„Die Nato wird kein Weltpolizist sein“

Politologe Heinz Gärtner über das Verhältnis Europa-USA und Österreich als Nato-Mitglied

Militärbündnis oder Friedensstifter: Die Nato feiert ihr 60-jähriges Bestehen und sucht zum runden Geburtstag eine neue Identität – Flügelkämpfe der Mitgliedsländer inklusive. Ein Weltpolizist wird das Bündnis aber nicht – dafür fehlen einfach die Ressourcen, sagt der Politologe Heinz Gärtner vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (ÖIIP) im Gestpräch mit der Standard.at.  Vordergründigt wird auch Afghanistan Thema des Nato-Jubiläumsgipfel an der deutsch-französischen Grenze sein – allerdings nur „als Aufhänger für die Diskussion über langfristige strategische Konzepte“.

derStandard.at: Ist die Nato ein Verteidigungsbündnis oder ein Weltpolizist?

Heinz Gärtner: In der Nato gibt es zwei Flügel: Zum einen die Traditionalisten, die wollen, dass die Nato ein Verteidigungsbündnis bleibt, die in Russland die Hauptbedrohung sehen und sehr argwöhnisch gegenüber den Krisenmanagement-Aufgaben der Nato sind. Dieser Flügel betont den Artikel V – die Beistandsverpflichtung.

Der zweite Flügel sagt, die Nato wird zwar ein Verteidigungsbündnis bleiben, aber Hauptaufgaben sind Krisenmanagement und Aufgaben „Out of Area“ oder sogar „Out of Continent“ – wie zum Beispiel in Afghanistan und im Irak. Die Krisenmanagement-Aufgaben gehen sogar bis hin zu humanitären Operationen – wie Hilfestellung bei Erdbeben und Überflutungen. Aber auch solche Dinge, wie der Einsatz gegen Piraterie vor der Küste Somalias.

Allerdings wird die Nato kein globaler Weltpolizist sein, weil ihr die Ressourcen fehlen und weil es keine globale Mitgliedschaft geben wird.

derStandard.at: Wer wird sich durchsetzen?

Gärtner: Man wird versuchen einen Kompromiss zu finden. Artikel V könnte auch bei globalen Operationen eingesetzt werden. Zum Beispiel wenn ein amerikanisches Schiff vor Somalia angegriffen wird. Aber all das wird eher Kosmetik sein. Die zwei Flügel werden wahrscheinlich bleiben.

derStandard.at: Welche weiteren Konfliktlinien innerhalb der Nato gibt es?

Gärtner: Die Konfliktlinie Europa-USA löst sich auf. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens denkt Obama partnerschaftlicher und versucht Europa als gleichwertigen Partner zu behandeln. Der zweite Grund ist, dass Frankreich jetzt voll in die Militärstruktur der Nato zurückkehrt. Auch daran ist zu erkennen, dass Europa und Amerika keine wirklichen Gegensätze mehr sind.

derStandard.at: Sind neue Konflikte denkbar, denn mehr Partnerschaft mit den USA könnte für Europa auch mehr Forderungen an Europa bedeuten?

Gärtner: Die USA sind sehr flexibel. Sie haben von vornherein gewusst, dass nicht alle Europäer mehr Kampftruppen schicken können und wollen. Obama hat schon sehr früh im Wahlkampf formuliert, dass er von den Europäern nicht erwartet, dass sie mehr Kampftruppen schicken. Das geht auch einher mit seinem Konzept, dass Afghanistan nicht rein militärisch gewonnen werden kann. Die Europäer sollen beitragen, aber sie können flexibel beitragen.

Den großen Nebenwiderspruch sehe ich darin, inwieweit sich die USA globalisieren und zusätzliche humanitäre Aufgaben übernehmen will – und inwieweit sich die Nato daran beteiligt. Einige befürchten, dass die Nato verwässert und eine neue OSZE wird. Das ist wahrscheinlich das Hauptthema hinter den Kulissen. Vordergründig wird Afghanistan das Thema sein, aber es wird nicht um die Entsendung von Truppen gehen.

derStandard.at: Wie sehen Sie den Konflikt zwischen den alten und den neuen Nato-Mitgliedern in Hinblick auf den Umgang mit Russland?

