Lehre

Buonanotte

Die billigst mögliche Vergangenheitsbewältigung auf Italienisch.

Ein älterer Herr spaziert im Morgengrauen durch eine leere Strasse und genießt die frische Regenluft: Aldo Moro wurde soeben aus den Händen der Roten Brigaden befreit und nicht von ihnen ermordet. Ein Vater darf zu seiner Familie zurück. Was wäre wenn. Diesen zutiefst menschlichen und in keiner Weise politisch weitergedachten Traum darf – wer schon? – die Frau im Entführerteam träumen, der es angesichts des väterlichen Gefangenen das revolutionäre Herzlein bricht.

Und das ist noch die geringste Peinlichkeit im Film "Buongiorno notte" des altlinken Regisseurs Marco Bellocchio, der sich beim Festival von Venedig einen goldenen Löwen erwartet hatte. Dass dieser dann an den Russen Andrey Zvyagintsev ging, sorgt in Italien für allgemeine Entrüstung, die "staatliche" RAI - Bellocchios Produzentin - drohte, sich vom Lido in Zukunft fernzuhalten und durch die Presselandschaft ging ein patriotisches Schmollen, wie es sonst nur aus österreichischen Sportredaktionen ertönt: vom "Espresso", der sich sorgt, in Venedig nur noch "koreanisches, kasachisches und iranisches" Zeug zu sehen zu bekommen bis zum "manifesto", der mutmaßt, der Film werde für die heute noch unaussprechliche These bestraft, nicht nur die BR, sondern auch der Staat habe Moro auf dem Gewissen. Diese These hat Leonardo Sciascia allerdings schon 1978 formuliert (und zwar scharfsinniger und durchaus auch berührender) und hat damit für breite Polemik gesorgt – so kurz kann also linkes Gedächtnis sein, sogar das eines Regisseurs, der sich dieses traumatischen Ereignisses annimmt.

Sein Anliegen: jene 55 Tage, in denen der Christdemokrat von den BR gefangengehalten (und aus politischen Gründen von seiner Partei fallengelassen) wurde, aus der zutiefst menschlichen und somit auch widersprüchlichen Sicht der EntführerInnen zu erzählen. Das Ereignis sitzt tief im italienischen Bewusstsein, jede/r hat ein Bild davon, und wer links war oder wurde, hatte ein Bild von den BrigadistInnen, als Radikale/r zumeist ein heroisches. Löblich somit der Ansatz, sie von diesem Podest herunterzuholen, unsäglich aber die Umsetzung von Bellocchio, der aus den kämpferischen Helden nicht Menschen sondern Witzfiguren macht (die ernsthaft erbost sind, von der bürgerlichen Öffentlichkeit als Mörder bezeichnet zu werden) oder auch Monster (die feierlich erklären, ein Revolutionär müsse auch bereit sein die Mutter zu töten). Von Bart und Rolli zur Kosakenmusik, vom klassenkämpferischen Tischgespräch zur "Heiligen Familie" am Nachttisch wird tunlichst kein Klischee vermieden, Zweifel an der Richtigkeit "der Sache" werden mit Bildern stalinscher Gräuel und mit Monumentalmusik von Pink Floyd illustriert, was etwa so originell ist, wie eine kulinarische Sendung mit Vivaldis 4 Jahreszeiten zu unterlegen.

Der Film wagt sich mitnichten an Unaussprechliches heran, er hat dem Thema nichts hinzuzufügen. Gewohnte Bahnen werden nicht verlassen; während wachsende Bedenken seitens der Männer politisch artikuliert und ausgetragen werden, ist das ambivalent "Menschliche", das gezeigt werden soll, weiblich (verkörpert durch eine ständig heulende Frau, die sich an ihrem Lohnarbeitsplatz trotz des nervigen Nebenjobs, Aldo Moro in der Stube sitzen zu haben, einen gefährlichen Flirt nicht verkneifen kann). Bellocchio kann sich zwischen Dokudrama und Märchen nicht entscheiden, wodurch keins von beiden funktioniert. Der kritische Blick auf die Folklorisierung der Partisanenehrung ist zwar einer der wenigen stimmigen Momente, kann aber nur aus heutiger Perspektive stammen, die Naivität der restlichen Platitüden macht hingegen auf 70er – somit funktioniert auch das erzählende Auge nicht.

Vielleicht wird noch beim Auslands-Oscar von dem Film zu hören sein – das zumindest hofft eine gekränkte Nation, die sich am Lido um den Lohn für die billigst mögliche Vergangenheitsbewältigung gebracht sieht.

 

Malmoe # 16 / 2003