Das Zarathustra-Projekt
Der Philosoph Peter
Sloterdijk fordert eine gentechnische Revision der Menschheit Von Thomas
Assheuer
Philosophen, so lautet eine
landläufige Beschwerde, wohnen hinterm Mond, von dem sie auch keine Ahnung
haben. Sie spekulieren im Sonnenschatten der eigenen Weltdeutung, verstehen von
der Naturwissenschaft nichts und von Gentechnologie noch weniger. Untereinander
halten die Denker für gewöhnlich Frieden. Man liebt
den Kreis der viel fliegenden Minds-&-More-Kongressphilosophen
und wärmt sich am Kamin der Selbstvertrautheit: "Wir telefonieren."
Während die
nachmetaphysisch gestimmte Philosophie sich keine Weltdeutung im Ganzen mehr
zutraut, bastelt die Naturwissenschaft munter am biokosmischen Menschenbild.
Unterwürfig preist das Publikum die Evolutionsbiologie als Weltbildersatz. Die
Gemeinde beugt das Knie bei astrophysikalischen Liturgien und nimmt die
Einsegnungen der Affenforschung jauchzend entgegen.
Das könnte sich ändern. Der
in Karlsruhe lehrende Philosoph Peter Sloterdijk hat mit einem Vortrag auf dem
bayerischen Schloss Elmau einen Eklat ausgelöst. In
der Philosophenszene rumort es - allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Die
fällige Diskussion findet, von Beiträgen in der Frankfurter Rundschau und einem alarmierenden Bericht in der Süddeutschen Zeitung abgesehen, nicht
statt. Zuletzt nahm der Heidelberger Philosoph Enno Rudolph den armen Platon
vor Sloterdijks Liebesdiensten in Schutz, was auch, aber nicht ganz das Thema
war (FR vom 20. August 99). Dem Rest
der akademisch behausten Philosophie fällt gar nichts ein. Sloterdijk dient
schließlich als engster Berater von Siegfried Unseld,
und dessen Suhrkamp-Verlag ist eine vornehme Unterkunft, erst recht für die
eigenen Bücher.
Die "Entwilderung" des Menschen ist gescheitert
Mit einem Paukenschlag
möchte Sloterdijk die Feindseligkeiten zwischen Philosophie und
Naturwissenschaften beenden, um Wissen und Geist, Philosophie und
Naturwissenschaften zu versöhnen. Ihm schwebt eine demokratiefreie
Arbeitsgemeinschaft aus echten Philosophen und einschlägigen Gentechnikern vor,
die nicht länger moralische Fragen erörtern, sondern praktische Maßnahmen
ergreifen. Diesem Elitenverbund fällt die Aufgabe zu, mithilfe von Selektion
und Züchtung die genetische Revision der Gattungsgeschichte einzuleiten. So
wird Nietzsches schönster Traum bald wahr: die Zarathustra-Fantasie vom
Übermenschen.
Sloterdijk begründet sein
Plädoyer für gentechnische Selektion mit einer düsteren Diagnose. In der
eskalierenden Moderne, sagt er, wachse das barbarische Potenzial der
Zivilisation. Die "alltägliche Bestialisierung der Menschen in den Medien
der enthemmenden Unterhaltung" nehme zu. "Die Ära des neuzeitlichen
Humanismus ist abgelaufen, weil die Illusion nicht länger sich halten lässt,
politische und ökonomische Großstrukturen könnten nach dem amiablen
Modell der literarischen Gesellschaft organisiert werden." Die
"Entwilderung" des Menschen ist gescheitert und die "Zukunft von
Humanität" bei den alten "Humanisierungsmedien" in schlechten
Händen. Wenn das krumme Holz der Humanität nur noch für das Puppenmuseum der
Aufklärung taugt, fragt sich, wie man der "aktuellen
Verwilderungstendenzen Herr" wird. Was "zähmt noch den Menschen, wenn
der Humanismus als Schule der Menschenzähmung scheitert"? Wenn die
"bisherigen Anstrengungen der Selbstzähmung in der Hauptsache doch nur zur
Machtergreifung über alles Seiende geführt haben"?
