Das Pferd bleibt "Der Krieg ist die einzige Hygiene der Welt",
fand Filippo Tommaso Marinetti, Gründungsfigur des Futurismus, der
den Militarismus und "all die schönen Ideen, für die man
stirbt" verherrlichte. Die derzeit laufende "Futurismus"-Ausstellung
im Kunstforum lässt ausgerechnet davon wenig erkennen, wie sich im
Gespräch mit der Literaturwissenschafterin Renate Lunzer herausstellt
Lunzer: Was eigentlich überraschend ist, das Thema Krieg ist doch bei den Schlagwörtern des Futurismus ganz vorne, oder? Die Frage ist, was man mit so einer Ausstellung will. Ich
hatte auch bei der grossen Ausstellung zum Futurismus vor zwei Jahren
in Rom den Eindruck, dass man diese negativen und destruktiven Seiten
der futuristischen Bewegung nicht unbedingt in den Vordergrund stellen
will. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, was in dieser grossen
Didaskalie neben dem Eingang, also am Anfang der Ausstellung zu lesen
ist, dort steht nämlich: "Die weitere Genese des Futurismus
ist in einem historischen Rückblick aus heutiger Sicht nicht unproblematisch,
war doch Marinetti dem italienischen Faschismus trotz einer gewissen Skepsis
gegen Benito Mussolini eng verbunden." Das ist eindeutig unrichtig,
denn man müsste wirklich feststellen, dass am Anfang des Futurismus,
im ersten "Futuristischen Manifest" von 1909, die Gewalt und
der Krieg verherrlicht sind, zusammen übrigens im gleichen Satz mit
der Verachtung der Frau, wenn ich mich recht erinnere. Diese Seiten des
Futurismus sind in der Ausstellung wenig thematisiert, es kann sein, dass
dazu im Ausstellungskatalog breiter Stellung genommen wird; ich habe ihn
durchgeblättert, da ist ein Beitrag von Schmidt-Bergmann drin, da
war wohl ein Hinweis auf die Verwicklung in Krieg und Faschismus, aber
man kann nicht von jedem Ausstellungsbesucher annehmen, dass er sich den
Katalog kauft. In diesem Manifest, das ganz klein in einer Ecke auch in deutscher Übersetzung stark verkürzt nachgelesen werden kann, ist auch eine der berühmtesten Provokationen von Marinetti zitiert, nämlich dieses Loblied auf das schnelle Auto, das allemal schöner sei als die "Nike von Samotrake". Um jetzt nocheinmal den Bezug zur Gegenwart herzustellen: Ich habe mich erinnert gefühlt an die "grosse Provokation" des US-Verteidigungsministers Rumsfeld, der vom "Old Europe" gesprochen hat, das sich an diesem Krieg gegen den Irak nicht beteiligen will. Ist das eine Provokation, die in die gleiche Kerbe schlägt? Ja, ich denke schon, dass man da Parallelen sehen kann und muss. Das ist diese ikonoklastische Geste, die aus einem bestimmten Hass gegen alles Alte, aus einem bestimmten Kulturhass heraus kommt. Auch dieser Aspekt geht bis zu einem gewissen Grad unter, dass die militanten Avantgarden ein ungeheures Potenzial an Destruktion an sich haben. Hier ist es eben der Wunsch, die Nike von Samotrake zu zerschlagen, und Rumsfeld versteigt sich nicht einmal mehr bis zur Nike von Samotrake, bei ihm geht das dann auf weniger elaborierte Weise, er spricht nur von "Old Europe". Das antike Griechenland ist doch auch ein Sinnbild für "Old Europe". Selbstverständlich, Griechenland ist Sinnbild des "Old Europe". Man könnte auch einfach bei Marinetti hineinschauen und alle anderen Orte, Orte des Gedächntisses heraussuchen, die "Old Europe" symbolisieren, z.B. seine Tiraden gegen Venedig, das als Lotterbett aller europäischen Touristen verunglimpft