Hans-Georg Ziebertz / Günter R. Schmidt (Hg.): Religion in der Allgemeinen Pädagogik. Herder 2006.

In der Hautheilkunde gibt es ein Jahrbuch, das „Fortschritte in der Dermatologie“ heißt. Das vorliegende Werk versinnbildlicht auf die anschaulichste Weise, weshalb es ein Jahrbuch, das den Titel tragen wird, „Fortschritte in der Aufklärung der Beziehung von Allgemeiner Pädagogik und Religion“ nicht geben wird.  Andererseits zeigt es, weshalb es produktiv ist, sich immer wieder um die Aufklärung der Beziehung beider Bereiche menschlichen Lebens zueinander zu bemühen.

Hans-Gorg Zieberts beginnt mit dem Konzept eines Allgemeinen Pädagogen, der in diesem Band nicht vertreten und gleichwohl vielerorts präsent ist, Dietrich Benner. In den anthropologischen Voraussetzungen der Allgemeinen Pädagogik Benners werde Religion als eine Praxis beschrieben, die deutlich von anderen Praxen (z.B. Erziehung) unterschieden, durch diese nicht zu ersetzen und ihnen im Rang gleichgeordnet sei. Weil aber Religion nicht mehr selbstverständlich von den Heranwachsenden in den Religionsgemeinschaften gelernt werde, müsse ihr Fortbestand durch freiwillige öffentliche Erziehung und Unterweisung abgesichert werden. Angemerkt sei, dass dies Argument freilich voraussetzt, dass ein solches Verschwinden der Religion als ein Verarmen menschlicher Möglichkeiten bedauert wird, was keineswegs selbstverständlich ist.

Sodann zeichnet Ziebertz Signaturen der Religion in der Postsäkularität nach. Sowohl die Einsicht Habermas‘, dass eine Säkularisierung die nicht vernichte, sich im Modus der Übersetzung vollzöge, als auch die Einsicht Ratzingers, dass Religion und Vernunft ergänzungsbedürftige und nicht universale Größen seien, die über den Prozess der Interkulturalität über sich hinausgreifen und neues schaffen könnten, nimmt Ziebertz produktiv auf.

Schließlich geht der Autor empirisch der Frage nach, wie Religion und Religionsunterricht von Schülern wahrgenommen werden. Er kann z.B. zeigen, dass Religion für Heranwachsende noch immer ein Thema ist, dass aber religiöse wie nichtreligiöse Schüler einen Religionsunterricht mehrheitlich ablehnen, der an Glauben und Kirche heranführen will. In der Zusammenschau mahnt Ziebertz an, dass die Bildungsrelevanz der Religion ein gesellschaftliches und nicht nur ein religiöses Problem sei, da hier ihre Wertentscheidungen sichtbar würden.

Christoph Lüth untersucht das Verhältnis von Bildung, Erziehung und Religion anhand des Stellenwertes von Religion in verschiedenen Konzepten der systematischen Erziehungswissenschaft. In einem kleinen Sample von Autoren seit den 1960er Jahren der alten Bundesrepublik, kann Lüth ein beeindruckendes Panoptikum von Positionen aufzeigen: Von der christlichen Religion als Basis der Allgemeinen Pädagogik (Esterhues und Henz) über Religion Gegenstand legitimer Diskurse (Mollenhauer), als historische Tatsache (Lassahn), bis dahin Religion nicht als notwendigen Gegenstand der Allgemeinen Pädagogik zu begreifen (Gamm). Mit (wiederum) Benner präsentiert er ein Verständnis von Religion als kritischer Reflexion und Selbstbestimmung in Bildungsprozessen.

