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Vom Einfachen, das schwer zu machen ist - eine Antwort auf Friedrich Schweitzer

In: Neue Sammlung 41. Jg. Heft 3/2001, S. 393-397.

 

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In der Neuen Sammlung 1/2001 antwortete Friedrich Schweitzer[1] auf meine Einschätzung[2] der Diskussion um das brandenburgische Schulfach LER. Diese Antwort leitete er mit einigen „persönlichen Anmerkungen“ zu mir ein. Auf diese zumindest ungewöhnliche Art der wissenschaftlichen Auseinandersetzung will ich nur insofern eingehen, als es mir fern lag, LER-Kritiker mit Gegnern des Holocaust-Mahnmals zu identifizieren. Weder Wortlaut noch Geist der Einleitung sollten eine solche Gleichsetzung nahe legen.[3]

Wichtiger ist mir, dass ich einleitend einige Beobachtungen zu dem Diskussionsklima gemacht habe. Für diese Beobachtungen habe ich prominente Zeugen aufgerufen. So teilten meine Beobachtung zum häufigen Zusammenhang von biographischer Herkunft aus dem Osten oder Westen Deutschlands mit einer Pro- oder Contra Einstellung zu LER z.B. Dieter Fauth (als West-Wissenschaftler) und Christoph Demke (Bischof der KPS in Magdeburg i.R.). Nun könnte man diese Beobachtung bezweifeln und ihr andere Beobachtungen gegenüberstellen. Dies tat Schweitzer jedoch nicht, sondern unterstellte, dass hier ost-west-deutsche Vorurteile geschürt werden sollten. Gerade dies liegt mir jedoch fern. Vielmehr halte ich es für eine wichtige Voraussetzung des Dialogs, die Position des Gesprächspartners wahrzunehmen, wozu auch gehört, ihn auf dem Hintergrund seiner biografischen Erfahrungen verstehen zu können. Die unterschiedliche Herkunft könnte vielleicht erklären, weshalb im Laufe der Diskussion verschiedene Phänomene im Zusammenhang mit der Situation religiöser Bildung im Osten Deutschlands immer wieder so unterschiedlich gewichtet werden.

            Zur Sache kritisierte Friedrich Schweitzer, ich behaupte zwar die wichtigen Argumente der LER-Kritiker zu untersuchen, berühre sie jedoch nicht. Da aber Friedrich Schweitzer diese wirklich wichtigen Argumente auch nicht nannte[4], kann ich auf diese Kritik nicht angemessen reagieren. Einem Missverständnis saß Schweitzer jedoch auf, wenn er ein Argument gegen eine Art der Kritik an LER auf alle LER-Kritiker bezog. Dies ist gegen die Intention des Textes, der gerade am Beispiel Schilmöllers und Tiedtke/Wernets zeigt, dass sich verschiedene Kritiken an LER diametral gegenüberstehen und gegenseitig ausschließen. Dass Friedrich Schweitzer meiner Kritik an diesen keineswegs so singulären LER-Kritiken zustimmte, kann der Pluralität der Debatte nur dienlich sein und den Blick vom reinen Pro und Contra hin zu einer offeneren Diskussion weiten.

Weiterhin sprach Friedrich Schweitzer sechs Fragen an, auf die ich in meinem Aufsatz nicht eingegangen sei. In der Folge bezieht er sich aber in drei dieser Fragen ausführlich auf meinen Text. Auch auf die Themen der anderen Fragen bin ich anhand unterschiedlicher Kritiken z.T. über mehrere Seiten eingegangen. Allerdings komme ich in meiner Auseinandersetzung mit diesen Themen nicht zu dem Ergebnis, das Friedrich Schweitzer mit seiner spezifischen Ausformulierung der Fragen nahe legte. Für die Diskussion wäre es deshalb wichtig, anderslautende Antworten wahrzunehmen und sie nicht als Nicht-Antworten zu interpretieren. Auf die sechs Fragen Schweitzers, die alle prinzipiellen Charakter haben, will ich deshalb in dieser kurzen Antwort nicht noch einmal eingehen, bleibe jedoch auch für diese Diskussion weiter offen.[5]

