J. Henning Schluß (www.henning.schluss.de.vu) :

Religiöse Bildung – Stationen einer Problemgeschichte und ihre gegenwärtige Krise

Aus: Jörg Ruhloff/Johannes Bellmann u.a. (Hrsg.): Perspektiven Allgemeiner Pädagogik – Dietrich Benner zum 65. Geburtstag, Beltz, Weinheim 2006, S. 229-241.

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Bildung und Religion als zwei voneinander abgegrenzte und in Beziehung miteinander stehende Bereiche menschlichen Handelns zu begreifen und zu analysieren (vgl. Benner 2001, bes. S. 29-44) ist ein erfolgversprechender Weg zur Aufklärung von Möglichkeiten und Grenzen von Ansprüchen, die aus einem Bereich an den jeweils anderen gestellt werden können. Diese wechselseitigen Beziehungen und Verweiszusammenhänge stellen sich im historischen Rückblick keineswegs als konstant oder auch nur sich linear entwickelnd dar. Vielmehr muss die Balance zwischen Religion und Pädagogik, wie auch zwischen den anderen Bereichen menschlichen Handelns, ständig neu ausgehandelt werden. Für die gegenwärtigen Aushandlungsprozesse ist freilich die Rückschau auf das Gewordensein des Verhältnisses ein bedeutsamer Bestandteil, damit im Blick bleibt, was an Erfahrungen und Konzepten in diese bereits eingegangen ist. Einige dieser geschichtlichen Voraussetzungen sollen im Folgenden erörtert werden. Die notwendige Eingrenzung des Themas wird durch die Einschränkung auf einige signifikante Stationen im Verhältnis von Bildung und Religion im protestantischen deutschsprachigen Raum gewählt.

Mit Luthers Ratsherrenschrift wird in die Problemstellung des dramatischen Verlusts allgemeiner Bildung eingeführt, wie sie sich in den unmittelbaren nachreformatorischen Wirren ergab. Über 200 Jahre später stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich sei, zur Religion zu bilden. Diese Frage wird mit Schleiermachers dritter Rede erörtert. Das Konzept des bundesrepublikanischen Verhältnisses von Religion und Pädagogik soll an dem epochemachenden Aufsatz von Wolfgang Böckenförde diskutiert werden um dann auf eine Tendenz der Religionspädagogik einzugehen, die am Ende der alten Bundesrepublik entwickelt wurde, und auf Fragen der Pluralisierung eine Antwort finden wollte. Abschließend wird die Frage erörtert, worin das Neue am aktuellen Verhältnis von Religion und Pädagogik (besonders im Osten Deutschlands) besteht und ob und inwiefern die etablierten Konzepte auf dieses Problem eine Antwort zu geben vermögen oder ob eine strukturell andere Antwort entwickelt werden muss. Für eine solche neue Form wird ein Vorschlag unterbreitet.

Luther und die Reformation

Die Reformation hat 1524, dem Erscheinungsdatum von Luthers Ratsherrenschrift (Luther 1524/1899), bereits mit ihren nichtintendierten Nebenfolgen zu kämpfen, die sich besonders im Bereich der Pädagogik dramatisch bemerkbar machten. Im Zuge der Reformation kam es einerseits zur gewollten Auflösung der Klöster. Mit den Klöstern entfiel aber auch die Institution mittelalterlicher Grundbildung. Erschwerend kam hinzu, dass nicht nur die Orte der Grundbildung nicht mehr vorhanden waren, sondern auch das Interesse der Eltern an der Bildung ihrer Kinder nachließ. War die Bildung bislang Garant einer einkömmlichen Unterbringung der Kinder in der kirchlichen Hierarchie, so waren nun nicht nur die Klöster, sondern auch die darüber hinausgreifenden klerikalen Hierarchien nicht mehr vorhanden. Für die Eltern gab es vielerorts in protestantischen Landen demnach weder die Möglichkeit, ihre Kinder zur Schule zu schicken, noch überhaupt ein Motiv, für eine solch bedeutende Investition. Nicht nur war für die Eltern die Ausbildung der Kinder kostenpflichtig, darüber hinaus entgingen ihnen auch die Einnahmen durch die fehlende Arbeitskraft der Kinder für die Zeit, die diese in der Schule zubrachten. Allgemeine Bildung bedeutete deshalb einen doppelten Verlust ohne das Versprechen einer späteren Rendite.

In seiner Schrift an die „Ratsherren“ wendet sich Luther an die Schicht, die zu einem nicht unwesentlichen Teil die Reformation trägt. In ihnen hat er sowohl die Verantwortlichen der wichtiger werdenden städtischen Kommunen, als auch – in Personalunion – Eltern vor sich. Luther kritisiert die Eltern für ihre materielle Kurzsichtigkeit, die Kinder deshalb nicht mehr zur Schule zu schicken, weil die anschließende Versorgung in der kirchlichen Hierarchie nicht mehr gesichert ist. Gleichwohl sieht er, dass viele Eltern aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage sind, die Bildung ihrer Kinder selbst zu übernehmen oder für diese Sorge zu tragen. Als eine Ebene mittlerer Verantwortung bleiben deshalb nur die Kommunen als Träger öffentlicher Schulbildung übrig (vgl. a.a.O. S. 33ff.).

Keinesfalls möchte Luther die alte klösterliche Bildung wiederherstellen. Sie ist ihm aus zwei Gründen verhasst. Ihre Methoden seien Marter und Folter und der vermittelte Inhalt sei in der Tradition begründetes Halbwissen (vgl. a.a.O. S. 31). Drastisch bezeichnet er eine solche Art stupiden Paukens als vom Teufel initiiert und von diesem dazu benutzt, sich die Welt gefügig zu machen, indem Bildung dazu missbraucht wird,  das bestehende Gesellschaftssystem zu affirmieren (vgl. a.a.O. S. 29). Zweitens wendet er sich gegen eine Bildung, die nur um eines bestimmten Zwecks willen in Anspruch genommen wird. Dagegen setzt er ein Konzept, das die Schüler nicht festlegt, sondern freistellt, indem sie diese zu „allerley tüchtig und geschickt” (a.a.O. S. 35) macht, wie das Beispiel der Heiden (gemeint ist die vorchristliche Antike) zeige. Bei dem, was Inhalt einer solchen Allgemeinbildung sein soll, kennt Luther kaum ein Maß. Sprachen (Latein, Hebräisch, Griechisch), die sieben Freien Künste, Historien und Dichter (vgl. a.a.O. S. 46).

