Lehre

Endlich eine gute Nachricht?

Zu Hannes Heers Buch "Vom Verschwinden der Täter".

Hannes Heer, Historiker, ist der "Macher" der mittlerweile so genannten "ersten Wehrmachtsausstellung" des Hamburger Instituts für Sozialforschung, welche bekanntermaßen wegen einiger weniger falsch beschrifteter Bilder zur Gänze zurückgezogen und durch die "neue Wehrmachtsausstellung" ersetzt wurde, die - wie MALMOE in der letzten Nummer ausführlich kommentiert hat - nun definitiv zu Ende gegangen ist. Hannes Heer wurde zu Zeiten "seiner", ersten Ausstellung zu Recht kritisiert, weil auch bei ihm schon das Anliegen, endlich mehr Empathie für die Täter zu mobilisieren, unüberhörbar anklang in Forderungen wie: "Man muss gleichermaßen zur Kenntnis nehmen, dass sie selbst auch viel Leid (...) erlebt haben. Wir haben aus dieser Ausstellung auch gelernt, dass uns die historischen Fakten ein wenig zu stark imprägniert haben, um auch individuelle Schicksale wahrzunehmen."

Solcherlei sollte nicht in Vergessenheit geraten, wenn Heer nun, da sein Ex-Boss Jan Philipp Reemtsma eine gelinde gesagt stark entschärfte Neufassung mit unsäglichem Rahmenprogramm ausstellen ließ, in die Lage gerät, sich als scharfer Kritiker von Täter-Opfer-Umkehrmechanismen und dem "Verschwinden der Täter" zu gerieren. Wenn es heute Konjunktur hat, den Bombenkrieg der Alliierten zur Beendigung des Nationalsozialismus gegen die volksgemeinschaftlichen Verbrechen in den Konzentrationslagern aufzurechnen, so kritisiert Heer das zu Recht und mit guten Argumenten doch sei ihm nicht vergessen, dass es ihm 1995, just zur Eröffnung der Wehrmachtsausstellung, selbst ein Anliegen war darauf hinzuweisen, dass die Bombardierung Dresdens "selbstverständlich auch ein Kriegsverbrechen" gewesen sei.

Gutes Stück Konsensgeschichte

In seinem Buch zeichnet Heer die Entwicklung nach, die schlussendlich zum Rückzug der ersten Wehrmachtsausstellung geführt hat und beweist, dass das Argument der falsch beschrifteten Bilder lediglich ein willkommener Anlass war, sich dem massiven politischen Druck, der angesichts des Tabubruchs, den die Ausstellung darstellte, zu beugen. Dass die Neufassung von der FAZ als "gutes Stück Konsensgeschichte" bezeichnet wurde, ist dabei weniger alarmierend als der Umstand, dass ihre MacherInnen dies als Kompliment erfreut zur Kenntnis nahmen. Die "Versachlichung" und "Entbilderung" der neuen Ausstellung hatte nicht lediglich zu einer anderen, wasserdichten Form gefunden, die Aussage der alten zu bestätigen - vielmehr weist Heer nach, dass die Kernthesen der ersten Wehrmachtsausstellung von der zweiten nicht mehr vertreten wurden, unabhängig vom Umgang mit dem Bildmaterial. Auf eine Kritik an der ersten Fassung der Ausstellung, dass sie nämlich nicht thematisierte, wie es zu den Verbrechen kommen konnte, die Frage nach der "Mentalität" der Täter also, auf diese Vorwürfe, die Heer mit dem etwas dünnen Argument zurückweist, es habe zu jenem Zeitpunkt zu wenig Forschungsmaterial dazu gegeben, versucht er nun einzugehen, indem er ein Kapitel seines Buches eben diesen Mentalitäten widmet, was gehörig misslingt. Statt endlich zur Kenntnis zu nehmen, dass TäterInnenforschung gut daran täte, sich ein Erkenntnisinstrumentarium anzueignen, das womöglich außerhalb der eigenen Disziplin liegt, kommt Heer wie so viele vor ihm nicht über fragwürdige Pseudopsychologisierungen hinaus und spricht von "Raserei", "Wahnsinn", "steinernen, eiskalten Herzen", "entmenschten Berserkern", "lechzenden sadistischen Räubern" und "Bestien". Dies sei die "Sprache der ehemaligen Soldaten"; warum nur schreibt einer ein Buch und findet keine eigene?