Gerade auch vor dem Hintergrund des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht, das   am 26.6.2001 mit einer Anhörung begann, scheint es mir unabdingbar, in der Diskussion um ein konkretes Schulfach in Brandenburg die dortige Situation nicht aus den Augen zu verlieren. Bei etwas über 10% der Schülerinnen und Schüler, deren Eltern sich einer Kirche zurechnen[6], ist die Frage zumindest nicht vordringlich, ob der konfessionelle Religionsunterricht (RU) nicht grundsätzlich das bessere Konzept ist, denn es würde kaum jemand hingehen! In Sachsen/Anhalt in dem es eine Wahlpflicht-Fächergruppe gibt, liegen die Zahlen für den ev. RU in der Grundschule bei 9,7%, in der Sekundarschule bei 3,9% im Gymnasium bei 11,5%. Ein Großteil der an dem RU teilnehmenden SchülerInnen ist dabei selbst sogar noch konfessionslos.[7] Diesem Problem müssen wir uns in der Diskussion um eine Lösung auch in Brandenburg stellen und dürfen es meines Erachtens nicht prinzipientheoretisch überspielen. Denn jenseits der prinzipientheoretischen Diskussion sind die Unterschiede zwischen einem LER, das seine vielfältigen Möglichkeiten ausschöpft und einem konfessionellen RU, wie er im säkularen und pluralen Alltag, ohne Gebet und Sündenbekenntnis aussieht, längst nicht so groß.[8] Wenn jedoch häufig in Grundsatzargumentationen verharrt wird, dann sei die Frage gestattet, ob nicht doch noch andere Interessen hinter dem Verharren stehen. Z.B. die Angst einiger, dass die Kirchen aus den öffentlichen Schulen nicht nur in Brandenburg zurückgedrängt werden und so die Möglichkeit eines vom Staat teil-refinanzierten Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen auf Dauer auch in anderen Gebieten Deutschlands ins Wanken gerät. Falls dies der Fall sein sollte, hielte ich es für besser, dass die Kirchen diese Angst offen artikulierten, statt sie durch eine prinzipientheoretische Diskussion über die Bildungsverantwortung der Kirchen in öffentlichen Schulen zu verbrämen. Würden die Bedenken offen formuliert, ließen sie sich eventuell durch die Festlegung in Verträgen zwischen den Kirchen und den Bundesländern oder ähnlichem auch ausräumen. Statt dessen jedoch wird das Bemühen um die schulische Bildung auf ethischem und religiösem Gebiet im Land Brandenburg von den Kirchenleitungen durch das Verfahren vor dem Verfassungsgericht unterminiert, statt an eben dieser Bildung, die doch ein Teil der Allgemeinbildung ist, mitzuwirken. Es ist darum höchste Zeit, dass die Kirchen nicht nur auf der Gemeindeebene in Brandenburg, wo dies schon lange und häufig unter sehr schwierigen Bedingungen geschieht, sondern auch in der Kirchenleitung und in der Religionspädagogik von ihrer Bildungsverantwortung auf religiösem und ethischem Gebiet nicht nur sprechen und sie einklagen, sondern diese tatsächlich wahrnehmen. Wenn Landesregierung und Kirchen wollten, wären die Bedingungen dafür gar nicht so schlecht.

