Lehre

Schauen und denken

Über „Conzepte“, ein „textuelles Kunstprojekt“ von Jo Schmeiser

Was eigentlich ist der Status des Katalogs einer Kunstausstellung? Begleitmaterial, Dokumentation, Souvenir, Director’s Cut? Ich habe mir diese Frage eigentlich nie so recht gestellt, bis ich mich mit diesem Buch beschäftigt habe. In jedem Fall scheint klar, dass die in einem Katalog reproduzierte Kunst nicht die Kunst ist. Was aber, wenn das Kunstprojekt ein „textuelles“ ist, die in einem Band versammelten Texte das Kunstprojekt also nicht begleiten, sondern es verkörpern?

In die Vorbereitung dieser kurzen Besprechung platzt die Nachricht, dass „Conzepte“ zu einem der „schönsten Bücher Österreichs“ gekürt wurde – so lernt man nicht nur etwas über Staatspreise, die es so gibt, sondern ahnt, dass man der Herausforderung, Texte nicht wie gewohnt einfach als Texte behandeln zu können, nicht so leicht entkommt, will man dieser in der Tat „schönen“ Publikation auch nur annähernd gerecht werden.

Das Kunstprojekt spricht in den wenigen Zeilen seiner Selbsterklärung von sich in der Gegenwart. Was dokumentiert wird, ist aber schon geschehen: In unterschiedlich(st)en Printmedien – vom „Standard“ und „Freitag“ bis zu „Missy Magazine“ und not least MALMOE – bezogen sich verschiedene Autor/innen auf zum Teil ‚klassische‘, zum Teil (neu) zu entdeckende gesellschaftskritische Arbeiten, etwa von Ilse Aichinger, Simone de Beauvoir oder Hannah Arendt. In experimenteller Form wurden Fragmente aus dem historischen Quellentext den gegenwärtigen Bezugnahmen gegenübergestellt.

Etwa die Hälfte des Buches bildet das nun ab. Dem folgen „Conversations“ und in der Tat kunstvolle Fotografien der Beteiligten (die in ihrer Abgetrenntheit „die Aufmerksamkeit für das Textmaterial nicht beeinträchtigen“ sollen, wie die Jury der schönsten Bücher mutmaßt) sowie weitere Texte, die das Medienformat des Projektes und seine künstlerisch-wissenschaftlichen Inhalte reflektieren.

Das Motto der „Gesellschaftskritik“ öffnet einen weiten Raum, in dem Diskussionen und Reflexionen zu Rassismus, Sexismus und Identitäten sich bewegen, zu Vergangenheitspolitik und Antisemitismus. Geschenkt die sich aufdrängende Frage, worin denn das Verbindende dieser doch weit voneinander weg führenden „Fassungen politischen Denkens“ liegen mag, denn der politisch meist hohe Anspruch der durchaus heterogenen Texte, vor allem aber die Handschrift der Person hinter dem Projekt – bekannt auch als Teil des politischen Künstlerinnenkollektivs „Klub Zwei“ –, lassen die Frage einer unreflektierten Nivellierung der Problemfelder gar nicht erst aufkommen.

Entscheidende Strategien der Kuratorin erschließen sich erst mit der Zeit, etwa dass die Ausschnitte der Bezugstexte von den Autor/innen selbst gewählt und kompiliert wurden, die sich dann darauf beziehen. So steht einer gewissen Redundanz in den „Conversations“, in welchen die Beteiligten kommentieren, was in ihren Texten ohnehin zu lesen ist, das Fehlen begleitenden Materials gegenüber, das der Besucherin des Bandes beim Begreifen seines Funktionierens zur Hand ginge.

Aber es ist wohl Teil der Kunst, dass das Projekt eben erst erschlossen sein und sich so leicht von vorn nach hinten nicht lesen lassen will. Dies jedoch weitab von editorischer Beliebigkeit: Die Sorgfalt der redaktionellen Arbeit ist durchgehend spürbar und kommt den vermutlich unterschiedlichen individuellen Aneignungsformen dieses Hybrids aus Anthologie, Essaysammlung, politischer Kritik und meinetwegen Kunst gewiss entgegen.

Conzepte – Neue Fassungen politischen Denkens. Ein Projekt von Jo Schmeiser, Zaglossus, Wien 2015

Erschienen in MALMOE 74 (2016)