Für die Allgemeine Bildung, die Jungen und Mädchen gleichermaßen zuteil werden soll, gilt, dass sich durch hervorragende Leistungen besondere Begabungen zeigen. Diese Begabten sollen auf höhere Schulen geschickt werden, finanziert von der Kommune, die davon später den Nutzen hat. Erstmals wird Leistung zum Kriterium für Bildungsaspirationen, nicht mehr der Stand und Geldbeutel der Eltern (vgl. Luther 1538/1909).

Der Zweck der allgemeinen Bildung ist so zwar nicht mehr festgelegt, sondern Bildung ist zu vielerlei gut, aber ihr Nutzen lässt sich an Beispielen aus verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten deutlich aufzeigen. Am Beispiel des geistlichen Amts zeigt er, dass es nicht mehr um ein willenlos und gefügig machen der Kandidaten, sondern im Gegenteil um eine Emanzipation von der Tradition und um das Herausbilden eines reflexiven und kritischen Denkens geht. Dazu braucht es auch die Sprachen, um zu einer argumentativen und eigenständigen Auseinandersetzung mit den Gegnern anhand der Quellen des christlichen Glaubens zu befähigen. Der Zweck der Bildung hat sich demnach mit der Reformation dramatisch gewandelt. Sie ist nicht mehr für die kirchliche Anpassung, sondern für die religiöse Emanzipation von Nöten! Es ist keine spezifische religiöse Bildung, die er fordert, sondern um das Evangelium angemessen verstehen zu können, ist allgemeine Bildung von Nöten.

Schleiermacher

Die „Reden über die Religion – Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (Schleiermacher 1799/1983) machen schon in der Überschrift deutlich: Das Vorhandensein der Religion ist nicht mehr, wie zu Luthers Zeiten, selbstverständlich. Es gibt nun Verächter der Religion und zwar nicht nur ungebildete, sondern auch gebildete.

Parallel neben dieser Religionslosigkeit gibt es aber eine verordnete Religiosität. Kirchlichkeit wird von offizieller Seite als der Normalfall angesehen. Auch wenn das „cuius regio, eius religio“ nicht mehr galt, blieb es doch dabei, dass die Staatsoberhäupter in den protestantischen Ländern zugleich Kirchenoberhäupter waren. Diesem Staatskirchentum mit seinem impliziten Zwangscharakter stellt Schleiermacher den Begriff der „Volkskirche“ entgegen.[1]

Religion (genauer „Frömmigkeit“) ist in seiner Definition ein spezifisches Vermögen des Menschen, das nicht in den anderen Bereichen menschlichen Handelns aufgeht und sich so von Politik, Ethik oder Geselligkeit unterscheidet und hat einen eigenen Bezug, den Schleiermacher später in den Paragraphen drei und vier der Glaubenslehre als „unmittelbares Selbstbewusstsein“ oder „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ zu beschreiben versucht.[2]

Weil Religiosität ein Vermögen des Menschen sei, wird Schleiermacher oft so verstanden, als ob er dies Vermögen bei jedem Menschen voraussetzt. Eine solche Annahme führt zwangsläufig in eine problematische Kommunikationssituation, denn das Gespräch mit Religionslosen kann dann nur noch darin bestehen, ihnen mitzuteilen, dass sie „in Wirklichkeit“ gar nicht religionslos sind, sondern sie sich nur selbst missverstehen, weil jeder Mensch qua Definition religiös ist.[3] Schleiermacher bezieht die Aussagen über das (entfaltete) menschliche Vermögen jedoch nicht auf das einzelne Individuum, sondern auf die Gattung! Die Menschheit ist es, der ein religiöses Vermögen zukommt. In gleicher Weise wie der Religion können der Menschheit auch andere Vermögen nicht abgesprochen werden, wie z.B. die Fähigkeit zur Politik, zur Erziehung oder zur Kunst. Auch wenn nachweisbar die Menschheit auf allen diesen Gebieten Leistungen hervorgebracht hat, variieren die Tätigkeiten der Einzelnen auf allen diesen Gebieten jedoch erheblich. Während bei manchem die sportliche Betätigung gegen null tendiert ist sie bei anderen stark ausgeprägt. Schleiermacher weiß, dass auch die religiöse Tätigkeit bei manchem Zeitgenossen gegen null tendieren wird.[4]

Wenn sich die religiöse Tätigkeit des Menschen jedoch nicht kategoriell von den anderen Tätigkeiten wie Politik, Sport oder Ethik unterscheidet, dann gilt das gleiche auch für das Hervorrufen der jeweiligen „Begabung“ zu dieser Tätigkeit. Eine Begabung für ein Gebiet stellt sich immer erst dann heraus, wenn schon gehandelt wurde. Um also die sportliche Begabung entfalten zu können, müssen Sportarten vorgestellt und Sport getrieben werden. Um das religiöse Vermögen des Menschen zu wecken, bedarf es der Bekanntschaft mit und der Hineinnahme in religiöse Praxis vor allem aber darf die Entwicklung der religiösen Anlage nicht behindert worden sein (vgl. a.a.O. S. 126 f.).