Es gibt in Brandenburg das Angebot eines vom Staat zu 90% refinanzierten Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Lediglich 10% der Kosten tragen die Kirchen. Diesen Anteil kompensieren sie dadurch, dass sie beamtete Pfarrer, die sie ohnehin bezahlen müssten, zum Religionsunterricht verpflichten. Das ist auch im Vergleich mit westdeutschen Ländern eine sehr hohe Refinanzierungsrate. Für den katholischen RU gilt die Sonderregelung, dass sie die Refinanzierung erhalten, obgleich der Unterricht in Gemeinderäumen stattfindet, denn nur ca. 2% der SchülerInnen sind katholisch. Ein bundesweiter Sonderfall. SchülerInnen, die an diesem konfessionellen RU teilnehmen, können sich von LER abmelden. Aber nur 3,2% der SchülerInnen machen vom diesem Angebot gebrauch[9]. Die Zahlen zeigen deutlich, nicht einmal wenn die SchülerInnen einer Kirche angehören und den Religionsunterricht besuchen, melden sie sich von LER ab. Insofern könnte LER die Chance für alle bieten, die eigene Lebensgestaltung betreffende Themen zu reflektieren. Religionen gehören zweifellos dazu. Wichtig ist, dass für Jugendliche die zu großen Teilen keinerlei Beziehung mehr zu den Kirchen, ja sogar zur Religionen als Phänomen haben, auch die Möglichkeit des Erfahrungmachens im Unterricht eingeräumt wird. Dazu braucht es authentische Begegnungen. Hier wären die Kirchen gefordert, statt auf einer Atomisierung der Unterrichtsfächer in Religionsunterrichte für noch so kleine Religionsgemeinschaften zu beharren. Denn mit welchem Argument können Muslime, Zeugen Jehovas, Bahai usw. vom Privileg der Kirchen auf Dauer ausgeschlossen werden? Dem Berlin-Brandenburgischen Bischof Huber ist vorbehaltlos zuzustimmen, wenn er immer wieder betont: „Der Bildungsauftrag der Kirche hat seinen ersten Ort in der Gemeinde“[10]. Für einen schulischen Unterricht der die Lebensgestaltungsmöglichkeiten in der pluralen Gesellschaft reflektieren soll, sind gemeinsame Schritte gefordert und kein Gang vor Gericht. In der Schulversuchsphase von LER gab es z.B. eine Integrations- und eine Differenzierungsphase, warum da nicht wieder anknüpfen?

            Aber auch das Land Brandenburg hat noch einiges zu tun. Die aufwendige Abmelderegelung beim Schulamt zum Beispiel ist sehr suspekt und muss überarbeitet werden.[11] Allerdings ist das Land auch zu sehr begrüßenswerten Revisionen fähig. Ein Blick in das Schulgesetz in seiner Fassung vom 13.6.1994 lehrte noch das Schaudern. Unter dem Stichwort: „Allgemeine Bildungs- und Erziehungsziele“ wurde behauptet, dass die Schule die in der Landesverfassung verankerten allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele „verwirklicht“[12]. Diese wurden dann sehr konkret aufgeführt. Die Verwirklichung von Erziehungszielen ist nichts anderes als der Versuch der Indoktrination. Nicht nur, dass solche Indoktrinationsversuche pädagogisch nicht zu rechtfertigen sind, sie sind auch in hohem Maße zum Scheitern verurteilt, denn insofern in der Schule nicht verhindert wird, dass etwas gelernt wird, sind die Schüler in der Anwendung des gelernten frei[13]. Die friedliche Revolution in der DDR hätte das den brandenburgischen Bildungspolitikern spätestens verdeutlichen können. Durch solche utopischen Erziehungsziele wurden Erwartungen geschürt, die Schule nicht erfüllen kann und darf. Kritiker von LER setzten hier zu Recht an. Das jüngst überarbeitete Schulgesetz dagegen geht erheblich reflektierender mit den Möglichkeiten und Grenzen schulischer Bildung und Erziehung um. Hier ist nur noch von einem „Beitrag“ der Schule zur „...Achtung und Verwirklichung der Werteordnung des Grundgesetzes und der Verfassung des Landes Brandenburg...“[14] die Rede. An diesen Veränderungen ließe sich ansetzen und sie ließen sich weiter forcieren. Auch deshalb war der Gang nach Karlsruhe falsch. Nun bleibt nur zu hoffen, dass das Karlsruher Urteil so differenziert ausfällt, dass es die streitenden Parteien wieder an einen Tisch bringt. Die Polarisation, zu der eventuell auch meine eigene Überschrift beigetragen hat,  ist weder der akademischen Debatte und schon gar nicht der konkreten Problemlösung in Brandenburg zuträglich.