wird, usw. Dann auch die Vorschläge später in politischen Schriften, schon zur Zeit des sich entwicklenden Faschismus, dass man die Kunstschätze verkaufen soll und ähnliches. Man sieht hier wirklich diesen tiefgehenden Kulturhass, die ikonoklastische Geste, die das zerschlagen will, was viele Generationen und Jahrhunderte vorher aufgebaut haben. Diesen Kulturhass würde ich dann, wo es dezidiert auch gegen Bibliotheken geht, nicht nur gegen Museen, die als "cimiteri" [Friedhöfe] bezeichnet werden, wo der Aufruf ergeht, die Regale in den Bibliotheken anzuzünden, auch als Anti-Intellektualismus bezeichnen. Aus der Perspektive in Österreich, wo ja die Intellektuellenfeindlichkeit eine wichtige Säule des zentralen gesellschaftlichen Antisemitismus ist, frage ich mich: Welche Rolle könnte im Kontext des Futurismus die Intellektuellenfeindlichkeit spielen? Das ist auch das Problem dieser völligen Ambivalenz des Futurismus, denn man muss natürlich jemanden wie Marinetti bis zu einem gewissen Grad auch als Intellektuellen bezeichnen. Ich frage mich, ob man hier von Intellektuellenfeindlichkeit sprechen kann ... Oder richtet sich das nur gegen die tradierte Form der Bildungsinstitutionen? Vielleicht könnte man schon bis zu einem gewissen Grad
von Intellektuellenfeindlichkeit sprechen; wenn sie anfangen, die intellektuelle
Tradition an einem bestimmten Punkt abzuhauen, müsste man eigentlich
schon von Intellektuellenfeindlichkeit sprechen. Ein anderes Problem ist
natürlich, dass Marinetti selber innerhalb des italienischen Faschismus
eine bedeutende Rolle einnimmt als Intellektueller, aber das können
wir dann mit vielen Fragezeichen versehen. Ich denke also schon, dass
man von Intellektuellenfeindlichkeit in dem Sinn sprechen kann, dass eine
kulturhistorische Tradition durchgeschlagen und abgehauen wird. Man liefert
dann dafür etwas anderes, oder bietet etwas anderes an, und das andere,
das angeboten wurde, wären dann die grossen Verdienste des Faschismus
für die Entwicklung der europäischen Avantgarden, das müsste
man sich doch sehr genau anschauen. Bei all diesen Ausstellungen über
den Futurismus in den letzten Jahren ist doch immer im Vordergrund zu
sehen: Marinetti als Vater der Avantgarde. Marinetti, der den Paroliberismus
und neue Techniken in die Literatur einführt. Es gibt hier eine grosse
Ambivalenz. Der Gedanke war, dass der Intellektuellenfeindlichkeit in Österreich eine klare Funktion im "normalen" antisemitischen Diskurs zukommt. Meine Frage war, ob die (von mit behauptete) Intellektuellenfeindlichkeit im Futurismus auch eine Rolle einnehmen könnte. Ich sehe da wenige Verbindungslinien zwischen dem Futurismus und Österreich, in diesem Sinne, was die Intellektuellenfeindlichkeit betrifft. Offensichtlich. Die österreichischen Intellektuellen der Zeit konnten auf Marinetti ohnehin kaum gut zu sprechen sein, der ja ein glühender Kriegsbefürworter war. Er ist ja auch im deutschen Sprachraum zunächst in Berlin rezipiert worden, von den Leuten von Herwarth Walden und von den Leuten vom "Sturm", also nicht in Österreich, wie ja überhaupt die Vermittlung von Geistes- und Kulturgütern zwischen Italien und Österreich zu dieser Zeit vor dem 1. Weltkrieg nicht gut funktioniert hat. Da sehe ich keine Verbindungslinien, ich denke, die österreichische Intellektuellenfeindlichkeit hat wenig oder nichts mit dem Futurismus zu tun. Die ist auf sehr