Computer sind nicht die Welt: In: Publik-Forum H. 17, 14.9.2007, S. 19.

Wie machen wir unsere Kinder medienkompetent? Fragen an Henning Schluß

 

Von Birgit-Sara Fabianek

 

Publik-Forum: Heute lernen bereits Fünfjährige im Kindergarten spielerisch am Computer eine Suchmaschine zu benutzen oder Memory zu spielen. Was halten Sie davon?

Henning Schluß: Nichts. Trotz gegenteiliger Tendenz: Anspruchsvolle Lernsoftware und die Bedienung von Suchmaschinen sind nichts für Fünfjährige.

Publik-Forum: Wieso nicht? Unsere Welt ist immer stärker von Medien geprägt, auch Kinder müssen lernen, damit zurechtzukommen.

Henning Schluß: Elektronische Medien vermitteln die Welt, aber sie sind nicht die Welt. Diese Unterscheidung droht in den Hintergrund zu geraten. Das halte ich für sehr riskant für die Entwicklung von Kindern. So gesehen leistet der Waldkindergarten die beste Erziehung zur Medienkompetenz. Dort können die Kinder die Welt entdecken, auf Bäume klettern, sich die Hände zerkratzen, das Knie aufschlagen. Sie lernen, sich zu streiten und miteinander auszukommen.

Publik-Forum: Was hat ein aufgeschlagenes Knie mit Medienkompetenz zu tun?

Henning Schluß: Die Widerständigkeit der Welt zu erleben und lernen, damit klar zu kommen, ist eine wesentliche Entwicklungsaufgabe – wer sich dagegen schon mit Fünf jederzeit wegklickt, sobald Schwierigkeiten auftauchen, ist für die Anforderungen des Lebens nicht ausreichend gerüstet. Dazu kommt: Dem Unterhaltungssog von Fernsehen und Computer kann nur derjenige souverän begegnen, der weiß,  dass es eine Welt außerhalb gibt, die interessanter ist als das, was Medien zu bieten haben.

Publik-Forum: Das heißt, Medienkompetenz bedeutet, abschalten zu können, weil ich weiß, dass das wahre Leben draußen auf mich wartet?

Henning Schluß: Genau.

Publik-Forum: Spiel- oder internetsüchtigen Kinder fehlt demnach dieses Wissen?

Henning Schluß: Vielleicht fehlen ihnen Erfahrungen, tatsächlich etwas zu gestalten – oder für jemanden wichtig zu sein. Jedenfalls wurde in zahlreichen Studien festgestellt, dass spiel- oder internetsüchtige Kinder und Jugendliche leichter von ihrer Sucht zu entwöhnen waren, wenn sie in stabilen Beziehungen lebten. Das macht deutlich, wie wichtig dieser Aufbau von Beziehungen ist. Ich kann natürlich einen Computer nutzen, um per E-Mail oder im Chatroom eine Ferienbekanntschaft zu erhalten. Aber sie ersetzt keine Beziehung vor Ort, schon deshalb nicht, weil die vielen Dimensionen menschlicher Kommunikation und Interaktion auf elektronisch vermitteltem Wege nur eingeschränkt oder gar nicht erfahrbar sind.

Publik-Forum: Ein Grund mehr, dass Kinder lernen, damit umzugehen.

Henning Schluß: Sicherlich. Aber das tun sie auch, wenn sie im Kindergarten auf dem Teppich Memory legen und nicht per Mausklick. Selbst die jetzige Elterngeneration, die noch ohne Computer aufgewachsen ist, hat keine Schwierigkeiten, mit dem Medium zu arbeiten und es sinnvoll zu nutzen. Wieso sollten ihre Kinder dümmer sein?

 

Zur Person: Henning Schluß, Jahrgang 1968, arbeitet als Erziehungswissenschaftler an der Humboldt Universität in Berlin. Er ist Vorsitzender des Evangelischen Bildungswerkes Oranienburg. www.henning-schluss.de