Lehre


Leider verloren gegen Italien, am 4. Juli 2006

Adoptiere einen Deutschen

Interview mit Thomas Ebermann und Rainer Trampert (konkret) über Fußball und seine „deutschen Freunde“

Was macht Ihr während der Fußball-WM?

T. Ebermann: Ich lebe hier in Wien!

R. Trampert: Ich mache eine Fahrrad-Tour nach Frankreich, in den französischen Jura, um den schwarz-rot-goldenen Feierlichkeiten zu entkommen.

Dabei ist man doch „Zu Gast bei Freunden“! Letztens hat ein Soziologe erklärt, dass die Deutschen viel netter sind als ihr Ruf und ihr Problem nur das mangelnde Selbstvertrauen ist.

RT: Ich weiß, das wird den Deutschen permanent eingeredet. Angesichts der aktuellen Situation, in der in Potsdam ein Schwarzer erschlagen wird, der möglicherweise noch im Koma liegt, und in Wismar dann gleich der nächste, ist es hanebüchen, den Deutschen zu erzählen, dass sei etwas, das ihnen aus dem Ausland eingeredet wird, sie seien eigentlich fröhliche Menschen und sie sollten nur dazu stehen. Natürlich sind die Deutschen keine fröhlichen Menschen, natürlich verlangen die Deutschen den Sieg, wie wir das in unserem Stück darstellen. Ganz Deutschland ist inzwischen voll Schwarz-rot-gold, das ist kaum noch zu ertragen, in den Schaufenstern wird jede Billigware in den Farben der Nationalflagge angeboten.

TE: Solche Weltmeisterschaften sind immer auch Wochen des Coming Out. In dem Viertel in Hamburg, in dem wir leben, fühlen sich Rechtsradikale nicht wohl, und du kannst die Uhr danach stellen: Nach einem deutschen Sieg haben sie das Bedürfnis, demonstrativ durch das (alternative) Schanzenviertel zu ziehen, um so etwas wie Hoheit der Straße auszudrücken. Die, die da durchziehen, haben sicher kein mangelndes Selbstvertrauen.

RT: Es wird in jeder mittelgroßen deutschen Stadt eine Riesenleinwand aufgestellt, wo dann 10 bis 50000 Menschen erwartet werden. Und die ziehen danach natürlich auch durch die Stadt. Deutschland wird ganz anders geprägt sein während der Weltmeisterschaft.

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Gibt es bei dieser WM abgesehen von der Fahrradflucht nach Frankreich noch Nischen, die für Linke akzeptabel sind?

RT: Die gibt es tatsächlich nur im Ausland, das muss man sich eingestehen. Obwohl: ganz kleine Nischen gibt es. Die Fans von St. Pauli in Hamburg organisieren etwas gegen den Nationalismus der Weltmeisterschaft. Das ist aber auch wirklich das einzige Beispiel in Deutschland, das ich zur Zeit kenne.

Aber die Vorstellung von „Deutschland- Fans gegen Rechts“ ist paradox, oder?

RT: Die ist paradox, ja.

TE: Es ist eher traurig, in welche Milieus das Daumendrücken für Deutschland dann doch reinreicht. Ich hatte ein paar Erlebnisse mit sehr aufgeklärten und meiner Einschätzung nach eigentlich linken St. Pauli-Fans, die sich das Aufspringen zugunsten Deutschlands dann doch nicht untersagen können. Gemäßigter natürlich, man ist nicht gefährdet, wenn man für die gegnerische Mannschaft ist (denn in 98 von 100 Kneipen wäre es körperlich gefährlich zuzugeben, dass man Polen die Daumen drückt), aber die Emotionalität, die die Leute erfasst, zeigt doch, wie begrenzt ihr Selbstanspruch ist, Autonomer zu sein.

RT: Diese geheime Sehnsucht nach nationalen Zusammengehörigkeitsgefühlen beginnt oft bereits in der lokalpatriotischen Variante: Über den Verein wird das ganze Viertel gut, egal welche Schweinehunde da wohnen. Das ist eine geheime Sehnsucht, die bei der Nation von manchen Linken unterdrückt wird, aber in Wirklichkeit vorhanden ist. Neulich habe ich einen guten Film über die WM 1974 gesehen, in dem gezeigt wurde, wie wenig Linke sich wirklich über das 1:0 der DDR gegen die BRD gefreut haben. In Wirklichkeit fand das auch die Linke traurig, die sich über Paul Breitner mit seinen langen Haaren längst identifiziert hatte.