Als Perspektive, aus der Schleiermacher für religiöse Bildung plädiert, wählt er sich selbst als religiösen Menschen und gesteht deshalb freimütig ein, das Bestreben der Religion sei es, Proselyten zu machen.[5] Aber wie geschieht es, dass ein Mensch zum Glauben gebracht wird? Die in der Kirchengeschichte beliebte Option des Zwangs scheidet für Schleiermacher klar aus.[6] Auch die Möglichkeiten eines allgemeinen schulischen Religionsunterrichts sieht er eng begrenzt. Alles was dieser könne wäre Faktenwissen vermitteln, nicht jedoch die Vermittlung des religiösen Gefühles selbst.[7] Dies könne nur so vermittelt werden, wie eine Saite mitschwingt, wenn eine andere, gleichgestimmte selbst in Schwingung ist.

Böckenförde

Kirchenpolitisch schloss die junge Bundesrepublik an Lösungen der Weimarer Republik an. Zwar blieben Staat und Kirche getrennt, aber durch die Anerkennung der Kirche als Institution des öffentlichen Rechts, durch die Fortzahlung der staatlichen Alimentierungen, die aus der Säkularisierung von Kirchengütern hervorgegangen waren, oder die staatliche Einziehung der Kirchensteuer unterschied sich das bundesdeutsche System deutlich von einem Laizismus nach französischem oder amerikanischem Vorbild.[8] Dieses Ineinander von Staat und Kirche zeigt sich am deutlichsten an der Verankerung des konfessionellen Religionsunterrichts als einzigem Schulfach im Grundgesetz (Art. 7,3). Obwohl es dort diese prominente Stellung zugewiesen bekommt und zum Regelfach erklärt wird,[9] ist es doch von Anfang an ein Fach, zu dessen Teilnahme niemand gezwungen werden kann. Eine solche Merkwürdigkeit ist zwar in ihrem Entstehungszusammenhang historisch zu erklären, aus dem „das war schon immer so“ ist jedoch noch keine systematisch tragfähige Konstruktion für eine Begründung dieses Konzepts abzuleiten (vgl. Tenorth 2004, Bellmann in diesem Band).

Ernst Wolfgang Böckenförde, der Staatsrechtler und Verfassungsrichter, stellte ein Argumentationsmuster bereit, das wie kein zweites immer wieder zur systematischen Begründung der besonderen Stellung des konfessionellen Religionsunterrichts herangezogen worden ist. Besondere Karriere machte dabei ein einziger Satz: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ (Böckenförde 1976, S. 60). Bevor jedoch die Wirkungsgeschichte dieses Satzes beleuchtet wird, soll im Folgenden dargestellt werden, wie Böckenförde selbst argumentierte.

Der Aufsatz, aus dem der berühmte Satz stammt, ist in seinen ersten Teilen eine Theorie der Entstehung des modernen Staates. Böckenförde sieht, dass zu Beginn des Investiturstreits im 11. und 12. Jh. das mittelalterliche holistische Weltbild noch ungebrochen war. Weltliche und geistliche Macht waren Teil der gleichen göttlichen Weltordnung. Eine prinzipielle Konkurrenz zwischen beiden Bereichen war undenkbar. Der Investiturstreit stellte nun erstmalig eine solche Konkurrenz dar. Die Frage, wer Bischöfe einsetzen darf, wurde zwar letztlich zugunsten des Papstes entschieden, aber allein die Tatsache dieses erbittert ausgefochtenen Streites machte deutlich, dass es nun um die Vormachtstellung der Kirche über den Staat oder den Staat über die Kirche ging. Wenn es nun eine Hierarchie von Kirche und Staat gab, dann war prinzipiell auch eine umgekehrte Hierarchie vorstellbar.

Der Anspruch auch auf weltliche Herrschaft durch die in der Kirche repräsentierte Wahrheit war relativ unproblematisch, solange es nur eine Wahrheit gab. Mit der Reformation entstand aber ein Streit um die Wahrheit. Die Idee des säkularen Staates stellte eine Lösung der ganz Europa verwüstenden Glaubenskonflikte bereit, indem sie die Herrschaftsfrage von der Wahrheitsfrage abkoppelte. Frieden wurde nicht mehr mit der Durchsetzung der Wahrheit, sondern profan, mit der Abwesenheit militärischer Gewalt definiert. Der moderne Staat hatte sich darauf zu beschränken, die Sicherheit nach innen und außen zu gewährleisten. Die Glaubensüberzeugungen seiner Bürger mussten ihn nicht interessieren und er konnte ihnen gegenüber tolerant gegenübertreten.

Im dritten Teil des Aufsatzes weist Böckenförde darauf hin, dass die Emanzipation des Staates von der Religion keineswegs zwangsläufig bedeutet, dass auch die einzelnen Bürger sich vom Glauben emanzipieren müssen. Im Gegenteil sind sie gerade durch die religiöse Neutralität des Staates für die persönliche Glaubenswahl freigestellt. Sodann kommt er zu der Frage, in deren Antwort der bekannte und oben zitierte Satz steht. Die Frage lautet: „Woraus lebt der Staat, worin findet er die ihn tragende, homogenitätsverbündende Kraft und die inneren Regulierungskräfte der Freiheit deren er bedarf, nachdem die Bindungskraft aus der Religion für ihn nicht mehr essentiell sein kann?“ (a.a.O. S. 59). Seine Konsequenz ist, dass auch der moderne säkulare Staat von Voraussetzungen lebt. Wenn er solche Voraussetzungen aber selbst verordnen wolle (hießen sie nun Religion oder Nationalität oder anders), so wäre er eben selbst nicht mehr säkular, denn gerade die Freiheit zu sichern, war dieser Staat ja angetreten. Und so leitet er im letzten Absatz des Aufsatzes eine entscheidende Wendung der Argumentation ein, die in der Wirkungsgeschichte des „Böckfördesatzes“ geflissentlich übersehen wird.[10] Deutlich wird da, Böckenfördes Adressaten sind (katholische) Christen. Der Appell an sie lautet, sich nicht mehr ultramontanistisch nach Rom hin und von Bonn wegzukehren, sondern die Freiräume, die auch ein formal nichtchristlicher Staat seinen Bürgern bietet, zu nutzen, denn diesem Staat selbst, so Böckförde, ist um seiner eigenen Stabilität willen an den tieferliegenden Überzeugungen seiner Bürger gelegen.

