Campus & Karriere • Magazin für Hochschule und Karriere

 

 

3.10.2003

Geschichtsunterricht der DDR

Humboldt-Universität forscht anhand von alten Video-Aufnahmen

Jacqueline Boysen

 

Schule in Wittenberg (Foto: AP)
Schule in Wittenberg (Foto: AP)

Auf dem Bildschirm laufen wackelige Schwarz-Weißbilder: eine strenge Lehrerin vor ihrer mehr oder minder aufmerksamen Schulklasse. Der Pädagoge Henning Schluß von der Humboldt-Universität führt stolz die Aufzeichnungen vor, einen ungewöhnlichen Archiv-Fund: es handelt sich um Video-Aufzeichnungen aus der DDR der siebziger Jahre, Mitschnitte, die offenkundig in der realsozialistischen Lehrerausbildung entstanden und Studenten in ihren Methodik-Seminaren vorgeführt wurden

Ein Kollege von mir hat die Bänder zugespielt bekommen, angeblich . .

In einem Stahlschrank des einstigen fand sich das Material mit etwa einhundert Stunden aufgezeichnetem Geschichtsunterricht: Offenkundig mustergültige Auftritte von erfahren Pädagogen, aber auch jungen Hospitanten in der Ausbildung. Die Lehrstunden, die in einem noch heute erhaltenen Saal der Humboldt-Uni mitgeschnitten wurden, beginnen mit einschlägigem Gruß:

Freundschaft!

Mit jedem Satz beweist die energische Lehrerin im karierten Kleid, die hier mit dreißig Zehntklässlern beispielhaft das heikle Thema Mauerbau behandelt, ihren gefestigten Klassenstandpunkt – parteikonforme Ansichten, die ihre Schüler selbstredend übernehmen sollen:

Wie kann man das einschätzen? Von Seiten der BRD angegriffen worden.

Für Henning Schluß, der mittlerweile für die Stiftung Aufarbeitung an einem Forschungsprojekt zu den ungewöhnlichen Überlieferungen der DDR-Pädagogik arbeitet, liefern die noch nicht einmal alle gesichteten Filme sachdienliche Hinweise über den DDR-Geschichtsunterricht – obgleich die jeweils fünfundvierzigminütigen Aufzeichnungen vor Mikrophonen und sechs Kameras natürlich den normalen Schulalltag sprengten:

Die Schüler sind vorbereitet. Die Lehrerin hat mit dem Studienleiter Unterrichtskonzept abgesprochen, so dass es dem aktuellen methodisch-didaktischen Stand entspricht. Nicht inszeniert sind die Schüler, auch solche, die stören, Fingernägel reinigen.

Eventuelle Zweifel an der Authentizität des Unterrichts zerstreuen sich spätestens zum Ende der Geschichtsstunde über den Mauerbau – das Murren der Ostberliner Schüler über Notenvergabe und Hausaufgaben ist echt, ideologiefrei und offenkundig zeitlos.