Was hat Religion mit Erfahrung zu tun?[1]

 

Die Religionsphilosophische Schulwoche
als religiöse Kommunikation

 

J. Henning Schluß/Marcus Götz-Guerlin

 

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Abstract: . What Does Religion Have to Do with Experience? The Religion / Philosophy School Week as Religious Communication. In reaction to the debate in the Patoraltheologie the authors show that also mission follows the rules of religious communication in general. A Berlin school project is described as an example for religious communication.

 

 

I. Einleitung

 

Mission ist wieder in aller Munde. War es bis vor nicht allzu langer Zeit noch die kleine Schar der Evangelikalen, die munter von Zeltevangelisation zu Zeltevangelisation zog, oder Aktionen wie „Pro Christ“, welche die Stars der nationalen und internationalen Evangelisationsszene per Videoübertragung in eine erkleckliche Anzahl von Gemeindehäusern übertrugen, so ist nunmehr auch in den Zentren der etablierten Landeskirchen von Mission die Rede. Evangelisation ist in den vergangenen Jahren in mehreren Zusammenhängen zum Thema gemacht worden. Der Theologische Ausschuss der Arnoldshainer Konferenz formuliert im Jahre 1999 das „Leitbild einer evangelisierenden Gemeinde“.[2] Die Synode der EKD hatte im gleichen Jahr Evangelisation zum Thema.[3] Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) hat das Thema Evangelisation aufgegriffen und einen Konsultationsprozess über die gemeinsame Aufgabe der Mission und Evangelisation in Deutschland angeregt.[4] Im letzten Jahr legte die EKD ihr Papier: „Das Evangelium unter die Leute bringen - Zum missionarischen Dienst der Kirche in unserem Land“ vor.[5]

Auch einzelne Kirchenleitungen fordern zu missionarischen Aktivitäten ihrer Glieder auf. Nicht zuletzt in der Berlin-Brandenburgischen Kirche rückt Mission als Thema wieder in das Zentrum kirchenleitender Veröffentlichungen und wird in bislang nicht gekanntem Maße forciert.[6] Das „Wachsen gegen den Trend“ will auch ein Initiativkreis um den Pommerschen Bischof Abromeit befördern, in dem eine erneuerte PfarrerInnenausbildung zukünftig auf „die missionarischen Herausforderungen des kirchlichen Alltags“[7] vorbereitet.

Aber es gibt auch skeptische Stimmen, welche dieser frisch erwachten Missionsbegeisterung mit Distanz gegenüberstehen. So stellten Reinhard Kähler, Jan Hermelink und Birgit Weyel eine Alternative von konsequenter Mission oder interessierter Kommunikation dar,[8] nicht ohne freilich teils scharfe Reaktionen aus den Reihen kirchenleitender Personen zu provozieren.[9]

Unser Artikel möchte sich an diesem Streit nicht auf eine Seite schlagen, wenngleich er davon nicht unberührt bleiben kann. Es ist nicht zu leugnen, dass „Kirche Mission ist“[10] und wer eine kirchliche Arbeitsform, die bewusst auf ein nicht-christliches und das heißt in diesem Fall auf ein areligiöses Umfeld hin konzipiert ist, analysiert, der kann die Frage „Wie hält’s Du es mit der Mission?“ nicht umgehen. Insofern wollen wir in einem ersten Schritt der Frage nachgehen, was denn unter Mission zu verstehen ist und unter welchen Bedingungen sie überhaupt möglich ist. Im wechselseitigen Aufeinanderbeziehen theologischer und humanwissenschaftlicher Einsichten soll theologisch nach dem Wesen von Mission und aus pädagogischer Perspektive nach der Struktur von Überzeugungsprozessen gefragt werden. Daran werden wir unser Verständnis von Mission als religiöser Kommunikation entwickeln. In einem zweiten Schritt wollen wir anhand praktischer Erfahrungen mit einer Religionsphilosophischen Schulwoche im säkularen Osten Berlins zeigen, was religiöse Kommunikation dort meint, wie sie strukturiert sein kann und wie sie sich zum missionarischen Handeln von Kirche verhält.

 

 

II. Mission als religiöse Kommunikation

 

Ausgangspunkt und Grund-Satz missionarischen Handelns ist das Herrenwort aus Mt 28,18: „Gehet hin und macht zu Jüngern alle Völker“. Dies „zu Jüngern machen“ ereignet sich nicht ohne Kommunikation. Somit ist eine exklusive Alternative von Mission oder religiöser Kommunikation unsinnig. Im Kontext christlich theologischen Denkens und Argumentierens wird übereinstimmend gesehen: Gott selber und kein anderer ist es, der den Glauben wirkt. Niemand kann aus sich selbst heraus glauben und niemand vermag einen anderen zum Glauben zu bringen, nicht einmal, diesen in ihm zu „wirken“. Im weithin übereinstimmenden theologischen Verständnis ist also der menschliche Beitrag zur „missio dei“ deutlich begrenzt.[11] Die Einsicht in die Begrenztheit macht ihn jedoch nicht überflüssig. Er ist notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung des Ereignisses von Mission.