Aus dieser Ermutigung für nach dem Kulturkampf dem deutschen Staat skeptisch gegenüberstehende katholische Kreise wurde in der Wirkungsgeschichte des „Böckenfördesatzes“ das zentrale Argument für den Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Lautete bei Böckenförde das Argument noch, die Säkularisierung des Staates ist das erfolgreiche Konzept, das in der Antwort auf das in Glaubensfeden untergehende Europa gefunden wurde, dennoch kann auch dieser säkularisierte Staat nur bestehen, wenn er von seinen Bürgern getragen wird; dazu wiederum sind tieferliegende Wertüberzeugungen der Bürger vonnöten, so kehrt sich dies Argument in der Wirkungsgeschichte faktisch um. Nun wird daraus: der Staat darf die Wertgrundlagen zwar selbst nicht legen, wenn sie aber nicht gelegt werden, so fällt er zwangsläufig auseinander und deshalb muss er bei Strafe seines Untergangs daran interessiert sein, dass jemand anders – und wer könnte das besser als die etablierten Konfessionen – subsidiär diese Aufgabe für ihn übernimmt. Der Religionsunterricht muss also die Wertgrundlage bilden, die auch der Staat für sein Bestehen braucht. Deshalb muss der Staat den Kirchen das Privileg eines schulischen Regelfaches einräumen.[11] 

Mindestens zwei Probleme allerdings müssen bei dieser Art der Aufnahme des Böckenfördesatzes thematisiert werden.

1.  Böckenförde schließt nicht aus, dass es auch andere Quellen für Wertefundamente von Bürgern geben könne, die dem Staat zugute kommen. Vielmehr ist dies gerade die neue Möglichkeit des säkularen Staates, die Pluralität der Werthaltungen zu ermöglichen und selbst davon zu profitieren, dass die Bürger Werthaltungen mitbringen, die sie im Staat nicht nur ein kurzfristiges Eigen-Nutzenkalkül erblicken lassen. Die Umkehrung, der Staat sei verpflichtet, bestimmten Religionen einen privilegierten Zugang zur staatlichen Schule anzubieten, läuft Böckenfördes Definition des Staates gerade zuwider.

2.  ist bei dem Einlassen auf diese Argumentation der Religionsunterricht in der Beweislast, ob er Werthaltungen überhaupt produzieren kann. Der Religionsunterricht wird so nicht etwa durch den Eigenwert einer Befähigung für den „mündigen Gebrauch der Religionsfreiheit“ (Wolfgang Huber) für unverzichtbar gehalten, sondern in einer Dienstleisterfunktion als Wertelieferant. Ob und inwiefern der Religionsunterricht allerdings diese Erwartung erfüllen kann, ist in hohem Maße fraglich.

Nipkow

Das Modell dieses konfessionellen Religionsunterrichts geriet jedoch durch zwei Tendenzen, in Bedrängnis. Zum einen zeichnete sich bereits die späte alte Bundesrepublik durch zunehmende Pluralisierung und Individualisierung auch für den Bereich der Religion aus (vgl. Berger 1980). Zum anderen kam durch die Wiedervereinigung das Problem der massiven Religionsferne auf die Religionspädagogik zu.

Auf das erste Problem entwickelte der Nestor der evangelischen Religionspädagogik, Karl Ernst Nipkow, eine Antwortstrategie.[12] Neben die negative Religionsfreiheit trete eine, durch das Grundgesetz verbürgte, positive Religionsfreiheit (a.a.O. S. 283). In diesem Rahmen habe der konfessionelle Religionsunterricht die Aufgabe, den Heranwachsenden zu ermöglichen, „sich individuell im Rahmen ihrer Allgemeinbildung religiös zu orientieren und religiöse Urteilsfähigkeit zu erwerben“ (ebd.). Der Vorschlag der EKD einer verbindlichen Fächergruppe „Religion – Ethik/Philosophie“ nehme diese Vorgaben auf. Auch dem Islam solle im Rahmen der Fächergruppe das Recht auf einen deutschsprachigen Religionsunterricht eingeräumt werden.

Die exklusive Tendenz gegenüber anderen Religionen, die manchen Auslegungen des Böckenförde-Arguments noch zueigen war, findet sich in Nipkows Argumentation nicht mehr. Vielmehr ist umgekehrt der religiöse Pluralismus geradezu eine Basis religiöser Bildung an der Schule. Freilich ist für Nipkow adäquate religiöse Bildung nur im Durchgang durch die (je eigene) Religion und Konfession vorstellbar. Dieses Konzept, sosehr es auch die veränderte Ausgangslage der späten Bundesrepublik berücksichtigt, hat doch mindestens drei schwerwiegende Probleme.

1.  Konstitutiv für das Nipkowsche Konzept ist der Dual von Identität und Verständigung.[13] Identität wird dabei durch die Herkunftsreligion definiert. War es im ständischen System selbstverständlich, dass die Kinder dem Beruf, dem Stand, der Religion der Eltern folgten, ist es ein Kennzeichen der Moderne, dass der Stand, der Beruf der Eltern nicht mehr zwangsläufig den Stand und den Beruf der Kinder vorgeben.[14] In dem Konzept der „Identität“ wird diese Möglichkeit ignoriert und so getan, als sei die Religion der Eltern immer auch die „eigene“ Religion der Kinder.[15] 

2.  Religiöse Bildung an der Schule soll dem religiösen Pluralismus und damit der individuellen Religionsfreiheit der SchülerInnen gerecht werden. Deshalb spricht sich Nipkow auch für einen islamischen Religionsunterricht aus. Wenn allerdings aus Gründen der Sicherung der verfassungsmäßig garantierten Religionsfreiheit der schulische Religionsunterricht die jeweiligen Herkunftsreligionen der Schüler abbilden muss, dann kann dieser Unterricht kaum auf einen islamischen, zwei christliche und einen jüdischen Unterricht beschränkt werden, sondern dann müssen auch die Herkunftsreligionen aller anderen SchülerInnen berücksichtigt werden. Der buddhistische Religionsunterricht oder der hinduistische hätte dann nicht weniger Rechte als der katholische oder islamische. Die Konsequenz dieser Argumentation ist demnach eine Atomisierung der Religionsunterrichte, die jedoch mindestens an der Finanzierbarkeit scheitern muss.

