Lehre

GESTALTEN GESTALTEN

Zu den Gemälden von Gabriela Pohn-Weidinger

Wenn man die zuweilen ‚schweren‘ Bilder dieser Ausstellung betrachtet und zusätzlich Gelegenheit hat, mit der Künstlerin ins Gespräch zu kommen, sticht auf den ersten Blick zweierlei ins Auge: Erstens, die Werke haben keine Titel; und ihre Grundstimmung ist, zweitens, nur schwer mit der Wirkung in Einklang zu bringen, die Gabriela Pohn-Weidinger als Person hat, mit ihrer Ausstrahlung, die wenig teilt mit der Aura dieser Bilder.

Dieses Offenkundige dient mir als Ausgangspunkt, um weniger Offenkundiges zur Sprache zu bringen, denn ich möchte behaupten, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem einen (dass die Bilder sämtlich Ohne Titel sind) und dem anderen (dass das manchmal düster und beklemmend Wirkende dessen, was auf den Bildern zu sehen ist, kein linearer, spiegelbildlich rückführbarer Aus-Druck zu sein scheint).

Dies führt uns auf die Spur des zunächst rätselhaften Titels der Ausstellung, GESTALTEN GESTALTEN: Was hat es mit den Gestalten, die wir hier, z.T. in Variationen, sehen, auf sich? Und welche Rolle spielt das Gestalten? Einer simplen Antwort auf die erste Frage – Was sehen wir hier eigentlich? – entzieht sich Gabriela Pohn-Weidinger, und das kommt auch in ihrem Verzicht auf Bildtitel zum Ausdruck. Denn wie ein Titel – als Paratext – Teil des Kunstwerks ist, so ist es auch sein Fehlen. Wir sind im Betrachten und Deuten dieser Gestalten, im Empfinden ihrer starken Wirkung, auf uns selbst gestellt.

Ist die Frage überhaupt zielführend, wer die Gestalten sind, oder: was sie sind? Es gibt in der Kunstgeschichte ein berühmtes Gemälde, welches das Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem – hier: des Gestaltens und der Gestalten – offensiv thematisiert: René Magrittes Trahison des images (Der Verrat der Bilder) aus dem Jahr 1929. Zu sehen ist eine überaus kunstfertig dargestellte Pfeife, und darunter der buchstäblich didaskalische Schriftzug: „Ceci n’est pas une pipe“ („Dies ist keine Pfeife“). Worauf hier die Aufmerksamkeit gelenkt wird, ist die Beziehung zwischen dem Objekt, seiner Bezeichnung und seiner Repräsentation: Was wir sehen, ist keine Pfeife (es ist das Bild einer Pfeife), genauso wenig wie das Wort dafür, das Zeichen, in einer ursächlichen Beziehung zu seinem Objekt steht. Wir können uns hier nicht weiter in dieses Semiotische Dreieck vertiefen, an dieser Stelle sei lediglich in Erinnerung gerufen, dass diese Einsicht in die sprachlich/symbolische Strukturiertheit all unserer Wahrnehmungen eine bahnbrechende war und das Denken des 20. Jahrhunderts nachhaltig prägte.

Und zwar nicht zuletzt auch die Theorien der Psychoanalyse, der auch der Surrealismus Magrittes bekanntlich eng verbunden war. Wenn wir uns hier – in Hörweite der Berggasse 19 – die Prinzipien der Traumdeutung in Erinnerung rufen, so stoßen wir abermals auf ‚das Symbolische‘: Die Traum-Bilder stehen nicht für sich selbst, sondern für etwas Anderes. Und an Traumsequenzen fühlt man sich in den Szenen, in den menschlichen Interaktionen, die Gabriela Pohn-Weidinger gestaltet, erinnert: Wenn Körper und ihre Teile ihren Platz zu verlassen scheinen, in Proportion und Ort verfremdet werden, zerfließen (wie ihr Geschlecht), eingefangen, neu konturiert werden. Wenn das zu Sehende verschwimmt und entgleitet, wenn man mit einem Mal nicht mehr scharf sieht und das Wort nicht mehr findet. Zum Sprechen ansetzt und stumm bleibt. Wenn das Vertrauteste fremd wird und das Befremdliche mit einem Mal immer schon da ist.