Gärtner: Das ist der einzige Konflikt, der geographisch festzumachen ist. Die neuen Mitglieder von den baltischen Staaten bis Polen sind eher Traditionalisten, die ein Militärbündnis und damit die Beistandsverpflichtungen gestärkt sehen wollen. Paradoxerweise haben sich gerade diese Länder bei Krisenmanagement und internationalen Polizeieinsätzen beteiligt. Grund dafür ist nicht, dass sie diese Einsätze unbedingt so gut finden, sondern, dass sie den Amerikanern damit einen Gefallen tun wollen.

derStandard.at: Kann man die Nato-Osterweiterung als Erfolg bezeichnen, oder hat sich das Bündnis damit auch mehr Probleme geschaffen?

Gärtner: Die Osterweiterung ist gelaufen. Russland hat sich damit vorerst abgefunden. Ich glaube aber, jede weitere Erweiterung kann nur mit Russland gemacht werden. Da ist noch viel Vertrauensbildung notwendig. Ich denke, der Nato-Russland-Rat wird jetzt beim Gipfel aufgewertet. Da werden viele Themen hineinkommen – die Erweiterung glaube ich zwar eher nicht, aber man wird versuchen Russland entgegenzukommen.

derStandard.at: Wie sehen sie die Möglichkeiten der Abgrenzung oder Zusammenarbeit mit EU oder UN?

Gärtner: Wenn sich die Nato verstärkt internationalen Aufgaben zuwendet, wird das auch die Europäische Union tun und es wird sich früher oder später eine Arbeitsteilung herausbilden – wie es ja schon in Bosnien oder im Tschad beispielsweise der Fall ist. Es gibt auch den umgekehrten Fall, wenn die Nato auf die zivil-militärischen Fähigkeiten der EU zurückgreift – das wird in Afghanistan eine Rolle spielen. Es wird Überlappungen geben, aber es wird sich ein Mechanismus zur Kooperation herausbilden. Das Gleiche trifft natürlich auch auf die Vereinten Nationen zu.

Mittel- oder langfristig könnte allerdings ein Spannungsverhältnis zwischen den Vereinten Nationen und G20 entstehen. Die G20 werden zunehmend nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politischen Themen diskutieren. Inwieweit die G20 dann auch Aufgaben der Vereinten Nationen übernimmt – zumindest als Diskussionsforum – ist noch offen. Da wird es sicher einen Punkt geben, wo manche sagen, die G20 haben mehr Legitimation als der UN-Sicherheitsrat. Was völkerrechtlich natürlich ein großes Problem ist.

derStandard.at: Was sind für die Schlüsselthemen mit denen sich das neue Sicherheitskonzept der Nato befassen müsste?

Gärtner: Die wichtigste Frage ist, wie global oder wie viel Militärbündnis soll die Nato sein. Man wird versuchen beides zu vereinbaren. Afghanistan ist zwar jetzt ein Thema, dient aber nur als Aufhänger für die Diskussion über langfristige strategische Konzepte: Wie weit soll sich die Nato tatsächlich an internationalen Operationen beteiligen? Wie weit sollen die zivilen Operationen der Nato gehen? Was ist der Unterschied zwischen „Counterinsurgency“ („Aufständigenbekämpfung“, Anm.) und „Counter-Terrorism“ („Terrorbekämpfung“, Anm.)?
Weitere Themen sind Rüstungskontrolle und das Festlegen von Bedingungen für die Nato-Erweiterung. Diese Themen müssen auch mit der neuen Nuklear-Strategie der Amerikaner koordiniert werden, die im Laufe des Jahres kommen soll.

derStandard.at: Ist eine österreichische Nato-Mitgliedschaft in den kommenden zehn Jahren ein realistisches Szenario?

Gärtner: Solange es diese zwei Flügel innerhalb der Nato gibt, glaube ich nicht. Das ist auch nicht notwendig, weil Österreich durch den Mechanismus „Partnerschaft für den Frieden“ an der modernen Nato teilnehmen kann. Österreich wird sich verstärkt an internationalen Operationen der EU, der UNO und auch der Nato beteiligen. (Michaela Kampl, derStandard.at, 1.4.2009)

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