3.  Auch wenn Nipkow sächsische Zahlen zum Beleg bringt, dass der Religionsunterricht in den neuen Bundesländern erhebliche Bedeutung habe, so zeigen doch eben diese Zahlen, wie wenig dies tatsächlich der Fall ist. Inklusive der von Nipkow angegebenen fast 50% Konfessionsloser besuchen insgesamt nur knapp 20% eines Jahrganges den Religionsunterricht. Auf die dramatische Situation, nämlich einer religiösen Nichtbildung von 80% der Schülerschaft gibt Nipkows Konzept keine Antwort.[16] 

Bleibende Fragen

War zu Luthers Zeiten die theologische Bildungsbedürftigkeit unumstritten, war doch die Notwendigkeit allgemeiner Bildung keineswegs einsichtig. Luther begründet die Notwendigkeit der Allgemeinbildung (neben ihrem Selbstzweck) als Mittel zur religiösen Bildung. Eine solche Begründung der Allgemeinbildung wäre heute ganz unvorstellbar. Das liegt daran, dass die Allgemeinbildung so selbstevident geworden zu sein scheint, dass sie kaum noch einer Begründung bedarf. Stattdessen steht nun die seinerzeit unhinterfragte religiöse Bildung auf dem Prüfstand. Es ist keineswegs mehr plausibel, dass Religion zum Bildungskanon gehört. Das wichtigste Argument für religiöse Bildung an der staatlichen Schule ist, dass diese zur Allgemeinbildung hinzugehört und die Gewährleistung einer Allgemein- oder Grundbildung die Aufgabe der Schule ist.[17] Nicht mehr die religiöse Bildung kann die Notwendigkeit der Allgemeinbildung begründen, sondern diese begründet nun die Notwendigkeit jener.

Das Schleiermachersche Argument einer Anregung zum religiösen Gefühl und ein Affekt gegen einen Religionsunterricht, der bestenfalls ein Wissensarsenal bereitstellen kann, kann vor diesem veränderten Hintergrund ebenfalls nicht mehr überzeugen. Schleiermacher ging in seinen Reden ausdrücklich von der Position des Religiösen aus. Dies kann ein zu weltanschaulicher Neutralität verpflichteter Staat nicht leisten.[18] Für das Interesse einer Allgemeinbildung kann das Erwecken eines religiösen Gefühls nicht Ziel des Unterrichts sein. Wenn es jedoch, anders als in Schleiermachers Zeit der Staatskirche, bei der überwiegenden Anzahl der SchülerInnen bislang so gut wie keine Erfahrungen auf dem Gebiet der Religion gibt, dann muss ein bloßer Faktenwissenserwerb im wahrsten Sinne „sinnlos“ bleiben, weil die Erfahrungen fehlen, um das Gelernte verstehen und einordnen zu können. Insofern kommt ein solcher Basisunterricht auf dem Gebiet des Religiösen auch um die Bereitstellung von religiösen Erfahrungsmöglichkeiten nicht herum.

Das Begründungsmuster für den Religionsunterricht als Regelfach, das auf dem Böckenförde Argument fußt, büßt aus mindestens zwei Gründen zunehmend an Bedeutung ein. Zum ersten zeigt die Normativität des Faktischen, dass obgleich ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung der Bundesrepublik religionslos ist, dennoch das Staatsgefüge nicht auseinanderbricht. Zum zweiten wurde deutlich, dass Böckenförde von und für eine katholische Gemeinschaft argumentiert, die er in ihrem gesellschaftlichen und politischen Engagement bestärken will. In eine Argumentation des neutralen Staates zum schulischen Religionsunterricht ist dies nicht ohne weiteres zu überführen. Dies dürfte deshalb zunehmend problematisch werden, weil die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft nicht mehr gesellschaftliche Normalität sondern die Ausnahme wird. Der konservative Charakter des Rechts mag dazu führen, dass die Gesetzgebung dieser gesellschaftlichen Veränderung noch über einen gewissen Zeitraum hinterherhinkt, auf Dauer sind jedoch Szenarien wie in Sachsen kaum vorstellbar, dass bei einer Größenordnung von ca. als 20% Kirchenmitgliedern und einem Anteil der Konfessionslosen von fast 80% der Religionsunterricht das Regelfach ist und die Alternative immer noch den Status eines Ersatzfaches hat.[19] 

Die Perspektive Nipkows hilft in den neuen Ländern nur bedingt weiter.

1.  würde die religiöse Pluralität eine Atomisierung der jeweiligen identitätsstiftenden Religionsunterricht verlangen. Abgesehen vom Finanzierbarkeitsvorbehalt einer solchen Ausdifferenzierung fragt sich, ob ein Splitterreligionsunterricht je nach Religion und Konfession überhaupt noch im öffentlichen Interesse sein kann.[20] Die Sehnsucht nach homogenen Lerngruppen scheint nicht nur in Bezug auf die dreigliedrige Schule dem deutschen Schulsystem eigen, sondern findet ihren Ausdruck auch im Wunsch nach religiöser Differenzierung.