Blicke, die ebenso verschwimmen, Blicke, die einen treffen, Blicke zur Seite und auf eine Seite, die man lediglich ahnt. Obschon nur selten angeblickt, fühlt man sich erkannt und ist einbezogen in die vielen Formen der buchstäblichen Berührung, die hier durchgespielt werden: Körperliche Nähe und oft auch größte Distanz trotz dieser Nähe, die dann aber zu einer bedrängenden wird – in den meisten dieser Bilder möchte man selbst nicht sein. Der Augenblick steht im Mittelpunkt ihrer Kunst, wie Gabriela Pohn-Weidinger selbst schreibt (und zwar im doppelten Wortsinn, wie man hinzufügen möchte): Der Moment, dem wir im Erwachen noch nachfühlen, nicht immer gewollt.

Die namenlosen Gestalten von Gabriela Pohn-Weidinger legen es nahe, in ihrer Kunst Magrittes Hinweis, dass die Darstellung einer Pfeife keine Pfeife ist, sozusagen um ein allegorisch Weiteres verschoben zu sehen: Schon gar nicht sind diese Gestalten sie selbst und sie lassen sich keineswegs unmittelbar befragen. Wollten wir Gabriela darauf drängen, uns anders als mit ihrem Gestalten zu sagen, was uns ihre Gestalten sagen, brächten wir sie in die Verlegenheit, uns auf das Offensichtliche zu stoßen: die Antwort in unserem eigenen inneren Bilder-Vorrat suchen zu müssen.

Die psychoanalytischen Lehren aber, hat Adorno festgestellt, sind „psychologisch ergiebiger als ästhetisch“ – und dem würde Gabriela Pohn-Weidinger vermutlich zustimmen, die auch mit mir lieber über den Pinselstrich gesprochen hat als über die „Theorie des Seelenlebens“, welche, so Adorno, „die Formkategorien über die Hermeneutik der Stoffe“ vergisst (Ästhetische Theorie, S. 19-21). Das „Material“ hat „ein Eigengewicht“, und dieses Material – die Farbe, der Strich – liegt Gabriela Pohn-Weidinger ganz besonders am Herzen. Ob ein Bild gelingt oder nicht, ist für sie nicht (oder nicht nur) eine Frage der Gestalt, sondern zunächst und in erster Linie eine des Gestaltens, ganz konkret und materiell: der Sinnlichkeit des Umgangs mit dem Material der Farbe, des Öls. Und gleichzeitig sehnt ausgerechnet sie – die uns mit diesen großen Formaten berührt – sich nach der Rückkehr zum schlichten Strich, wie sie mir gegenüber bekannte: zum Strich der Zeichnung, der in wenigen Konturen den Moment, den Augenblick, ebenso einzufangen vermag. Auch aus diesem Grund umfasst diese Ausstellung ganz bewusst nicht nur die großen, buchstäblich ‚starken‘ Ölgemälde, sondern auch Einblicke in Gabriela Pohn-Weidingers zeichnerisches Werk, bei dem sie bis heute – und wieder mehr – gern innehält.

GESTALTEN GESTALTEN: Mit der Suche nach dem „allumfassenden“ Strich, wie es im Einladungstext heißt, kommt zu der Ebene des gekonnten Gestaltens und jener der eindrucksvollen Gestalten eine dritte hinzu, auf der Gabriela Pohn-Weidinger den Akt des Gestaltens als solchen reflektiert. Ihr Werk überzeugt auf jeder dieser Ebenen und es ist überaus begrüßenswert, dass es in dem schönen Rahmen dieser Räumlichkeiten seine lang verdiente Würdigung erfährt.

Einführende Worte bei der Vernissage am 30. April 2019 in der Gesellschaft für Musiktheater, Wien

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