 

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[1] Friedrich Schweitzer: Ist kritisieren wirklich „so einfach“? - Nachdenkliche Bemerkungen zu dem Beitrag von Henning Schluß über die LER-Diskussion. In: Neue Sammlung 1/2001, S. 139-145.

[2] Henning Schluß: LER - Nie war kritisieren so einfach wie heute. In: Neue Sammlung 2/2000, S. 313-336.

[3] Die seinerzeit aktuelle Mahnmaldebatte stellte lediglich einen Aufhänger dar. Wörtlich leitete ich von der einen zur anderen Debatte über: „Mit einer anderen Debatte ist es dagegen ganz anders bestellt.“ A.a.O. S. 313.

[4] Vgl.: A.a.O. S. 141.

[5] In einem persönlichen Gespräch konnten die hier in Frage stehenden Probleme zum größten Teil ausgeräumt werden. Für seine Gesprächsbereitschaft bin ich Friedrich Schweitzer sehr dankbar.

[6] Genaue Zahlen über die Konfessionszugehörigkeit von Jugendlichen sind immer noch Mangelware. Die aktuelle Shell-Jugend-Studie spricht von 80% der Jugendlichen für die ganzen Neuen Bundesländer, die keine Religionszugehörigkeit angeben. (Deutsche Shell (Hrsg.): Jugend 2000 Bd.1, S. 157-180, Opladen 2000.) Die Landeskirche kommt auf Zahlen von 20% evangelischer Konfessionszugehörigkeit für die Gesamtbevölkerung. (Statistischer Bericht 1999 der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.) Berücksichtigt man die Altersverteilung können wir für Brandenburg maximal mit einem Anteil von 15% sich konfessionell zuordnender SchülerInnen ausgehen.

[7] Die Zahlen stammen von der Kirche selbst. Vgl. Stellungnahme der EKD zur Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zum Schulfach LER. Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2001. Punkte 4 und 10. In: http://www.ekd.de/EKD-Texte/2134_ler_stellungnahme_2001.html.

[8] Zu diesem ganzen Komplex vgl. den sehr instruktiven Aufsatz von Achim Leschinsky / Sabine Gruehn: LER - eine Reforminitiative auf dem Weg zu einer realitätsgerechten Aufgabenstellung (in diesem Heft S. 369). Deren Analyse ergibt, dass Konzepte des konfessionellen RU mit ihrem Beharren auf einer Entwicklung religiöser Identität eine unrealistische Zielstellung postulieren, die dem RU auf Dauer mehr schadet als nutzt. Vgl. weiterhin: Jörg Ramseger: LER in der Praxis - Erfahrungen mit einem neuen Schulfach in der Primarstufe. In: Stepahnie Hellekamps / Olaf Kos / Horst Sladek (Hrsg.): Bildung, Wissenschaft, Kritik - Festschrift für Dietrich Benner zum 60. Geburtstag. Weinheim 2001, S. 154-171.

[9] So die Zahl von 1999, die einer Pressemitteilung der EKiBB selbst entnommen ist: http://www.ekibb.com/info/religion.htm.

[10] Kirchenleitung der EKiBB: Der Bildungsauftrag der Kirche und ihre Mitverantwortung im öffentlichen Bildungswesen. Beschluss vom 16.9.1994 In: http://ekibb.weitblick.de/info.doku/doku.6/.

 

[11] Vgl.: Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg (BbgSchulG) vom 12.4.1996 nach der Änderung vom 1.6.2001, §141.

[12] Erstes Schulreformgesetz für das Land Brandenburg in der Fassung vom 1.7.1992 und der letzten Änderung von 13.Juli 1994, § 2,1.

[13] Vgl.: Tenorth, Heinz-Elmar: Grenzen der Indoktrination. In: P. Drewek et al. (Hrsg.): Ambivalenzen der Pädagogik - Zur Bildungsgeschichte der Aufklärung und des 20. Jh. Weinheim, 1995, S. 335-350.

[14] BbgSchulG vom 12.4.1996 nach der Änderung vom 1.6.2001, § 4,1.