Im Zeitalter des „Terrors“ hat der Krieg seine Gestalt geändert. Zugrunde liegt ihm aber immer noch die unheilige Dreifaltigkeit Gewalt, Hass, Feindschaft. Von Heinz Gärtner
Zwei neue englischsprachige Bücher beschäftigen sich mit dem Phänomen Krieg und seiner Veränderlichkeit. Colin S. Gray behandelt Kriege der letzten 200 Jahre am Beispiel der Strategiegeschichte. Er definiert diese als die Geschichte des Einflusses der Anwendung von und Bedrohung durch Gewalt. Gray beschreibt die historischen Veränderungen des Krieges und der Strategiegeschichte, beginnend mit den Napoleonischen Kriegen bis zur „irregulären Kriegführung“ und dem Krieg im „Zeitalter des Terrors“.
Als Maßstab für diese Veränderungen dient die Theorie über den Krieg von Carl von Clausewitz (1780- 1831), dem preußischen Militärhistoriker und -theoretiker. Das Buch ist kein normales Geschichtsbuch, sondern eine gut lesbare und thematisch übersichtlich gegliederte Einführung. Während Gray Clausewitz zum Ausgangspunkt seiner Strategiegeschichte nimmt, stellt ihn das von Hew Strachan und Andreas Herberg-Rothe herausgegebene Buch Clausewitz in the Twenty-First Century in den Mittelpunkt aller Beiträge. Ihr Anliegen ist es, zu beweisen, dass Clausewitz über die letzten 200 Jahre weiterhin uneingeschränkt Gültigkeit behält. Anlass für diese Verteidigungsschrift waren wohl einige Kritiker von Clausewitz, wie Martin van Creveld1) und John Keegan2), die Kernannahmen von Clausewitz bereits vor dem 11. September 2001 infrage stellten. Creveld hatte argumentiert, dass die clausewitzsche „Dreifaltigkeit“ – Volk, Heer und Regierung – im Zeitalter von nichtzwischenstaatlichen Kriegen keine Gültigkeit mehr habe. Einhellige und korrekte Antwort der Autoren beider Bücher ist, dass Creveld nur eine abgeleitete, nicht die primäre Dreifaltigkeit sehe, die tatsächlich aus Gewalt, Hass und Feindschaft bestehe. Diese sei auch auf die irregulären und kleinen Kriege anwendbar.
Neben der Gesamterscheinung dieser „wunderlichen Dreifaltigkeit“ ist der Krieg nach Clausewitz „ein wahres Chamäleon“3). Darauf berufen sich die Autoren beider Bücher, wenn sie darauf verweisen, dass die neuen Formen des Krieges Platz in der Theorie von Clausewitz haben. Ist aber die Verwandlungsfähigkeit des Krieges unbegrenzt? Kann man tatsächlich jegliche physische Gewaltanwendung als Krieg bezeichnen? Nach Clausewitz behält er seine innere Natur, die er „in jedem konkreten Falle etwas ändert“, und seine „absolute Gestalt“ bleibt der „allgemeine Richtpunkt“4). Der Krieg als „erweiterter Zweikampf“ bei Clausewitz ist eine Metapher von zwei Ringern. Er ist eben nicht eine „Metaphorisierung“, bei welcher der Kampf zwischen zwei Ringern als Krieg bezeichnet wird. Er umfasst daher nicht die Spannweite von Scharmützeln kleinster Gruppen bis zum Krieg großer Staaten. Der Krieg bei Clausewitz ist ein „Akt der Gewalt“, der in seiner Anwendung keine Grenzen kennt und zum Äußersten drängt. „Solange ich den Gegner nicht niedergeworfen habe, muss ich fürchten, dass er mich niederwirft.“5) Clausewitz meint damit nicht einzelne „Halme“, sondern „große Bäume“6). Kämpfe zwischen Banden oder Terroranschläge können nicht darunterfallen. Diese Grenze findet man in beiden Büchern leider nicht.
Sie wird von den meisten neueren Definitionen von Krieg7) gezogen. Ihre Kriterien beinhalten die Teilnahme von offiziellen oder Regierungstruppen zumindest auf einer Seite als konstitutivem Element, was durchaus der sekundären clausewitzschen Trinität von Volk, Heer und Regierung entspricht. Kriege müssen eine gewisse Kontinuität mit einem definierbaren Beginn und Ende aufweisen und von zentral gelenkten Organisationen geführt sein. Gray bemüht sich zwar, einzelne Formen „irregulärer Kriegführung,“ wie Guerillakrieg und Aufstand, auseinanderzuhalten; aber auch für ihn bleiben alle, einschließlich des Terrorismus, letztlich Krieg. „Irreguläre Kriegsführung in der Form von Guerillakämpfen oder Terrorismus (oder beiden) ist die der schwächeren Seite aufgezwungene Wahl“, schreibt er. Das ist eine unzulässige Verallgemeinerung, wodurch ein diffuses Konflikt- und Feindbild vermittelt wird.
Die Autoren beider Bücher verwenden Sammelbegriffe, „kleine“, „irreguläre“, „neue“, „asymmetrische Kriege“, gleichermaßen für Partisanenkriege und Terrorismus. Diese Definitionsmerkmale ebnen alle Unterschiede von Bürgerkrieg, Aufstand, Separation, Guerillakampf, Kämpfen zwischen Milizen und Banden und selbst Terrorismus ein. Das Vorhandensein von Ungleichgewichten von Kontrahenten macht Auseinandersetzungen noch nicht zu Kriegen.