verschiedene Weise hausgemacht. Im Gedanken an die zu überschwemmenden Museen ist es amüsant, im "Kunstforum" eine Ausstellung zu sehen, die sehr konventionell und frontal einfach Bilder zeigt, und von interessierten Leuten durchschritten wird, ich habe mich an das Publikum erinnert gefühlt, das sich von Handke beschimpfen lässt. Es wird durch den Besuch einer Ausstellung ein Ritual vollzogen, das eigentlich von dem, was ausgestellt wird, durchlöchert und bekämpft werden sollte. Ja, und das obwohl so viel Gelegenheit gewesen wäre, bei einer solchen Ausstellung eben genau das zu zeigen oder zumindest anzudeuten, was die Futuristen dazu getan haben, um den Bürger zu verschrecken. Das programmatische "epater le bourgeois", d.h. die "serate futuriste" ["Futuristischen Abende"] ein bisschen klarer darzustellen und den Leuten einen Begriff zu geben, was das für ein Spektakel, was das für ein Zirkus war. Das ist mir eigentlich auch abgegangen. Und genau die Aspekte sind es ja auch, die es einem auch so schwer machen, jenseits von der sachlichen oder kunsthistorischen Haltbarkeit Futurismus als Synonym für faschistische Kunst zu verwenden, weil ja sehr viel Antibürgerliches, Aktionistisches, Anarchistisches enthalten ist, das ja durchaus reizvoll auch aus linker Perspektive wirken kann. Ich denke z.B. an die "Cucina futurista" [Futuristische Küche], wo Menüs von hinten nach vorne konsumiert wurden, also vom Kaffee zum Aperitiv, und zwar mit den Händen und nicht mit Besteck, um dem Tastsinn wieder die Rolle zukommen zu lassen, die ihm gebührt. Oder auch diese geräuscherzeugenden Instrumente, die auch in der Ausstellung zu sehen sind, die "Intonarumori", wo es sehr wohl auch in der aktuelleren alternativen Musikgeschichte Ansätze gibt, in der Industrial-Music, bei den Einstürzenden Neubauten... Ja, die Einstürzenden Neubauten haben mich immer sehr beeindruckt, die haben einen sehr schönen Namen gefunden. Die machen doch auch etwas Ähnliches, die sind angetreten mit ihrem "Listen with pain", "Höre mit Schmerzen"; die haben also ganz ähnliche Konzepte gehabt wie dieser futuristische Ansatz: Eine Autofabrik kann ein Orchester sein. Zur Anziehungskraft, die der Futurismus durchaus auch auf
aufgeschlossene und linke Geister ausübt, kann man erzählen,
dass sich auch Gramsci eine Zeit lang sehr für den Futurismus interessiert.
Das heisst, auch hier wird wieder die ganze Ambivalenz deutlich, die sich
auch in den politischen Manifesten entfaltet: 1918 Gründung der "Fasci
politici futuristi" ["Futuristische politische Bünde"],
wozu es ja auch überall Literatur und Programmschriften gibt, in
denen durchaus auch linke Elemente waren: ein antiinstitutionelles radikales
Sozial- und Wirtschaftsprogramm, sodass Gramsci sich eine Zeit lang wirklich
für den Futurismus interessiert hat. Das also zum bereits gefallenen
Wort Ambivalenz. Auf der Ebene der Literatur kann man doch das Beispiel von Vladimir Majakovskij heranziehen, um zu sagen: Man kann ausgehend von diesen futuristischen Ideen auch einen anderen Weg einschlagen als den faschistoiden und bellizistischen . Man könnte, vielleicht. Aber Sie glauben, dass das den Konzepten immanent ist? Die Malerei und die Skulptur sind Bereiche, wo das nicht so deutlich zu verfolgen ist, aber bei Marinetti kann man sehr schön sehen, dass hier wirklich ästhetische Theorien Hand in Hand gehen mit Bellizismus, mit einer Ästhetik