Henning Schluß

www.henning-schluss.de

Ein Vorschlag, Gegenstand und Grenze der Kindertheologie anhand eines systematischen Leitgedankens zu entwickeln

In: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 1/2005, S. 23-35.

 

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Kindertheologie als neues Paradigma?

Kindertheologie verspricht ein neues Paradigma der Religionspädagogik zu werden. Die Herausgabe von Jahrbüchern für Kindertheologie weist auf den Anspruch hin, die Entwicklungen in diesem relativ neuen Feld der Religionspädagogik zu dokumentieren und eventuell sogar zu kanalisieren oder zu kanonisieren. Noch erinnern die Jahrbücher freilich eher an ein Forum auf dem unter anderem geklärt wird, was eigentlich unter Kindertheologie zu verstehen sei. Den beiden ersten Jahrbüchern, die die materiale Grundlage dieses Artikels bilden, ist je ein allgemeiner Beitrag vorangestellt, der diese Fragen aus systematischer Perspektive nachgehen und eingrenzen soll. Ihnen folgen Detailuntersuchungen, Beispiele und in einem letzten Teil verschiedenartige Hinweise für die Praxis.

Schon aus dieser Anordnung lassen sich Schlüsse über das Selbstverständnis der „Kindertheologen“ ziehen. Es scheint keine pädagogische Wissenschaft gemeint zu sein, die als spekulative Theorie daherkommt, sondern das was Schleiermacher eine „wirkliche Theorie“ nannte, eine die auf die Praxis zielt (vgl. Schleiermacher1826/1959). Weithin unklar bleibt jedoch, welchen Umfang das mit „Kindertheologie“ bezeichnete Gebiet haben soll. Friedrich Schweitzer hat am Anfang des zweiten Jahrbuches drei Vorschläge für eine Deutung des Begriffes zur Diskussion gestellt (Schweitzer 2003). Von einer „Theologie der Kinder“ (ebd. 11f.) über eine „Theologie mit Kindern“ (ebd. 12 ff.) bis hin zu einem Verständnis als „Theologie für Kinder“ (ebd. 14 ff.) sieht er die mögliche Spannbreite der Kindertheologie. Die drei Aspekte sind dabei nicht alternativ zu verstehen, sondern können sich ergänzen. Darüber hinaus erinnert Schweitzer daran, dass auch eine Kindertheologie nicht schlechthin religiöses Denken sei, sondern die Meta-Ebene zu diesem, die Reflexion über religiöses Denken.

In der Mehrzahl der Beiträge werden die von Schweitzer vorgeschlagenen Differenzierungen nicht aufgenommen. Vielmehr könnten die dort vorgestellten Detailuntersuchungen – die
Spannbreite reicht von Untersuchungen zum Gottesbild der Kinder, dem Jesuskind zwischen Christkind und Weihnachtsmann, Nachdenken über den Tod, pädagogische Anregungen bis hin zu Informationen für die Praxis – auch in einem religionspädagogischen Jahrbuch vorgelegt werden. Soll der Begriff „Kindertheologie“ demnach den Begriff „Religionspädagogik“ ablösen und all das unter sich versammeln, was bislang unter „Religionspädagogik“ zusammengefasst war, von der Praxis in Gemeinde und Schule bis hin zur universitären Disziplin? In eine solche Richtung scheinen Forderungen zu gehen, die in den Jahrbüchern selbst erhoben werden, z.B. auch die Entwicklungspsychologie für das kindertheologische Konzept noch stärker zu berücksichtigen. Eine solche Ablösung ist sicher legitim, aber es fragt sich doch, worin ihr Gewinn läge. Was würde es bedeuten, wenn die an den Hochschulen neben Altem und Neuem Testament nicht mehr Religionspädagogik, sondern Kindertheologie angeboten werden würde und auf den Stundenplänen nicht mehr Religionsunterricht, sondern Kindertheologie stünde? Es zeigt sich bei einem solchen Gebrauch des Begriffes, dass dieser noch weniger trennscharf als die herkömmlichen Unterscheidungen ist, denn Kindertheologie kann anscheinend gleichermaßen die ausgeübte Praxis, wie die institutionalisierte Reflexion bezeichnen. Es steht zu befürchten, dass mit einer solchen Ausweitung des Begriffs seine spezifische Leistungsfähigkeit verloren gehen würde.

In einem erneuten Ansatz soll deshalb gefragt werden, worin denn die spezifische Leistungsfähigkeit des Begriffs „Kindertheologie“ bestehen könnte.

Suche nach einem kleinsten gemeinsamen Nenner

Sieht man die Jahrbücher in dieser Hinsicht durch, dann fällt ein Topos ins Auge, der immer wiederkehrt. Bereits das Vorwort der ersten Auflage akzentuiert dieses Thema, indem es beginnt: „Jesus stellte das Kind in die Mitte und erhob es zum Vorbild“ (Herausgeber 2002, 7.) Überschieben ist dies Vorwort denn auch: „Das Kind in der Mitte“. Eher fragend greift Anton Bucher dies auf wenn er formuliert: „Führt sie (die Kindertheologie) nicht zur Konsequenz, auf intentionale religiöse Erziehung zu verzichten? Warum religiöse Belehrung, wenn Kinder ohnehin ‚weiter denken als Erwachsene’“ (Bucher 2002, 10). Schon zuvor hat er sich dafür ausgesprochen, in der Kindertheologie „weniger eine Theologie für, sondern vielmehr eine Theologie der Kinder“ zu sehen (ebd. 9). Auf den Punkt bringt Bucher dies Anliegen der Kindertheologie in einer Analogie mit der Kinderphilosophie. Diese konkretisiere „sich dahingehend, dass die Fragen der Kinder […] ernst genommen und nicht vorschnell beantwortet werden“ (ebd. 16).

