|
Tagungsbericht zum
XXII. "Forum Junge Romanistik" in
Regensburg (2006) |
von Kai Nonnenmacher und Christian von Tschilschke
Zur Tagung
Das XXII. "Forum Junge Romanistik", das vom 7.
bis 10. Juni 2006 in Regensburg stattfand, war dem Thema "Handeln
und Verhandeln" gewidmet. Trotz der Überschneidung mit dem Beginn
der Fußballweltmeisterschaft war die Tagung mit rund siebzig Teilnehmern
gut besucht. Auf dem Programm standen insgesamt 32 Vorträge aus den
Bereichen Kultur-, Literatur- und Sprachwissenschaft. Abgesehen von einem
eigenen Panel zur Fachdidaktik hatten die Veranstalter vom Regensburger
Institut für Romanistik im Hinblick auf den interfakultären
Forschungsschwerpunkt "Forum Mittelalter" der Universität
Regensburg einen besonderen Akzent auf das Romanische Mittelalter gelegt.
Im Rahmen der traditionellen "Hochschulpolitischen Diskussion",
die wie schon in den Jahren zuvor Christiane Maaß, die Mittelbaubeauftragte
des Deutschen Romanistenverbandes leitete, wurde die Einrichtung eines
jedes Jahr neu zu wählenden wissenschaftlichen Beirats beschlossen,
der in Zukunft die Publikation der Tagungsakten gutachterlich begleiten
soll. Als Veranstaltungsort des "Forums Junge Romanistik" 2007
wurde Göttingen bestimmt.
Zum Rahmenthema
Mit der Wahl des Themas "Handeln und Verhandeln"
verband sich für die Regensburger Organisatoren zunächst die
Absicht, allen Interessenten des "Forums Junge Romanistik" ein
attraktives Tagungsangebot zu machen, das vielfältige Anschlussmöglichkeiten
für die Nachwuchsforschung in der romanischen Kultur-, Literatur-
und Sprachwissenschaft bieten sollte. Schon der Begriff der Kultur selbst
kann ja in einem elementaren Verständnis als Ensemble symbolischer
Praktiken aufgefasst werden. Was den Gegenstandsbereich der Literatur-
und Sprachwissenschaft im engeren Sinne angeht, ist festzustellen, dass
Literatur und Sprache nicht nur als Medien der Repräsentation von
Handlungen bzw. Verhandlungen dienen, sondern sich auch als spezifische
Formen des Handelns und Verhandelns beschreiben lassen und unter Umständen
ebenso zu Objekten des Handelns und Verhandelns werden können. Neben
diesen "praktischen" Gründen war es aber auch die aktuelle
wissenschaftliche Relevanz, die für die Wahl des Tagungsthemas sprach:
Im Zuge der kultur- und medienwissenschaftlichen Wende in den Geisteswissenschaften
haben Konzepte des Handelns und Verhandelns zentrale Bedeutung gewonnen.
Davon zeugt das anhaltende Interesse für pragmatische, handlungsorientierte
Ansätze in Literaturwissenschaft und Linguistik ebenso wie die sich
quer durch die Disziplinen ziehende Hinwendung zu "Performanz",
"Ritual", "Praxis" und verwandten Begriffen. Nach oben
Zu den Vorträgen
Den Auftakt der Tagung machten zwei Vorträge, in denen
die Relevanz des Verhandlungsbegriffs für die Untersuchung weiblicher
Subjektkonzepte unter Beweis gestellt wurde. Während Anne Brüske
(Heidelberg) die Frauenfiguren in Choderlos de Laclos' Briefroman "Les
liaisons dangereuses" hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Weiblichkeitsvorstellungen
einer historischen Diskursanalyse unterzog, stellte Rike Bolte (Berlin),
inspiriert von Gilles Deleuzes Überlegungen zum Barock, Juana Inés
de la Cruz' intellektuelle Autobiographie "Respuesta a Sor Filotea"
als Dokument eines barocken "gender trouble" vor.
Politisches Handeln im eigentlichen Sinne fokussierten die nächsten
Beiträge: Susanne Schütz (Halle) griff für ihre Untersuchung
der politischen Essayistik des peruanischen Anarchisten Manuel González
Prada die programmatischen Begriffe "Propaganda" und "Attacke"
heraus. Am Beispiel dreier Filme (von Amelio, Marra und Giordana) diskutierte
Daniel Winkler (Wien) die Darstellung des in Italien noch vergleichsweise
jungen Phänomens der illegalen Immigration und formulierte Strategien
der cinematographischen Verhandlung von Selbst- und Fremdbildern im Mittelmeerraum.
Nachdem marxistische Lektüren regelmäßig Antonio Gramscis
"Ästhetik" ausgeblendet haben, schlug Ingo
Lauggas (Wien) vor, Gramscis Verknüpfung von ästhetischer
Autonomie und historisch-moralischer Wirkung als Vorarbeit zu aktuellen
kulturwissenschaftlichen Arbeiten neu zu lesen. Abschließend zeichnete
Víctor Sevillano Canicio (Windsor/Kanada) nach, wie sich die bis
zur Kriegsrechtfertigung reichende Radikalisierung im spanischen Sozialroman
der dreißiger Jahre anhand der narrativen Inszenierung des Scheiterns
von Handlungsmodellen der gesellschaftlichen Konsensbildung nachvollziehen
lässt.
