Lehre

Die Legende vom Ende

Das nun vermutlich doch-nicht-Ende-der-Wende könnte mit sich bringen, dass abgesehen von den jährlich zu entrichtenden 727 Euro Studiengebühren auch andere Merkmale der “schwarz-blauen Bildungspolitik” ihre Fortsetzung finden.

Es gibt keine “schwarz-blaue Bildungspolitik”. Zumindest keine, die nicht einerseits in einem gesellschaftlichen Zusammenhang steht, der meilenweit über den Wirkungsradius wie auch immer gearteter Koalitionen im österreichischen Parlament hinausgeht, und die zum anderen nicht in einer Tradition stünde, die auch in Österreich - je nach Deutungsweise - schon zwischen zwei und fünf Jahrzehnte andauert.

Vom ersten Aspekt - warum die Strukturveränderungen an den Universitäten nur gemeinsam mit der Wirkungsweise von Staat und Markt denkbar und verständlich sind - handelt der Beitrag von Evi Genetti.

Auch die zeitliche Kontinuität liegt bei genauerem Hinsehen auf der Hand. Der schrittweise neoliberale Umbau an den Universitäten hat spätestens in den 1990er Jahren begonnen, als von Schwarz-blau noch lange nicht die Rede war. 1993 kann als Schlüsseldatum herangezogen werden, als mit einem neuen Universitätsorganisationsgesetz die Autonomie der Universitäten vorbereitet wurde, die selbige dazu veranlassen sollte, sich zunehmend als wirtschaftliche Subjekte wahrzunehmen. Zu dem wurden schon die ersten Gremien eingerichtet, die den Kräften der Wirtschaft direkteren Zugriff ermöglichen sollten. Parallel dazu begann auch schon die Demontage der demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten, die in den 1970er Jahren errungen worden waren.

Wie auch Morus Markard feststellt, hat der Begriff der “Reform” einen massiven Bedeutungswandel erfahren, sind doch die Ergebnisse der beiden Phasen, in denen sich gesamtgesellschaftliche Umbrüche hochschulpolitisch niedergeschlagen haben, die 1960-70er Jahre und das letzte Jahrzehnt, so gegensätzlich. Doch abermals tut sich eine Falle auf: die Versuchung, angesichts von Öffnung, Demokratisierung und inhaltlichem Wandel der Universitäten die so genannten “Goldenen Jahre” dahingehend zu verklären, dass der Einbruch ökonomischer Kriterien in den bildungspolitischen Diskurs erst mit Wirken des Neoliberalismus angenommen wird.

Bildungsökonomie ist eine “Erfindung” der 1950er Jahre, wie auch die Innsbrucker Pädagogin Veronika Knapp ausführt: “Verschiedenste Theorien beschäftigten sich mit dem Zusammenhang zwischen Bildungsinvestitionen und wirtschaftlicher Prosperität. Die Forderung der Experten, höhere Bildung für größere Gruppen zu öffnen und durch soziale Maßnahmen zu fördern, war die Folge.” Die oben genannten gesellschaftspolitischen Effekte sind dadurch nicht in Frage gestellt, es sollte jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass “das Projekt der Bildungsexpansion - der Öffnung der höheren Schulen und Universitäten für breite Bevölkerungsschichten - von Anfang an nicht allein unter sozialreformerischen, sondern im wesentlichen unter wirtschaftspolitischen Vorzeichen stand”, so Knapp. Der wesentliche Unterschied zwischen damals und heute bestehe also darin, dass in den “goldenen Jahren” sozialreformerische und emanzipatorische Ziele im Gegensatz zu jetzt mit ökonomischer Rationalität verknüpfbar waren.

MALMOE versucht in der Printausgabe 10 der Frage nachzugehen, was das alles nun aus studentischer Sicht und für studentisches Engagement heißen mag. Morus Markard ortet in seinem Beitrag den Grund für das augenscheinliche Zurückgehen studentischer Mobilisierungsbereitschaft in einem Bewusstsein, das die Universität nicht mehr als Lebensraum empfindet. Formaler betrachtet ist zunächst einmal festzuhalten, dass durch die aktuelle Gesetzgebung die studentische Mitbestimmung auf allen Ebenen zumindest massiv beschnitten wird; dadurch kursiert auch schon das Gespenst vom Ende der Österreichischen HochschülerInnenschaft, seit 1945 offizielle Körperschaft dieser Mitbestimmung. Zu Unrecht, wie Olivia Steinerargumentiert, nicht etwa, weil derartige Befürchtungen keine Grundlage hätten, sondern weil ein Anders-Denken studentischer Mitbestimmung die Möglichkeit böte, derartige Szenarien in einem anderen Licht erscheinen zu lassen.