Sandra Eckerle beginnt ihren Aufsatz im gleichen Jahrbuch mit dem Satz: „Entgegen mancher Zweifel kann man selbst im Kindergarten problemlos Fragen nach Gott stellen“ (Eckerle 2002, 57). Sie beendet ihn mit der Einsicht: „Erwachsene müssen den Gott der Kinder ernst nehmen und kennenlernen. Entscheidend ist richtiges Hinhören, um entsprechend auch Anregungen zum Weiterdenken an die Kinder geben zu können“ (ebd. 68 - Hervorhebungen im Original). In eben diesem Sinn beschreibt die erste Überschrift im Text von Hilger/Dregelyi eine Lernaufgabe für Erwachsene: „Theologie von Kindern wahrnehmen lernen“ „Hilger/Dregelyi 2002, 69). Miriam Schambeck resümiert am Ende ihres Aufsatzes: „Auch wenn hier nur einige Ansatzpunkte für ein Gespräch mit der Theologie angerissen werden konnten, so zeigt sich allein schon darin, welches theologische Potential in Äußerungen von Kindern liegt“ (Schambeck 2002, 113).

Für einige Autoren ist der hier umschriebene Topos jedoch keineswegs ein von vornherein feststehender. Im zweiten Jahrbuch zählt Peter Müller im ersten Kapitel seines Textes eine erhebliche Anzahl von Gründen auf, die dagegen zu sprechen scheinen, „Kinder als Exegeten“ zu bezeichnen (vgl. Müller 2003, 19f.). Auch Robert Zimmermann sieht die Möglichkeit einer Kinderexegese keineswegs von vornherein positiv beantwortet, sondern stellt erst nach Abschluss seiner Untersuchung fest: „Ein entscheidendes Kriterium für die Evaluierung der Kinderauslegung ist ihre Textgemäßheit. Gerade das Abweisen realistischer Erklärungsmuster, die aufgrund der konkret-operationalen Entwicklungsphase der Kinder am ehesten zu erwarten gewesen wären, ist m.E. ein Indiz dafür, dass in der Auslegung wirklich Impulse aus dem Text aufgenommen werden“ (Zimmermann 2003, 44 - Hervorhebungen im Original).

 

Dieser Querschnitt durch diese sehr verschiedenen Texte zur Kindertheologie spricht dafür, in diesem wiederkehrenden Topos das Leitmotiv der Kindertheologie zu sehen. Auf den Begriff gebracht könnte es lauten: Kinder als (theologische) Gesprächspartner ernst nehmen.

Um dieses Ernstnehmen der Kinder als theologische Gesprächspartner noch weiter zu konkretisieren wird vorgeschlagen, dieses Ernstnehmen so zu verstehen, dass damit eine symmetrische Kommunikation angestrebt wird. Eine solche symmetrische Kommunikation wäre in pädagogischen Zusammenhängen freilich eine kennzeichnende Besonderheit. Weithin wird es geradezu als ein Charakteristikum pädagogischer Kommunikation – im Unterschied z.B. zur Kommunikation im Kontext eines demokratischen Politikverständnisses – verstanden, asymmetrisch zu kommunizieren.

Für Schleiermacher war es die Aufgabe der Pädagogik die Heranwachsenden „abzuliefern“ an die großen Gesellschaften wie Staat und Kirche als Individuen, die zu symmetrischer Kommunikation befähigt sind. Nicht jedoch sollte die Pädagogik selbst symmetrisch kommunizieren, sondern dem Pädagogen stehen verschiedene Methoden wie fördern, missbilligen und entgegenwirken zur Verfügung, um eben dieses Ziel späterer symmetrischer Kommunikation in den „großen Gemeinschaften“ zu erreichen. (A.a.O.).[1]

 

Mit dem Verweis auf Schleiermacher soll problematisiert werden, dass wenn es in pädagogischen Prozessen wesentlich um Lehr-Lern-Prozesse geht und nicht schlechthin um alle sozialen Einflüsse von Menschen auf Menschen, damit anscheinend dem Begriffe nach pädagogischen Prozessen eine bestimmte Asymmetrie inhärent ist. Jemand der lehrt weiß mehr als jemand der belehrt wird und somit lernt. Wird Pädagogik über Lehr-Lern-Prozesse definieret, kommt man um die Annahme von Asymmetrie nicht herum. Es ist demnach die Frage, ob und inwiefern die Annahme symmetrischer (theologischer) Kommunikation der Kindertheologie überhaupt im Rahmen klassisch pädagogischer Konzepte zu verstehen ist, oder ob hier tatsächlich ein in gewisser Weise „postpädagogisches“ Paradigma vorliegt.

Freilich ist auch die Postulierung symmetrischer Kommunikationssituationen im pädagogischen Diskurs nicht neu. Vor allem die Antipädagogik hat seit den 70er Jahren konsequent asymmetrische Verhältnisse im Umgang von Erwachsenen mit Kindern zu bekämpfen versucht (von Braunmühl 1978). Die etablierte Pädagogik entgegnete, hier werde „Wissen mit leichter Hand durch Wahrhaftigkeit und Echtheit einer personalen Beziehung ersetzt“ (Meyer-Drawe 1984, 251).

 

Die Lektüre der in den Jahrbüchern versammelten Aufsätze zeigt allerdings, dass es keineswegs das Anliegen der Kindertheologen ist, den Wissenserwerb zugunsten der Echtheit personaler Beziehungen zu verabschieden. Vielmehr kann nach den Gesprächen mit Kindern resümiert werden: „Hier (bei den Kindern) bewirkt das Gespräch einen Erkenntnisfortschritt, der zur Relativierung bestimmter Vorstellungen führt“ (Fricke 2003, 53). Der pädagogische Impuls, der auf eine „Verbesserung“ oder „Weiterentwicklung“ zielt, bleibt demnach auch den kindertheologischen Konzepten eigen. Die Kindertheologen legen Kriterien an, an denen ein solcher „Fortschritt“ messbar wird. Dies ist in einem konsequent symmetrisch gedachten Konzept freilich nicht möglich, denn wie will der eine Gesprächspartner dem anderen einen Fortschritt in der Argumentation oder im Erkennen attestieren?[2] Ein solches Konzept der Weiter-Entwicklung, das im demokratischen Diskurs nicht akzeptabel ist, ist im pädagogischen Konzept von Lehr-Lernprozessen jedoch enthalten.