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Manchmal ist der Vereinspatriotismus auch an die Vorstellung von Arbeiterklubs gekoppelt, die gegen bourgeoise Clubs antreten.

RT: Gerade die Arbeiterclubs sind oft die grausamsten. Ich habe hier bei Rapid Wien erlebt, wie bei einem Spiel gegen die Austria „Juden raus!“ geschrieen wurde. Und Rapid steht in der Tradition, ein Arbeiterclub zu sein. Darauf kann man heute überhaupt nichts mehr geben. TE: Vor einigen Jahren gab es in Hamburg einen Skandal, der von der Boulevardzeitung „Morgenpost“ enthüllt wurde: Ein Spieler von St. Pauli mit sehr rechter Gesinnung hatte rassistische Sprüche gegen einen Dunkelhäutigen gemacht. Da haben Leute, die sich subjektiv aus tiefster Überzeugung Linke genannt haben, die „Morgenpost“ beschuldigt, Nestbeschmutzer zu sein, und es gab nur ganz wenige und isolierte Transparente, die forderten, dass dieser Spieler nicht mitspielt. Die Identifikation hat etwas so Alltägliches wie 'Rassismus gehört sich nicht’, oder 'Lieber ein Spiel verlieren, als darum wissen, dass der beste Manndecker Rassist ist’, außer Kraft gesetzt. Auch Leute, die scheinbar so stark gebrochen hatten, wie die Musiker von SLIME („Deutschland muss sterben, damit wir leben können…“), waren plötzlich dafür, dass in dieser schwierigen Situation des Abstiegkampfes der Rassist unbedingt spielen muss.

RT: … denn den brauchen wir in der Abwehr!

TE: Man kann beobachten, wie es um Menschen geschehen ist, die einmal dem Gift der Identifikation erlegen sind. So ein Lied wie „You never walk alone“ artikuliert die abgrundtiefe Angst vor Einsamkeit. Es bedeutet, du kannst machen was du willst, ich verlass dich nicht. Versprich mir aber, dass ich auch nie verlassen werde.

RT: Das ist der Wunsch des gesellschaftlichen Verlierers, mal zu den Siegern zu gehören, und sei es nur im Fußball, und nur aus der Zuschauerdistanz: nicht er siegt, aber er eignet sich den Sieg symbolisch an, was im Grunde eine Aufgabe seiner Autonomie ist. Der Fan gibt sich auf zu Gunsten eines fremden Zwecks.

TE: Man muss betonen, wir sind beide welche, die sehr gerne Fußball gucken.

RT: Wir gucken sehr gerne Fußball! Wir mögen aber nicht Fan sein.

Von Puma gibt es als Teil der nationalen Image-Offensive eine Projekt namens „Adopt a german!“. Ein Bus tourt durch Europa, und es soll zum Ausdruck gebracht werden, wie nett, sympathisch, lustig und friedfertig die Deutschen sind, eigentlich muss man sie so lieb haben, dass man sie am liebsten adoptieren möchte.

RT: Wer soll Deutsche adoptieren?

Alle anderen.

RT: Alle Ausländer sollen Deutsche adoptieren?

Zumindest in das Gefühl versetzt werden, sich das vorstellen zu können.

RT: Das ist aber eine merkwürdige Initiative, weil es kann ja auch heißen: Die Deutschen sind alle eltern- und nationslos, also adoptiert sie.

TE: Nein, das hat im Englischen eine andere Bedeutung: „Nimm sie an!“

RT: Aber auch das finde ich eine spannende Losung, weil es anzeigt, dass man erst dazu aufrufen muss, weil scheinbar von sich heraus keiner auf die Idee käme. Die Deutschen müssen erst in einer Kampagne angeboten werden wie Sauerbier, damit sie von anderenangenommen werden.

 

Erschienen in MALMOE #32 (Mai 2006)

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