Die Europäer und das Atomabkommen mit Teheran

USA: kompromisslos

Bei der Abrüstungs- und Nichtverbreitungs-Konferenz eines EU-Konsortiums in Brüssel vom 17. bis 19. Dezember sprach die Hohe Repräsentantin für Außenpolitik der EU Federica Mogherini über Sicherheitsthemen. Militär sei nicht die erste Priorität für die EU. Sie bekannte sich zu Abrüstung und Rüstungskontrolle und sprach sogar von einer nuklearwaffenfreien Welt. Nach dem Rückzug der USA aus dem Abkommen mit Russland über Mittelstreckenraketen (INF) warnte sie vor einem neuen Rüstungswettlauf.

Sie verteidigte das in Wien unterzeichnete Nuklearabkommen mit dem Iran (JCPOA), das zwölf Jahre lang verhandelt wurde, und das die USA ebenfalls verlassen haben, dessen Einhaltung durch den Iran aber von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) vielfach bestätigt worden war. Kein Abkommen sei perfekt, sagte Mogherini; das sei so wie alles im Leben. Im Allgemeinen sah Mogherini in der EU einen globalen Bezugspunkt. Dieser Optimismus wurde aber nicht von dem weiteren Konferenzverlauf (bei Abwesenheit von Mogherini), der vielfach die reale Entwicklung wiederspiegelte, bestätigt. Mogherini scheint eine einsame Ruferin zu werden.

Die beiden Vertreter der USA, Christopher Ford Staatssekretär im Außenministerium, und Rose Gottemoeller, stellvertretende Generalsekretärin der NATO, formulierten die Position der US-Administration, der nur von wenigen Teilnehmern widersprochen wurde, kompromisslos. Das Scheitern des INF-Vertrages sei die alleinige Schuld Russlands, das den Vertrag durch Tests verletzt hätte. Das Argument, dass technische Anpassungen möglich gewesen wären, ließen sie nicht gelten. Der im Juli 2017 von 122 Staaten von einer UN-Versammlung angenommene Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen würde Abrüstung unterlaufen, weil er polarisiere. Es gab keine Einwände von den vor allem aus NATO-Mitgliedern kommenden Teilnehmern, dass gerade die existierende Polarisierung, die zwischen Nuklearwaffenbesitzern und Nichtnuklearwaffenstaaten besteht, zu diesem Vertrag geführt hat.

Ford wiederholte die Bedingungen des US-Außenministeriums an den Iran, damit die USA über ein Folgeabkommen reden würden. Diese würden eine völlige Auslieferung des Iran an die USA, Israel und den arabischen Nachbarn bedeuten. Der Iran müsse sich aus Syrien zurückziehen, die Unterstützung der libanesischen Hisbollah aufgeben, sein Raketenprogramm aufgeben und alle seine Militäranlagen für Inspektionen öffnen. Das erinnert an das Ultimatum, das Österreich 1914 an Serbien gestellt hat, und das niemals ernst gemeint war. Das Nuklearabkommen sei schlecht, weil es zu früh auslaufen würde. Fragen, warum der Iran dafür bestraft würde, dass er das mit Beteiligung der USA ausgehandelte Abkommen einhält, und dass das Abkommen ja dem Iran auf Dauer Nuklearwaffen verbietet, wischte er vom Tisch. Ebenso ignorierte er den Hinweis auf das Saudi Arabische Raketenprogramm, das in regionale Rüstungskontrollgespräche einbezogen werden müsste. Der Eindruck wurde bestätigt, dass es den USA gar nicht um das Nuklearabkommen geht, sondern darum, den Iran insgesamt zu schwächen – wirtschaftlich und militärisch. Der von Trump im Dezember angekündigte Abzug der amerikanischen Bodentruppen aus Syrien – ein Wahlversprechen Trumps – macht Luftschläge leichter, weil keine Vergeltungsmaßnahen auf US-Soldaten zu befürchten sind.