Diesem theologischen Grundsatz korrespondieren pädagogische Einsichten zur Struktur jeglicher Überzeugungsprozesse. Das Prinzip des „Nürnberger Trichters“[12] schien für das Überzeugen noch nie wirklich erfolgversprechend zu sein. Das Subjekt eines Überzeugungsprozesses ist immer der zu Überzeugende selber. An ihm entscheidet sich das Gelingen oder Misslingen des Überzeugungsprozesses. Alles andere nennen wir Manipulation oder Indoktrination. Deren Möglichkeiten stoßen jedoch an engere Grenzen, als wir uns dies zuweilen deutlich machen und sind eigentlich nur insofern erfolgversprechend, als Informationen vorenthalten werden. Sofern aber Informationen gegeben werden, kann der Informierende über die Art und Weise der Aufnahme und Verarbeitung der Information beim Informierten nicht bestimmen.[13] Das was wir gemeinhin als das Überzeugen eines Menschen bezeichnen, zielt demnach darauf, dass dieser sich selbst überzeugt. Diese Selbstüberzeugung können wir ihm nicht abnehmen, wir können sie aber anregen. In der Pädagogik wurde für diesen Prozess der Begriff einer „Anregung zur Selbsttätigkeit“ geprägt.[14]

Dabei wird auch in den Humanwissenschaften immer deutlicher angemerkt, dass diese Selbstüberzeugung kein ausschließlich bewusster, kognitiver Akt ist, sondern dass es sich hier um eine Erfahrung handelt, die wir in uns selbst machen. Wir „sind“ von etwas überzeugt. Diese Überzeugungen beruhen nur zum Teil auf kognitiven Einsichten und viel mehr auf Erfahrungen. Erfahrungen aber sind Interpretationen von Ereignissen. Somit können auch wir selber uns unsere Überzeugungen nicht einfach „machen“. Theologisch korrespondiert dem die Einsicht, dass Gott selbst Autor unserer Glaubenserfahrungen ist. Weder Andere noch wir selbst können sie in uns willkürlich hervorrufen. Dass sie sich aber ereignen, das ist an kommunikative Prozesse rückgebunden. Diese erzeugen die Glaubenserfahrung jedoch nicht.

Dies beschreibt bereits Schleiermacher: „Aber auch in den glücklichsten Zeiten und mit dem besten Willen, die Anlage zur Religion nicht nur da, wo sie ist, durch Mitteilung aufzuregen, sondern sie auch einzuimpfen und anzubilden auf jedem Wege, der dazu führen könnte: wo gibt es denn ein solches? Was durch Kunst und fremde Tätigkeit in einem Menschen gewirkt werden kann, ist nur dieses, dass Ihr ihm Eure Vorstellungen mitteilt, und ihn zu einem Magazin Eurer Ideen macht, dass Ihr sie so weit in die seinigen verflechtet, bis er sich ihrer erinnert zu gelegener Zeit: aber nie könnt Ihr bewirken, dass er die, welche Ihr wollt, aus sich hervorbringe.“[15]

Es zeigt sich also aus theologischer wie aus humanwissenschaftlicher Perspektive: Mission ist nur als kommunikativer Prozess zu verstehen. Sie hat unterschiedliche Ebenen, die in den wenigsten Teilen kognitiv, oft nicht einmal sprachlich sind. Das missionarische Gespräch zielt darauf, dass mein Gesprächspartner sich von den Argumenten, die mich überzeugen, überzeugen lässt, von der  Begeisterung, die mich begeistert, ergreifen lässt, sich von dem Trost, der mich tröstet, trösten lässt – immer unter der Bedingung, dass ich ihn nicht selbst überzeugen, begeistern und trösten kann. Kognition ist dabei bestenfalls eine Rahmenbedingung. Da kann es darum gehen, dass Menschen wissen, worauf andere Menschen vertrauen, was sie glauben. Dies bedeutet aber keineswegs, dass diese Menschen deshalb auch selbst vertrauen und glauben.

Glauben ist dann ein tastendes sich einlassen, bei dem sich immer wieder zeigt, dass Glauben ein selbstreferentieller Vorgang ist.[16] Die Chance, dass jemand sich darauf einlässt, mit diesem Glauben und Vertrauen Erfahrungen selbst zu sammeln, wird dann steigen, wenn er mit demjenigen gute Erfahrungen gemacht hat, der selbst mit diesem Glauben Erfahrungen gemacht hat. Dies ist ja die Struktur unseres Glaubens von Anfang an, es sind „Erfahrungen mit Erfahrungen mit Erfahrungen (etc.)“.[17]

Wenn wir als Glaubende es nicht machen können, dass andere glauben, wenn der Imperativ von Glauben genauso wenig Sinn hat, wie der von Vertrauen, dann spiegelt sich darin die reformatorische Weisheit, dass Glauben kein Verdienst, sondern Gnade ist.[18] Dieses Geschehen muss sich ereignen, wir können es nicht machen. Wir können aber auf diesem Weg des sich ereignenden Glaubens Wege ebnen und Situationen schaffen, in welchen sich Kommunikation ereignen kann, die Anschlüsse eines Zum-Glauben-Kommens ermöglicht.