Norbert Hilgenheger unterscheidet eingangs sechs Grundmuster der Beziehung, die er aus unterschiedlichen Verhältniskombinationen der an Luhmann angelehnten Teil-Systeme „Religionssystem, Erziehungssystem, Wissenschaftssystem“ gewinnt. Im Anschluss kann er die empirische Jugendforschung als ein Bindeglied von Theologie und Erziehungswissenschaft identifizieren, zumal, wenn sie sich den Wertorientierungen Heranwachsender zuwendet. Mit der 14. Shell-Jugendstudie gibt er durchaus Antworten wieder, die in Differenz zu denen stehen, die Ziebertz (s.o.) erhalten hat. Die historische Erziehungsforschung sieht Hilgenheger als zweites Bindeglied zwischen Theologie und Erziehungswissenschaft. Mit Hilfe der Konzepte von  Comenius und Herbart beschreibt Hilgenheger eine Emanzipationsbewegung der Erziehungswissenschaft von der Theologie, die er mit Durkheim enden lässt. Moralität bleibe bei allen Autoren ein wichtiger Teil der Erziehungskonzeption. Die Eingangsfrage, was das Wichtigste im menschlichen Leben sei, stelle sich auch aus dem pädagogischen Feld heraus, bleibe jedoch im Kern eine theologische Frage. Deshalb verweise, so kann man schlussfolgern, die Pädagogik auch unter den Bedingungen pluraler und säkularer Gesellschaften zumindest in der Form der Frage auf die Theologie.

Annette Scheunpflug setzt anders an, indem sie zuerst den Strukturwandel unserer Welt zur Weltgesellschaft in ihrer sachlichen, zeitlichen, räumlichen und sozialen Dimensionen nachzeichnet. Im Positiven wie im Negativen bleibe Religion (im Plural der Religionen) ein wirkmächtiger Impuls der Gestaltung der Weltgesellschaft. Deshalb und weil gleichzeitig nicht mehr von einer selbstverständlichen religiösen Sozialisierung ausgegangen werden könne, bedürfe es einer „religiösen Alphabetisierung“, zugleich aber auch einer Pluralisierung der religionspädagogischen Ausbildung. Schließlich sieht Scheunpflug in der Ethik einen gemeinsamen Bezugspunkt sowohl von Religionspädagogik als auch von Erziehungswissenschaft, wobei sie Probleme vor allem beim Universalitätsanspruch der Theologie erwartet, die es metatheoretisch aufzulösen gelte. Eine solche Auflösung  denkt Scheunpflug auf der Grundlage des evolutionären Paradigmas an, das sie kausalen Paradigmen gegenüberstellt. Auf der Basis solcher Theorie ließen sich unterschiedlichste Wahrheitsansprüche wahrnehmen. Normative Aussagen können von solch einer Wissenschaft freilich nicht mehr gemacht, sondern nur noch „aufgeklärt“ werden. Scheunpflug ahnt hier denn auch die Grenze ihrer Argumentation für die Theologie.

Friedrich Schweitzers Beitrag setzt u.a. genau bei dieser Problematik an und diskutiert, dass das Fehlen normativer Implikationen keineswegs nur für die Religionspädagogik zum Problem zu werden droht, sondern ebenso für die Erziehungswissenschaft. Er knüpft dabei an ein Argument Benners an, der Erziehungswissenschaft als Handlungswissenschaft versteht und hierin eine Parallele zur Theologie beschreibt, da beide auf Reflexion, Aufklärung und Weiterentwicklung von Praktiken zurückbezogen seien. Für die Erziehungswissenschaft sei diese Praxis die Pädagogik, für die Theologie die (konkrete) Religion. Kennzeichnend für beide Praxen sei, dass sie ein gewisses Maß an Reflexivität schon in sich trügen. Schweitzer führt dies Argument der Parallelität von Theologie und Erziehungswissenschaft so über Benner hinaus, dass er eine Verschränkung beider postuliert, indem nämlich die Erziehungswissenschaft nicht nur von den praktischen Implikationen der Pädagogik nicht loskomme, sondern auch von den religiösen und weltanschaulichen Bezügen. Gegen erkenntnistheoretisch kaum vorstellbare und praktisch irrelevante „Supertheorien“ die über allen wissenschaftlichen Standpunkten stünden plädiert Schweitzer für eine Pluralität wissenschaftlicher Reflexionsformen die gleichwohl miteinander kommunizieren, was derzeit nicht zureichend geschähe.

Der Beitrag des Mitherausgebers Günter R. Schmidt setzt gewinnbringend allgemein-pädagogische und christlich-pädagogische Überlegungen zur Thematisierung des Christentums in spannungsvolle Verhältnisse.