des Krieges und der Gewalt. Und das Interessante ist auch, dass die avantgardistische Tat Marinettis in der Literatur, wenn Sie so wollen, die Erfindung der "Mots en liberté" ["Befreite Wörter"], "Paroliberismus", ziemlich parallel mit den hohen Jahren des Krieges geht. Die Werke Marinettis, die am eindeutigsten paroliberistisch sind, also "L'aereo di Papa" ["Das Flugzeug des Papstes"] oder "Otto anime in una bomba", "Acht Seelen in einer Bombe", wobei Marinetti selbst die Bombe ist. Der paradigmatische Roman "Zang Tumb Tumb", der mit dem bulgarisch-türkischen Krieg einhergeht, wo Marinetti sich als Kriegsberichterstatter bewährt hat, ist paroliberistische Literatur, die parallel zum Krieg läuft. Und es flaut dann langsam ab. Die avantgardistische Entfaltung Marinettis ebbt dann langsam ab. Aber warum dann diese Grosszügigkeit in der Rezeption des Futurismus? Wenn es z.B. im Ausstellungstext wörtlich heisst: "Aus heutiger Sicht muss man nachträglich sagen, dass es doch nicht unproblematisch war...", als wäre das nicht schon 1909 in diesem ersten Manisfest völlig klar nachzulesen zu gewesen. Diesen Eindruck habe immer wieder beim Umgang mit dem italienischen Faschismus oder auch mit der Zeit davor, z.B. auch bei der Terminologie des "Irredentismus", wo ich mir denke, "Irredentismus" würde gleich weniger harmlos klingen, wenn wir ihn "völkischen Nationalismus" nennen würden, der er doch eigentlich war. Liegt das nur daran, dass der italienische Faschismus nicht von der Gesamtbevölkerung getragen wurde wie der Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich, oder dass er eben nicht die systematische Vernichtung von Milionen von Menschenleben zum zentralen Anliegen hatte, dass man deshalb auch etwas grosszügiger mit den Leuten umgeht, die auf einer künstlerischen und intellektuellen Ebene mit den Boden aufbereitet haben? Das ist jetzt wirklich eine interessante und ich glaube
auch eine schwierige Frage. Warum unterdrückt man auch in der italienischen
Diskussion die negativen, destruktiven Seiten von Kulturgrössen wie
D'Annunzio, Marinetti, der futuristischen Bewegung überhaupt? Ich
weiss es nicht, ich kann hier nur Hypothesen aufstellen. Zweifellos hat
Italien im 20. Jahrhundert wenig so beeindruckende kulturelle Strömungen
zu bieten wie den Futurismus, der als gesamtkünstlerische Bewegung
von nicht wegzuleugnender Bedeutung gewesen ist. Und vielleicht ist es
einfach der Versuch, ihn von seinen negativen Seiten zu entschlacken. Womit dann aber doch leicht eine Parallele hergestellt werden kann zu anderen postfaschistischen Gesellschaften. Das würde ich annehmen, ja. Und es ist ja auch interessant, dass man in der Zeit, wo die Rechte an die Regierung gekommen ist, eine solche Jubelausstellung zu D'Annunzio machen kann. Das hätte man vielleicht vor 15 Jahren auch anders gemacht, ich weiss es nicht. Aber das jetzt in Österreich mit Schwarz-Blau zu verbinden, wäre auch abenteuerlich ... Nein, das denke ich nicht, sondern hier steht einfach die bild-künstlerische Tätigkeit dieser Avantgarde im Vordergrund. Da müsste man sich überhaupt mal mit den Leuten unterhalten, die diese Ausstellung organisiert haben, wie weit die überhaupt vorgedrungen sind in diese Ideologie des Futurismus, von der wir jetzt reden. Womit sich diese Leute offensichtlich nicht befasst haben, zumindest konnte ich es der Ausstellung nicht entnehmen, ist ein anderer Aspekt: