Henning Schluß

Religion gehört zur Kultur - Warum Pro Reli nicht Contra Ethik bedeutet.

In: Die Kirche 12.10.2008, S.1.

 

Immer wieder wird der Vorwurf erhoben, Pro Reli wende sich gegen den Ethik Unterricht und trage künstlich zur Separierung der Schule bei. Dieser Vorwurf geht an den zentralen pädagogischen Anforderungen an zeitgemäßen Unterricht vorbei.

 

Spätestens seit den PISA-Untersuchungen ist deutlich geworden, dass es auf verschiedenen Gebieten einen Mangel im deutschen Schulsystem gibt. Vor allem hinkten die Lernleistungen in vielen Hinsichten dem internationalen Niveau hinterher. Seitdem ist das Bemühen zu erkennen, deutlicher zu beschreiben, was die Schülerinnen und Schüler in den jeweiligen Unterrichtsfächern eigentlich lernen sollen. Einigkeit besteht darin, dass sie nicht nur ein Wissen lernen sollen, sondern dieses Wissen auch auf bislang unbehandelte Sachverhalte anwenden können. Nicht Wissen, sondern Können ist das Ziel des Unterrichts. Das Fremdwort in dem dies umschrieben wird lautet Kompetenz. Da dieses Können nun für jedes Fach bestimmt werden soll, heißt das Können, das die Schülerinnen und Schüler am Ende des Unterrichts nachweisen können sollen, fachspezifische Kompetenz. Jedes Unterrichtsfach ist nun herausgefordert, solche fachspezifischen Kompetenzen zu beschreiben. Die Bundesländer haben sogar ein eigenes Forschungsinstitut an der Humboldt-Universität gegründet, das diese Aufgabe zumindest für die Kernfächer übernimmt. Für das Unterrichtsfach Deutsch heißt die zentrale Kompetenz „Lesekompetenz“. Für das Unterrichtsfach Mathematik, „mathematische Kompetenz“, für Geschichte, „historische Kompetenz“. Es liegt nahe, den Unterrichtskern im Fach Religion als „religiöse Kompetenz“ zu beschreiben. Der neue Rahmenplan für den Evangelischen Religionsunterricht beschreibt deshalb religiöse Kompetenz als die Fähigkeit, die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit mündig wahrnehmen zu können.

Das neue Pflichtfach Ethik wird oft so verstanden, als erübrige es den Religionsunterricht. Wenn man aber fragt,  worin die zentrale Aufgabe des Ethikunterrichts liegt, so wird man sie als „ethische Kompetenz“ beschreiben. Genau dies tut der Rahmenplan für das Fach Ethik auch. So geht der Ethik-Rahmenplan folgerichtig nur an wenigen ausgewählten Stellen überhaupt auf Glaubensdinge ein.

Ethik und Religionsunterricht sind deshalb nicht einfach gegeneinander austauschbar, weil ihre fachspezifischen Kompetenzen unterschiedliche sind. Dabei ist unstrittig, dass Glaubensüberzeugungen Auswirkungen auf moralische Überlegungen, also auf die Ethik haben. Ebenso ist unstrittig, dass auch in der Praktischen Philosophie, also der Ethik, die Frage nach den letzten Dingen eine Rolle spielen kann – aber es ist eben nicht das zentrale Anliegen weder der Unterrichtsfächer noch der wissenschaftlichen Disziplinen, die den Unterrichtsfächern Pate stehen.

Das ist ganz ähnlich wie bei Biologie, Chemie und Physik. Diese Fächer haben viel miteinander zu tun und sind doch voneinander unterscheidbar. Übergreifend könnte man die dort erworbenen Kompetenzen als naturwissenschaftliche Kompetenz bezeichnen. Naturwissenschaftliche Kompetenz wird man aber nur erlangen können, wenn man zumindest Grundkompetenzen in allen drei Fächern, Biologie, Chemie und Physik erworben hat und versteht, wie diese fachübergreifend zusammenspielen.

Die häufigste Begründung für das Pflichtfach Ethik ist, dass Jugendliche hier kulturelle Differenzen gemeinsam bearbeiten können. Zur Kultur jedoch gehört die Religion mit hinzu, wie selbst der religiös unmusikalische Jürgen Habermas eingesteht. Religiöse Kompetenz ist nicht gleichbedeutend mit Religiosität. Auch Atheisten können religiös kompetent sein. Aber ohne religiöse Bildung wird eine kulturelle Kompetenz immer unvollständig bleiben. Ebenso gehört es zur kulturellen Grundbildung, ethisches Argumentieren und moralische Reflexionen auch ohne Bezug auf Gott anstellen zu können. Diese wechselseitige Verwiesenheit spricht für eine enge Kooperation beider Fächer, die aber nur dann verlässlich gelingen kann, wenn Ethik und Religion gleichberechtigte Fächer  sind. Eben dies ist das Ziel der Initiative für Wahlfreiheit. Wenn ein Bildungsziel für die Heranwachsenden in der multikulturellen Stadt kulturelle Kompetenz ist, dann gehört ein Mindestmaß, eine Basiskompetenz, in ethischen wie in religiösen Belangen hinzu. Dass der Religionsunterricht mehr kann, als die Bildung religiöser Basiskompetenzen anzuregen, das wird in guten Kooperationen ebenso deutlich werden, wie dass ein guter Ethik-Unterricht mehr ist, als ein Austausch in zwischen den Schülerinnen und Schülern einer Klasse nach dem Motto – es ist gut, dass wir einmal drüber gesprochen haben. Insofern können beide Unterrichte von diesem Modell nur profitieren.

 

Dr. Henning Schluß, Pädagoge und Theologe, Referent für den Religionsunterricht in Brandenburg im Konsistorium der EKBO.

 

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