2.  auf die Herausforderung, die sich jedoch gerade angesichts des Fundamentalismus stellt, nämlich die des interreligiösen Gespräches, gibt dieses Konzept bestenfalls den ersten Teil der Antwort, nämlich die sich selbst gewählte Religion besser kennen zu lernen. Auf die zweite Herausforderung, nämlich die verbale, friedliche Auseinandersetzung zwischen den Religionen zu ermöglichen, hat das Konzept zu wenig plausible Antworten bereit. Wie soll der Dialog gelingen, wenn jeder vor allem „seine“ Religion kennen lernt?

3.  ist in den neuen Bundesländern weniger die religiöse Pluralität einer religiösen Minderheit kennzeichnend, sondern die Religionslosigkeit der Mehrheit. Religionslosigkeit aber als einen Fall von religiöser Pluralität zu fassen, wird dem Selbstverständnis dieser Mehrheit wohl kaum gerecht.[21] 

Anhang - Gegenwärtige Antwortversuche

LER - Ein Antwortversuch aus Brandenburg

In Brandenburg wurde seit 1989 an einem Unterrichtskonzept gearbeitet, das diese Probleme bearbeiten sollte. Angedacht war ein gemeinsames Fach für alle SchülerInnen, in dem neben Fragen der Lebensgestaltung und Ethik auch solche der Religion(en) behandelt werden sollten (vgl. Schluß 2000, 2003). Anfangs war die Evangelische Landeskirche in das Projekt eingebunden, noch vor Ablauf des Schulversuches aber war das Zerwürfnis unüberbrückbar. Die durch die Vermittlung des Verfassungsgerichts herbeigeführte Lösung besteht nun vereinfacht in einer umgekehrten Variante des Art. 7,3 GG.[22] Empirische Untersuchungen zeigen, dass religiöse Themen im LER-Unterricht nur einen kleinen Teil ausmachen und besonders das Christentum kaum vorkommt (vgl. Leschinsky/Gruehn 2002). Das öffentliche Interesse an religiöser Bildung als integraler Teil der Allgemeinbildung kann so nicht erfüllt werden.

Religionsphilosophische Schulwochen als religiöse Kommunikation

Einen anderen Weg wählt das  Konzept der religionsphilosophischen Schulprojektwochen (RPSW), die in mehreren Bundesländern in Kooperation von Kirchen und Schulen durchgeführt werden. Sie sind ein religionskundliches Angebot, mit dem versucht wird, Religionen als gelebte Praxis für SchülerInnen erfahrbar werden zu lassen. Im Unterschied zum Religionsunterricht setzt das Konzept daher weder eine Religionszugehörigkeit noch eigene Erfahrungen mit Religion voraus.

Die Teilnahme an der RPSW ist für alle SchülerInnen verpflichtend. Es werden verschiedene Weltreligionen durch VertreterInnen der jeweiligen Religionsgemeinschaften vorgestellt. Hinzu treten Exkursionen zu religiösen Orten der jeweiligen Glaubensgemeinschaft, wo ein Einblick in deren religiöses und soziales Leben möglich wird. Hintergrund der „authentischen Begegnungen“ ist die Überlegung, dass es für die Veranstaltenden keinen „neutralen Punkt“ geben kann, von dem aus sie andere Konfessionen und Religionen ebenso wie die eigene Glaubensüberzeugung darstellen könnten. Auch ein „learning about religion“ vollzieht sich sinnvoller Weise in einer Begegnung und im Dialog mit den Religionen selber.

Bei all diesem wird praktiziert, was „Religiöse Kommunikation“ genannt werden kann (vgl. Schluss/Götz-Guerlin 2003). Religion, Glaube, Weltanschauungen wie unreflektierte Meinungen über das, was gut und schlecht ist, werden miteinander ins Gespräch gebracht. Die RPSW wird so zu einer Woche, in der die SchülerInnen die Möglichkeit haben, ihre eigenen Überzeugungen zu schärfen, sie zu prüfen und sich ein Bild vom Denken und Glauben anderer zu machen.

Viel spricht dafür, dass Konzepte wie die RPSW, die aus der außerschulischen Jugendarbeit inspiriert sind und die in der Lage sind, Begegnungen mit Religionen und deren Reflexion zu ermöglichen, die offenen Fragen nach der Berechtigung von schulischer religiöser Bildung im öffentlichen Interesse beantworten können, die traditionelle Religionsunterrichtsmodelle offen lassen.

Literatur

Benner, Dietrich (42001): Allgemeine Pädagogik. Weinheim und München: Juventa.

Benner, Dietrich (2004): Bildungsstandards und Qualitätssicherung im Religionsunterricht. www.theoweb.de 2/2004.

Bellmann, Johannes. Religion ist öffentliches Lehrfach. Begründungsfiguren religiöser Bildung an öffentlichen Schulen. (in diesem Band).

Berger, Peter L. (1980): Religion: Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft, Frankfurt/M.

Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation. In: (Ders.): Staat Gesellschaft Freiheit – Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht. Frankfurt a.M. 1976, S. 42-64.

Gabriel, Karl (1996): Religiöse Individualisierung oder Säkularisierung, Gütersloh.

Hanisch, Helmut/Kinder, Jochen (2003): Religions- und Ethikunterricht im Freistaat Sachsen aus statistischer Sicht. In: Domsgen, Michael; u. a. (Hrsg.): Religions- und Ethikunterricht in der Schule mit Zukunft. Bad Heilbrunn/Obb: Verlag Julius Klinkhardt, S. 191-214.

Hanisch, H./Pollack, D. (1997): Religion – ein neues Schulfach. Eine empirische Untersuchung zum religiösen Umfeld und zur Akzeptanz des Religionsunterrichts in den neuen Bundesländern. Stuttgart.

Herbart, Johann Friedrich (1804/21982): Über die ästhetische Darstellung der Welt als das Hauptgeschäft der Erziehung. In: (Ders.): Kleinere pädagogische Schriften. Hrsg. von Walter Asmus, Stuttgart, S. 105-121.