diese inhaltliche Säule des Futurismus, die in einem Antifeminismus und in einem offen artikulierten Frauenhass betsteht. Das hat nämlich nicht ausgeschlossen, dass sich auch Frauen innerhalb des Futurismus engagiert haben; zum Beispiel mit recht interessanten Deutungen, einer weiblichen Adaption des Nietzsche'schen Superuomo [Übermensch]. Ich hatte den Eindruck, die Ausstellung thematisiert den Frauenhass nur sehr sekundär und thematisiert die Rolle von Frauen innerhalb des Futurismus gar nicht. Abgesehen von diesem "Manifesto della donna futurista" ["Manifest der futuristischen Frau"], von dem ein Stück zu lesen ist, ein Text von einer der ersten Futuristinnen, wenn wir sie so nennen wollen, von Valentine de Saint-Point, was ein Pseudonym ist, ist in der Ausstellung tatsächlich wenn ich gut geschaut habe von Futuristinnen nichts zu sehen, auch nicht irgendwo in einem Nebensatz. Und dieser "Manifesto della donna futurista" ist auch ein ziemlich schwer verdauliches Dokument, da übermenschelt es ordentlich, da kommen "Übermensch, Helden, Genie, Mannheit, Weibheit..." usw., also da geht's ordentlich zu in diesem "Manifesto". Wir haben schon so oft das Wort der Ambivalenz des Futurismus und der Ambivalenz Marinettis fallen lassen, und hier ist es wieder am Platz: Auch dieser Frauenhass Marinettis war ja offensichtlich nicht so doktrinär, dass er es den Frauen völlig unmöglich gemacht hätte, sich dem Futurismus anzuschliessen. Es gibt einerseits die programmatische Verachtung der Frau in diesem Zusammenhang ist übrigens auch das zweite futuristische Manifest "Töten wir den Mondschein" sehr interessant und in den Texten Marinettis ein geradezu obsessiver Einsatz der sexuellen Metapher zur Darstellung von Gewalt und Krieg. Wenn man sich zur Zeit des Weltkrieges und kurz vorher entstandene Texte ansieht wie "La battaglia di Tripoli" ["Die Schlacht von Tripolis"] oder die schon erwähnten "Acht Seelen in einer Bombe", oder "L'alcova d'acciaio" ["Alkoven aus Stahl"]... Da gibt es ja auch diese Kopulationsszene mit dem Vaterland... Ja, richtig, das ist aus "L'alcova d'acciaio":
Marinetti war Leutnant, der einen Panzerwagen gefahren ist, eine "auto
blindata", und der Panzerwagen dient als Symbol der Frau oder des
Vaterlandes, je nach Bedarf. In "L'alcova d'acciaio" haben Sie
den obsessiven Einsatz der sexuellen Metapher. Andererseits ist es ihm
doch offensichtlich gelungen, eine ganze Reihe von Frauen für den
Futurismus zu begeistern, doch von denen erfährt man in der Ausstellung
gar nichts. Es gab die Zeitschrift "Italia Futurista", in Florenz
während des Weltkrieges gegründet, die war nicht sehr langlebig,
vier Jahre glaube ich ist sie herausgekommen, bei der eine ganze Reihe
von Frauen mitgearbeitet haben, z.B. Edith von Heinau, eine Österreicherin,
die es nach Italien verschlagen hat, die ein Kind aus einer östererichischen
Aristokratenfamilie war. (Das Witzige daran ist, dass einer ihrer Ahnen
jener General von Heinau war, der sich als "Hyäne von Brescia"
in die italienische Geschichte eingeschrieben hat und als "Henker
von Arab" in die mitteleuropäische Geschichte; der nach dem
48er Aufstand in Ungarn reihenweise die rebellischen ungarischen Aristokraten
hinrichten liess.) Oder Eva Kühn-Amendola, das war die Frau von Amendola,
und noch andere Frauen, die zum Teil sehr ausführlich und sehr dezidiert
zu Marinettis Frauenverachtung Stellung nehmen in dieser Zeitschrift "Italia