Was kommunikativ angeregt werden kann beschreibt Schleiermacher so: „Wenn sie (die Religion, H.S, M.G-G) sich mit aller ihr eigenen Kraft bewegt, wenn sie alle Vermögen des eigenen Gemüts in dem Strom dieser Bewegung zu ihrem Dienst mit fortreißt, so erwartet sie auch, dass sie hindurchdringen werde bis ins Innerste eines jeden Individuums, welches in ihrer Atmosphäre atmet.“[19] Andere Mittel der Missionierung schließt Schleiermacher kategorisch und prinzipiell aus. „Nur so durch die natürlichen Äußerungen des eigenen Lebens will sie das Ähnliche aufregen und wo ihr das nicht gelingt, verschmäht sie stolz jeden fremden Reiz, jedes gewalttätige Verfahre, beruhigt bei der Überzeugung, die Stunde sei noch nicht da, wo sich hier etwas ihr Verschwistertes regen könne.“[20]

Insofern aber mit dem Missionsbegriff immer wieder - je nach Standpunkt - Hoffnungen oder Befürchtungen von überwältigender Überzeugung verbunden werden, verwenden wir im Folgenden statt dieses polarisierenden Begriffs eine Begriffskonstruktion die das ausdrücken soll, worum es unseres Erachtens bei Mission nur eigentlich gehen kann, um „Religiöse Kommunikation“.

Lassen wir uns auf diesen Begriff ein, stellt sich auch die kritische Frage nach dem „Missionserfolg“ entspannter. So sei zunächst die Rückfrage erlaubt, was denn überhaupt die Kriterien eines solchen „Erfolges“ sein sollen? Sind es Kircheneintrittszahlen? Taufen? Glaubenserfahrungen? Die Rede von den „Missionserfolgen“ scheint hoch problematisch zu sein. Die theologische Einsicht, dass die Glaubenserfahrung eine Gabe Gottes und nicht von Menschen gemacht sind, befreit von missionarischem Erfolgsdruck. Gerade diese Befreiung aber kann frei setzen zur Kommunikation über unsere Erfahrungen von Befreiungen. Unsere Gesprächspartner werden andere Erfahrungen haben auf die wir neugierig sein können. „Glauben“ wird durch religiöse Kommunikation so wenig wie durch menschliche Missionsbemühungen erwirkt. Er bleibt uns letztlich unverfügbar. Jedoch kann sich durch unsere religiöse Kommunikationen Glauben ereignen.

 

 

III. Religionsphilosophische Schulprojektwochen

 

Vor dem Hintergrund des zuletzt Gesagten nun eine Religionsphilosophische Schulprojektwoche als Beispiel für religiöse Kommunikation zu untersuchen, ist nicht ganz ohne Schwierigkeiten. Die RPSW selber sind nämlich gerade nicht als missionarisches Modell definiert. Als Angebot der Evangelischen Kirchen, das versucht, auf die spezifische Verortung von Religion in der ostdeutschen Gesellschaft einzugehen und im Rahmen von Schule angeboten wird, muss sie, um überhaupt eine Chance der Akzeptanz zu finden, jeden Verdacht von Missionierung von sich weisen. Bevor aber das Verhältnis von religiöser Kommunikation und kirchlichem - und damit letztendlich auch missionarischem Handeln noch einmal vertieft eingegangen wird, wollen wir die RPSW kurz vorstellen:

Die Wurzeln dieser spezifischen Arbeitsform kirchlicher außerschulischer Jugendarbeit in der Schule liegen nicht „im Osten“, sondern in sehr unterschiedlicher langjähriger Praxis der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern in westlichen Landeskirchen.[21] Unterdessen sind die RPSW in Ostdeutschland ein eigenständiges Arbeitsfeld geworden. Sie stellen in den Augen vieler, auch der Verfasser, eine gute Möglichkeit dar, mit einem kirchlichen Angebot auf den religionsfernen Kontext in Ostdeutschland zu reagieren.[22]

Wie auch immer die Entfremdung von kirchlichen Traditionen, christlichen Glaubensinhalten und von bewusster Religiosität begrifflich gefasst wird,[23] wie auch immer ihre Genese beschrieben wird und welche Bewertung sie erfahren mag – die Symptome sind im Kontext schulbezogener Arbeit der Kirchen sehr deutlich zu spüren: Nur noch ein geringer Prozentsatz der Jugendlichen verbindet mit Religion eigene Erfahrungen und Kenntnisse oder bringt zumindest eine rudimentäre Ahnung davon aus der eigenen Familie mit. Es ist daher nur konsequent, wenn der Religionsunterricht lediglich einen geringen Anteil der Schülerinnen und Schüler erreicht. Wer mit Religion und Glauben - und mit ihren kirchlich verfassten Formen zumal – nichts verbindet und keinen Zugang zu ihnen hat, der wird auch das Angebot des Religionsunterrichts, unabhängig von dessen Form und Inhalten, nur schwer annehmen.