Der Humanismus, sagt
Sloterdijk, war Teil jenes Gewaltproblems, als dessen Lösung er sich immer noch
ausgibt. Seine Lektionen richten den Menschen ab und richten ihn zu - bis aufs Zwergenformat. "Domestikation des Menschen (ist) das
große Ungedachte, vor dem der Humanismus von der Antike bis in die Gegenwart
die Augen abwandte." Die "Kleintierzüchtung" der Zivilisation,
so zitiert Sloterdijk den sozialdarwinistischen Nietzsche, zeugt harmlose
Menschen, jämmerlich und verächtlich, mit einem Lüstchen für den Tag und einem
für die Nacht. Da kriechen sie nun. "Mit Hilfe einer geschickten
Verbindung aus Ethik und Genetik" haben es die Menschen
"fertiggebracht, sich selbst kleinzuzüchten".
Im harmlosen und doch verwilderten Menschen erreicht die
"Verhaustierung" der Gattung ihren planetarischen Letalzustand.
"Was zähmt noch den
Menschen?" Für einen Moment klammert sich Sloterdijk an seinen Hausgott
Martin Heidegger - und wird bitter enttäuscht. Der bewunderte Heidegger, klagt
er, habe sich in den "beispiellos düsteren Jahren nach (!) 1945" in seine Hütte verkrochen und sei zum
andächtigen "Hüter des Seins" introvertiert. Was damals
anachronistisch, aber verständlich war, ist heute gefährlich. Die Zeit ruft
nicht nach Hirtenspielen, sondern nach Entscheidungen. Die Zeit drängt. Die
Gewalt wächst. "Es genügt, sich klar zu machen, daß
die nächsten langen Zeitspannen für die Menschheit Perioden der
gattungspolitischen Entscheidung sein werden." Doch schon sieht Sloterdijk
eine "Lichtung". Darauf die Gentechnik mit ihren Instrumenten
Selektion und Züchtung. "Die Lichtung ist zugleich ein Kampfplatz und ein
Ort der Entscheidung der Selektion." Witterte nicht schon Nietzsche den
Kampf zwischen "Kleinzüchtern und Großzüchtern (...), Humanisten und
Superhumanisten, Menschenfreunden und Übermenschenfreunden"?
Das ist immerhin Klartext.
Weil der Mensch nicht in einem harmloser und barbarischer werden darf, müssen
die Lektionen der Aufklärung durch die Se-Lektionen der Gentechnik ersetzt
werden. Damit diese Lebensfrage nicht dem Zufall oder gar fehlerhaften
Gentechnikern überlassen wird, fordert Sloterdijk einen "Codex der Anthropotechniken". Für die "explizite
Merkmalsplanung" sind allein geistige Eliten zuständig, die so genannten
"kulturellen Hauptfraktionen" der Gesellschaft. Allerdings, wie deren
neuer Übermensch aussehen könnte, bleibt im Dunkel der Tiefe. Als erste
Maßnahme erwägt er die Umstellung vom "Geburtenfatalismus" auf
"optionale Geburt" und "pränatale Selektion".
Geht es um wesensgenetische
Feinabstimmung, sind Philosophen vom alten Schlag besonders geeignet. Bei der
"Ethik des anthropotechnischen
Machtgebrauchs" und der superhumanen Eigenschaftsplanung gibt ihr Wort den
Ausschlag. Diese "Weisen", offenbar immun gegen den Geistesvirus der
humanistischen Harmlosigkeit, verfügen über "urbildnahe"
Selektionskriterien und besitzen einen Sondereingang zur menschlichen
Wesenswahrheit. Bei ihnen ist die "Erinnerung an die himmlischen
Schauungen der Besten am lebhaftesten". Was aber bleibet,
züchten die Denker.
Moralische Skrupel? Im
Gegenteil. Keinesfalls dürften die geistigen Eliten auf die "Rolle des Selektors" verzichten und ihre Hände in Unschuld
waschen. "Da bloße Weigerungen oder Demissionen an ihrer Sterilität zu
scheitern pflegen, wird es in Zukunft wohl darauf ankommen, das Spiel (!) aktiv
aufzugreifen." Beiläufig erinnert Sloterdijk an Platons Dialog Politikos, um ihn scheinbar kommentarlos in die
Zukunft zu sprechen. Tatsächlich liefert Platon ihm das Modell, um Gentechnik
in Biopolitik zu überführen. Hat nicht der "platonische Zoo" den
Irrtum der egalitären Demokratie glücklich hinter sich gelassen? Spricht nicht
schon Platon von der "züchterischen Steuerung der Reproduktion"?
