Forderung nach Abschaffung nicht auf der Höhe der Zeit – von Heinz Gärtner
Christoph Drexlers Forderung aus der Steiermark nach Abschaffung der Neutralität hat unerwartet starke Unterstützung bekommen, nicht von der ÖVP aber von einigen Kommentatoren. Dabei werden vor allem zwei Erklärungen vorgebracht. Erstens sei die Neutralität im Kalten Krieg entstanden und daher nicht mehr zeitgemäß (wie „Lipizzaner und Mozartkugeln“), und zweitens wäre sie bis zur Unkenntlichkeit verändert („ausgehöhlt“) worden.
Diese Argumente widersprechen einander, denn wie kann etwas angeblich Veraltetes sich bis zur Unkenntlichkeit verändern? Außerdem ist nicht alles, was im Kalten Krieg entstanden ist, unbrauchbar geworden. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) von 1957 und der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NPT) von 1970 etwa sind in der Zeit der neuen Bedrohungen unerlässliche Instrumente (siehe Nordkorea und Iran). Auch ein neutrales Österreich könnte vom Nichtverbreitungsregulativ profitieren, wenn es etwa zu einem Vertrag kommen sollte, der Atomwaffenstaaten verpflichtet, keine Kernwaffen gegen Staaten einzusetzen, die keine derartigen Waffen besitzen oder nicht mit einer Nuklearwaffenmacht verbündet sind.
Natürlich hat sich die Interpretation der Neutralität verändert – wodurch sie aber ihre Flexibilität unter Beweis gestellt hat. Die anfangs diskutierte Wirtschaftsneutralität und die Äquidistanz zwischen den Blöcken sowie ihre Unvereinbarkeit mit der Mitgliedschaft in der Vereinten Nationen UNO wurden sofort fallen gelassen. Die Möglichkeit der Teilnahme an der Verteidigungspolitik der EU wurde durch einen Verfassungszusatz (23f) ausdrücklich bestätigt. An solchen robusten Einsätzen nimmt Österreich auch im Rahmen der Nato-Partnerschaft für den Frieden (PfP) teil (siehe Balkan).
Warum also beklagen Neutralitätskritiker diese Interpretationsanpassungen, die sie ja eigentlich begrüßen müssten? Was darf der neutrale Staat dann eigentlich nicht? Er darf sich in Friedenszeiten nicht vorab dazu verpflichten, einen anderen Staat militärisch im Kriegsfalle zu unterstützen, wie dies die Beistandsverpflichtung vorsieht, die 1949 wegen der Bedrohung durch die Sowjetunion nach heftigen Diskussionen in den Nordatlantikvertrag (Art. V) aufgenommen worden war. Man kann mit gutem Recht in Frage stellen, ob der noch zeitgemäß ist. Warum dann aber die Neutralität abschaffen?
(DER STANDARD, Printausgabe, 4.9.2007)