunde Einsicht gleich in einem anderen Lichte erscheinen lässt.

"Eine Postkarte an Keanu Reeves" lautet auch der Untertitel des Buches, das der erste Titel des "blackbetty-Verlages" ist, der sich vor kurzem im Top-Kino dem Publikum präsentierte. Obwohl gleich heuer auf der Buchmesse in Leipzig präsent will der Verlag versuchen, in vieler Hinsicht neue Wege zu gehen, wie Gründer Jörg Hotter MALMOE gegenüber erklärt. Neben der Buchproduktion konzentriert man sich nämlich auf die Etablierung eines "Publishing Networks", das den neuen technischen und publizistischen Möglichkeiten mit Blick auf Kunst, Literatur und Web Rechnung tragen soll. Wir werden sehen.

Einstweilen halten wir einmal diesen Text von Marina Marsilio in den Händen und wollen wissen, was es mit der Schauspielkunst von Keanu Reeves denn nun auf sich hat. Er hat das, was laut den Reflexionen, die die Autorin ihrer Figur Mariisa in den Mund legt, einst zur "notwendigen Grundausstattung" aller SchauspielerInnen werden wird, die Fähigkeit nämlich, über das von Film und Kulturindustrie "abverlangte Charisma" hinauszugehen und eine Bedeutungsebene zu etablieren, die gewissermaßen ‚hinter' diesem Charisma liegt. Keanu Reeves affirmiert, was seine Rolle ihm abverlangt und schafft gleichzeitig eine neue Bedeutung; diese "Verkreuztheit von Bedeutungen" - deshalb Chiasmus - betrifft aber auch das Publikum, Reeves fordert uns auf, "uns aus dem Rollencharisma immer in seinen Chiamsus zu bewegen", und möglicherweise liegt darin das subversive Potenzial des Ganzen: Einerseits ohne den Text zu verändern, mit seinem Kontext zu brechen und andererseits dadurch erst den Raum zu schaffen für das Stellen von Fragen; im Schutze des Charismas schafft und sichert das chiasmatische Schauspiel imaginäre Orte, "an denen das Fragen immer stattfinden kann", von denen aus es möglich wird, "an die Türen von echten Partikeln individueller Freiheit anzuklopfen."

Verwoben wird diese Hypothese mit der eigentümlichen Liebesgeschichte von Frank und Anastasia, allerdings bleibt die Versprechung des Klappentextes weitenteils uneingelöst, dass sich obige Überlegungen in dieser "verwirklichen" würden, so sehr der diesbezügliche Anspruch der Autorin zu spüren ist. Vielmehr ist sie etwas überfrachtet mit einer Themenpalette von Migration und Sprache über Jugoslawienkrieg bis hin zur sehr konventionell vorgetragenen Absage an Konventionen, etwa der Geschlechterdualität: "Was für eine katastrophale Welt."
Sprachlich gelingen die Rythmuswechsel zwischen Reflexion und Erzählfluss ganz gut, am nächsten an das notwendige Charisma erzählender Literatur kommt die Autorin, wo sie - ganz unchiasmatisch - von sich selbst spricht: "Soll ich nicht dieses mein Ich-Sein von Sinngebung befreien und lieber zusehen, welche Sinnvarianten ihm im Laufe des weiteren Werdens zukommen?"


Marina Marsilio: Frank & Anastasia. Eine Postkarte an Keanu Reeves. Wien 2005.

www.blackbetty.at

Erschienen in Malmoe #25 / 2005