Rekordverdächtige Verkaufszahlen

Kernthese des Buches ist jedoch, dass das Entlasten, das "Verschwinden" eben, der Täter, nicht erst mit den von der neuen Wehrmachtsausstellung propagierten Diskurs begann, sondern sich bis in die Zeit unmittelbar nach 1945 zurückverfolgen lässt. Dies ist in einem spannenden Bogen nachvollziehbar: Auf Tagebücher und Nachkriegserinnerungen von Wehrmachtssoldaten, die vor allem das Wissen um die Lüge von der "Sauberkeit" ihrer Truppe belegen, folgt die deutsche Nachkriegsnormalität etwa mit dem "Literaturskandal" Remarque, dessen entlarvender "Täter"-Roman in der deutschen Übersetzung einfach um entscheidende Stellen gekürzt wurde und durch die Umschreibung ganzer Passagen vom Thema des Antisemitismus befreit; Ernst Jünger hingegen deutet seine Tagebücher aus den 40er Jahren einfach selbst um und macht aus den Konzentrationslagern einen "Teil der Naziwelt", gleichbedeutend mit dem Schlimmen, das auch "Arier" zu erleben hatten. So können revisionistische Forscher der Gegenwart an eine lange Vorgeschichte anknüpfen. Bogdan Musial etwa, der den Bilderskandal um die erste Wehrmachtsausstellung losgetreten hatte und damit unbemerkt einen Diskurs etablieren wollte, der in seinem nunmehrigen Bemühen, dem jüdischen "Tätervolk" die Mitschuld an seiner eigenen Vernichtung nachzuweisen, besten Ausdruck findet. Oder Jörg Friedrich, der durch die Gleichsetzung von KZs und deutschen Luftschutzkellern rekordverdächtige Verkaufszahlen erzielt: die Deutschen als wahre Opfer - nach "den Zumutungen der Goldhagen-Debatte und der Ungeheuerlichkeit der ersten Wehrmachtsausstellung war das endlich einmal eine gute Nachricht".

Schreibtisch aufgeräumt

Diese durchaus (er)kenntnisreiche Publikation ist vieles, aber sicher keine "provokante Untersuchung", wie sie sich selbst promotet. Denn: Hannes Heer ist Wissenschafter, dementsprechend penibel sind auch die Quellenangaben, auf die er seine Texte baut. Selbige sind aber auch entlarvend, weil ihnen unschwer zu entnehmen ist, dass kaum etwas in diesem Buch von wirklich Neuem zu berichten weiß. Dies wird etwa besonders deutlich in dem Abschnitt, wo Passagen aus Interviews mit Ausstellungsbesuchern analysiert werden, die die Filmemacherin Ruth Beckermann vor bald 10 Jahren geführt und veröffentlicht hat. Keine Frage, das Material ist kompetent und lesenswert aufbereitet, doch entsteht immer wieder der Eindruck, Heer habe anlässlich der Schließung des Kapitels Wehrmachtsausstellung seinen Schreibtisch aufgeräumt und noch einmal verbraten, was ihm an Material übrig geblieben ist. Der passende argumentative Bogen ist ja nicht gerade schwer zu finden.

Dass er ein Wissenschafter ist, heißt aber auch, dass er mit so einer Veröffentlichung den Spagat versucht zwischen einem lesbaren Werk, einem politischen Statement sowie seiner eigenen Positionierung unter den Big Names der deutschen NS-Forschung. Die daraus sich ergebenden Unvereinbarkeiten sind da und dort spürbar, etwa wenn er sich vor lauter wissenschaftlicher Differenzierung nicht mehr traut, antisemitisch zu nennen, was antisemitisch ist.

Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei. Aufbau-Verlag, Berlin 2004


Erschienen in Malmoe # 21 / 2004