Unter der Neonsonne der
Gentechnik schimmert Platons Elitenherrschaft plötzlich in verführerischem
Glanz. Sie gibt Winke aus der Zukunft. Der Staatsmann, so referiert Sloterdijk
wertfrei, muss die "ungeeigneten Naturen auskämmen, bevor er daran geht,
mit den geeigneten den Staat zu weben". Später dürfen die "Besonnenen
(...) in den Kulturbetrieb", wobei die "Menschenhüter von den
Schützlingen so grundsätzlich geschieden" werden, dass "niemals eine
Wahldirektion möglich" wäre. "Nur eine Direktion aus Einsicht."
In seiner Replik in der Frankfurter Rundschau verwahrt sich
Sloterdijk gegen die "Schauerromantik" seiner Kritiker, macht aus dem
eigenen Fall einen Kasus des "ahnungslosen" Feuilletons und
behauptet, Heidegger nur paraphrasiert zu haben. Das ist im Unwesentlichen
richtig, im Ganzen falsch. Schon 1991 wurde Sloterdijk von Züchtungsfantasien
heimgesucht; schon damals spielte er mit dem Gedanken, den harmlosen "Altmenschen"
durch Selektion zur Strecke zur bringen. In den von ihm herausgegebenen Berichten zur Lage der Zukunft (edition Suhrkamp) empfahl er, das "alteuropäische
weltanschauliche Erbe" abzuräumen. Von diesem Ballast befreit, begeisterte
sich Sloterdijk damals für einen "Biologismus",
der "auf eine intelligente Menschheit im ganzen zielt, nicht auf eine
neurobiologische Apartheid oder eine Klassenherrschaft der Intelligenzmutanten
über die Altmenschen heutigen Typs". Ein Satz
später verfliegt der Skrupel vor der Obszönität seiner Sätze, und der innere
Großzüchter erhält das Wort. "Das Schlimmste ist möglich, aber auf jeden
Fall nichts Schlimmeres als das, was geschieht, wenn es keine Selektion von
intelligenten und generöseren Menschen gibt."
In der Tat, schlimmer
konnte es nicht kommen. Dennoch entspringt Sloterdijks skandalöse Rede nicht
nur der Verirrung eines Weltanschauungsphilosophen, der in den Fußstapfen von
Nietzsche und Heidegger versinkt und sich dabei einbildet, er könne im
Stadtwald von Karlsruhe die Moderne begraben. In Sloterdijks
Selektionsfantasien haust ein fürchterlicher Realismus, der das diabolische
Potenzial der Genforschung nüchtern ins Auge fasst. Er weiß, dass die Büchse
der Pandora geöffnet und gentechnische Menschenzüchtung keine Science-Fiction
mehr ist.
Schon unmittelbar nach der
Entdeckung der DNA-Struktur ließen Genforscher ihren Bemächtigungsfantasien
freien Lauf und pflasterten die biopolitische Zukunft mit süßen Verheißungen.
Julian Huxley sorgte sich 1962 über die menschliche Unvollkommenheit der
Gattung und schlug vor, durch eugenische Selektion die intellektuelle
"Qualität der Weltbevölkerung zu verbessern". Joshua Lederberg,
Nobelpreisträger und Molekularbiologe, frohlockte auf einem berühmt gewordenen Ciba-Kongress, man könne "jetzt den Menschen
definieren" und die "Größe des menschlichen Gehirns durch
vorgeburtliche Eingriffe regeln". Francis Crick
träumte von einem strahlungssicheren und anspruchsarmen Homunkulus für die
Weltraumfahrt, einem "regressiven Mutanten mit Greiffüßen und
affenähnlichem Becken".
Vernichtet die Gentechnik das Wissen von Gut und
Böse?