Futurista". Kurz und gut: Es kommt nicht vor, sie kommen nicht vor,
abgesehen von Valentine de Saint-Point. Dieser Frauenhass kommt ja nicht nur in diesen sehr expliziten Statements und Manifesten zum Ausdruck, sondern auch sehr "indirekt" in diesem Begehren, Frauen verschwinden zu lassen über die Mechanisierung von Organismen. Dass also mit der Natur der Körper verschwindet und mit dem Körper die Frau verschwinden möge. Ja, das ist ein ganz zentraler Punkt, diese Utopie des "Uomo
metallizzato dalle parti intercambiabili" ["Metallmensch aus
austauschbaren Einzelteilen"]. Diese Utopie ist ja schon ausgereift
in einem der ersten Romane Marinettis (1910), wo am Ende des Romans ein
ähnliches Wesen, ein Übermensch geboren wird, und zwar
wie Marinetti so schön sagt ohne die Hilfe der Vulva. Dieser
Gazurmach, der Sohn des Mafarca, dieser dem übermenschlichen Willen
des Mafarca entsprungene Sohn, der ein Mittelding ist zwischen einem Flugzeug,
einem Vogel und einem metallisierten Menschen, tötet dann seinen
Erzeuger, der physisch degeneriert und schon älter ist. Das Alte,
Degenerierte, Schwache wird vom metallisierten Übermenschen sowieso
liquidiert. Das geht zusammen mit der Verachtung der Frau, mit der Verachtung
der Natur, mit der Verachtung des Organischen. Um noch einmal auf diesen mechanisierten Körper zurückzukommen, auf diesen entkörperlichten Körper sozusagen: Diesbezüglich kann man doch sagen, dass der Futurismus nicht nur "futuristisch", sondern auch visionär war, aus heutiger Sicht. Da arbeiten ja heute ziemlich viele an dieser Vision, das ist ja keine Spinnerei mehr. Absolut. Das war wirklich auch eine Überlegung, die mich auf's Äusserste fasziniert hat, vor eineinhalb Jahren, als ich diese Vorlesung "Der Krieg im Text" gehalten habe: Dass am Anfang des 20. Jahrhunderts und am Ende des 20. Jahrhunderts genau diese Menschheitsutopien - nennen wir sie einmal mit Marinetti "L'uomo metallizzato dalle Parti intercambiabili" ["Metallmensch aus austauschbaren Einzelteilen"] - das Jahrhundert wird von denen eröffnet und geschlossen! Es bleiben aber doch noch Sehnsüchte über: Das ist das Pferd, das ja ein klassisches kriegerisches Symbol ist (auch bei Theweleit ist das ja sehr schön aufgeschlüsselt, welche Rolle es da spielt), das Pferd verschwindet nicht aus der futuristischen Kunst, auch in der Wiener Ausstellung gibt es mehrere Pferdebildnisse. Da sage ich, die könnte man doch leicht durch Panzer ersetzen, so wie ja schon in einem Gemälde von 1904 von Umberto Boccioni "Die Fuchsjagd aus dem Auto" dargestellt wird, ohne Pferd. Welche Sehnsüchte spielen da mit? Vielleicht ist ja "das Pferd" in diesem Sinne konsakriert und im kollektiven Bewusstsein eingeprägt durch das Trojanische Pferd, das ja eine Kriegs-Maschine ist. ... sich somit seine kriegerischen Sporen schon verdient hat und drum bleiben darf? Ja, das könnte sein. Ich wüsste nicht, warum es
sonst gerade das Pferd sein sollte, das diese Restsehnsucht nach dem Natürlichen
ausdrückt. Aber auch hochaktuell, oder? Die Vermittlung über
Kleidung und Symbole, diese politische Geste. Weil wir gerade von infantil geredet haben, es ist ja auch
eine Marinetti-Collage zu sehen, auf dieser Collage waren auch irgendwelche
Textilien, und da stand "Bombardaaaaaamennto Bumm Bumm Bumm
Zang Tumb Tumb!". Das ist ein schönes Schlusswort.
Erschienen in MALMOE #13 / 2003 |