10.01.2008 | 18:26 | HEINZ GÄRTNER UND FRANZ LEIDENMÜHLER (Die Presse)
Die Geschichte Europas war immer geprägt durch Integration und Zerfall. Der Balkan zeigt, dass sie noch nicht zu Ende ist. Es ist eine Tragik, dass die internationale Staatengemeinschaft zum zweiten Mal im Falle des Kosovo am Rande oder gar außerhalb des Völkerrechtes handeln muss. 1999 intervenierte die Nato ohne Autorisierung des UN-Sicherheitsrates, um die Säuberungen des jugoslawischen Präsidenten Milosevis, der einen ethnisch reinen Zentralstaat schaffen wollte, zu stoppen.
Neun Jahre später gibt es wiederum keine Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen. Die USA und die meisten EU-Staaten werden die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen. Auch der österreichische Kanzler und die Außenministerin haben sich schon dahingehend deklariert. Grenzveränderungen ohne Zustimmung der betroffenen Parteien sind aber nach den KSZE-Prinzipien und nach der UN-Charta nicht erlaubt!
Weiters stellt sich die Frage nach der Zukunft der internationalen Verwaltung und Sicherheitspräsenz im Kosovo, an der ja auch 600 Angehörige des österreichischen Bundesheeres sowie der Polizei mitwirken. Zu Recht betonen die EU und die Nato, dass eine internationale Präsenz im Kosovo weiterhin unerlässlich ist, um eine gewisse Stabilität aufrechtzuerhalten und eine rudimentäre Verwaltung und Gerichtsbarkeit zu garantieren. Aber auf welcher rechtlichen Basis? Die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1244 aus dem Jahr 1999 gibt dem UN-Generalsekretär die Autorität, einem Repräsentanten einer internationalen Organisation den Aufbau einer zivilen Präsenz im Kosovo zu übertragen. Der UN-Generalsekretär könnte die bisherige UN-Mission UNMIK daher in eine EU-Mission umwidmen. Nur, die Resolution bezieht diese Aufgabe eindeutig auf eine „substanzielle Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien“ (wie die Republik Serbien damals noch hieß). Sie kann daher nicht Grundlage für die Präsenz der EU nach der Unabhängigkeitserklärung sein. Die sauberste Lösung wäre natürlich eine neue explizite Resolution, der allerdings Russland vorerst nicht zustimmt. Zu lange haben die USA und die EU damit gerechnet, Russland werde letztlich ohnehin dem in Wien ausgehandelten Ahtisaari-Plan über die Unabhängigkeit des Kosovo mit weitgehenden Minderheitenrechten für die Kosovo-Serben zustimmen. Umgangen kann dieses Dilemma für eine internationale Präsenz nur werden, indem der neue Staat die EU einlädt, auf seinem Territorium eine zivile Präsenz zu etablieren. Durch diese Konstruktion wäre die Anwesenheit der internationalen Gemeinschaft legitimiert.
Für die EU ist es jedenfalls eine Tragik, dass sie einen auf ethnischen Prinzipien gegründeten Staat anerkennen muss, während sie selbst versucht, ein multiethnisches Gebäude aufzubauen. Eine langfristig angestrebte EU-Mitgliedschaft beider Staaten würde den Konflikt deshalb auch nicht wirklich lösen und in die EU selbst hinein verlagern, wie das vergleichsweise wenig dramatische Beispiel Belgien zeigt. Die Geschichte Europas war immer geprägt durch Integration und Zerfall. Der Balkan zeigt, dass sie noch nicht zu Ende ist.
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 11.01.2008)