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Intellektuelle: Züchter des Übermenschen

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Der Philosoph Peter Sloterdijk propagiert "pränatale

Selektion" und "optionale Geburt": Gentechnik als

angewandte Gesellschaftskritik. Seine jüngste Rede über

"Menschenzucht" trägt Züge faschistischer Rhetorik. Von

Reinhard Mohr

 

 

 

Einst hatte der Philosoph treffend den Zeitgeist der

späten neunziger Jahre antizipiert: "Zynismus ist das

aufgeklärte falsche Bewusstsein", schrieb Peter Sloterdijk,

52, in seiner 1983 erschienenen "Kritik der zynischen

Vernunft", ohne die "Harald Schmidt Show" voraussehen zu

können. Die Diagnose war brillant: "Es ist das

modernisierte unglückliche Bewusstsein, an dem Aufklärung

zugleich erfolgreich und vergeblich gearbeitet hat. Gut

situiert und miserabel zugleich fühlt sich dieses

Bewusstsein von keiner Ideologiekritik mehr betroffen;

seine Falschheit ist bereits reflexiv gefedert."

 

Nach fast tausend Seiten, die ihn mit einem Schlag berühmt

machten, kam Sloterdijk zu einem visionären Schluss schon

ganz im Tonfall Nietzsches: "Jede bewusste Sekunde tilgt

das hoffnungslose Gewesene und wird zur ersten einer

Anderen Geschichte."

 

Sechzehn Jahre später erhält diese "Andere Geschichte"

eine gruselige Konkretion: In Zukunft werde es darauf

ankommen, so trug der Philosoph kürzlich bei einem

internationalen Symposion im oberbayerischen Schloss Elmau

vor, "einen Codex der Anthropotechniken zu formulieren": Ob

diese "bis zu einer expliziten Merkmalsplanung" vordringen,

ob also "die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom

Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen

Selektion wird vollziehen können", das seien Fragen, in

denen sich, "wie auch immer verschwommen und nicht geheuer,

der evolutionäre Horizont vor uns zu lichten beginnt".

 

Als Sloterdijk seinen 43 Schreibmaschinenseiten

umfassenden Vortrag ­ Titel: "Regeln für den Menschenpark.

Ein Antwortbrief über den Humanismus" ­ vor einem

internationalen Fachpublikum im Juli hielt, regte sich

schon hier und da leiser Widerspruch. Erst im Verlauf

einiger Wochen sorgten Berichte in der "Frankfurter

Rundschau" und der "Süddeutschen Zeitung" für eine größere

­ und kritische ­ Öffentlichkeit. Sloterdijk selbst

antwortete seinen Kritikern mit Gegenvorwürfen an die

"Junge Ahnungslosigkeit" der Feuilletonisten. Doch damit

lenkte der seit Jahren zu allen denkbaren Themen der Zeit

befragte Philosoph nur vom Kern der Sache ab, die er in

seiner Kritikerschelte als "Ethik des anthropotechnischen

Machtgebrauchs" verklausuliert.

 

Inzwischen hat Sloterdijk der Seminarleitung von Schloss

Elmau die Weitergabe seines Textes strikt untersagt. Er

will auch nicht mehr dazu Stellung nehmen ­ der Text, heißt

es, werde für ein kommendes Buch überarbeitet. Aber es

hilft nichts: Zu viel wurde bisher davon bekannt, zu viele

Hörer haben sich auch Notizen gemacht.

 

Sichtbar bleibt ein intellektueller Skandal: Der einst

linke Vordenker Sloterdijk, Liebling erlesener

Debattierzirkel und zeitgeistsatter Fernseh-Talkshows,

redet ungeniert von "Menschenzucht" und vom "Diskurs der

Verschränkung von Zähmung und Züchtung", kurz: von der

gezielten genetischen Selektion unter Führung einer

kulturellen Elite.

 

Auch wer wenig mehr verabscheut als klischeehafte

ideologische Denunziationen und beim Begriff der

"Selektion" nicht nur an die "Eugenik" der Nazis und die

Rampe von Auschwitz-Birkenau denkt, sieht sich genötigt, in

Argumentation und Sprache Sloterdijks faschistische

Anklänge auszumachen.

 

Sein Hinweis, über weite Strecken nur die Positionen

seiner philosophischen Lehrmeister Platon, Nietzsche und

Heidegger referiert zu haben, verfängt nicht und führt in

die Irre. Denn unzweifelhaft paraphrasiert er, trotz

relativierender Kritik hier und da, entscheidende Motive

seiner Meisterdenker in pointierter, auch zustimmender

Weise ­ ob es um Platons "züchterisches Königswissen" geht,

wie "die ungeeigneten Naturen auszukämmen" seien, um

Nietzsches "Übermenschen" oder Heideggers

zivilisationsfeindliche These, "dass nicht der Mensch das

Wesentliche ist, sondern das Sein als die Dimension des

Ekstatischen der Eksistenz".