Meine These wäre darum, den zentralen Topos von Kindertheologie so näher zu bestimmen, dass Kindertheologie sich mit dem Ernstnehmen der Kinder um eine größtmögliche Symmetrie der Kommunikation bemüht, die aber das asymmetrische Gefälle in der pädagogischen Situation nicht ignoriert, sondern zu überwinden sucht. Das Mittel dafür ist eine möglichst symmetrische Kommunikation. Das Einlassen der Kindertheologin auf das Fragen der Kinder, auf ihre Gespräche kann in diesen Gesprächen selbst zu einem Aufbrechen bislang unreflektierter Vorannahmen der (kindlichen) Religiosität führen. So können in der Kommunikation neue Horizonte von den Kindern selbst erarbeitet und entdeckt werden.[3]

In mehreren kindertheologischen Texten geht die Konstruktion noch über die angestrebte Symmetrie hinaus und kommt wiederum zu einer, nun allerdings umgekehrten, Asymmetrie.

Ruben Zimmermann kommt zu dem Schluß, dass „der Auslegung der Kinder in der Fachexegese mehr Gehör geschenkt werden“ müsse (Zimmermann 2003, 45). Rainer Oberthür konstatiert, Kinder hätten „ihre eigene, uns Erwachsene(n) nicht selten überlegene Weise, sich selbst, Gott und die Welt wahrzunehmen und zu deuten“ (Oberthür 2002, 95).

 

Eine Möglichkeit solche Passagen zu verstehen wäre, in ihnen einen Ausdruck der ambivalenten Kindesverherrlichung des „Romantizismus“ zu sehen, der wie Anton Bucher zeigt, eine Quelle der Kindertheologie bildet (Bucher 2002, 11-13). Sie bedeutet allerdings das Kind zum Ideal zu erheben und den Erwachsenen als defizitär zu verstehen. Mit einem solchen Verständnis würde, Käte Meyer-Drawe paraphraiserend, nicht nur das Lern-Ziel des Wissenserwerbs mit leichter Hand vom Tisch gefegt, vielmehr würde das Heil auch für die Erwachsenen in einem Vergessen von Wissen gesehen, das von den Kindern zu lernen sei.

Der evangelischen Theologie sind solche Auseinandersetzungen nicht fremd. In den Wirren der Reformation musste Martin Luther die Notwendigkeit allgemeiner Bildung und im besonderen des Sprachenlernens gegen die schwärmerischen Täuferbewegungen und auch die Hussiten verteidigen, die meinten, der unmittelbar wehende Geist offenbare Gottes Wort direkter als das Studium der Bibel in den Originalsprachen (vgl. Luther 1524, Schluß 2000). Auf der anderen Seite scheint das Herrenwort Mk. 10,14 (Par.) zu stehen, „Wer das Reich Gottes nicht empfängt ein Kind, der wird nicht hineinkommen“.

 

Die Analyse der Argumentationsstruktur in den kindertheologischen Texten hat demnach in eine Aporie geführt. Einerseits zielt Kindertheologie symmetrische Kommunikation an. Andererseits, solange sie Pädagogik sein will, ist sie auf eine gewisse Asymmetrie angewiesen, die sich zwangsläufig aus dem Gefälle im Lehr-Lernprozess ergibt. Darüber hinaus legen manche kindertheologischen Texte sogar eine umgekehrte Asymmetrie nahe, die Erwachsene oder gar die Fachexegese von den Kindern lernen heißt.

Bearbeitungsvorschlag der kindertheologischen Aporie

Die Aporie, in die das Konzept der Kindertheologie führen kann ist, dass es drei gegensätzliche Kommunikationsformen zu gleicher Zeit zu behaupten scheint. Das Ernstnehmen des Kindes deutet auf Symmetrie hin. Das Beharren auf dem pädagogischen Aspekt des Lehrens und Lernens auf ein asymmetrisches Gefälle vom Lehrer zum Lernenden und die konstatierte Lernmöglichkeit des Erwachsenen von den Fragen der Kinder auf eine umgekehrte Asymmetrie. Diese Aporie ist solange nicht auflösbar, solange wir nicht genauer fragen, in Bezug worauf sollen Erwachsene und Kinder kindertheologisch symmetrisch kommunizieren? In Bezug worauf besteht ein asymmetrisches Verhältnis zugunsten des Lehrenden und in Bezug worauf besteht möglicherweise ein asymmetrisches Verhältnis zugunsten des Kindes?

Die systemische Kommunikationstheorie bietet eine Basis für Differenzierungen innerhalb der Kommunikation. Paul Watzlawick unterscheidet bekanntlich zwischen einer Inhalts- und einer Beziehungsebene der Kommunikation (vgl. Watzlawick u.a. 1990, 53ff.).[4] Wird diese Unterscheidung zugrunde gelegt, dann ließe sich argumentieren, die traditionelle Asymmetrie des Lehr-Lernprozesses muss auf der Inhaltsebene der Kommunikation verortet werden. Der Lehrende ist deshalb Lehrender, weil er von der Sache mehr weiß als der Lernende. Den Lernenden macht gerade diese Differenz und ihre gemeinsame Bearbeitung zum Lernenden.

Die pädagogische Erfahrung seit Sokrates sowie die empirische Lehr-Lernforschung hat freilich gezeigt, dass diese Bearbeitung der Wissens-Differenz zwischen Lehrenden und Lernenden nicht nach einem mechanischen Modell des Austausches Erfolg versprechend gedacht und gestaltet werden kann. Das Modell kommunizierender Gefäße beispielsweise ist schon deshalb nicht treffend, weil der Lehrende ja nicht in dem Maße weniger weiß, wie der Lernende mehr weiß. Ebenso wenig Erfolg versprechend sind Transfermodelle wie sie mit der sprichwörtlich gewordenen Bezeichnung eines Gedichtbandes, des Nürnberger Trichters, verbunden sind. Der Mensch ist keine Tabula Rasa, die durch Auftragen von Wissen durch den Lehrer schritt für Schritt beschrieben wird, sondern lernen ist ein höchst aktiver Vorgang. Jeder Lehrende weiß zu seinem Leidwesen, wie wenig sich gelehrtes und gelerntes Wissen entsprechen. Die Verbindung auf der Inhaltsebene der Kommunikation ist keine starre, sondern Sender und Empfänger kalibrieren das Verständnis der thematisierten Sache durch Kommunikation, Resonanzen, durch Rückkopplung und Steuerungsvorgänge ohne dabei jemals zu einer Identität im Sinne von absoluter Übereinstimmung zu gelangen (zur Kritik von Transfermodellen in der Pädagogik und einer alternativen Bestimmung des Transformationsbegriffs vgl. Schluß 2003. 30ff.).