Jürgen Rekus verwendet ein Argument, dessen Struktur er bei Thomas von Aquin vorfindet, das im protestantischen Bereich durch Schleiermachers Glaubenslehre prominent geworden ist, indem er Pädagogik als eine Praxis begreift, die an Voraussetzungen gebunden ist. Die Pädagogik weise, so Rekus, diese Gebundenheit als religiösen Aspekt aus. So umstritten solche „Lehnsätze aus der Ethik“ die fatal an Gottesbeweise erinnern, für die Theologie auch sind, für die zeitgenössische Pädagogik werden sich wohl noch weniger Anhänger finden.

Ein Argument Kersten Reichs setzt an dieser Stelle an, wenn er mit dem interaktionistischen Konstruktivismus formulieren kann, dass Menschen weder alles erschaffen haben, noch über alles verfügen können. Dennoch erzwinge die Anerkennung dieser Endlichkeit nicht das Religiöse, mache es aber immerhin verständlich.

Volker Ladenthin argumentiert mindestens so universal wie Rekus, wenn er Religion als das Verhältnis des Menschen zu seiner eigenen Endlichkeit bestimmt. Da jeder Mensch endlich sei, sei jeder religiös und könne allerdings über die Ausgestaltung dieses Verhältnisses bestimmen. Zur Lehre eines bestimmten Bekenntnisses gehöre immer auch die Hinneinnahme in gelebte Glaubenspraxis. Religionsunterricht habe dabei für die Bescheidenheit und vernünftige Selbstbeschränkung der Vernunft zu stehen.

Fast ist es schade, dass nicht direkt darauf der Beitrag von Lutz Koch folgt, der an Kant entlang die ethische Begründung der Religion nachvollzieht und einer natürlichen Religion das Wort redet, deren kritische Funktion als Moralreligion er besonders hervorhebt. Die Vernunftreligion könne und müsse die Offenbarungsreligionen überall dort kritisieren, wo sie vom Wege der Vernunft abwichen. Eine Balance zur einen Vernunft, wie sie in anderen Beiträgen des Bandes aufschien, sieht Koch nicht.

Grundsätzlicher noch ist die Kritik Wolfgang Niekes, der die Bedeutung der Religion zurückgehen sieht. Hilfreich ist seine Unterscheidung eines engen und eines weiten Religionsbegriffs, der nicht jede Frage nach dem Woher und Wohin schon als religiös im engen Sinne definiert. Da Kinder zum Mündig werden eine Unterstützung bei der Übernahme einer Weltorientierung bedürften, so sei es eine neue Aufgabe der öffentlichen Schule, hierbei Hilfestellung bei zu geben. Veranstaltungen der Religionsgemeinschaften zielten dagegen letztendlich auf „Proselytenmacherei“ und seien deshalb hierfür ungeeignet. In der gegenwärtigen Schule fehle dieser Ort für die Frage nach dem „Sinn des Ganzen“ noch. Kosmologie und biologische Evolutionstheorie sollten Ausgangspunkte dieses Verständigungsprozesses sein, philosophisch-kritische Anfragen an beide Konzepte seien jedoch zulässig.

Rudolf Englert legt zum Abschluss noch eine Auseinandersetzung mit den Argumenten dieses Bandes und mit Modellen aus Geschichte und Gegenwart der Religionslehrpläne vor. Dass er dabei nicht das „richtige“ Argument herauskristallisiert, kann kaum verwundern, wenn ihm auch manche Argumentationen mehr einleuchten als andere. Allerdings aber sind Hinweise dort hilfreich, wo Autoren des Bandes z.B. die Realität des Religionsunterrichts mit einem Anspruch einer Sozialisation in die Konfession verwechseln.

Ulrich Schwab beschließt den Band mit einem Nachwort aus evangelischer Perspektive, das damit endet, dass die Theologie, um ihrem Anliegen, der Weitergabe des Glaubens, gerecht zu werden, auf das Gespräch mit der Pädagogik nicht verzichten könne.

Vielleicht zeigt sich hier der Unterschied, den Friedrich Schweitzer bedauerte und der immer wieder im Band zur Sprache kam, Allgemeine Erziehungswissenschaft kommt inzwischen faktisch häufig ohne Theologie aus. Dass sie sich dabei selbst dabei zumindest um eine anregende Diskurskultur bringt, das belegt dieser Band nachdrücklich.