Lehre

Kein Staat wie jeder andere

Ein Buch über die „Einsamkeit Israels“

Man möchte es polemisch als Ticketdenken bezeichnen, wenn diese Zeitschrift in letzter Zeit vermehrt dafür angefeindet wird, Antisemitismus dort zu benennen, wo er kenntlich wird – auch und gerade in lieb gewonnenen Milieus der Linken. Diese Anfeindungen kommen aus der linken Mitte und meist ohne sachliche Argumente aus: MALMOE gebe sich für ‚antideutsche‘ Positionen her – das muss als Kritik und deren Begründung in einem genügen, da weiß augenscheinlich jede/r, was gemeint ist. Den auf diesem vorgeblich anti-antideutschen Ticket so selbstsicher Reisenden sei das hier vorzustellende Buch anempfohlen, weil es über weite Teile unpolemisch, dafür faktensatt Fragen behandelt, die einer antifaschistisch sich wähnenden Linken eigentlich am Herzen brennen sollten. Zu befürchten ist aber, dass das Buch diese Zielgruppe verfehlen wird, weil die Antisemit/innen mit jenen, die sie nicht so nennen wollen, eins gemeinsam haben: Um Fakten geht es ihnen nicht.

In zahlreichen kurzen und lockeren Kapiteln spannt Stephan Grigat einen Bogen von der Geschichte Israels seit der Staatsgründung, den endlosen sog. Friedensprozessen, linker bzw. kommunistischer Parteigeschichte im Inneren des Landes, den diversen linken und rechten Feinden Israels in Europa und anderswo bis hin zur „gegenwärtig zentralen Bedrohung“ durch den Iran. Dabei zeigt er den Charakter des zionistischen Projekts gut auf und argumentiert schlüssig, weshalb die Infragestellung seiner Kernelemente der (meist uneingestandenen) Infragestellung des jüdischen Staates als solchem gleichkommt. So gelingt der Nachweis, dass viele Äußerungen der hiesigen Linken diverser Schattierungen, die sich als sog. ‚Israelkritik‘ nur schlecht tarnen, „jede Differenzierung zwischen Antizionismus und Antisemitismus überflüssig machen“. Am spannendsten ist aber der Teil über die die antizionistische Linke in Israel selbst, die sich einer „großen globalen Fangemeinde“ erfreut, bedient sie doch das „Bedürfnis nach vermeintlich legitimer, weil von jüdischen Israelis vorgetragener ‚Israel-Kritik‘“. Von ihrer Geschichte und den internen Konfliktlinien weiß man hierzulande nur wenig, und Grigats bei aller beigemengten Kritik wohltuend nüchtern vorgetragenes Referat ist äußerst instruktiv.

Dass das Buch ursprünglich nicht als solches konzipiert wurde, sondern zum großen Teil aus zusammengetragenen Texten besteht, die in diversen Zeitschriften bereits erschienen sind, ist dem lieblosen Vorspann, mancher Redundanz über die Kapitel hinweg, dem schmerzlich fehlenden Literaturverzeichnis und dem ausbleibenden Schlusswort anzumerken. So hört es mit der kritischen Behandlung der Atomverhandlungen mit dem Iran einfach auf, was dem letzten Satz ein unerwartetes Gewicht gibt, das auch die anderen im Band verhandelten Themen beschwert: Die „zionistische Selbstbehauptung“ bleibe bis auf weiteres „eine Frage der überlegenen Gewalt“. Das ist kein antideutscher Bellizismus, sondern ein mit den im Buch ausgebreiteten Tatsachen leider gut begründetes Fazit.

Stephan Grigat: Die Einsamkeit Israels. Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung. Konkret Texte, Hamburg 2014

Erschienen in MALMOE 70  (2015)

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