Die Meinungsforscher lagen diesmal richtig: Barack Obama hat wie prognostiziert einen klaren Wahlsieg errungen – Weiße votierten zwar mehrheitlich für John McCain – Vom „Bradley-Effekt“ fehlte aber jede Spur.
Es mag eine späte Genugtuung für Tom Bradley sein. Der vor den Wahlen viel beschworene „Bradley-Effekt“ dürfte anders als vorausgesagt verpufft sein. Obama teilte nicht das Schicksal des Afroamerikaners Bradley, der 1982 bei den Gouverneurswahlen in Kalifornien in allen Umfragen voran lag um dann schließlich am Wahltag doch zu verlieren. Im Gegenteil: Obama war in vielen Bundesstaaten sogar stärker als von den Umfragen prognostiziert.
Die Webseite realclearpolitics.com, deren Umfrageergebnisse auch der Standard vor der Wahl veröffentlichte, mag hier besonders gut als Referenz dienen: Die Webseite errechnete nämlich die Mittelwerte aller veröffentlichten Umfragen.
Während in Florida die letzte vor der Wahl veröffentlichte Umfrage und das Ergebnis noch nahezu identisch sind (die letzten Daten wiesen Obama einen Vorsprung von 1,7 Prozent aus, bei der Wahl wurden es tatsächlich rund zwei), war Obama in den von ihm eroberten Bundesstaaten Colorado, New Mexico und Virginia weit stärker als von realclearpolitics.com prognostiziert.
In New Mexico etwa lag Obama laut Umfragen vom vergangenen Wochenende „nur“ bei knapp über 50 Prozent. Bei der Wahl am Dienstag errang er nun 57 Prozent der Stimmen. Auch in Obamas Heimatstaat Illinois und in Kalifornien schnitt der Demokrat besser ab als prognostiziert.
„Obama ist tatsächlich in die weißen Wählerschichten eingebrochen“ , sagt der Wiener Politikwissenschafter und USA-Experte am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) Heinz Gärtner im Standard-Gespräch.
Die Mehrheit der weißen Männer und Frauen votierte zwar für John McCain. Aber Obama hat bei der weißen Bevölkerung weit besser abgeschnitten als seine demokratischen Vorgänger John Kerry (2004) und Al Gore (2000) beispielsweise.
Nach einer Nachwahlbefragung für die New York Times legte Obama unter weißen Wählern landesweit um zwei Prozentpunkte zu und erreichte in dieser Bevölkerungsgruppe 43 Prozent. Noch stärker war sein Zuwachs mit rund sieben Prozent freilich bei afroamerikanischen Wählern.
„Rassismus wird bei Wahlen natürlich weiterhin eine Rolle spielen“ , sagt Politikwissenschafter Gärtner. „Aber von einem Masseneffekt, der einem schwarzen Kandidaten die Wahl kosten könnte, kann nun keine Rede mehr sein.“
Tatsächlich wurde bereits vor den Wahlen von zahlreichen Politikwissenschaftern angezweifelt, ob es den Bradley-Effekt gibt.
Allerdings wendeten Politikwissenschafter und Meinungsforscher bereits vor der Wahl ein, dass sich die Umfragetechniken seit 1982 massiv verfeinert und verbessert hätten. Zudem bezweifelten zahlreiche Experten, dass Wähler bei Befragungen massenhaft grundlos die Unwahrheit sagen.
Gärtner verweist zudem darauf, dass 1982 zeitgleich mit den Gouverneurswahlen in Kalifornien über ein verschärftes Waffenkontrollgesetze abgestimmt wurde. „Viele Menschen haben die beiden Abstimmungen verknüpft, dass dürfte Bradley geschadet haben“ , sagt Gärtner.
Zudem geht eine Studie der Universität Harvard inzwischen sogar von einem „umgekehrten“ Bradley-Effekt aus: Bei Wahlen erzielen afroamerikanische Kandidaten seit 1996 durchschnittlich um drei Prozentpunkte bessere Ergebnisse als in Umfragen vorausgesagt. (András Szigetvari/DER STANDARD, Printausgabe, 6.11.2008)