An die Stelle von eigenen Erfahrungen mit Kirche, Christentum oder religiöser Praxis ist bei vielen Schülerinnen und Schülern aber keineswegs eine „Leerstelle“ getreten. Halbwissen, Vorurteile und blanker Unsinn bezüglich Christentum und Religion geben sich hier ein fröhliches Stelldichein. Zu dem sicheren Gefühl, in Sachen Religion bereits alles zu wissen, treten diffuse Berührungsängste und Vorbehalte gegen die Kirche und ihre – vermeintlichen – Vertreter; vermeintlich nicht zuletzt deshalb, weil in der Wahrnehmung der SchülerInnen zuweilen auch Imame, Rabbiner und religiöse Vertreterinnen jeder Art zu „Pfarrern“ werden. Reichlich präsent ist die Befürchtung, im Kontakt mit religiösen Inhalten und kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gleichsam hinterrücks missioniert und unbemerkt bekehrt zu werden. Diese Befürchtung der Missionierung findet sich in gleicher Weise bei LehrerInnen und Eltern.

Im Spannungsfeld von explizitem Desinteresse an Religion und thematischen Wissenswüsten setzt das Konzept der RPSW an, indem sie ein Angebot für alle SchülerInnen einer Jahrgangsstufe unterbreitet. Ein wesentlicher Unterschied zum RU ist hiermit aufgezeigt: Im Gegensatz zur Teilnahme am Religionsunterricht, zu der man sich je nach Bundesland explizit anmelden muss oder von der man sich abmelden kann, ist die Teilnahme an der RPSW also für alle SchülerInnen verpflichtend – ungeachtet ihrer Konfession oder weltanschaulichen Einstellung.[24] Die Projektwochen werden inhaltlich und organisatorisch von einer Arbeitsstelle der kirchlichen außerschulischen Jugendbildung unter Hinzuziehung einer größeren Zahl externer Referentinnen und Referenten vorbereitet und durchgeführt.

Angesichts des Vorwissens der SchülerInnen sind die RPSW zu aller erst  – und auch das unterscheidet sie vom Religionsunterricht – ein religionskundliches Angebot. Den SchülerInnen werden einige Weltreligionen, die in Deutschland zahlenmäßig oder historisch-kulturell ein größeres Gewicht haben, vorgestellt. Gewöhnlich sind dies die drei monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam, sowie der Buddhismus. Zentrales und konstitutives Element der RPSW ist hierbei, dass die einzelnen Religionen durch engagierte VertreterInnen der jeweiligen Religionsgemeinschaften vorgestellt werden. Hinzu treten Exkursionen zu religiösen Orten der jeweiligen Glaubensgemeinschaft, an welchen ein konkreter Einblick in deren religiöses und soziales Leben möglich ist. Das im – für die Mehrzahl der SchülerInnen allererste - Gespräch Aufgenommene und Gelernte kann so gefestigt und in den Kontext von Erfahren mit allen Sinnen gestellt werden.

Hintergrund der Entscheidung für „authentische Begegnungen“ ist die Überlegung, dass es für die veranstaltenden Vertreterinnen und Vertreter der evangelischen Kirche keinen „neutralen Punkt“ geben kann, von dem aus wir andere Konfessionen und Religionen ebenso wie die eigene Glaubensüberzeugung darstellen könnten. Die Glaubenden der anderen Religionen vermögen religiöse und kulturelle Identität ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft[25] authentisch zu verkörpern und die Erfahrung zeigt, dass gerade dies von den Schulen und SchülerInnen wohl wahrgenommen wird. Das derart programmatisch verankerte gleichberechtigten Miteinander der unterschiedlichen Religionen nimmt den RPSW von Beginn an das Odium der (christlichen) Missionsveranstaltung.

Bei aller methodisch gewollten Eigenverantwortung der SchülerInnen werden diese jedoch nicht „alleine gelassen“. Ein prägendes Element der Religionsphilosophischen Schulprojektwochen sind die sogenannten „Basisgruppen“. Dies sind feste Bezugsgruppen, Kleingruppen, die von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der außerschulischen Jugendbildung begleitet werden. Hier wird ein Gruppenprozess ermöglicht, der eine intensive und auch persönliche Auseinandersetzung mit den im Lauf der RPSW auftauchenden Fragestellungen zulässt. Die BasisgruppenleiterInnen stehen für Nachfragen zur Verfügung, sind aber auch persönliches Gegenüber, zu dem die SchülerInnen in Beziehung treten bzw. von dem sie sich auch abgrenzen können. Dies gilt auch in besonderer Weise für Fragen des Glaubens und der Weltanschauung. Die BasisgruppenleiterInnen sollen die SchülerInnen bei der Präzisierung ihrer eigenen weltanschaulichen und ethischen Positionen unterstützen und stehen für Respekt und Toleranz gegen die Position anderer ein – ein Vorhaben, das ohne eigene Position und gelegentlich auch Positionierung wohl kaum zu bewerkstelligen ist. Die für die RPSW in ihrer Gesamtheit konstitutive religiöse und weltanschauliche Neutralität wird in der Person der GesprächspartnerInnen mit gutem Grund aufgegeben. Nicht zuletzt die Debatte um das Fach LER in Brandenburg hat immer wieder deutlich gemacht, dass eine qualifizierte Diskussion um Religion, um das „was unbedingt Angeht“ (Tillich) nicht gleichsam aus der „Vogelperspektive“ geführt werden kann.[26] Befragbar auf und diskussionsfähig hinsichtlich ihrer eigenen Position zu sein, aber ohne den Anspruch diese den SchülerInnen als „wahren Weg“ nahe bringen zu müssen, das ist das Konzept der BasisgruppenleiterInnen.

