Lehre

Hegemonie und Politik des Kulturellen:
Potenziale einer kritischen Re-Lektüre der Gramsci-Rezeption bei Stuart Hall

Mein Konferenz-Beitrag kehrt zu den theoretischen Grundlagen der Cultural Studies zurück. Stuart Hall hat diese mit seiner Rezeption des Werks Antonio Gramscis ungemein bereichert, doch bin ich überzeugt davon, dass diese Arbeit noch nicht abgeschlossen ist. Einerseits, weil Halls Gramsci-Rezeption ungeachtet ihrer Verdienste nicht frei von Lücken oder Missverständnissen ist, und zum anderen, weil ich die Nützlichkeit der denkerischen Arbeit Gramscis für eine Weiterentwicklung kulturwissenschaftlicher Theoriebildung in bestimmten Aspekten für nicht ausgeschöpft halte.

Mit der Erschließung des Werks des italienischen Philosophen hat Stuart Hall den wesentlichen Beitrag zu seinem Weiterwirken im 20. Jahrhundert geleistet. So zentrale Konzepte wie jenes der Hegemonie, die Wechselwirkung von Kultur und Macht und die evidente Politizität des Kulturellen, die Zivilgesellschaft als Ort der Verhandlung dieser Politik und nicht zuletzt die Rolle der Popularkultur – sie alle konnten in dieser Form nicht ohne den theoretischen Beitrag Gramscis erarbeitet werden, auch wenn dies im deutschen Sprachraum gerne unterschlagen wird. Hall hat die aus dem politischen Anspruch der Cultural Studies sich ergebende Wechselwirkung aus Theorie und Politik bei Gramsci wiedergefunden und in ihm einen unorthodoxen Autor, der für jenen "offenen Marxismus" steht, der sich für die linke Neuorientierung zur Jahrhundertmitte so hilfreich erweisen sollte. Damit hat Hall – vor allem im angelsächsischen Raum – eine Tradition des Arbeitens mit Gramsci etabliert, die nun der älteren, philologisch hochspezialisierten und stärker traditionsmarxistisch orientierten 'Schule' gegenübersteht. Diese beiden Strömungen kommunizieren in bemerkenswerter Weise nicht miteinander.

Als romanistischer Literatur- und Kulturwissenschaftler sehe ich mich in der Lage, diesen Brückenschlag zu unternehmen. Da ich in meiner Dissertation die Möglichkeit der Ableitung einer 'ästhetischen Theorie' bei Gramsci untersuche und diese dezidiert für die Kulturwissenschaften erschließen möchte, unterziehe ich Stuart Halls Gramsci-Rezeption einer kritischen Überprüfung auf selektive Wahrnehmungen und Missverständnisse. Die Thesen aus dieser kritischen Arbeit sollen zur Diskussion gestellt werden.

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