Dem widersprechen auch nicht Günter Hefler und Eva Krivanec, die im Auftrag der ÖH eine Untersuchung (1) durchgeführt haben, in der versucht wird, das ganze Arbeitsvolumen, das auf den verschiedenen Ebenen der ÖH geleistet wird, zu bemessen und zu lokalisieren. Dass die Arbeit in den in Abschaffung begriffenen Gremien dabei den grössten Teil ausmacht, liegt auf der Hand, doch auch Hefler/Krivanec warnen davor, davon einen Rückgang des politischen Gewichtes von Studierenden abzuleiten: “Änderungen der gesetzlichen Grundlagen bedeuten zwar eine mögliche Reduktion der Instrumente und (rechtlichen) Kompetenzen, die zur Verfügung stehen, sie begrenzen aber nicht die politischen Aufgaben, denen ÖH-AktivistInnen nachgehen.”

Das ergibt sich schon allein durch das Verständnis von HochschülerInnenschaft, von dem die Untersuchung ausgeht und das sie als “progressives Modell” bezeichnet: Die ÖH besteht nicht aus FunktionärInnen, sondern aus allen Studierenden, ihre formale Struktur dient der Organisation von Interessen, doch liegt das Hauptaugenmerk auf der Nutzung des politischen Raumes durch eine möglichst grosse Anzahl von Beteiligten, die nur zum Teil ÖH-AktivistInnen im engeren Sinn sind, zum Teil aber auch Gruppen oder Personen, die bestimmte Anliegen in diesem politischen Raum vertreten: “Gesamtaufgabe der Interessenvertretung ist damit weniger, Lobbying für die Gesamtheit der StudentInnen zu vertreten, sondern für eine möglichst große Zahl der StudentInnen eine reale Möglichkeit zu schaffen, politisch aktiv werden zu können.”

Der Schritt aus der Defensive, wie ihn Olivia Steiner einfordert, sollte auch bei “konservativerer”, sprich engerer Wahrnehmnung möglich sein, zumal eine Reihe von (Selbst-)Zuschreibungen an und Vorurteile über die ÖH der Realität, wie sie Hefler/Krivanec zu erfassen versuchten, nicht standhalten: “So bedeutsam die rechtliche Organisation der ÖH und die gesetzlich garantierten Mitbestimmungsrechte auch sind, werden die aus der juristischen Regelung sich ergebenden Strukturen doch maßgeblich durch andere Faktoren gebrochen.” Daraus ergibt sich, dass fest verankerte Konstrukte einer hierarchischen, universitätsfernen, nicht-repräsentativen und darüber hinaus am Gängelband politischer Parteien hängenden Österreichischen HochschülerInnenschaft vom in der Untersuchung zusammengetragenen Material widerlegt werden. Zwei Beispiele: Die geleistete Arbeit basiert nahezu ausschliesslich auf Freiwilligkeit, daraus und aufgrund der Autonomie der Ebenen voneinander leitet sich ab, dass es de facto keinerlei Weisungsmöglichkeit “oberer” ÖH-Ebenen gibt; niedrige Wahlbeteiligung und der Anteil von “aktiven" StudentInnen sehen in absoluten Zahlen gleich ganz anders aus: “Eine empirische Betrachtung der ÖH zeigt einerseits eine - der AktivistInnenzahl nach - außerordentlich große Interessenvertretung und andererseits eine weit verzweigte, direkt gewählte und lokal agierende, verhältnismäßig wenig hierarchische Organisation.”

Zur eigenen Legitimation kann diese Interessenvertretung abseits von gesetzlich eingeräumten Spielräumen insofern beitragen, als es ihr gelingt, die “allgemeinpolitische Dimension der Konflikte an der Hochschule und im Verhältnis von Hochschule und Gesellschaft zu entfalten. Dazu ist es erforderlich, über die bloß lobbyistische Formulierung studentischer Partikularinteressen hinauszukommen, die sich in politisch unspezifischen Forderungen oder in einem emphatischen bildungsbürgerlichen Moralismus erschöpfen.” (T.Bultmann)

(1) Hefler, Günter/Krivanec, Eva: Berichterstattung über die Leistungen der Österreichischen HochschülerInnenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Aktivitäten auf Instituts- und Fakultätsebene. August 2002


Erschienen in Malmoe # 10 / 2002