Diese Möglichkeit zur Kommunikation über Religion, über konkrete Religionen und über religiöse Empfindungen im eigenen Leben, heben die RPSW über ein rein religionskundliches Angebot hinaus. Sie bieten den SchülerInnen mehr als beobachtende Zur Kenntnisnahme mehr oder weniger skurriler und exotischer Artgenossen. Die RPSW sind auch ein wertorientierendes Angebot. Sie laden ein zu einer offenen und konstruktiven Auseinandersetzung mit Werten, Idealen, Lebensentwürfen und Orientierungen. Seien diese nun religiös oder non-religiös begründet. In der Auseinandersetzung mit VertreterInnen unterschiedlicher Religionen beginnt ein Prozess, in welchem die SchülerInnen die Möglichkeit bekommen, ihre eigenen Wertvorstellungen und Prämissen ihres Denkens, Fühlens und Handelns zu hinterfragen. Vertieft wird diese Funktion der RPSW durch thematische Angebote, die sich bemühen, Querschnittsthemen menschlichen Existierens, die in enger Beziehung zu religiösen Fragen stehen, aufzugreifen. Im sogenannten „Wahlthemenbereich“ werden Fragestellungen mit einem unmittelbaren Bezug zur Lebenswelt der SchülerInnen zur Diskussion gestellt. Dies sind z.B. Fragen nach dem eigenen Lebens- und Zukunftsentwurf, nach Sexualität und Partnerschaft, nach Gewalt und ethischen Normen. Zum häufig nachgefragten Angebot gehören hier auch Themen mit direkter religiöser Konnotation, wie z.B. Okkultismus, Sekten, Meditation oder Tod und Sterben. Es wird hier also ein breites Spektrum an Fragen, von sozialethischen und politischen bis hin zu individuellen und Sinnfragen offeriert. Die Einbettung in den Kontext einer RPSW verdeutlicht dabei, dass Religion für Glaubende keine separierte Existenz, gleichsam in einem „Reservat“, des menschlichen Lebens führt, sondern in allen Lebensbereichen eine Rolle spielt.

Bei all diesem wird praktiziert, was wir Religiöse Kommunikation genannt haben. Religion, Glaube, Weltanschauungen aber auch deren nur schemenhafte Derivate, wie unreflektierte Meinungen über das was gut und schlecht ist, werden miteinander ins Gespräch gebracht. Die SchülerInnen begegnen in einer solchen Woche nicht nur unterschiedlichen Religionen, sondern auch verschiedenen Arten seinen Glauben zu leben – mit all den Facetten von Glaubensgewissheiten, intellektueller Reflektion und fundamentaler Frömmigkeit. Die RPSW wird so zu einer Woche, in der die SchülerInnen in einzigartiger Weise die Möglichkeit haben, ihre eigenen Überzeugungen zu schärfen, sie zu prüfen und sich ein Bild vom Denken und Glauben anderer zu machen.

Über den steinigen Weg der Überzeugungsarbeit nach allen Seiten, die ein solches Unterfangen erfordert, ließen sich ganze Bücher schreiben. Es gilt die Vorbehalte und Ängste bei Schülern, im Lehrerkollegium (auch bei ReligionslehrerInnen!) und vor allem auch bei der Elternschaft abzubauen. Ein nicht geringer Anteil gerade in der letztgenannten Gruppe hat große Schwierigkeiten, die Teilnahme ihrer Kinder an einer kirchlich verantworteten Veranstaltung zuzulassen. Wer grundsätzlich davon ausgeht, dass Kirche im Bereich des Bildungswesens keinen Raum haben soll – und dies dürfte eher die Mehrheit denn eine Minderheit sein – tut sich mit einer RPSW nicht eben leicht. Um so erfreulicher ist die Erfahrung, dass nach einer abgeschlossenen RPSW diese Vorbehalte der Vergangenheit angehören. Bis auf Einzelfälle lässt sich feststellen, dass die Schulen aufgrund der gemachten Erfahrungen auf regelmäßige Wiederholungen von RPSW drängen.

 

 

IV. Diskussion und Fazit

Es bleibt nun die Frage, was die RPSW leisten können? Sind sie, entgegen ihrem erklärten Ziel, am Ende doch missionarisches Instrument kirchlicher Arbeit an Schulen? Sind sie gar eine Alternative zum Religionsunterricht herkömmlicher Prägung? Oder sind sie eher kontraproduktiv, da sie der religiösen Beliebigkeit, der Patchworkreligion auf dem Markt der weltanschaulichen Ideen noch Vorschub leisten?

Die Antwort ist komplexer als es diese Alternativen nahe legen. Gewiss können die RPSW in kognitiver Hinsicht Wissen und Kenntnis über Religionen vermitteln. Das ist immer nützlich und für das Verstehen seiner eigenen Umwelt, der Herkunftstraditionen wichtig - für den Glauben ist es jedoch nicht entscheidend.[27] Die Begegnung mit Vertretern unterschiedlicher Religionen können, wenn sie denn gelingen, auch dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und bestehende Bilder von anderen zu differenzieren. Insbesondere die seit langer Zeit überfällige dialogische Auseinandersetzung mit dem Islam ist derzeit gefragt und war auch in der RPSW ein bestimmendes Thema.[28] Daneben erscheint es im areligiösen Umfeld der ostdeutschen Länder durchaus sinnvoll, wenn Jugendliche vermittels eigener Kenntnisse ein insgesamt „entspannteres“ Verhältnis zur Religion gewinnen.