Leschinsky, A./Gruehn, S. (2002): Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde – ein notwendiger Reformversuch unterwegs. In: Auer, K. H. (Hrsg.): Ethikunterricht. Standortbestimmung und Perspektiven. Innsbruck, Wien: Tyrolia, S. 145-165.

Lenzen, Dieter (2003): Bildung neu denken! Das Zukunftsprojekt, Opladen.

Luckmann, Thomas (1991): Die unsichtbare Religion, Frankfurt/Main.

Luther, Martin (1520/1888): An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung. In: Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe 6. Bd. Weimar, S. 381-469.

Luther, Martin (1524/1899): An die Ratherren aller Städte deutsches Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und erhalten sollen. In: Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe 15. Bd. Weimar, S. 9-53.

Luther, Martin (1538/1909): Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürstentum zu Sachsen, jetzt durch D. Mart. Luth. corrigiert. Wittenberg, In: Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe 26. Bd. Weimar, S. 175-241.

Nipkow, Karl Ernst (2000): Religiöse Bildung im Pluralismus. In Neue Sammlung, S. 281-293.

Pollack, Detlef (1993): Zur religiös-kirchlichen Lage in Deutschland nach der Wiedervereinigung - Eine religionssoziologische Analyse. In: ZThK Jg. 93 4/96 S. 586-615.

Pollack, Detlef (1996): Individualisierung statt Säkularisierung? – Zur Diskussion eines neueren Paradigmas in der Religionssoziologie. In: Gabriel, Karl (Hg.); Religiöse Individualisierung oder Säkularisierung, Gütersloh.

Pollack, Detlef (1994): Die Kirche in der Organisationsgesellschaft, Stuttgart.

Schleiermacher, D. F. E. (1799/1983): Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Dritte Rede. Über die Bildung zur Religion. In: (Ders.): Theologische Schriften. Hg. Von Kurt Nowak. Union-Verlag Berlin. S. 121-141.

Schluß, Henning (2000): LER – Nie war kritisieren so einfach wie heute. In: Neue Sammlung, S. 313-336.

Schluß, Henning (2002): Von Zauberlehrlingen und Hexenmeistern. Ein Kommentar zur deutschen Schulwirklichkeit im Allgemeinen und zum Streit um LER im Besonderen. In: E & U 4/2002.

Schluß, Henning (2003): Lehrplanentwicklung in den neuen Ländern - Nachholende Modernisierung oder reflexive Transformation? Wochenschauverlag, Schwalbach/Ts.

Schluß, Henning (2004): Das Recht des moralisch-evaluativen Unterrichts. Zur pädagogischen Bedeutung der juristischen Auseinandersetzung um den Religionsunterricht, LER und Ethik. In: Gruehn, Sabine/Kluchert, Gerhard/Koinzer, Thomas (Hrsg.): Was Schule macht. Schule, Unterricht und Werteerziehung: theoretisch, historisch, empirisch. Weinheim: Beltz Verlag, S. 257-272.

Schluß, Henning (2005): Religionsunterricht an öffentlichen Schulen? – Das öffentliche Interesse an religiöser Bildung. Noch ohne Ort.

Schluß, Henning/Götz-Guerlin Marcus (2003): Was hat Religion mit Erfahrung zu tun? Die Religionsphilosophische Schulwoche als religiöse Kommunikation In: Pastoraltheologie, S. 274-286.

Tenorth,  Heinz-Elmar (2004): Bildungsstandards und Kerncurriculum - Systematischer Kontext, bildungstheoretische Probleme) Zeitschrift für Pädagogik 5, S. 650-661.

 

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[1] Dieser heute viel geschmähte Begriff hat demnach ursprünglich einen emanzipatorischen Charakter, der das ekklesiologische Modell einer Gemeinschaft der Gläubigen gegen das hierarchische Konzept der Staatskirche stellt.

[2] „Die Frömmigkeit, welche die Basis aller kirchlichen Gemeinschaften ausmacht, ist rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewusstseins.“ Schleiermacher, 1830/1960, § 3 S. 14.

[3] So wenig vielversprechend dieser Weg im Gespräch mit Religionslosen auch ist, bleibt doch erstaunlich, wie populär ganz ähnlich lautenden Thesen bis heute in der Religionssoziologie geblieben sind. Ob Religion nun als Auseinandersetzung mit Sinnfragen, als Beschäftigung mit Tod und Sterblichkeit oder als Praxis der Kontingenzreduktion beschrieben wird, gemein haben die Thesen, dass Religion als anthropologische Tatsache jedem Menschen zugeschrieben wird, es also per Definition keinen religionslosen Menschen geben kann, sondern lediglich die festen Bindungen der Individuen an religiöse Institutionen sich lockern und lösen (vgl. dazu Luckmann 1991, Karl Gabriel 1996, Berger 1980 u. a.). Die Gegenposition vertritt seit Jahren vor allem Detlef Pollack, wenn er darauf beharrt, dass eine soziologisch relevante Religiosität sich auch in messbaren Handlungen der Individuen niederschlagen muss und nicht nur universell behauptet werden kann. Vgl. Pollack (1994), (1996).

[4] Schleiermacher sieht an sich selbst: „Da ich selbst nicht weniges an mir vermisse, was zum Ganzen der Menschheit gehört“ (Schleiermacher 1799/1983, S.122).

[5] „Was ich selbst bereitwillig eingestanden habe als tief im Charakter der Religion liegend, das Bestreben, Proselyten machen zu wollen aus den Ungläubigen“ (a.a.O. S. 121).

[6] „Und nie werden wir versuchen, unsere Religion aufzudringen, auf irgendeinem andern Wege weder diesem noch dem künftigen Geschlechte“ (a.a.O. S. 122).