War der Kampf David gegen Goliath ein Krieg? Ein Kampf zwischen paramilitärischen Drogenkartellen oder Mafiaorganisationen ist ein Kampf zwischen Akteuren ohne Territorium, aber kein Krieg. Ein Partisanenkrieg ist auch nicht Terrorismus, weil Ersterer eine politische und militärische Bewegung ist, die über einen längeren Zeitraum andauert und politische Kontrolle über einen bestimmten Bereich, wie Territorium und Regierung erlangen will. Terrorismus kann kritische Infrastruktur und Kommunikationslinien treffen, aber damit nicht politische Macht aufbauen. Die Bekämpfung des Terrorismus unterscheidet sich letztlich wesentlich von der eines Aufstandes. Erstere erfordert den Schutz kritischer Infrastruktur und der Bürger vor Terroranschlägen in zumeist friedlichen Gesellschaften, Letztere militärische und zivile Aufbauleistungen zerstörter Infrastruktur in Kriegsgesellschaften zur Gewinnung eines Großteils der Bevölkerung.8)
Reiht man, wie die Autoren, Terrorbekämpfung ein in die Reihe anderer „kleiner“ oder „asymmetrischer“ vergangener, gegenwärtiger und künftiger Kriege, wie in Vietnam, im Irak, in Afghanistan, Somalia und vielleicht gegen den Iran, ist kein Ende in Sicht. In den Augen der amerikanischen Bush-Regierung ist dies ein „langer Krieg“. Aus solchen langen Kriegen kann jedoch keinerlei Gewinn gezogen werden, wie der chinesische Theoretiker des Krieges Sunzi9) vor zweieinhalbtausend Jahren schrieb. Die Verallgemeinerung der Definition des Krieges führt dazu, dass der Krieg permanent wird und es keine Sieger mehr gibt.
Der Ausdruck „Krieg gegen den Terror“ hat zu einer Metaphorisierung des Begriffes „Krieg“ geführt. Er ist nicht mehr charakterisiert durch Armeen, Schlachten, Uniformen, Strategie, Taktik, Planung, Sieg und Niederlage, durch einen Anfang und ein Ende. Krieg ist jetzt überall. Der „Krieg gegen den Terror“ ist ein Krieg der Schläferzellen, der abgelegenen Verstecke im Iran, Irak, in Afghanistan, Deutschland oder Spanien, ein Krieg der beschlagnahmten Computerfestplatten, der eingefrorenen Bankkonten, der chemischen Substanzen und Bakterien, des radioaktiven Materials und der Informationen. Der Feind hat keine Fahne, keine Uniform, keine Panzer und Unterseeboote, keine Bühnen und Paraden. Er ist überall – im Hotel, im Hafen, im Flugzeug, zu Hause und auf dem Fuß- oder Baseballplatz – und nirgends. Der Krieg gegen den Terrorismus umfasst alle „Fronten“. Die Ausweitung des Kriegsbegriffes führte einerseits zu analytischen Unklarheiten, hatte aber auch Auswirkung auf politische Interpretationen. Unterschiede zwischen verschiedenen Kriegsformen und zwischen Kriegen und Gewaltakten, die nicht mehr als Krieg zu bezeichnen sind, verschwimmen. Unterschieden wird nicht mehr zwischen einzelnen Formen der Gewalt.
Die Autoren der Bücher haben Clausewitz‘ Beobachtung, dass der Krieg „auf einem Spiel von Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Glück und Unglück beruht“ und dass er „ein Ding sein kann, was bald mehr, bald weniger Krieg ist“10), historisch und umfassend illustriert. In dem Bemühen, Clausewitz auch für das 21. Jahrhundert uneingeschränkte Bedeutung beizumessen, haben sie aber dabei den Blick auf die Gestalt des Krieges verloren. Ein Chamäleon bleibt ein Chamäleon, auch wenn es fallweise die Farbe wechselt. Vielleicht symptomatisch ist, dass sie Clausewitz mehrmals die Formulierung „the fog of war“ zuschreiben, um die Undefinierbarkeit des Krieges auszudrücken. Clausewitz hat diese jedoch niemals verwendet.
Hew Strachan, Andreas Herberg-Rothe (Hg.), „Clausewitz in the Twenty-First Century.“ € 58, 328 Seiten; Oxford University Press: Oxford, 2007.
Colin S. Gray, „War, Peace and International Relations: An Introduction to Strategic History“, € 27,5, 306 Seiten; Routledge: London, New York, 2007.
Anmerkungen:
1) Martin van Creveld, The Transformation of War (New York 1991).
2) John Keegan, A History of Warfare (London 1993).
3) Carl von Clausewitz, Vom Kriege (Berlin 1999 [1833]), 46.
4) Clausewitz, 653-654.
5) Clausewitz, 27-47.
6) Clausewitz, 127.
7) U. a. Cioffi-Revilla, Claudio, Origins and Evolution of War and Politics, International
Studies Quarterly, Vol. 40, No. 1 (1996) 1-22. Kende, István, Wars of Ten Years, Journal of
Peace Research, Vol. 15, No. 3 (1978) 227-241.
8 ) The U.S. Army/Marine Corps Counterinsurgency Field Manual , The U.S. Army and the
Marine Corps . University of Chicago Press , 2007.
9) Sunzi, Die Kunst des Krieges (München 1999), 29-39.
10) Clausewitz, 653-654.
Der Feind hat keine Fahne, keine Uniform, keine Panzer und keine Unterseeboote. Er ist überall – im Hotel, im Hafen, im Flugzeug und auf dem Fußballplatz – und nirgends.