Über diesen Anteil an kognitiver Kenntnisvermittlung sind die MitarbeiterInnen als sie selbst, mit ihren Erfahrungen mit ihrem Glauben in den RPSW präsent. Die eigene Glaubensüberzeugung wird nicht verborgen gehalten, die Gesprächspartner werden aber auch nicht ständig und ungefragt mit dieser konfrontiert. Wichtig ist, als authentische Ansprechpartner da zu sein. Nicht nur im organisierten Gespräch, sondern ebenso beim gemeinsamen Frühstück, bei den Exkursionen und in den Pausen. Hier ergibt sich, beim Gespräch über den letzten Kinofilm scheinbar „nebenbei“, ob die GesprächspartnerInnen Menschen sind, auf deren gute Erfahrungen man sich auch selber einlassen möchte, oder nicht.

Diese andere Dimension der Kommunikation ist mindestens so wichtig, wie die Sachdimension. Sich darauf einzulassen, einander zu vertrauen, so dass wir Lust bekommen einander zu befragen, und neugierig werden, worauf der Andere vertraut, was er glaubt. Den Mut zu finden, die eigenen Fragen und Sorgen anzusprechen, wird dann erleichtert, wenn sich ein Vertrauensverhältnis kommunikativ eingestellt hat. Damit ich mich darauf einlasse über das zu sprechen, was mich am innersten bewegt, bedarf es jedoch eines Vertrauens, das über andere Kommunikationen (auch über scheinbar nebensächliches) sich allererst einstellen kann.

Ein solches Gespräch bedeutet allerdings immer, die Erfahrungen des anderen Ernst zu nehmen. Ein offenes Gespräch hat ein offenes Ende. So können auch wir offen für die guten Erfahrungen der Jugendlichen sein und Lust bekommen, uns auf ihre Erfahrungen einzulassen. Hierin zeigt sich eine Pointe des Begriffs „religiöse Kommunikation“, die im Missionsbegriff zumindest nicht primär intendiert zu sein scheint – die Wechselseitigkeit.[29] Vom Anderen zu erwarten, dass er sich für unsere guten Erfahrungen öffnet können wir nur dann, wenn auch wir uns für seine Erfahrungen öffnen. Wichtig ist dabei, dies nicht als eine Handlungsanweisung  zur besseren „Missionsstrategie“ misszuverstehen, sondern als eine deskriptive Aussage zu begreifen. Menschen werden sich nicht denen gegenüber öffnen, von denen sie eine religiöse Überwältigung befürchten müssen. Dies zeigt auch die Erfahrung der RPSW ganz deutlich. Gerade die Fähigkeit zuzuhören macht uns glaubwürdig und öffnet so Räume der religiösen Kommunikation.

Eine Frage allerdings bleibt: Stehen wir mit den RPSW vor einem kirchlichen Handlungsfeld, welches das konstitutive Ansinnen von Kirche, welches als „Mission“ benannt wird, nämlich den ihre eigene Glaubensüberzeugung weiter zu tragen, aufgibt? Wird das Anliegen von Mission im Begriff der religiösen Kommunikation in die offenen Beliebigkeit guter oder weniger guter Erfahrungen von Menschen mit irgendetwas aufgelöst? Wenn wir in religiöser Kommunikation auch eigenes zur Disposition stellen, können wir dann von Mission reden? Wenn dem so wäre, ließe sich mit gutem Recht fragen, warum dann die evangelische Kirche ein solches Angebot überhaupt unterbreitet.

Wir sind aber der Überzeugung, dass die Rede – und die Praxis um so mehr – von Mission in Rechnung stellen muss, dass sie Kommunikation ist und insofern auch deren Regeln unterliegt. Hier gilt dann, dass Kommunikation immer auch Beziehungsaspekte enthält, die eine wechselseitige Öffnung zur Bedingung gelingender - auch gelingender religiöser – Kommunikationen macht. Die eigene Öffnung in einem Gespräch sollte daher besser als Chance, denn als Risiko begriffen werden: als Chance für das Zutrauen in die Unverfügbarkeit des Wirkens Gottes und so in der Begegnung mit seinen Geschöpfen immer wieder neu ihn und sich selbst zu finden.

„Dialog kann deshalb niemals das Risiko ausschalten, dass er zum Ort der ‚missio Dei‘ wird. Auf der anderen Seite ist ... Mission keine Mission, die sich als reine Einbahnstraße-Kommunikation verstehen würde und in der nicht auch derjenige, der die christliche Botschaft anderen ausrichten will, zugleich hören würde und um ein Verstehen bemüht wäre, welche Erfahrungen von Leben auf der anderen Seite vorhanden sind. Nicht selten wird gerade darin auch ihm Gott begegnen.“[30]