 

Die in der Kindertheologie praktizierte Symmetrie ließe sich als eine verstehen, die vorrangig auf der Beziehungsebene angesiedelt ist. Ein asymmetrisches Gefälle auf der Inhaltsebene muss in dieser Interpretation nicht zwangsläufig einen asymmetrischen Habitus auf der Beziehungsebene nach sich ziehen. Dies Motiv des „Kinder ernst nehmens“ ließe sich sehr gut vor allem auf der Beziehungsebene verstehen. Lehrende müssen im Gespräch nicht in den Gestus des besserwissenden Belehrenden verfallen. Vielmehr scheinen die Ergebnisse der kindertheologischen Detailstudien nahe zu legen, dass gerade die Symmetrie auf der Beziehungsebene dazu beigetragen hat, sich intensiver auf die Sache einzulassen, eben weil die Argumente der Kinder ernst genommen wurden und sie nicht eine besserwisserische Belehrung fürchten mussten.

Für die beobachtete umgekehrte Asymmetrie stellt das Modell Watzlawicks keine Form bereit. Deshalb ist zu fragen, worin diese umgekehrte Asymmetrie bestehen könnte, um eine solche Kommunikationsebene einzuführen. Wenn Stefan Alkier seinen Artikel mit den Worten beendet; „was für ein Glück: seit Florian auf der Welt ist, kann ich die Bibel auch anders lesen!“ (Alkier 2003, 63), dann besteht dieser von Alkier erfahrene Mehrwert nicht darin, dass er eine Information über die neuesten Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese dieses Textes von seinem Sohn erhalten hätte. Die Differenz scheint vielmehr eine zu sein, die weder der Inhaltsebene noch der Beziehungsebene zuzuordnen ist.[5] Es geht um eine Ebene der Kommunikation die ein Aufbrechen von selbstverständlich gewordenen Vor-Verständnissen betrifft, eine Ebene die damit zur Vorbedingung der Möglichkeit neuer Sichtweisen wird. Ob diese Ebene wirklich eine eigene kommunikative Ebene ist, bliebe zu diskutieren. Deutlich ist, dass dieses umgekehrt asymmetrische Moment nicht in den anderen genannten Ebenen aufgeht, sondern eine eigene Form der kommunikativen Asymmetrie darstellt. In aller Zurückhaltung beschreibe ich deshalb diese Ebene als Ebene des Staunen könnens.

Schlüsselt man die Ebenen der Kommunikation in dieser Weise dreifach auf, dann löst sich die eingangs skizzierte kindertheologische Aporie auf. Die divergierenden asymmetrischen, symmetrischen und umgekehrt asymmetrischen Zielsetzungen kindertheologischer Kommunikation lassen sich drei unterschiedlichen kommunikativen Ebenen zuordnen und stehen sich somit nicht gegenseitig im Wege. Vielmehr weisen die empirischen Erfahrungen in der kindertheologischen Praxis auf ein produktives Zusammenwirken dieser unterschiedlichen Gefälle hin. Wenn der Erwachsene merkt, dass er durch ein gleichberechtigtes sich Einlassen auf der Beziehungsebene erleben kann, wie eben diese symmetrische Kommunikation mit Kindern ihm Perspektiven auf vertraut und bekannt geglaubtes eröffnet, die ihm bislang verschlossen waren, wird diese Erfahrung dazu beitragen, künftig Kinder noch eher als gleichberechtigte Gesprächspartner ernst zu nehmen. Umgekehrt gilt für Kinder, auch sie können erfahren, dass wenn sich Erwachsene auf ihre Fragestellungen einlassen, sie das zu weiterem Nachdenken provoziert und so Wege eröffnet, die vorher verschlossen waren.

Die Schwierigkeit des Konzeptes von Asymmetrie ist bekanntlich die Frage, wie die Fähigkeit zur symmetrischen Kommunikation entstehen soll, wenn bislang mit den Heranwachsenden lediglich im Modus der Asymmetrie kommuniziert worden ist. Kant bringt dies Dilemma in der Formulierung auf den Punkt, „Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange? (der Erziehung)“ (Kant 1983, 711). Wird Symmetrie jedoch immer schon auf der Beziehungsebene jedenfalls auch oder tendenziell erfahren, so ist es nicht mehr notwendig, hier einen plötzlichen Umschlag mit Erreichen von Mündigkeitsgrenzen anzunehmen, sondern Heranwachsende erfahren immer schon, dass nicht nur sie lernende sind, sondern auch die Erwachsenen, wenn auch auf einer anderen Ebene, von ihnen lernen – was wiederum die Symmetrie der Beziehungsebene stärken kann.[6]

Grenzen der Kindertheologie

Damit sinnvoll von Kindertheologie gesprochen werden kann ist es nicht nur notwendig herauszuarbeiten, was das Leitmotiv kindertheologischer Praxis und Theorie sein kann, sondern auch was deshalb alles nicht Kindertheologie genannt werden sollte. Das rekonstruierte Leitmotiv „Kinder ernst zu nehmen“ muss sich also nicht nur darin bewähren zu beschreiben was Kindertheologie ist, sondern es muss auch Kriterien nahe legen die erlauben zu sagen, was Kindertheologie nicht ist.

