Lehre

Forum Junge Romanistik 2006

Literatur und politisches Handeln:
Antonio Gramscis "Ästhetik" zwischen Croce und Revolution


Fragen der "engagierten Literatur" werden meist mit Blick auf die Persönlichkeit der sie Schaffenden diskutiert, die wie Zola von SchriftstellerInnen zu Intellektuellen werden, seltener aber mit Blick auf den Gehalt ihrer Werke: Dieses Interesse entsteht eher im Kontext ästhetischer Theoriebildung. Hierzu hat Gramsci einen bislang unterschätzten Beitrag geleistet.

Antonio Gramscis Überlegungen zu ästhetischen Fragen der Literatur blieben trotz der breiten Rezeption seines Werkes bislang im Hintergrund, wohl auch deshalb, weil sie im Mainstream materialistischer Ästhetiken nur schwer einordenbar waren: Gramsci hielt dessen humanistisch-emanzipatorischen Ansätzen ein wissenschaftlich-diagnostisches Verständnis entgegen, in dem das Feld der Kultur nicht Spiegel oder Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse ist, sondern integrativer Teil davon. Es war ihm nicht daran gelegen, eine eigene Ästhetik zu entwickeln, es interessierte ihn aber die Wechselwirkung von Kunst und Gesellschaft. Gramsci praktizierte eine sehr spezifischen Literaturkritik, die den historisch-moralischen Gehalt von Kunst und ihre ästhetische Qualität als zwei getrennte Aspekte wahrnahm. Dieser Zugang schien sein Denken in die Nähe der idealistischen Philosophie Benedetto Croces zu rücken, dessen Ästhetik freilich von einer gänzlich unmaterialistischen Autonomie des Kunstwerks ausging, weswegen Gramscis "Ästhetik" in der marxistisch dominierten Deutungstradition gewissermaßen unterschlagen wurde, statt sie als Teil der Hegemonie-Konzeption zu begreifen. Die Sphäre des Historisch-Ideologischen ist zentraler Ansatzpunkt für das "Erreichen" von Menschen und somit für das Veränderungspotenzial der Gesellschaft, die Sphäre der ästhetischen Qualität für ihre Bereitschaft, sich erreichen zu lassen.

Gramscis Verständnis des "autonomen Kunstwerks" entfernt sich also mitnichten vom Anspruch an die Literatur, politisch und als Werk selbst eine politische Geste zu sein; die Handlung als ästhetische Qualität des Textes und das schriftstellerische Handeln im Form der historisch-moralischen Bedeutsam-Machung des Textes bleiben nur so lange getrennt, als sie im für Gramsci zentralen Ort des politischen Handelns aufgehen: dem Kampf um Hegemonie.

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