Die Öffnung dieser politischen Perspektive auf die Verhandlung von
Differenzen im Kulturkontakt leistete ein weiterer Block: Veronika Thiel
(Wien) zeigte am Roman "L'Amour, la fantasia" von Assia Djebar,
wie der Erzähltext Geschichtsbilder jenseits des kolonialen Diskurses
neu verhandeln kann, indem er mündliche Überlieferung, historische
Texte und die Stimmen algerischer Frauen kombiniert. Klaus Elmar Schmidt
(Saarbrücken) konzentrierte sich in seiner Analyse von Texten des
peruanischen Schriftstellers José María Arguedas insbesondere
auf die Quechua-Sprache, die so eingesetzt wird, dass die Fremdheit der
indigenen Kultur und die Grenzen westlicher Erkenntnismodalitäten
ästhetisch erfahrbar werden. Umgekehrt zeigte Hanno Heuel (Siegen),
wie im Lateinamerika des 16. Jahrhunderts Missionierung nicht mit Hilfe
des Spanischen, sondern gezielt in einzelnen Indiosprachen erfolgte.
Unter Bezug auf Medien-, Tagungs- und Arbeitsplatzgespräche wurden
in mehreren Beiträgen soziolinguistische und gesprächsanalytische
Verhandlungsprozesse thematisiert: Nina Ulrich (Aachen) zeigte in ihrer
diskursanalytischen Untersuchung von Radiosendungen, wie argentinische
Politiker im Mediengespräch über mikro- und makropragmatische
Parameter die Verantwortungen in der Wirtschaftskrise zuweisen. Auf der
Grundlage eigener Tonaufnahmen aus Frankreich beleuchtete Carmen Konzett
(Innsbruck) die Mehrsprachigkeit auf internationalen Tagungen als Anlass
zu sprachlichem Verhandeln - u.a. mit Rücksicht auf Rederahmen, Höflichkeitsstrategien
und Forscherhabitus. Alina Tofan (Leipzig) setzte die Sprachbiographien
von Verkäufern der Republik Moldau in Beziehung zu Situationen der
"einheimischen" und "globalen" Mehrsprachigkeit am
Arbeitsplatz und den sich dort abzeichnenden Spracheinstellungen. Als
Beitrag zur diachronen Grammatikforschung schließlich verdeutlichte
Philipp Obrist (Tübingen) anhand der Konzessivität, unter welchen
Bedingungen sich aus rhetorisch-pragmatischer Perspektive im Verlauf des
Ausbaus der romanischen Einzelsprachen je asynchrone Diskurstraditionen
der konzessiven Junktoren herausgebildet haben.
Nach oben
Ein anderer Schwerpunkt lag auf sprachlichen Normierungsprozessen
im ästhetischen, sprachpolitischen und journalistischen Kontext:
Simona Fabellini (Regensburg) untersuchte Normierungstendenzen in literarischen
Texten des korsischen Dialekts zwischen 1870 und 1920, also noch vor einer
öffentlich diskutierten Ablösung von italienischen Schriftnormen
und Diskurstraditionen. Auf der Basis von Kongressakten der spanischen
Sprachakademien seit der Gründung eines Dachverbands im Jahr 1951
zeigte Kirsten Süselbeck (Marburg), mit welchen Oppositionspaaren
regional-amerikanische Diversität und die Identität der spanischen
Sprache diskutiert wurden. Dorit Herrmann (Leipzig) ging der Frage nach,
wie in frankophonen regionalen Tageszeitungen in Frankreich und der Schweiz
jenseits offizieller Sprachpolitik lexikalische Standard- und Nichtstandardformen
durch die Zeitungsleser selbst verhandelt und so im Handlungsspielraum
der Sprecher dynamisiert werden.
Das mediävistische Panel wurde mit zwei Kurzpräsentationen eröffnet:
Susanne Bäurle (Regensburg) stellte das interdisziplinäre Regensburger
"Forum Mittelalter" mit seinem derzeitigen Forschungsschwerpunkt
der Kommunikation im städtischen Raum vor. Lidia Kouznetsova (Trier)
präsentierte das Nachwuchsnetzwerk "Mittelalter und Renaissance
in der Romania" und eine erste Fachtagung im Oktober 2006 in Trier.
Anhand der spanischen Gesetzessammlung "Siete Partidas" aus
dem 13. Jh. problematisierte Elmar Eggert (Bochum) die Rekonstruierbarkeit
sprachlichen Verhaltens in Handelsdialogen zwischen formalen Vorgaben
und Situationsabhängigkeit. Der Historiker Martin Biersack (Regensburg)
stellte am Beispiel von Hernán Núñez de Guzmán
die Rezeption der italienischen Renaissance im Spanien des 15. Jh. als
ein Beispiel für volkssprachlichen Kulturtransfer vor. Tabea Kretschmann
(Salzburg) widmete sich der Präsenz Dantes in der Populärkultur
der Gegenwart und zog hierfür Kriminalromane von Leoni, Pearl, Lütke-Bohmert
und Tosches heran.
