Europa braucht einen entwickelten Iran und keinen in die Enge gedrängten – Experte

Iran zieht sich weiter aus der internationalen Vereinbarung zum iranischen Atomprogramm zurück. Was ist sein Ziel und was werden die Europäer unternehmen, um eine Eskalation zu vermeiden? Der Sicherheitsexperte Heinz Gärtner vom Wiener Friedensinstitut nimmt dazu Stellung in einem Sputnik-Gespräch.

„Der Iran glaubt, wenn er sich weiter zurückzieht, wird er die Europäer unter Druck setzen können, dass sie ihre Verpflichtungen im JCPOA (‚Joint Comprehensive Plan of Action‘) einhalten, beziehungsweise dass die Europäer die USA und Trump unter Druck setzen, wieder in das Abkommen zurückzukehren. Rechtlich hat es Argumente auf seiner Seite, weil Artikel 36 und 26 des JCPOA einem Partnerland des Abkommens ermöglicht, daraus auszusteigen, wenn es andere auch tun. Und die USA haben es verlassen“, sagte der österreichische Politikwissenschaftler.

Präsident Hassan Rouhani versprach, die Beschränkungen für die Entwicklung von Zentrifugen zur Anreicherung von Uran aufzuheben. Laut dem Experten steht der Iran politisch als Verlierer da, weil er in der internationalen Presse und von den USA als derjenige dargestellt wird, der die Vereinbarung zum  Abkommen von 2015 verletzt hat. Wirtschaftlich müsse der Iran irgendetwas bekommen, damit die Sanktionen kompensiert werden, und er glaube, er könne das damit erreichen, betont Professor Gärtner.  

„Das wird nicht passieren, weil die Motive für Trump und Netanjahu ja ganz andere sind. Es geht darum, den Iran als solches zu schwächen, weil der Iran eine potentiell starke regionale Macht ist – mit vielen Naturressourcen, mit einer gebildeten Bevölkerung, mit einer entwickelten Infrastruktur, langen Küsten und einem disziplinierten Militär. In einem weltweiten Ranking liegt der Iran an 14.Stelle und dadurch haben die anderen regionalen Mächte Angst, dass sie den Wettlauf gegenüber dem Iran verlieren. Also, es geht um den Iran und nicht um den Atomabkommen“, schlussfolgert der Politikwissenschaftler.

Ein generelles Vorbild könnte seinen Worten zufolge das Europäische Abkommen von Helsinki 1975 sein – ein Dokument, das mit konkreten Maßnahmen wie regionale Rüstungskontrolle und nuklearwaffenfreie Zone ausgefüllt werden sollte. Damit würde der Iran „international und langfristig historisch besser punkten“.

Wegen der von den USA verhängten Sanktionen gegen den Iran steckt die iranische Wirtschaft in der Krise. Die Landeswährung Rial hat stark an Wert verloren. Der iranische Präsident Hassan Rouhani forderte europäische Maßnahmen zur Unterstützung der iranischen Wirtschaft, insbesondere den Kauf von iranischem Öl und Garantien für die wirtschaftliche Zusammenarbeit.

„Der Iran leidet natürlich unter den Sanktionen, allerdings hat er sich in den letzten Monaten wieder erstaunlich stabilisiert. Die Europäer brauchen einen wirtschaftlich starken und entwickelten Iran – das ist viel weniger gefährlich als ein Iran, der in die Enge gedrängt wird. Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass dann die Kriegsgefahr sehr steigt. Die Europäer haben doch viel zu sehr Angst vor den USA. Wenn auch die großen europäischen Unternehmen sich aus dem Iran zurückziehen, weil sie Angst vor sekundären Sanktionen der USA haben, können die europäischen Staaten aber staatliche Kredite durchaus dem Iran geben, ohne auf die Zustimmung der USA zu warten“, so Gärtner.

Der Friedensexperte äußerte die Auffassung, dass die Europäer eine eigene Strategie entwickeln sollten. Ein „Armutszeichen“ der Europäischen Union sei es, dass man weiterhin dem USA-Präsidenten überlasse, die Pläne zu entwickeln, die gar nicht im Interesse der Europäer seien. (Sputniknews, 9.9.2019)