Dazu soll noch einmal gefragt werden, was dieses Motiv der „Kinder ernst nehmens“ bedeutet. Anton Bucher verwies bei der Analyse der Herkunft des kindertheologischen Ansatzes auf Rousseau, der als „Entdecker der Kindheit“ die Romantiker zu ihrer Idealisierung der Kindheit inspiriert habe. Bucher weist darauf hin, dass Rousseau selbst die Möglichkeit einer Kindertheologie vehement bestreitet (vgl. Bucher 2002, 10f.). Es lohnt sich jedoch in diesem Zusammenhang noch einmal genauer hinzusehen, weshalb Rousseau als der Entdecker der modernen Kindheit bezeichnet wird. Die Kindheit war freilich schon viel länger, nach einem „Vergessen“ im Mittelalter wieder bekannt (vgl. Aries 1977). Rousseau proklamierte nicht eine bestimmte Kindheit, die er entdeckt hätte, sondern vielmehr hatte er entdeckt, dass die Kindheit etwas unbekanntes ist (vgl. Rousseau 1762/1995, 5; Benner 1999, 5-7). Erwachsene wissen nicht, was die Kindheit ist. Erwachsene waren zwar selbst einmal Kinder, aber indem sie Erwachsen wurden haben sie vergessen, was die Kindheit ist. Jedes Bezugnehmen auf die vorgeblich bekannte Kindheit ist deshalb eine Konstruktion von Erwachsenen und kann die Kindheit der Kinder immer nur verfehlen. Unbeschadet dessen, dass Rousseau selbst diesen Grundsatz zuweilen nicht beachtet und recht normative Aussagen über das Wesen der Kindheit macht – z.B. die, dass Kinder nicht theologisieren könnten, oder die das Mädchen von Natur aus putzsüchtig seien –, soll hier doch das Argument der unbekannten Kindheit aufgenommen werden. Dies eröffnet mindestens zwei Optionen;

a) diese unbekannte Kindheit eben deshalb zu erforschen weil sie uns Erwachsenen unbekannt ist. Unbekanntheit soll auf diese Weise (künstlich) in Bekanntheit verwandelt werden.

b) dies Unbekanntsein der Kindheit als prinzipielle Unmöglichkeit einer Umwandlung des Unbekanntseins der vergessenen Kindheit in Bekanntheit zu interpretieren. Auch durch noch so raffinierte Forschungsprojekte, so ließe sich diese Position argumentieren, kann das Vergessen der Kindheit nicht rückgängig gemacht oder künstlich eingeholt werden. Solche Bemühungen führten nur dazu, die Kindheit unter den Kategorien von Erwachsenen zu fassen und müssen die Kindheit deshalb notwendig verfehlen.

Diesen zwei prinzipiellen Optionen des Umgangs mit der unbekannten Kindheit ließen sich nun verschiedene wissenschaftliche Positionen zuordnen. So ließe sich von der Entwicklungspsychologie oder von der Psychoanalyse oder auch von der Soziologie sagen, sie habe sich u.a. zur Aufgabe gemacht, die bislang unbekannte Kindheit zu erforschen. Indem diese mit wissenschaftlichen Methoden analysiert wird steigt die Chance, die Vorurteile über der Kindheit, die wir als Erwachsene über sie haben, zu revidieren und so die unbekannte Kindheit zumindest approximativ in eine bekannte zu verwandeln.

Durch entwicklungspsychologische Forschung kann so von der Kindheit gewusst werden, welche Stufen der Entwicklung einander ablösen, wann Kinder durchschnittlich auf einer bestimmten Stufe ihrer logischen, moralischen oder auch religiösen Entwicklung anzutreffen sind oder es lassen sich psychoanalytisch Aussagen über den Prozess der
Ablösung von der identitätsähnlichen ursprünglichen Mutterbindung über Übergangsobjekte in einem intermediären Raum machen oder es lassen sich statistische Aussagen zu den Chancen von Kindern mit fremdsprachlichem Herkunftshintergrund in der Bildungshierarchie des dreistufigen Schulsystems Deutschlands machen. All dies sind Modi, die unbekannte Kindheit auf dem Wege der Forschung in eine bekannte(re) zu verwandeln.

 

Mein Vorschlag wäre, dass ein kindertheologisches „ernst nehmen der Kinder“ in diesem Kontext bedeuten könnte, die von Rousseau entdeckte Unbekanntheit der Kindheit in der zweiten skizzierten Weise zu verstehen, als ein prinzipielles Unbekanntsein, das auch durch wissenschaftliche Forschung nicht überwindbar ist. Die Reaktion auf diese Einsicht des Unbekanntseins wäre jedoch keine Resignation, sondern der Versuch einer Kommunikation angesichts der Unbekanntheit. Dies bedeutete, sich radikal von der Vorstellung zu verabschieden, dass wir Erwachsenen schon wüssten was Kinder sind, erstens weil wir selber Kinder waren und zweitens weil wir die Kindheit durch zunehmende Forschung gut im Griff haben. Die Gefahr dieses Modus einer solchen doppelt bekannten Kindheit müsste in diesem Konzept namhaft gemacht werden. Die Gefahr besteht nämlich darin, im Wissen um die wissenschaftliche Erforschung der Kindheit nun doch zu wissen, was je die Kindheit ist. Die Erinnerung an die prinzipielle Unbekanntheit der Kindheit kann warnen, dass gerade durch eine solche übersteigerte Erwartung die Kindheit individueller Kinder umso mehr verfehlt wird. Kindertheologie könnte somit ein Balancegewicht zu anderen religionspädagogischen Theorie-Konzepten bilden, die sich eben diese Erforschung der Kindheit in der Absicht zum Programm erhoben haben, somit in der religionspädagogischen Praxis angemessener, nämlich in Bezug auf die nun bekannte Kindheit, handeln zu können. Kinder Ernst zu nehmen bedeutete so, Kinder nicht immer schon besser verstehen zu wollen als diese sich selbst verstehen könnten, indem ihre Äußerungen in den Horizont ihrer vermeintlichen entwicklungspsychologischen Stufe, ihrer psychoanalytischen Mutterablösung oder ihres soziologischen Familienhintergrundes interpretiert werden, sondern im Modus einer möglichst symmetrischen Kommunikation sich mit ihnen über religiöse und theologische Themen zu verständigen.

Kindertheologie kann und muss in diesem Verständnis auf andere religionspädagogische Ansätze bezogen bleiben, aber der Modus dieses Bezuges muss vor allem der einer wechselseitigen Kritik sein, wenn sie nicht in diesen Ansätzen aufgehen will. Der Gewinn einer solchen Kritik kann der eines Schutzes vor totalitären Fehlinterpretationen aller Ansätze (auch des kindertheologischen selbst) sein.

