Die Welt stellt hohe Erwartungen an den Nachfolger des unpopulären US-Präsidenten George W. Bush. Bei Umfragen außerhalb der USA erreichte Barack Obama Rekordwerte. Heinz Gärtner erläutert im Gespräch mit Berthold Eder, ob der Wahlsieger diesen Ansprüchen gerecht werden kann und schildert das außenpolitische Konzept des 44. US-Präsidenten.
derStandard.at: Europa hätte Obama gewählt. Kann er die hohen Erwartungen, die in ihn gesetzt werden, erfüllen?
Heinz Gärtner: Mit Enttäuschungen ist natürlich zu rechnen, im Falle eines Wahlsiegs John McCains wären diese aber noch viel größer ausgefallen. Ich erwarte eine dramatische Verbesserung des Amerikabildes der Europäer. Der sogenannte Antiamerikanismus wurde ja großteils aus der Außenpolitik Bushs gespeist. Zwischen den Anschlägen des 11. September 2001 und dem Beginn des Irak-Krieges im Jahr 2003 erfreuten sich die USA in Europa bester Umfragewerte.
derStandard.at: Obama-Kritiker fürchten eine Rückkehr des Protektionismus in den USA, was die Wirtschaftsbeziehungen zu Europa gefährden würde. Erwarten Sie, dass der neue Präsident seine Wahlkampfversprechen einlöst und sich vorrangig um die US-Wirtschaft kümmen wird?
Gärtner: Nicht einmal das zu Bush-Zeiten stark getrübte Verhältnis Europa-USA hat die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen beeinträchtigt. Obama hat angekündigt, das Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko neu verhandeln zu wollen.
Dabei geht es ihm aber vor allem um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Ich erwarte allerdings, dass neue Präsident etwas gegen die Billigimporte aus China unternehmen wird, indem er Peking zu einer Aufwertung des Yuan bewegt.
derStandard.at: Diese Aufwertung der chinesischen Währung haben auch schon andere Politiker zu erreichen versucht. Warum sollte Obama dies schaffen?
Gärtner: Im Gegensatz zur Bush oder McCain will Obama China nicht isolieren, sondern das Land an den großen Entscheidungen in Bezug auf Klimaschutz oder die Weltwirtschaft beteiligen. Einerseits haben die USA hohe Schulden in China, andererseits ist Peking definitiv an einer Fortsetzung der Exporte interessiert. Obama spricht in diesem Zusammenhang von „mutual self interest“. Auch wenn beide Seiten nur ihre jeweiligen Interessen vertreten, können Fotschritte erzielt werde.
derStandard.at: Obama will Europa zu mehr militärischem Engagement in Afghanistan bewegen. Ist dies durchsetzbar?
Gärtner: Bisher wurden die Europäer immer aufgefordert, mehr Kampftruppen bereitzustellen. Es gäbe aber viele andere Möglichkeiten einer Beteiligung: die NATO-Mitglieder könnten sich verstärkt im Wiederaufbau engagieren oder einen größeren finanziellen Beitrag leisten.
derStandard.at: George W. Bush hat sich geweigert, mit Staaten wie Venezuela oder dem Iran in direkte Verhandlungen zu treten. Was bedeutet Obamas erklärte Absicht, sich mit Regierungsvertretern dieser Länder zu treffen, für die NATO?
Gärtner: Dieser Verhandlungsansatz ist eine alte Forderung der Europäer. Frankreich, Deutschland und Großbritannien versuchen seit langem, die Iraner zum Einlenken in der Atomfrage zu bewegen, allerdings kam aus den USA bisher wenig Unterstützung dafür. Treffen auf höchster Ebene könnten den Iranern das Gefühl vermitteln, dass sie ernstgenommen werden und zu einem Neubeginn der Verhandlungen führen.
derStandard.at: Rechnen Sie damit, dass der neue Präsident den Bau des umstrittenen Raketenschutzschilds in Europa fortsetzt?
Gärtner: Im Gegensatz zur Bush-Doktrin, das System nach dem Vorbild der Reaganschen „Star Wars“ aufzubauen, obwohl die Technologie noch keineswegs verlässlich funktioniert. Obama will dies umdrehen: erst wenn funktionierende Abwehrsysteme zur Verfügung stehen, sollen Standorte dafür gesucht werden. Ich erwarte, dass vorerst bewährte Produkte wie die Patriot-Abwehrraketen oder das seegestützte Aegis-System, die sich hauptsächlich zum Schutz der eigenen Truppen eignen, zum Einsatz kommen. Die Entwicklung des globalen Raketenschutzschilds wird aber weitergehen.
derStandard.at: Außer Liberia fand sich bisher kein Land, das das US-Zentralkommando für Afrika beherbergen wollte. Das Hauptquartier wurde schließlich in Deutschland stationiert (derStandard.at berichtete). Wie werden sich die US-afrikanischen Beziehungen unter dem neuen Präsidenten entwickeln?
Gärtner: Obama hat in diesen Ländern ein ausgezeichnetes Image. Das Afrika-Kommando soll sich ja auch um nichtmilitärische Angelegenheiten wie Unterstützung beim Wiederaufbau kümmern, und ich traue dem neuen Präsidenten durchaus zu, dass er den afrikanischen Regierungen diese „soft power“ besser als sein Vorgänger George W. Bush vermitteln kann, der ja hauptsächlich auf „hard power“ setzte. Allerdings waren Bushs Anstrengungen bei der Entwicklungshilfe und im Kampf gegen AIDS noch einer der positivsten Aspekte seiner Außenpolitik. (derStandard.at, 5.11.2008)