Insgesamt war der Diskussionsverlauf ein Abbild der realen Entwicklung. Die USA geben die Linie vor und die Europäer sind in jeder Frage kompromissbereit; die USA sind es aber nicht. Das Argument, dass Russland für das Scheitern des INF-Vertrages trägt, wird im Großen und Ganzen von den Europäern akzeptiert. Die Regierungen geben sich mit dem Hinweis zufrieden, dass neue Mittelstreckenraketen ohnehin nur in Asien stationiert werden würden. Zunehmende Spannungen zwischen der NATO und Russland sind aber nicht ausgeschlossen, ja eher wahrscheinlich. Die Möglichkeit, dass Mittelstreckenraketen auf Ziele in Europa gerichtet sind, wäre eine Wiederholung der Situation in den achtziger Jahren, bevor 1987 der INF-Vertrag über das Verbot dieser Waffen zwischen den sowjetischen und amerikanischen Präsidenten Gorbatschow und Reagan unterzeichnet wurde. Russland könnte solche Fähigkeiten mit dem Marschflugkörper vom Typ SSC-8 erreichen und diese sogar in Kaliningrad stationieren. Polen und die baltischen Staaten wären durchaus bereit, US-Raketen zu stationieren. Europa wäre wieder zum nuklearen Schlachtfeld auserkoren. So weit wagen die europäischen Regierungen aber noch nicht zu denken.DU

Europa: hilflos

Die europäischen Regierungen unterstützen zwar verbal das Nuklearabkommen mit dem Iran (JCPOA), tragen aber wenig zu dessen Rettung bei. Die meisten größeren europäischen Unternehmen und Banken verlassen den Iran aus Angst vor den Sekundärsanktionen der USA. Trump nützt die Schwäche der Europäer aus, dass sie kaum vom Dollar unabhängigen Geschäfte machen können. Die Mitgliedstaaten der EU zeigen aber wenig Enthusiasmus, den Euro als Verrechnungswährung zu entwickeln. Auf Initiative von Mogherini soll ein Spezialmechanismus („special purpose mechanism“) geschaffen werden, der direkten Handel mit dem Iran unter Umgehung der Sanktionen der USA ermöglichen soll. Dieser Mechanismus benötigt eine rechtliche Basis in einem Mitgliedstaat. Jedes Mitglied hofft, dass dies ein anderes übernehmen würde. Keiner will sich den Zorn des amerikanischen Präsidenten zuziehen. Österreich hat dankend abgelehnt, obwohl es als neutraler Staat, in dem die letzte Phase des Abkommens verhandelt wurde, dazu bestens geeignet wäre. Technische Gründe wurden als Entschuldigung angegeben. Es gab allerdings in der Regierung und der Beamtenschaft unterschiedliche Meinungen dazu. Vielleicht trauen sich große europäische Staaten (EU-3), diese Verantwortung unter sich aufzuteilen.

Großes Schweigen gab es auf europäischer Seite, als die Finanzchefin des chinesischen Informationstechnologiekonzerns Huawei Wanzhou in Kanada verhaftet wurde. Die offizielle Begründung lautete, dass der Konzern die amerikanischen Sanktionen gegen den Iran umgangen hätte. Der Spezialmechanismus der EU soll gerade das ermöglichen. China ist wie die EU nicht Teil des US-Sanktionsregimes. Diese Verhaftung ist eine direkte Warnung, die an europäische Unternehmen gerichtet sind. Ein heftiger Protest der EU wäre erforderlich gewesen – oder hatte man klammheimliche Freude, dass es einen Technologiekonkurrenten trifft?

Mehr Ausgaben für Verteidigung oder eine Europaarmee machen Europa nicht unabhängig von den USA, Russland oder China. Es sind dies eine relativ unabhängige Finanzpolitik, eine eigenständige Nahostpolitik und ein von eigenen Werten und Interessen bestimmtes Verhältnis gegenüber den USA, Russland und China. Das Konzept der „strategische Autonomie“, wie es vom Pariser Institut für Sicherheitsstudien der EU entwickelt wurde, ist nur wirksam, wenn es auch ohne Angst implementiert wird.

(Welt im Blick, 1.1.2019)