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Die Kita wird zum Forschungszentrum

Mit der Aktion "Haus der kleinen Forscher" wollen Helmholtz-Gesellschaft und McKinsey schon im Vorschulalter das Interesse an Naturwissenschaften wecken. Langfristig wollen die Organisatoren mit dem Projekt alle 47.000 deutschen Kitas erreichen

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Bei Lisa bauen sich schon richtige Türme auf. Die Vierjährige pustet mit einem Strohhalm in einen Suppenteller voll Seifenwasser. "Das Blubbern macht ein großes Haus", beschreibt sie das entstehende Gebilde fantasievoll. Und beobachtet, wie weiter Seifenblasen aus ihrem Plasteteller wachsen. "Guck mal, was bei mir passiert", ruft Marko aufgeregt die Erzieherin zu sich.

Experimentierstunde in der Kita der evangelischen Kirchengemeinde Emmaus Ölberg in Berlin-Kreuzberg. Dort, wo man sonst Aufbewahrung im Krisenkiez vermutet, sitzen sieben Kinder um ihren Gruppentisch herum, der heute ein Labortisch ist. Es ist schon ziemlich glitschig. Aber das ist es nicht, was Erzieherin Angelika Aulich viel Arbeit bereiten wird. "Jetzt kommen all diese Fragen", sagt sie. Wieso macht Wasser ohne Seife nur kleine Bläschen, die wieder verschwinden? Wie kann es sein, dass die Blasen sich verschachteln? Und und und. Fragen, die echte Forscher nicht anders stellen würden. Dass es bei dem Versuch physikalisch um Oberflächenspannung geht, wird den Kleinen nicht qua Lehrplan reingedrückt. "Wir sind keine Schule", sagt Kitaleiterin Inge Schilling. "Die Versuche sind offen da- für, wo die Kinder hinwollen."

Hinter dem Projekt der Ölberg-Kita steckt die Initiative "Haus der kleinen Forscher". Gegründet haben sie Deutschlands größte Forschungsorganisation, die Helmholtz-Gemeinschaft, und die Unternehmensberatung McKinsey. Die Partner haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Alle 47.000 Kindergärten in Deutschland sollen mit naturwissenschaftlicher Forschung in Berührung kommen. "Wir wollen das mit Hilfe eines Schneeballsystems schaffen", sagt Helmholtz-Sprecher Thomas Gazlig. "Deswegen suchen wir ständig Kitaträger in anderen Bundesländern." Kindergärten, die mitmachen, bekommen eine Plakette an die Tür: "Haus der kleinen Forscher".

Vor der Begeisterung kommt allerdings der Respekt. "Ich wollte das machen", erinnert sich Aulich an ihre Fortbildung mit den echten Forschern. "Aber ich hatte auch Berührungsängste, weil ich mit Physik und Chemie noch nie konnte." Die Angst wurde ihr genommen. Zusammen mit 107 anderen Erzieherinnen aus ganz Berlin nahm sie zunächst an einem "Begeisterungsworkshop" teil. Später lernte sie, die Versuche selbst durchzuführen. Jetzt steht in ihrer Kita die "Kleine-Forscher-Box" mit Experimenten über Wasser. Bald werden Luft, Farben, Licht und Magnetismus hinzukommen. Und nun muss sich Aulich auch schon sputen, denn die Nachfrage nach Forscherkursen ist unter den Berliner ErzieherInnen gigantisch. Die Mundpropaganda hat dafür gesorgt, dass viele Erzieherinnen nicht mehr komplizierte Versuche im Haus der Forscher vermuten, sondern Anregungen und praktische Tipps dafür, wie man Kinder neugierig machen kann.

Das ist den Helmholtz-Leuten recht. "Heute sind viele geradezu stolz darauf, von Naturwissenschaft keine Ahnung zu haben", sagt Helmholtz-Präsident Jürgen Mlynek. "Wir wollen das ändern. Ein jeder sollte wissen, dass zum Beispiel der genetische Code aus vier Bausteinen besteht. Das gehört zum Kanon." Mlynek hat auch ein egoistisches Interesse an der naturwissenschaftlichen Früherziehung. 24.000 Beschäftigte haben die Institute der Gesellschaft, aber es fällt ihnen nicht eben leicht, erstklassige Nachwuchsforscher zu finden.

Aber macht es denn Sinn, Dreijährige experimentieren zu lassen? "Vergessen Sie Ihre Vorurteile", sagt Angelika Aulich. Seit mehreren Tagen holen sich die Kinder nun morgens gleich als Erstes Pipetten aus dem Regal. Damit bringen sie tröpfchengenau Wasser auf Melittapapier auf, das sie vorher mit Filzern beschrieben haben. Der Versuch heißt "magisches Schwarz", weil das Schwarz dauernd wechselt. Die Kleinen verlangen nun nach anderen Filzern. Sie wollen herausfinden, wie sich andere Farben verhalten. Sie forschen halt.

www.haus-der-kleinen-forscher.de

taz Nr. 8172 vom 11.1.2007, Seite 6, 132 TAZ-Bericht CHRISTIAN FÜLLER

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