Im Rahmen des gleichzeitig stattfindenden Panels zur Fachdidaktik ging
Alona Yakobets (Leipzig) aus soziolinguistischer Perspektive auf die gefährdete
Bedeutung des Rumänischen als Unterrichtssprache in der Ukraine ein,
Juan Moreno (Valenciennes) machte Vorschläge für eine verbesserte
didaktische Aufbereitung des Unterschiedes zwischen "ser" und
"estar" im Fach "Spanisch als Fremdsprache", und Víctor
Sevillano Canicio infomierte über Berufschancen für Romanisten
in Nordamerika.
Die Untersuchung inter- und intramedialer Vermittlungsprozesse stand im
Mittelpunkt der folgenden Beiträge: Marina Hertrampf (Regensburg)
analysierte, ausgehend von der Forderung, Medien als Formen des Handelns
aufzufassen, das komplexe Zusammenspiel von Fotografie und Text, Autobiografie
und Fiktion in Frédéric H. Fajardies "Roman-Photo"
aus dem Jahr 2002. Dagegen wandte sich Stefan Müller (Münster)
den historischen Anfängen der konzeptionellen Verknüpfung von
Fotografie und Literatur zu, indem er vor Augen führte, dass den
Fotografien in Georges Rodenbachs symbolistischem Roman "Bruges-la-Morte"
weit mehr als eine bloß illustrative Funktion zukommt. Stärker
motivgeschichtlich ausgerichtet waren die Beiträge Roland Ißlers
(Bonn), der sich mit der poetischen Transformation des antiken Europa-Mythos
in einer frühaufklärerischen Kantate Jean-Baptiste Rousseaus
beschäftigte, und Sylvia Kindleins (Hannover), die sich mit der medienbewussten
Modifikation des traditionsreichen Motivs der "donna-Erscheinung"
in Prousts "Recherche" auseinander setzte. Gegenüber diesen,
die Produktion des Textes fokussierenden Verhandlungen mit der literarischen
Tradition betonte Doris Pichler (Graz) in ihrem Vortrag über den
italienischen metafiktionalen Roman (Veronesi, Benni, Malerba) das Handlungsmoment
auf der Seite des Rezipienten, das im "metafiktionalen Spiel"
mit dem Leser verstärkt zum Tragen komme. Grundsätzlicher noch
war das "Gedankenexperiment" angelegt, mit dem Larissa Drechsler
(Wien) die Beschreibbarkeit literarischer Prozesse mit Hilfe des physikalischen
Begriffs der Energie zur Diskussion stellte. Im Kontrast dazu konzentrierten
sich Alexander Kalkhoff (Regensburg) und Álvaro Ceballos (Göttingen)
ganz auf die Rekonstruktion historischer Prozesse: Kalkhoff skizzierte
die Entstehung des Konzepts der Neuphilologie im 19. Jahrhundert und verband
seine Darstellung mit einem Plädoyer für die geschichtliche
Selbstvergewisserung der Philologien. Ceballos untersuchte die wichtige
Vermittlerrolle, die Deutschland im 19. Jahrhundert bei der Verbreitung
spanischer Bücher in Lateinamerika ausübte.
Nach oben
Fazit
Neben dem eingangs formulierten Ziel der Nachwuchstagung,
ein Forum für vielfältige Forschungsprojekte bereitzustellen
(wodurch sich in Einzelfällen auch rein lexikalisch-metaphorische
Reminiszenzen an die übergreifende Problemstellung ergaben), lassen
sich als Ertrag der Tagung mehrere Erkenntnisse zum Rahmenthema formulieren:
Der heuristische Fokus der Beiträge illustriert jene vielfach beschworene
performative Wende, die von Werk- und System-Begriffen auf Inszenierungen
und Prozesse umschwenkt. Dennoch beschränken sich die Aspekte Handeln
und Verhandeln in der Mehrzahl auf etablierte Methoden und Problemfelder
wie Soziolinguistik oder Kulturkontakt; eine erweiternde Anwendung auf
die gesamte Breite romanistischen Forschens bleibt Desiderat, so etwa
eine Neuorientierung rezeptionsästhetischer oder auch neurologisch-kognitiver
Forschung oder eine weitere Öffnung für Konzepte wie Inszenierung,
Liminalität, Transgression. In den Beiträgen wurden insgesamt
Sachverhalte sichtbar, die jenseits des Performativen möglicherweise
so nicht in den Blick gekommen wären und daher auch Ansätze
für eine theoretische Vertiefung bilden könnten, denn das neue
Interesse für die Praxis schließt Theoriebildung nicht notwendigerweise
aus. Das Rahmenthema "Selbstreflexivität" des nächsten
"Forums Junge Romanistik" (Göttingen 2007) kann hier nahtlos
anschließen.
Nach oben
Warum ein pinker Rahmen? |