Von der ersten Stunde an
hat die Gentechnologie Menschenbilder transportiert, dunkle Bedrohungsszenarien
entworfen und das Blaue vom Himmel versprochen. Die gentechnische Sonde des
Wissens hat die letzten metaphysischen Reste beseitigt und den Glauben an einen
zeitlosen und unveränderlichen Wesenskern des Menschen heillos entzaubert. Und
doch produziert die absolute Freiheit den namenlosen Schrecken. Die gentechnische
Transparenz erzeugt neue Dunkelheiten; sie setzt eine Dialektik der Aufklärung
in Gang, die eine tief internalisierte Zone zu berühren scheint: das moralische
Verhältnis der Menschen untereinander, die grundlegende Symmetrie zwischen
Freien und Gleichen. Der amerikanische Rechtsphilosoph Ronald Dworkin erklärt
die archaische Angst, die die Gentechnik auslöst, aus der tief sitzenden
Furcht, wir könnten im doppelten Sinne des Wortes die "Haftung", das
Wissen von Gut und Böse verlieren - ganz so, als sei von der Genforschung der
Latenzschutz des Daseins und das uralte Definitionsverbot des Lebens verletzt
worden.
Sloterdijk nutzt die Gunst
der Stunde und unterbreitet den angsterzeugenden Naturwissenschaften ein
Friedensangebot. Er tritt als Bewährungshelfer auf und verspricht der Forschung
die höheren metaphysischen Weihen, indem er gentechnischem Wissen
philosophischen Geist einhaucht - und zugleich der Philosophie die Krone der
Königswissenschaft aufsetzt. Das wäre die Erlösung von aller Kritik und das Ende
des Verdachts gegen die faustische Wissenschaft, ein ewiger Frieden zwischen
Wissen und Geist, Philosophie und Technik. Denn "seinsgeschichtlich"
betrachtet, erscheint die Genforschung als Glücksfall. Nach dem vermeintlichen
Versagen des Humanismus stellt sie das Mittel bereit, um den ort- und
zusammenhanglosen Menschen in sein ursprüngliches "Wesen"
zurückzustellen. Mehr noch: In der Anthropotechnik
liegt ein Wahrheitsgeschehen, das vom Sein gleichsam veranlasst wurde. Auf der
Lichtung der Wissenschaft mutiert der exzentrische Erdbewohner durch
elitengesteuerte Züchtung in sein altes, von der Moderne veruntreutes
"Wesen".
Auf welche Fundamente
dieser Züchtungs-"Humanismus" gebettet ist,
führt Sloterdijks monumentales, auf drei Bände angelegtes Sphären-Projekt im Suhrkamp-Verlag vor Augen. Es lebt, an der
Grenze zum Totalitären, von der Idee, in unseren postnatalen Verhältnissen
müsse die pränatale Symbiose wiederhergestellt werden - die ursprüngliche
Geborgenheit, das behütete Wohnen in der "Blase", die "Klausur
in der Mutter". Daraus entsteht auch Sloterdijks Affekt gegen den
Monotheismus, der die Menschen angeblich mit fatalen heilsgeschichtlichen
Hoffnungen infiziert. Nicht mehr lange. Sobald das Urbild von Gleichheit und
Gottesebenbildlichkeit aus dem Gedächtnis gelöscht wird, ist Unrecht kein
Skandal mehr - genauso wenig wie eine biopolitisch beruhigte
Klassengesellschaft, in der man als Leibeigener seiner selbst das persönliche
Humankapital zu Markte trägt.
Während der soziale
Problemdruck wächst, werden die Gerechtigkeitsutopien durch biopolitische
Selektionsfantasien abgelöst. Sie predigen Anpassung an die Logik der
Forschung, Anpassung an selbst geschaffene Umwelten und den alternativlosen
Gang der Modernisierung - und im Fall von Sloterdijk sogar deren gentechnische
Beschleunigung. Wenn das alte "Wesen" nicht schnell genug nachkommt
und mit Abweichung reagiert, muss es in sein "Wesen" gestellt werden;
wenn man die Realität nicht mehr verändern kann, dann wenigstens die Weltbilder.
Nicht Freiheit und Verantwortung, sondern ethisch entkernter Konformismus
lautet die Parole. Bizarr, dass diese Biopolitik vollmundig im Windschatten
eines mit Nietzsche genmanipulierten Heidegger operiert. Ausgerechnet
Heidegger. Schaudernd hätte er sich vor dem eugenischen Wahn des
Zarathustra-Projekts abgewandt - vom Generalangriff auf das unaussprechliche
Leben der "Altmenschen".
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