Angesichts der wieder auflebenden Konjunktur von Mission daher ein –vorläufiger - Vorschlag: Hartmut von Hentig hat für die Erziehungswissenschaft in den 70er Jahren angeregt, auf einen, wenn nicht den zentralen, Begriff der deutschsprachigen Pädagogik, den Begriff der „Bildung“, für eine Weile zu verzichten, weil er zu stark mit verschiedenen Konnotationen aufgeladen und so zum Kampfbegriff mutiert sei. Zwanzig Jahre später, nachdem die aufgeheizte Stimmung um diesen Begriff abgeklungen ist, schrieb er ein Büchlein mit dem schlichten Titel „Bildung“.[31] Vielleicht sollte es die Theologie ähnlich halten und für eine Weile auf einen Begriff verzichten, der zum Kampfbegriff zu werden droht. Sie könnte diese Pause nutzen, über die gemeinte Sache intensiver nachzudenken und im Einbeziehen der Erkenntnisse anderer Wissenschaften, die sich mit Kommunikation und Vermittlung beschäftigen, danach fragen, wie eine gegenseitige Offenheit im Dialog mit dem Anliegen und der Praxis von Mission vereinbar sein kann.

 

J. Henning Schluß, Institut für Allgemeine Pädagogik, Abteilung Allgemeine Erziehungswissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin

 

Marcus Götz-Guerlin, Westendallee 75, 14052 Berlin

 

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[1] Diese Frage stellte eine Teilnehmerin der Religionspädagogischen Schulwoche als Eingangsfrage.

[2] Theologischer Ausschuss der Arnoldshainer Konferenz (Hg.), Evangelisation und Mission, 1999.

[3] Reden von Gott in der Welt – Der missionarische Auftrag der Kirche an der Schwelle zum 3. Jahrtausend. (http://www.ekd.de/EKD-Texte/2059_evangelium_kundgebung_2001.html).

[4] Vgl. „Aufbruch zu einer missionarischen Ökumene“, ACK 1999.

[5] EKD, Das Evangelium unter die Leute bringen - Zum missionarischen Dienst der Kirche in unserem Land (http://www.ekd.de/EKD-Texte/2059_evangelium_unter_leute_2001.html).

[6] EkiBB, Leitlinien kirchlichen Handelns in missionarischer Situation. Beschlossen von der Landessynode am 18. November 2000. (http://www.bb-evangelisch.de/WGDT/index.htm).

[7] Initiativkreis „Kontextuelle Evangelisation im gesellschaftlichen Wandel“, Auf die missionarischen Herausforderungen des kirchlichen Alltags vorbereiten. Was sich in der Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern ändern muss,  in: PTh  91/2002. 126-136.

[8] Kähler, Reinhard/Hermelink, Jan/Weyel, Birgit, Konsequente Mission oder interessierte Kom­mu­ni­ka­tion – wie soll sich die Kirche orientieren? in: Zeitzeichen 2001/11, 38-40. Vgl. Reinhard Kähler: Fragen an einige Feststellungen „Was sich in der Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern ändern muss“ des Initiativkreises „Kontextuelle Evangelisation im gesellschaftlichen Wandel“, in: PTh 91/2002,  137-145.

[9] Z.B. Hans Lüdtke, Zuhören und für sich gewinnen – Die ev. Kirche hat das Recht und die Pflicht zur Mission,  in: Zeitzeichen 2002/1, 46-47, und Hans-Jürgen Abromeit, Kommunikationsstörungen über Mission. Warum manche für die theologische Ausbildung Verantwortlichen das missionarische Profil nicht wollen, in: PTh 91/2002, 146-149.

[10] Das Evangelium unter die Leute bringen (Anm. 4), Kap. III.1.

[11] Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Vatikans und der VELKD.  http://www.velkd.de/pub/texte/index.php3?nummer=87&jahr=1999)

[12] Gedichtsammlung im 16. Jahrhundert, gebraucht wird der Begriff im Sinne des Einfüllens von Wissen oder Überzeugungen in Menschen, die dies begierig aufnehmen.

[13] Vgl. Heinz-Elmar Tenorth, Grenzen der Indoktrination, in: Peter Drewek u.a. (Hg.), Ambivalenzen der Pädagogik. Zur Bildungsgeschichte der Aufklärung und des 20. Jahrhunderts, Weinheim 1995, 335-350.

[14] Der Begriff geht auf Fichte zurück (vgl.: Johann G. Fichte, Grundlage des Naturrechts [1796], in: Fichtes Werke, hg. von Immanuel H. Fichte, Bd. 3, Berlin 1971,  37ff), entwickelte von dorther aber ein reges Eigenleben.

[15] Friedrich D. E. Schleiermacher, Dritte Rede – Über die Bildung zur Religion. Aus: Über die Religion – Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, in: ders.,  Theologische Schriften, hg. v. Kurt Nowak,  Berlin 1983, 123.

[16] Johannes Fischer, Pluralismus, Wahrheit und die Krise der Dogmatik, in: ZThK.91/1994, 487-539.

[17] Der Glaube ist „nicht einfach eine fixierbare Erfahrung unter anderen, sondern die verwirklichte Bereitschaft, mit der Erfahrung selbst neue Erfahrungen zu machen, so daß man ihn regelrecht als eine Erfahrung mit der Erfahrung zu definieren hat.“ (Eberhard Jüngel,  Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 1977, 31978,  225).