Ein Beispiel dafür ist dem Text von Peter Müller entnommen: „Dass dieses Verhalten und Handeln enger oder weiter mit dem eigenen Erfahrungsbereich verknüpft werden kann, hängt mit dem unterschiedlichen Entwicklungsstand der Kinder zusammen, wobei allerdings interessant ist, dass die erste hier zitierte Antwort einer Neunjährigen das Gleichnis eher erfasst als die zuletzt angeführte eines elfjährigen Mädchens“ (Müller 2003, 29) In einer dogmatischen Anwendung entwicklungspsychologischer Erkenntnisse hätte ein Religionslehrer die Antwort des neunjährigen Mädchens ev. sanktioniert, weil diese den beschriebenen Entwicklungsstand noch gar nicht haben könne. Das kindertheologische Herangehen kann eine solche dogmatische Fehlinterpretation der Entwicklungspsychologie korrigieren, indem es religionspädagogischen Praktikern in Gemeinde und Schule auch eine andere Interpretationsmöglichkeit der Kinderäußerungen eröffnet.

 

Durch dies ernst nehmen im Gespräch wird wieder klarer sichtbar, dass ein Kind (wie auch Erwachsene) nicht auf bestimmte Stufen ihrer Entwicklung festgelegt sind, sondern sie in unterschiedlichen Gesprächen zu unterschiedlichen Argumentationen und Interpretationen fähig sind, die die Entwicklungspsychologie auf unterschiedlichen Stufen der Entwicklung verortet.[7] Die Gefahr des Missverständnisses, von der allgemeinen Theorie auf jeden Einzellfall deduzieren zu können, kann durch sich wechselseitig kritisierende Ansätze vermindert werden.

Die in den Jahrbüchern vertretenen Aufsätze die sich mit Gleichnissen beschäftigen plädieren dafür, sich über biblische Gleichnisse schon mit jüngeren Kindern auszutauschen, auch wenn aus entwicklungspsychologischer Sicht davon häufig abgeraten wird, weil die Kinder den metaphorischen Gehalt dieser Geschichten noch nicht erfassen könnten.[8] Auch hier scheint die wechselseitige Kritik sinnvoll. Kindertheologie kann deutlich machen, dass ein prinzipielles Verdikt gegen bestimmte Textsorten in bestimmten Altersstufen nicht angemessen ist – Entwicklungspsychologie kann deutlich machen, in welchen Altersgruppen welche Verstehenshindernisse von biblischen Texten besonders wahrscheinlich sind – wodurch Kindertheologie wiederum mit besonderer Sensibilität für diese Fallstricke des Verstehens gewappnet sein kann.

Die begriffliche Konkretisierung der Kindertheologie hat über die Klärung der Beziehungen zu anderen Varianten der Religionspädagogik hinaus noch eine wichtige Funktion für die Unterscheidung dessen, was Kindertheologie ist und was sie nicht ist. Fände das Kriterium des Ernstnehmens der Kinder in der hier vorgeschlagenen Interpretation Zustimmung, so gehörten Texte die vornehmlich psychoanalytisch, entwicklungspsychologisch, religionssoziologisch oder nach anderen Modellen der Katechese und Religionsdidaktik verführen nicht in den Horizont kindertheologischer Arbeiten.

Auch diese These kann an einem Beispiel veranschaulicht werden. Gerhard Büttner geht in seinem Aufsatz „Das Jesuskind zwischen Christkind und Weihnachtsmann“ zuerst folgender Fragestellung nach: „Wie haben wir uns die Herausbildung der ersten religiösen Vorstellungen der Kinder vorzustellen? Welche biologisch-natürlichen Bedingungen für eine Rezeption kann man annehmen? Auf welche Weise gestaltet sich die Rezeption von entsprechenden Impulsen durch die Außenwelt (Eltern, Fernsehen)?“ (Büttner 2002, 28).

Zur Beantwortung dieser Fragen skizziert Büttner ein Modell, in dem die theoretischen Konzepte verschiedener, vor allem aus der Psychoanalyse stammender, Autoren zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die u.a. vorgestellte Theorie der Übergangsobjekte wird an der Beobachtung des Mädchens Pia und ihrem Umgang mit dem Schmusetuch illustriert: „Der sorgfältig beobachtende Vater hat in diesem Fall sehr schön die Grundlagen von Winnicotts Theorie des Übergangsobjektes beschrieben. Aus dem vorgefundenen Material, in diesem Fall dem Stück Stoff, schafft sich das Kind selbst einen Gegenstand, der offensichtlich dazu dienen kann, für Erfahrungen zu stehen, die ansonsten mit der realen Mutter oder dem Vater gemacht werden. Winnicott erläutert dies insbesondere in der Weise, dass das Übergangsobjekt für die mütterliche Brust stehe“ (ebd. 30). Die Beobachtung des Mädchens Pia dient hier nur dazu, die vorher bestehende Theorie zu bebildern. Die Theorie macht sogar so weitgehende Aussagen, dass sie das Schmusetuch mit einem Symbol für die mütterliche Brust identifiziert. Legt man die hier vorgeschlagene Beschreibung von Kindertheologie und damit auch deren Grenzen zu Grunde, so muss ein solcher Ansatz eindeutig jenseits dieser Interpretation von Kindertheologie verortet werden.

 

Eine so starke Theorie, die besser als Pia weiß was das Kuscheltuch für sie symbolisiert, indem sie nämlich immer schon weiß, dass es die mütterliche Brust symbolisiert, nimmt Kinder gerade nicht in dem hier für die Kindertheologie vorgeschlagenen Sinne ernst, der von dem prinzipiellen Unbekanntsein der Kindheit ausgeht. Kindertheologie würde Pia fragen, was das Tuch für sie ist und es nicht schon vor der Frage mit Gewissheit mit dem Symbol für die Mutterbrust identifizieren. Im vorsprachlichen Alter würde diese Sichtweise sich zurückhalten mit Interpretationen und würde durch nichtsprachliche Interaktion sich über die Bedeutung des Kuscheltuches zu verständigen suchen.

