Lehre

Alles was rechts ist

Zwei neue Bücher zur extremen Rechten in Europa

Es könnte danach aussehen, als wäre es für den Autor schlicht blöd gelaufen, wenn er in monatelanger Kleinarbeit aufbereitet und analysiert, was er über viele Jahre hinweg zur extremen Rechten in Europa zusammengetragen und beobachtet hat, und unmittelbar bevor sein Buch in Druck geht, fallen in Oslo 77 Menschen einem rechtsextrem motivierten Massenmord zum Opfer. Zumal das neue Buch von Heribert Schiedel, von dem hier die Rede ist, aber personelle und organisatorische Zusammenhänge nicht nur aufzeigt und akribisch nachweist, sondern dabei auch eine fundiert ideologiekritische Perspektive einnimmt, stellen die Anschläge von Oslo kein Ereignis dar, das nachträglich einzuarbeiten gewesen wäre, sondern werden im Lichte dieses Bandes erst in beklemmender Weise ‚plausibel‘: wer sich heute die allerorts zitierten Passagen aus dem voluminösen ‚Manifest‘ des Attentäters zu Gemüte führt, versteht nach der Lektüre von Schiedels Buch ganz gut, was und wer darin gemeint ist. Es konnte also auch nach Oslo weitgehend unverändert erscheinen, weil es eine Warnung für die von dem Ausmaß an Gewalt überraschte Öffentlichkeit sein hätte können: in Oslo sahen wir die „Folgen der Hetze“, die Gegenstand des vorliegenden Bandes ist.

Heribert Schiedel ist einer der renommiertesten und bestinformierten Rechtsextremismus- und Antisemitismusforscher dieses Landes (vgl. auch seine Nachbetrachtungen zum WKR-Ball in dieser MALMOE-Ausgabe). Sein neues Buch schließt an das 2007 erschienene „Der rechte Rand“ an: wurden dort Fragen nach den Hintergründen des Erstarkens des Rechtsextremismus und dem rechtsextremen Charakter der FPÖ diskutiert, besteht das Anliegen nun darin, eben diesen anhand der Einbettung der Freiheitlichen auf europäischer Ebene, bis hinein in explizit neonazistische Netzwerke, auf ein Neues zu belegen. Wer meint, dass ein Buch mit „Europa“ im Titel durch die starke Bezugnahme auf die FPÖ in den Verdacht des Austrozentrismus gerät, sollte bedenken, dass „aufgrund ihrer Erfolge und ihrer zentralen Rolle in der antimuslimischen Netzwerkbildung den Freiheitlichen unter europäischen Rechtsextremen Vorbildcharakter“ zukommt. Zwei zentrale Begriffe bedürfen hier der Differenzierung: der das „Antimuslimismus“ und der des Rechtsextremismus selbst: letzteren gilt es nämlich zu unterscheiden vom Rechtspopulismus einerseits, der gemeinhin ein klar abgegrenztes Verhältnis zur nationalsozialistischen Vergangenheit hat, und dem die FPÖ daher zu Unrecht und in verharmlosender Weise von der hiesigen Journaille gern zugerechnet wird, und dem offenen Neonazismus andererseits. Die ephemeren Bündnisse innerhalb des „parteiförmigen Ressentiments“ auf europäischer Ebene, die Schiedel materialreich belegt nachzeichnet, sind gerade in ihrer Kurzlebigkeit nur im Lichte dieser Abgrenzungen zu verstehen, die eben dazu führen, dass die FPÖ in rechtspopulistischen Zusammenhängen aufgrund ihres rechtsextremen Charakters oft außen vor bleibt.

