OÖ-Rundschau: „Barack Obama ist kein Pazifist“

OÖ-Rundschau: Die Erwartungen gegenüber Barack Obama sind hoch. Kann er sie überhaupt erfüllen? Der Truppenabzug im Irak, Ankämpfen gegen die Rezession, die Überschuldung der USA, die Krankenversicherung für alle.

Gärtner: Die Erwartungen werden kurzfristig enttäuscht werden. Man muss Geduld haben. Aber Barack Obama wird auf jeden Fall die Welt verändern. Er hat in allen Fragen, die Sie angesprochen haben, gegenteilige Konzepte zu George W. Bush. Daher werden viele Erwartungen mittelfristig erfüllt werden.

Kann eine Person überhaupt so viel Macht haben?

Diese Präsidentenwahl fällt mit einer neuen Weltordnung zusammen. Die Bush-Präsidentschaft war durch eine unipolare Welt gekennzeichnet. Die USA waren die dominierende Macht. Bush hat alleine gehandelt und angenommen, dass alle anderen den USA folgen werden. Das ist nicht passiert. Das Ergebnis war, dass die Bush-Administration ein Misserfolg war. Die Welt ist jetzt nicht mehr unipolar, sondern es gibt viele Akteure. Obama hat die Chance, diese neue Weltordnung mulitlateral und partnerschaftlich zu gestalten. Wir werden künftig eher in einer nicht-polaren als in einer polaren Welt leben.

Wie wird sich das Verhältnis zwischen den USA und der EU entwickeln?

Obama hat in seiner Rede in Berlin von einem partnerschaftlichen Verhältnis gesprochen. Partnerschaft heißt mitzugestalten, mitzubestimmen, aber auch sich zu beteiligen. Das beschränkt sich nicht nur auf die kleinliche Forderung nach der Entsendung von Kampftruppen nach Afghanistan. Das sind größere Entwürfe: Die Unterstützung von globalen politischen Verhandlungen, zum Beispiel im Iran oder in Nordkorea, Beiträge zum Wiederaufbau von Nachkiegsgesellschaften und militärische Beiträge.

Für das Verhältnis zwischen USA, Russland und China hat Obama immer wieder den Begriff des „engagement“ (englisch wörtl. „einbeziehen“, Anm.) erwähnt.

Das ist das Schlüsselwort. Die Weltprobleme können nur gelöst werden, wenn Russland und China einbezogen werden. Es gibt gemeinsame Interessen bei der Weltwirtschaft, bei der Lösung von globalen Problemen und der Bekämpfung des Terrorismus. Wenn Russland und China in die Finanz- und Handelsorganisationen einbezogen werden, werden sie auch andere Kompromisse eingehen, bei der Beschränkung von CO2-Emissionen etwa.

Wie werden sich die USA in der Emissions-Frage nun positionieren?

Obama hat angekündigt, den CO2-Ausstoß bis 2050 um 80 Prozent zu reduzieren. Wenn sich die Amerikaner auf neue Technologien konzentrieren, auf alternative Energien oder auf neue Technologien in der Autoindustrie, müssen die Europäer aufpassen, dass nicht die Amerikaner die Vorreiterrolle übernehmen.

Was wird Obama als Erstes in Angriff nehmen?

Die Prioritäten sind jetzt die Finanzkrise und Dinge, die die amerikanische Bevölkerung unmittelbar betreffen. Aufgrund der Finanzkrise müssen die angekündigten Steuerreduktionen für 95 Prozent der Amerikaner wahrscheinlich aufgeschoben werden, da sie das Budget belasten.

Wie realistisch ist jetzt noch die Krankenversicherung?

Mit Umschichtungen kann einiges gemacht werden. Das ist nicht so teuer, wie man annimmt. Obama will zudem große Betriebe verpflichten, dass sie Beiträge für die Mitarbeiter zahlen. Obama wird nun Dinge angehen, die nicht kostenbelastet sind. Das Gefangenenlager Guantanamo wird eine Priorität sein. Das hat dem Image Amerikas sehr geschadet. Aber das wird einige Zeit dauern. Innenpolitisch muss er die rechtsstaatlichen Verhältnisse wieder herstellen. Die Übertreibungen der Bush-Administration mit den Überwachungsprogrammen, mit der Interpretation von Folter, das muss überprüft werden. Und der Abzug der Kampftruppen aus dem Irak wird etwas länger dauern, als die zuvor angekündigten 16 Monate.

Obama hat angekündigt, den Krieg gegen den Terrorismus zu beenden. Er sagt, er will weiter gegen die El Kaida kämpfen, aber die derzeitigen rechtsstaatlichen Mittel dafür würden ausreichen. Ist das realistisch?