Um es an einem Beispiel zu erläutern. Auf einem Familienfest gehörte es zu einem Spiel, dass meine Frau und ich Luftballone zerstechen mussten. Unsere 1½ jährige Tochter saß dabei auf unserem Schoß. Um die Luftballone zerstechen zu können, mussten wir aufstehen und zu diesen gehen, die dann mit lautem Knall zerplatzten. Jedes Mal weinte Antonia, so dass wir schließlich das Spiel abbrachen. Ein psychoanalytisch gebildeter Freund kam zu uns und sagte, es sei ganz klar, die schönen runden Luftballone symbolisierten für das Kind die Schönheit und Ganzheit und wenn die zerplatzen drohte dem Kind auch das Schöne und Ganze zu zerplatzen. Wir brachten Antonia zu Bett, sangen mit ihr ein Schlaflied und sie schlief auf der Stelle ein. In einem Ansatz der von einer Unbekanntheit der Kindheit ausgeht, wären für das Weinen und sein Ende unterschiedliche Erklärungen denkbar, ohne dass letztlich gewusst würde, welche die richtige wäre. So könnte es sein, dass Antonia den Krach des Zerplatzens nicht mochte. Es könnte sein, dass sie es nicht mochte, dass wir als Eltern aufstanden und sie allein ließen. Es könnte sein, dass sie einfach müde war und ihr deshalb die ganze Aufregung des Spieles zu viel war. Auch vieles andere ist möglich. Wir werden es nicht herausfinden. Wichtig war in dem Moment, in der Interaktion herauszufinden, was Antonia gut tat. Sie zeigte es uns, indem sie aufhörte zu weinen und einschlief. Ein solches Verfahren der Interaktion angesichts der unbekannten Kindheit entspräche dem hier vorgeschlagenen Verständnis kindertheologischen Herangehens, in einer möglichst symmetrischen Kommunikation/Interaktion sich dem Problem anzunähern.

Kindertheologie – eine Praxis ohne Theorie?

Die vorgeschlagene Abgrenzung von einem stark theoriegeleiteten Herangehen mag das Missverständnis nahe legen, hier würde für eine theoriefreie Kindertheologie plädiert. Das ist nicht der Fall. Vielmehr braucht jegliche wissenschaftliche Arbeit Theorie. Einerseits soll die Theorie Einzelfälle verallgemeinern, damit sich Aussagen gewinnen lassen, die über den Einzelfall hinausreichen. Andererseits treffen solche wissenschaftlichen Aussagen eben deshalb keinen konkreten Einzelfall mehr. Gleichwohl sind unterschiedliche theoretische Herangehensweisen möglich. Während eine Variante ist, von den Großtheorien her die Einzelfälle zu erfassen und zu interpretieren gehen andere theoretische Modelle von diesen Einzelfällen aus und versuchen von da her zu Verallgemeinerungen zu kommen, die einen theoretischen Status erreichen. In der Sozialwissenschaft sind solche Verfahren als „grounded theory“ bekannt. Deren theoretisches Konzept steht am Anfang der Untersuchung noch nicht fest, sondern entwickelt sich im Laufe der wissenschaftlichen Arbeiten. Kindertheologie in der vorgeschlagenen Interpretation gleicht am ehesten diesen Verfahren. Das Problem solcher Art von Theorien kommt im folgenden Verdikt Käte Meyer-Drawes zum Ausdruck: „Theorien, die versuchen, sich asymptotisch dieser polyvalenten Struktur von Praxis anzunähern, werden blind“ (Meyer-Drawe 1984, 253). Wenn man dieses Verdikt jedoch so umformuliert, dass die Blindheit zunimmt, je weiter die Annäherung der Theorie an den praktischen Einzelfall voranschreitet, dann kann gesagt werden, dass kindertheologische Theoriebildung bestenfalls eine mittlere Reichweite erzielen kann. Großtheorien sind mit einem solchen Verfahren nicht zu etablieren, weil sie dafür zu wenig spekulativ und zu nah am jeweiligen Einzelfall sind. Dies muss jedoch kein Nachteil sein, wenn man sich der Grenzen einer solchen Theorie bewusst ist. Ihre Aufgabe könnte so vor allem auch darin bestehen, neben den in der Religionspädagogik etablierten Großtheorien den Blick für die besondere Bedeutung des Einzellfalles auch in der Religionspädagogik wach zu halten.

Literatur

Die mit „a.a.O.“ gekennzeichneten Texte sind den ersten beiden Jahrbüchern für Kindertheologie entnommen:

1. Bucher, Anton/Büttner, Gerhard/Freudenberger-Lötz, Petra/Schreiner, Martin (Hrsg.): »Mittendrin ist Gott« - Kinder denken nach über Gott, Leben und Tod. Jahrbuch für Kindertheologie Band 1, Calwer-Verlag, Stuttgart 2002.

2. Bucher, Anton/Büttner, Gerhard/Freudenberger-Lötz, Petra/Schreiner, Martin: „Im Himmelreich ist keiner sauer“ – Kinder als Exegeten. Jahrbuch für Kindertheologie Band 2, Calwer-Verlag, Stuttgart 2003.

 

- Alkier, Stefan: „Papa, ich will mal zu Jesus“ – Florians Bibelverständnis. In: A.a.O. 2003, 60-63.

- Ariès, Philippe: Geschichte der Kindheit. München 1977.

- Benner, Dietrich: Der Begriff modernen Kindheit bei Rousseau, im Philanthropismus und in der deutschen Klassik. In Zeitschrift für Pädagogik 45 (1999), 1-18.

- von Braunmühl, Ekkehard: Zeit für Kinder. Theorie und Praxis von Kinderfeindlichkeit, Kinderfreundlichkeit, Kinderschutz. Frankfurt am Main 1978.

- Bucher, Anton: Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma? In: A.a.O. 2002, 9-27.

- Büttner, Gerhard: Das Jesuskind zwischen Christkind und Weihnachtsmann – Untersuchungen zur Genese der Weihnachtsfiguren bei Vorschulkindern. In A.a.O. 2002, 28-41.

- Eckerle, Sandra: Gottesbild und religiöse Sozialisation im Vorschulalter. Eine empirische Untersuchung zur religiösen Sozialisation von Kindern. In: a.a.O. 2002, S. 57-68.

- Fichte, J. G.: Grundlage des Naturrechts (1796). In: (Ders.): Ausgewählte Werke in sechs Bänden, hrsg. von F. Medicus, Bd. 2, Darmstadt 1962.