Gerade bei dieser Netzwerkbildung kommt dem Antimuslimismus eine zentrale Rolle zu, ermöglicht das gemeinsame antimuslimische Feindbild doch nicht nur die Überwindung „nationaler Partikularismen und historischer Feindschaften“, sondern auch den Gang über eine „Brücke in den Mainstream“, wo diese Ressentiments längst wesentliches Element einer „Normalisierung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ sind. Aus diesem Grund kommt der „antimuslimischen Neuausrichtung rechtsextremer Feindbestimmung“ große Aufmerksamkeit in Schiedels Studie zu, in der die Rede von „Islamophobie“ allerdings unterbleibt: dieser Begriff dient nämlich im Wesentlichen der Kritikabwehr durch islamistische Gruppen und verwischt zum anderen, wohl absichtsvoll, die wesentlichen Unterschiede zum Antisemitismus. Schiedel räumt mit dem Missverständnis auf, der Antimuslimismus habe den Antisemitismus abgelöst, und zeigt nachdrücklich die sehr unterschiedlichen Funktionen auf, die diese auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene erfüllen. In diesen Passagen spielt er nicht nur seine genaue Kenntnis der rechten Szene, sondern auch seine beachtliche theoretische Versiertheit aus und zeigt, dass es nichts als ein „interessiertes Missverständnis“ ist, aus der viel diskutierten Israel-Reise einer Delegation westeuropäischer Rechter inkl. Strache ableiten zu wollen, dass der Antisemitismus in diesen Kreisen ausgedient habe: „Das Volksgemeinschaftsdünkel ist ohne Antisemitismus nicht zu haben“. Statt der neuen Verbundenheit europäischer Rechter mit Israel auf den Leim zu gehen, gilt es deutlich auszusprechen, dass diese Strategie dadurch überhaupt erst möglich wird, dass der Staat Israel, gerade von der Linken, immer mehr im Stich gelassen wird.

Die Analyse dieses „ideologischen Geflechts“ ist hingegen nicht Sache von Bernhard Schmid, der ebenso ein Buch zur europäischen extremen Rechten vorgelegt hat, das aber offenkundig im und für den Moment verfasst wurde. Davon zeugen nicht nur die zahllosen ärgerlichen Lektoratsfehler, sondern vor allem, dass es bei Oslo nicht endet, sondern seinen Ausgang nimmt. Mehr im Stile eines von Quellen- und Literaturverweisen weitgehend unbelasteten engagierten Zeitungsartikels zeichnet Schmid ein durchaus gut informiertes Bild der rechten Szenen in ausgewählten europäischen Ländern, wobei vor allem seine genaue Kenntnis der Lage in Frankreich zum Tragen kommt, wo er seit vielen Jahren als Journalist und antirassistischer Aktivist lebt. Der Massenmord von Norwegen und das ‚Manifest‘ des Anders Breivik sind der Bezugspunkt der einzelnen Länderskizzen; im Umgang damit ortet Schmid auf Seiten der Rechten ein Spektrum, das von Distanzierung über Schuldzuweisung bis hin zu „von Drohungen begleiteter Affirmation“ reicht. Zwar zeichnet er überzeugend die politischen Hintergründe nach, weshalb Breivik an vielen der porträtierten Protagonisten „wohl seine Freude hätte finden können“, er hält sich aber nicht mit ideologiekritischer Differenzierung auf: obwohl auch er bewusst nicht von „Islamophobie“ spricht, hält er diese Diskussion lediglich für eine „Etikettstreitfrage“, und der Unterschied zwischen rechtspopulistisch und rechtsextrem ist eine der „Wortwahl“. Auch die „ultrarechten Freunde des Staates Israel“ werden immer wieder ins Spiel gebracht, ohne aber deren Motive genauer zu analysieren. Dies allerdings befördert tendenziell eine Diskreditierung „pro-israelischer“ Haltungen insgesamt, und sei es indirekt: nicht das geringste Indiz für die These, dass der angebliche „Philosemitismus“ von rechts vielen Linken eine willkommene Gelegenheit ist, sich eines unangenehmen Themas zu entledigen, indem der Antisemitismus für abgedankt und Israel-Solidarität zur rechten Agenda erklärt wird. Gelegenheit, solche Fragen zu diskutieren, gibt es in Wien Anfang März, wo Bernhard Schmid u.a. auf Einladung von MALMOE sein Buch präsentiert und zur Diskussion stellt.

Heribert Schiedel: „Extreme Rechte in Europa“, Edition Steinbauer, Wien 2011

Bernhard Schmid: „Distanzieren Leugnen Drohen. Die europäische extreme Rechte nach Oslo“, edition assemblage, Münster 2011

 

Erschienen in MALMOE #58 (2012)

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