[7] „Was durch Kunst und fremde Tätigkeit in einem Menschen gewirkt werden kann, ist nur dieses, dass Ihr ihm  Eure Vorstellungen mitteilt und ihn zu einem Magazin Eurer Ideen macht, dass Ihr sie so weit an die seinigen verflechtet, bis er sich ihrer erinnert zu gelegener Zeit: aber nie könnt Ihr bewirken, dass er die, welche Ihr wollt, aus sich hervorbringt“ (a.a.O. S. 123).

[8] In der DDR wurde dagegen der Religionsunterricht recht bald aus den Schulen zurückgedrängt und fand, nach dem Vorbild der Bekennenden Kirche im NS in den Gemeinden statt. Die Kirchensteuer zogen die Kirchen selbst auf freiwilliger Basis ein. Die Alimentierungen aus den Säkularisierungen jedoch zahlte auch die DDR an die Kichen.

[9] Mit den wenigen Ausnahmen in denen die sogenannte „Bremer Klausel“ (Art. 141) galt.

[10] Diese Wendung wird mit folgendem Satz eingeleitet: „So wäre denn noch einmal – mit Hegel – zu fragen, ob nicht auch der säkularisierte weltliche Staat letztlich aus jenen inneren Antrieben und Bindungskräften leben muß, die der religiöse Glaube seiner Bürger vermittelt. Freilich nicht in der Weise, dass er zum ‚christlichen’ Staat rückgebildet wird, sondern in der Weise, dass die Christen diesen Staat in seiner Weltlichkeit nicht länger als etwas Fremdes, ihrem Glauben Feindliches erkennen, sondern als die Chance der Freiheit, die zu erhalten und zu realisieren auch ihre Aufgabe ist“ a.a.O. S. 61.

[11] In manchen Varianten dieser Argumentation ist damit zugleich noch ein Exklusionskriterium gewonnen. Nicht alle Religionsgemeinschaften nämlich seien in der Lage, diesen Dienst für die Gewährleistung der Existenz des Staates zu erbringen, es seien dies nur die mit dem Wertekanon des Grundgesetzes harmonierenden Religionen also die beiden christlichen Kirchen. Mit der Ausnahme eines jüdischen Religionsunterrichts freilich, der aber zahlenmäßig nie ins Gewicht fiel.

[12] Der im Folgenden näher beleuchtete Aufsatz „Religiöse Bildung im Pluralismus“ erschien in der Neuen Sammlung 2/2000, d.h. die deutsche Wiedervereinigung war bereits fast 10 Jahre her. Unter ähnlichem Titel und mit ähnlichem Inhalt sind von Nipkow eine Anzahl von verschiedenen Publikationen in angesehen Zeitschriften und als selbständige Veröffentlichungen erschienen, die deutlich machen, als wie zentral er den Pluralismus als Herausforderung für die Religionspädagogik sieht.

[13] So auch der Titel einer gleichnamigen EKD-Denkschrift (Gütersloh 2000), die von Nipkow maßgeblich beeinflusst ist.

[14] Schon in Lessings Ringparabel taucht zumindest theoretisch in der als Falle gestellten Frage des Sultans Aladin an Nathan die Möglichkeit eines Religionswechsels auf.

[15] Die Begründung könnte z.B. pragmatisch vorgehen, indem sie wie D. Pollack religionssoziologisch aufweist, die meisten Kinder in der Konfession (oder auch Konfessionslosigkeit) der Eltern bleiben oder systematisch, dass gerade der Zwang zur dauernden Wahl der die zweite Moderne kennzeichnet, das Gebiet der Religion nicht erreicht hat, da diese so sehr Privatsache ist, dass zwar die Möglichkeit zur Wahl besteht, nicht jedoch der Zwang und von dieser Freiheit auch Gebrauch zu machen und so auf dem Gebiet der Religion eine Entlastung vom Zwang zur Wahl gesehen wird, der dazu führt, dass die Herkunftsreligion auch zur eigenen wird (vgl. Pollack 1993). Um diese Problematik der „eigenen Religion“ zu Umgehen, haben Dietrich Benner, Rolf Schieder, Joachim Willems und ich in dem beantragten DFG-Projekt zur Analyse und Qualitätssicherung des Religionsunterricht (RuBiQua) den Begriff „Bezugsreligion“ eingeführt.

[16] Vgl. Nipkow 2000, S. 284 mit Verweis auf Hanisch/Pollack 1997, S. 38. Neuere Daten: Hanisch/Kinder 2003.

[17] Vgl. Benner 2004, der im ersten Teil seines Referats 3 Thesen aufstellt, die auch die Legitimation religiöser Bildung im Kontext der staatlichen Schule als im öffentlichen Interesse liegend, anstreben. Vgl. auch den Aufsatz von Johannes Bellmann in diesem Band, der sich mit ausgewählten Begründungsmustern kritisch auseinandersetzt. Vgl. darüber hinaus Schluß 2005, wo fünf verschiedene Kriterien entwickelt werden, die für eine religiöse Bildung im öffentlichen Interesse gelten können müssen.

[18] Zum Begriff der weltanschaulichen Neutralität und seinen Interpretationsmöglichkeiten vgl. Schluß 2003, S. 131 – 138. Zu den möglichen Folgen eines vornehmlich juristischen Diskurses im Bereich der Pädagogik vgl. Schluß 2004.

[19] „Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, besuchen den Unterricht in dem Fach Ethik“ Sächsisches Schulgesetz vom 16.7.2004, § 19 (1).

[20] Die von Nipkow vorgeschlagenen Phasen der Kooperation sollen nicht verschwiegen werden, sind jedoch als Antwort auf das genannte Problem kaum zureichend.

[21] Dennoch wird dies freilich gemacht. Vgl. z.B. die Arbeiten des Berliner Praktischen Theologen Wilhelm Gräb.

[22] LER als rein staatliches Schulfach ist das Regelfach, durch eine einfache Abmeldung können Schüler aber auch zum konfessionellen Religionsunterricht wechseln (vgl. Schluß 2002).