- Fricke, Michael: „Wenn Gott der Bestimmer wäre…“ – Eine Schülerinnengruppe spricht über die biblische Schöpfungserzählung. In: A.a.O. 2003, 46-53.

- Herausgeber: Vorwort – Das Kind in der Mitte. In: A.a.O. S. 7-8.

- Hilger, Georg/Dregelyi, Anja: Gottesvorstellungen von Jungen und Mädchen – ein Diskussionsbeitrag zur Geschlechterdifferenz. In: A.a.O. 2002, 69-78.

- Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Vorlesungen. Werke, hrsg. von W. Weischedel, Bd. 10, Darmstadt 1983, 695-761.

- Karweick, Felix Maximilian/Alkier, Stefan: Die Arbeiter im Weinberg – Ein Bibelgespräch zwischen einem Grundschüler und einem Neutestamentler. In: A.a.O. 2003, 54-59.

- Luther, Martin: An die Ratsherren deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen. (1524) In: Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 15, Weimar 1899, S. 9-53.

- Meyer-Drawe, Käte: Grenzen pädagogischen Verstehens – Zur Unlösbarkeit des Theorie-Praxis-Problems in der Pädagogik. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik 1984, S. 249-259.

- Müller, Peter: „Da mussten die Leute erst nachdenken“ – Kinder als Exegeten – Kinder als Interpreten biblischer Texte. In: A.a.O. 2003, 19-30.

- Oberthür, Rainer: „Das Staunen Gottes ist in uns selber“ – Kinder erfahren sich im Fragen nach Gott und Gott im Fragen nach sich. In: A.a.O. 2002, 95-104.

- Rousseau, Jean-Jacques: Emil oder über die Erziehung. (1762) UTB Paderborn 1995.

- Schambeck, Mirjam: Riesenschwer und kinderleicht – Kinder denken über den Tod nach. In: A.a.O. 2002, 105-113.

- Schleiermacher Friedrich Daniel Ernst: Theorien der Erziehung – Die Vorlesung aus dem Jahre 1826. In: Ders. Ausgewählte pädagogische Schriften. Paderborn 1959, S. 37-99.

- Schluß, Henning: Martin Luther und die Pädagogik – Versuch einer Re-konstruktion. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik 3/2000, 76. Jg. 321-353.

Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander Reden 1 – Störungen und Klärungen. Reinbeck 1993.

- Schluß, Henning: Lehrplanentwicklung in den neuen Ländern – Nachholende Modernisierung oder reflexive Transformation? Wochenschauverlag, Schwalbach 2003.

- Schweitzer, Friedrich: Was ist und wozu Kindertheologie? In: A.a.O. 2003, S. 9-16.

- Watzlawick, Paul/Beavin, Janet/Jackson, Don: Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien. Bern 1990.

- Zimmermann, Ruben: Jakobs Begegnung am Jabbok (Gen. 32, 23-33) – Der „Kampf“ der Exegeten und die Auslegungskunst der Kinder. In: A.a.O. 2003, S. 31-45.

 

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[1] Von der Möglichkeit, jegliche soziale Einwirkung als Erziehung zu bezeichnen, hielt Schleiermacher nicht viel, denn dies würde den Gegenstand der Pädagogik über Gebühr ausdehnen denn ein auf alle gesellschaftlichen Bereiche in denen eingewirkt (interagiert) wird ausgedehnter Begriff bezeichne nichts spezifisches mehr und tauge nicht zur Unterscheidung des Pädagogischen z.B. vom Politischen.

[2] Das wäre so, wie wenn der Wähler der Partei x dem Gesprächspartner einen Fortschritt attestieren würde, weil dieser sich von einem Wähler der Partei y zu einem der Partei x (weiter-)entwickelt habe.

[3] Einen solchen Prozess hatte Fichte im Blick, wenn er von der „Aufforderung zur Selbsttätigkeit“ als der Aufgabe des Pädagogen sprach (Fichte 1796/1962, 40).

[4] Friedemann Schulz von Thun hat dieses Modell noch erweitert, in dem er vier Ebenen der Kommunikation unterscheidet (vgl. Schulz von Thun 1993).

[5] Auch die von Schulz von Thun vorgeschlagenen zusätzlichen Apell-, und Selbstoffenbarungsebenen treffen anscheinend nicht das hier gemeinte. A.a.O.

[6] Mit dem Konzept lässt sich auch das Phänomen beschreiben, dass Kinder, in bestimmten Hinsichten, auch auf der Inhaltsebene mehr wissen als die Lehrenden. So kehrt sich das asymmetrische Verhältnis auf der Inhaltsebene zumindest zeitweise um. Ein solches (Miß-)Verhältnis wäre dann leichter zu ertragen, wenn auf der Beziehungsebene von einem symmetrischen Verhältnis ausgegangen wird und es kann die Erfahrung einer wechselnden Asymmetrie auf der Inhaltsebene die Bereitschaft zur Symmetrie auf der Beziehungsebene stärken. Umgekehrt wird deutlich, dass eine umgegehrte Asymmetrie auf der Inhaltsebene der Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler zu einer Erosion der etablierten Asymmetrie auf der Beziehungsebene beiträgt.

[7] Sandra Eckerle formuliert dies aufgrund ihrer empirischen Untersuchung so: „Da es kein einheitliches Gottesbild gibt und lediglich Schwerpunkte und Tendenzen zu erkennen sind, ist eine allgemeine Einbindung in Stufen unsachgemäß. Es kann eben nicht davon ausgegangen werden, dass alle Fünfjährigen eine anthropomorphe Gottesvorstellung haben“ (Eckerle 2002, 67f.).

[8] Müller sieht z.B.: „Insgesamt zeigt die Umfrage sehr deutlich, dass Kinder schon mit 7 oder 8 Jahren den Gleichnischarakter des Textes sehr klar erfassen, während es älteren Kindern teilweise noch nicht gelingt, die Ebene der Konkretion zu verlassen“ (a.a.O. 30) und Karweick/Alkier beschreiben die Gleichnisinterpretation von Max folgendermaßen: „Mit einer für einen neunjährigen erstaunlichen Klarheit differenziert Max nicht nur zwischen Märchen und Ereignisbericht […], sondern fügt als dritte Kategorie die ‚Erzählung’ an“ (Karweick/Alkier 2003, 59).