 

Keine Frage, Sloterdijk spricht Klartext in eigener Sache:

Nur in einer "Grundlagenreflexion über Regeln für den

Betrieb von Menschenparks", nur in genetisch

"wirkungsvollen Verfahren der Selbstzähmung", behauptet er,

könne die "alltägliche Bestialisierung der Menschen in den

Medien der enthemmenden Unterhaltung" eingedämmt werden.

 

Der abendländische Humanismus hingegen, dessen

Bildungsideal an Lektüre und Aufklärung gebunden war, habe

das "barbarische Potenzial" und die "aktuellen

Verwilderungstendenzen" nicht überwinden können: im

Gegenteil. Der Humanismus selbst, ob er sich nun im

Christentum oder im Marxismus manifestiere, habe "mitsamt

seinen Systemen metaphysischer Selbstüberhöhung"

Katastrophen und Gräuel aller Art hervorgebracht. Er also

ist die Ursache dessen, was er zu bekämpfen vorgibt.

 

Bemerkenswert bei alldem ist das Gespenstische des

Vorgangs: Bislang hat sich alles weitgehend in den Kulissen

des Wissenschaftsbetriebs und in den

geisteswissenschaftlichen Nischen einiger Feuilletons, fast

heimlich, abgespielt. Noch vor zehn Jahren hätte ein

derartiges "Zarathustra-Projekt" ("Die Zeit") in der

breiten Öffentlichkeit Zorn und Empörung ausgelöst.

 

Doch die intellektuelle Hegemonie einer

gesellschaftskritischen "politischen Kultur" ist längst

Geschichte. Die linke Selbstmarginalisierung des

vergangenen Jahrzehnts hat zu einer neuen, bunten

Gleichgültigkeit geführt ­ es sei denn, der deutsche

"Großmachtchauvinismus" oder der "US-Imperialismus" erhöben

wieder einmal frech ihr Medusenhaupt, um den Rest der Welt

zu unterjochen.

 

Es ist kein Zufall, dass das einstige Flaggschiff der

linken Intelligenz, der Suhrkamp-Verlag mit seinem

Präzeptor Siegfried Unseld, nun zwei prominente Autoren

beherbergt, die mit Verve antidemokratische, antiwestliche,

ja totalitär-faschistoide Bekenntnisse ablegen: Peter

Sloterdijk und Peter Handke.

 

Mag Handke als irrlichternder Poet und gläubiger Hooligan

des serbischen Kriegsverbrechers Milosevic ein besonderer

Fall sein, so steht Sloterdijk für eine Gruppe ehemals

linker Intellektueller, die ihre eigene Desillusionierung

nicht aushalten und in den Wahn flüchten.

 

Ob Ex-RAF-Mitglied Horst Mahler oder Dutschke-Freund und

SDS-Vordenker Bernd Rabehl ­ das offenkundige Scheitern

aller utopischen Weltentwürfe, theoretischen Großsysteme

und politischtheologischen Erlösungshoffnungen lässt sie

nicht etwa zu aufgeklärten Skeptikern werden, sondern zu

frisch bekehrten Gläubigen. Jetzt glauben sie nicht mehr an

die Weltrevolution, den Sozialismus oder den Humanismus,

sondern an die "nationale Wiedergeburt Deutschlands", an

die schädlichen Einflüsse des globalen "Amerikanismus" und

den "Kampf zwischen den Kleinzüchtern und den Großzüchtern

des Menschen", "zwischen Humanisten und Superhumanisten,

Menschenfreunden und Übermenschenfreunden" (Sloterdijk).

Gentechnologie statt Gesellschaftskritik: Der Uterus wird

zum Utopieersatz.

 

Nicht mehr der berechtigte intellektuelle Zweifel, etwa an

den zivilisierenden, "zähmenden" Wirkungen des bürgerlichen

Humanismus und der Aufklärung in Zeiten "telekommunikativer

Massengesellschaften", meldet sich zu Wort, sondern der

uralte, pseudoreligiöse Wunsch nach Gewissheit, ominöser

Tiefe des Seins, endgültiger Wahrheit. Neu daran ist nicht

der ewige deutsche Kulturpessimismus, in dem es zwickt und

zwackt und dräut und raunt. Neu und ungeheuerlich ist die

philosophisch drapierte Aggressivität, mit der, den

fälligen Untergang des Abendlandes vorausgesetzt, die

Wiedergeburt der Menschheit aus dem Geiste des

Reagenzglases gefordert wird ­ im Bündnis zwischen

geistiger Elite und den neuesten Erkenntnissen der Gen- und

Biotechnologie. Eine faschistische Horrorvision, gegen die

jeder beliebige Zynismus des Zeitgeists sich noch wie ein

Ausweis von Aufklärung und Menschenfreundlichkeit

ausnimmt.

 

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(C) DER SPIEGEL 36/1999

 

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