Henning Schluß

LER in Berlin – Ein Pflichtfach ohne Fachlehrer

In: E & Und 2/2005, S. 62.

 

Die aktuelle Debatte über die Einführung des Faches LER in Berlin scheint eine Neuauflage der Brandenburger Diskussion zu sein, die uns über Jahre hinweg begleitete. Diese Debatte zeichnete sich über weite Strecken dadurch aus, dass sie nicht mit pädagogischen Argumenten, sondern entlang ideologischer Bekenntnisse geführt wurde.[1] Entschieden wurde sie denn auch nicht mit pädagogischen Argumenten, sondern auf der juristischen Ebene durch weise Zurückhaltung des Verfassungsgerichts.[2] Bei all der vermeintlichen Ähnlichkeit wird jedoch leicht übersehen, dass es sich tatsächlich um zwei verschiedene Vorgänge handelt: Es gibt ein eminent pädagogisches Problem, das die Brandenburger Variante von LER von den Berliner Plänen unterscheidet. Die Frage nämlich, wo die für die Erteilung des Unterrichts notwendigen Lehrerinnen und Lehrer herkommen sollen, wird nicht einmal seriös gestellt. In Brandenburg läuft die Einführung von LER seit 1992, und noch immer sind nicht alle Schulen entsprechend ausgestattet, obgleich es längst ordentliches Lehrfach ist. Die Auskunft aus dem Berliner Bildungssenat lautet lapidar: Wir haben doch genug ausgebildete Pädagogen die nicht ausgelastet sind, so dass diese Lehrer doch einfach LER geben können. Hier beginnt der eigentliche Skandal.

Eine Zwangsinstitution wie die Schule braucht in einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft eine sehr starke Begründung. Diese Begründung sieht in der Regel so aus. Die Eltern und die Gesellschaft können das was man an Kompetenzen in der Gesellschaft braucht, nicht mehr quasi nebenbei vermitteln, sondern es bedarf dazu einer eigenen Institution, die dies stellvertretend übernimmt. Legitim ist das nur weil und insofern die Unterweisung wissenschaftsbezogen und wertneutral erfolgt. Der Wissenschaftsbezug verbürgt dabei, dass der Unterricht eine bestimmte Qualität hat, die der gesellschaftlichen Aufgabe der Schule entspricht. Mit dem Vorhaben, LER nicht nur als Notlösung, sondern flächendeckend von Lehrern ohne fachbezogene Ausbildung erteilen zu lassen, verabschiedet sich nun die Bildungspolitik von den Grundlagen der modernen Schule. Eltern werden sich zu Recht fragen, ob es wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, dass ein verpflichtender Unterricht von Lehrern erteilt wird, deren Qualifikation für dieses Fach darin besteht, dass sie auch eine Meinung zu Gut und Böse haben.

In Brandenburg gab es von Anfang an eine Lehrerfortbildung für LER-Lehrer, inzwischen gibt es ein Universitätsstudium für dieses Oberstufenfach, wie für jedes andere Unterrichtsfach auch. Die Besonderheit bei LER ist, dass es verschiedene Bezugsdisziplinen hat, mindestens Ethik, Philosophie und Religionswissenschaften bzw. Theologie. In all diesen Fächern müssen LER-Lehrer wissenschaftlich ausgebildet werden und spezifische fachdidaktische Kenntnisse erwerben.

Es gibt einen sehr pragmatischen Grund, weshalb der Berliner Senat das LER-Projekt ohne eine Lehrerausbildung durchwinken möchte: Eine Ausbildung – so bescheiden sie auch sei – würde Geld kosten, und Geld hat Berlin nicht und darf es auch, nach einem Urteil des Verfassungsgerichts, nur für unbedingt notwendige Dinge ausgeben. Wenn LER also Geld kosten würde, dann könnte die Opposition von CDU und FDP dies Projekt ganz einfach aus haushaltsrechtlichen Gründen zu Fall bringen. Lieber mutet man also den Schülerinnen und Schülern einen unqualifizierten Unterricht zu und hält das auch noch von der PDS bis zu den Grünen für einen bildungspolitisch großen Wurf. Implizit ist dies eine drastische Aussage über die Oberstufenfächer Ethik und LER. Haben sie schon in der Öffentlichkeit häufig mit der Ansicht zu tun, hier handele es sich um „Laberfächer“, die so nebenbei mit abgehandelt werden können, so fällt in Berlin die eigene Bildungsverwaltung den erfolgreichen Bemühungen um eine Professionalisierung des Fachbereichs, der früher bloßes „Ersatzfach“ war, in den Rücken. Hier müssen Fachverbände und Fachdidaktik, aber auch die Schulpädagogik vernehmlich ihre Stimme erheben, denn sonst könnte der nächste Schritt des Berliner Bildungssenats darin bestehen, Lehraufträge für LER als 1-Euro-Jobs zu vergeben.

 

 



[1] Vgl. Henning Schluß: LER - Nie war kritisieren so einfach wie heute. In: Neue Sammlung 40. Jg. Heft 2/2000, S. 295-313.

[2] Vgl. Henning Schluß, Das Recht des moralisch-evaluativen Unterrichts - Zur pädagogischen Bedeutung der juristischen Auseinandersetzung um den Religionsunterricht, LER und Ethik. In: Gruehn, Sabine/Kluchert, Gerhard/Koinzer, Thomas (Hrsg.): Was Schule macht. Schule, Unterricht und Werteerziehung: theoretisch, historisch, empirisch.  – Festschrift für Achim Leschinsky. Weinheim. Beltz Verlag 2004, S. 259-274.