[18] So Luthers Einsicht anhand Röm. 1,17. Zu religions-pädagogischen Folgerungen vgl.: Henning Schluß, Martin Luther und die Pädagogik – Versuch einer Re-konstruktion, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik 3/2000, 321-353.

[19] Ebd., 121.

[20] Ebd..

[21] Hier waren z.B. der „Dienst an den Schulen“ der EKiR und der EKvW zu nennen. Ebenso die diesbezügliche Arbeit in der EKiBB (West).

[22] Zur Analyse der spezifischen Ostdeutschen Situation vgl. Jan Hermelink, Fremde Heimat Religion. Kulturen kirchlichen Lebens in Ostdeutschland, in: Praktische Theologie, 37/2002,  99-116, dort auch weitere Lit.

[23] Helmut Zeddies macht darauf aufmerksam, dass auch der gängige Begriff „Gottesvergessenheit“, der den Begriff eines bewussten Atheismus zunehmend in der Diskussion verdrängt hat, nur sehr eingeschränkt zutrifft, da man nur etwas vergessen könne, was man einmal gewusst hat. Die überwiegende Anzahl der Konfessionslosen in Ostdeutschland sind jedoch nie aus einer Kirche ausgetreten, sondern sind als konfessionslose geboren und hatten so vielleicht nie Kontakt zu Kirche und Religion. Vgl. Helmut Zeddies, Der Weg zum Fremden. Totale Gottesvergessenheit: In Ostdeutschland ist christliche Mission nur als Dialog möglich, in: Zeitzeichen 3/2002/2,  42-44.

[24] Innerhalb des im Folgenden geschilderten konzeptionellen Rahmens, existiert eine große Vielfalt an konkreter Ausgestaltung in Abhängigkeit von den Möglichkeiten der Schule, der Altersstufe der SchülerInnen und der Schulform. Unser konkretes Beispiel schildert Beobachtungen während einer RPSW mit einer Jahrgansstufe 11 in einem Berliner Gymnasium.

[25] Da hierbei vorwiegend eine „religionskundliche Alphabetisierung“ geleistet werden soll, werden die Unterschiede in den einzelnen Richtungen bzw. Konfessionen innerhalb der jeweiligen Religion zurückgestellt. Auf elementare Unterschiede zwischen sunnitischem und schiitischem Islam oder katholischem und protestantischem Christentum wird in der Regel nicht vertiefend eingegangen; so problematisch dieses Vorgehen im Detail auch sein mag.

[26] „Selbst von Religionswissenschaftlern muß man dabei verlangen, daß sie den Standpunkt ihrer Beobachtungen benennen und der Tatsache eingedenk bleiben, daß auch ihren Religionsanalysen ein religiöses Interesse anhaftet.“ Rolf Schieder, Wieviel Religion verträgt Deutschland? Frankfurt a. M. 2001, S. 20. Zur Diskussion um LER vgl. Henning Schluss, LER - Nie war kritisieren so einfach wie heute, in: Neue Sammlung 40/2000/2, 313-336; Friedrich Schweitzer, Ist kritisieren wirklich so einfach? - Nachdenkliche Bemerkungen zu dem Beitrag von Henning Schluß über die LER-Diskussion, in: Neue Sammlung 41/2001/1, 139-145; Henning Schluss, Vom Einfachen, das schwer zu machen ist - eine Antwort auf Friedrich Schweitzer, in: Neue Sammlung 41/2001/3, 393-398.

[27] Anders die Leitlinien zu Mission der EKiBB: „Christen sind auskunftsfähig - einmal vor sich selbst, zugleich aber auch anderen gegenüber. Sie können Antwort geben auf die beiden Kernfragen: Was glaubt ihr Christen eigentlich? Und warum gehört ihr - noch oder wieder - dazu? Zu der Bildung, die den eigenen Glauben zu verstehen und mitzuteilen hilft, gehört eine Praxis, die geistliches Leben und Frömmigkeit einübt.“ Leitlinie 2: Auskunftsfähigkeit fördern.

[28] Über die Tragweite und Nachhaltigkeit solcher Versuche sollte man sich aber nicht allzu leichtfertig Illusionen hingeben: Nach intensiven Diskussionen mit jugendlichen Muslimen während der ganzen Woche sagte eine Schülerin am Ende –sinngemäß - zu uns: Sie habe eine Menge über den Islam gelernt. Die Muslime, die sie kennen gelernt hat, seien alle ganz anders gewesen als die, die in den Medien täglich zu sehen sind. Eigentlich ganz freundliche, nette und „normale“ Menschen. Nur leider sei sie sich doch recht sicher, dass sie uns eine Woche lang das Theaterstück des toleranten Mitbürgers vorgespielt hätten und in Wirklichkeit doch so denken würden, wie man es allenthalben hören könne.

[29] Zu einem in dieser Weise offenen Missionsbegriff vgl. Theo Sundermeier, Mission und Dialog in der pluralistischen Gesellschaft, in: Andreas Feldtkeller/Theo Sundermeier, Mission in pluralistischer Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1999; 11-25,  und Andreas Feldtkeller, Pluralismus – was nun? Eine missionstheologische Standortbestimmung, in: ebd., 26-52.

[30] A. Feldtkeller (ebd.), 45.

[31] Hartmut von Hentig, Bildung, München 1996.