Diesen „Krieg gegen den Terror“ von George W. Bush wird er natürlich nicht so fortführen. Es ist eigentlich
nicht ein Krieg. Obama wird sich jetzt auf das Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan konzentrieren, wo der Sitz der El Kaida ist. Dort wird es weiterhin kriegsähnliche Zustände geben. Der Rest ist mit rechtsstaatlichen und nachrichtendienstlichen Mitteln zu bekämpfen. Das kommt auch dem sehr nahe, was die Europäische Union forciert. Alle militärischen Interventionen werden mit Wiederaufbau und dem Versuch eines Aufbaus von funktionierenden politischen Strukturen einhergehen. Aber Obama ist kein Pazifist.

Man gewinnt oft den Eindruck, er sei einer.

Das ist er überhaupt nicht. Die militärischen Optionen sind bei ihm immer im Hintergrund da. Er will auch das Militär aufstocken. Er spricht vom stärksten Militär der Welt. Nur sagt er, im Gegensatz zu Bush, dass man das Militär weise einsetzen soll. Er hat die militärische Option auch im Fall des Irans nicht ausgeschlossen. Obwohl bei ihm natürlich die Verhandlungen im Vordergrund stehen, würde er nicht zögern, das Militär einzusetzen. Aber Obama sagt, die Amerikaner müssen mit der Macht des Beispiels regieren und nicht mit dem Beispiel der Macht.

Kann man die politische Lage in dem Sinn interpretieren, dass es zwei Blöcke gibt, einerseits der Westen und andererseits der Islam?

Das hat Samuel Huntington in seinem Buch „Der Kampf der Kulturen“ unglücklicherweise so formuliert. Aber das trifft nicht zu. Man braucht nur in den Kosovo zu schauen, wo der Westen auf Seiten der Moslems gekämpft hat. Ich sehe diese Front nicht. Die El Kaida ist nicht der Islam und die USA sind nicht anti-islamisch.

Welche Kompromisse wird Obama eingehen, um die Republikaner zu gewinnen?

Der Neokonservatismus ist abgewählt worden. Obama wird Kompromisse mit dem realistischen Flügel der Republikaner eingehen, um Stabilität in Konfliktregionen herzustellen. Die Kompromisse werden sich vor allem auf die Zeit beziehen: Guantanamo und der Abzug aus dem Irak werden länger dauern, wie schon angedeutet. Die Gespräche mit dem Iran können sehr schwierig verlaufen. Schwierig wird auch die Rüstungskontrolle und die nukleare Abrüstung. Es könnte von den Republikanern heißen: „Unsere Abwehr ist gefährdet!“ oder „Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Iran!“ Diese Schlagzeilen kann man quasi schon lesen. Aber alleine, dass das Rüstungs- Kontrollabkommen auf der Tagesordnung steht, ist ein Fortschritt. In diesen Fragen ist eine neue Dynamik. Manche sagen: Obama wird jetzt eh in der realen Welt ankommen, was er gesagt hat, war illusionär. Aber gerade das ist der Versuch ihn einzuhegen. Es wäre traurig für Amerika, für die Welt und die Demokratie, wenn sich durch diese Wahl nicht etwas ändern kann.

Das würde die Demokratie in Frage stellen.

Genau. Thomas Paine (Gründervater der USA, Anm.) hat gesagt, die Demokratie ist dazu da, eine Kursänderung herbeizuführen. Diese Chance haben wir jetzt. Das heißt aber nicht, dass das, was kommt, richtig sein muss.

Barack Obama wird oft mit John F. Kennedy verglichen.

Kennedy war wie Obama jung, charismatisch und ein guter Redner. Kennedy kam von einer Minderheit. Man
hat gesagt, ein Katholik kann nie Präsident werden. Jetzt ist es ein Afroamerikaner. Kennedy hat viele Fehler gemacht. Aber sein Verhalten in der Kubakrise war sehr rational. Genauso war auch Obamas in der Finanzkrise. Wenn man Obama mit einem Österreicher vergleicht, kann man Bruno Kreisky heranziehen. Er war als Jude auch von einer Minderheit und konnte durch seine Persönlichkeit diese Schranke überschreiten.

Was bedeutet ein Präsident Obama für die Rassenfrage?
Obama hat das nie betont. Aber weil er gewählt wurde, sind die Afroamerikaner zu echten Amerikanern geworden. Man ist vom Sklavenbegriff „Neger“ zu „Schwarzen“ und „Afroamerikanern“ übergegangen. Jetzt kann man den Begriff „Afro“ weglassen. Sie sind normale Amerikaner, weil auch ein Afroamerikaner Präsident werden kann. Das ist ein Quantensprung.

Artikel als PDF

Schreibe einen Kommentar