Reader
zur Lehrveranstaltung
"Familienpsychologie II"
(604 585, anrechenbar als iD 2305)
Sommersemester 1998
(Blocklehrveranstaltung vom 23. – 25. April 1998)

Lehrveranstaltungsleiter und Herausgeber
Univ.-Ass. Mag. Dr. Harald WERNECK
Abteilung für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie des Instituts für Psychologie der Universität Wien
Wien, Juli 1998


vergleiche auch: "Psychologie der Familie. Theorien, Konzepte, Anwendungen", herausgegeben von Harald Werneck und Sonja Werneck-Rohrer, 2000, Wien: WUV|Universitätsverlag.
 

Vorwort
 

Der vorliegende Reader beinhaltet die gesammelten schriftlichen Berichte, die von Studentinnen im Rahmen der Lehrveranstaltung "Familienpsychologie II" (am Institut für Psychologie der Universität Wien) verfaßt wurden.

Inhaltlichen Schwerpunkt des vorliegenden (zweiten) Bandes stellt der Themenkomplex "Elternschaft" dar.

Die zunehmend deutlicher werdende Relevanz der Familienpsychologie im Rahmen des psychologischen Fächerkanons (vgl. dazu auch das Vorwort zum ersten Band "Familienpsychologie I") manifestiert sich z. B. auch in der Ende Oktober / Anfang November dieses Jahres stattfindenden, "hochkarätig" besetzten "1. Münchner Tagung für Familienpsychologie".

Ausgehend von dieser immer klarer erkennbaren Bedeutung der psychologischen Subdisziplin Familienpsychologie, gleichermaßen aus forschungstheoretischer wie auch aus gesellschaftspolitischer Sicht, soll dieser Reader bzw. die ihm zugrundeliegende Lehrveranstaltung v. a. zur weiteren Differenzierung und Diskussion familienpsychologischer Anliegen dienen.

Die einzelnen Berichte bzw. Kapitel wurden – wie schon im ersten Band "Familienpsychologie I" – relativ unverändert (von den jeweiligen Diskettenversionen) übernommen, abgesehen von Veränderungen im Layout bzw. geringfügigen Korrekturen (v. a. betreffend die Rechtschreibung).

Auf eine inhaltliche Überarbeitung bzw. eine komplette Vereinheitlichung des Layouts oder auch der Literaturverzeichnisse mußte aus Zeitgründen verzichtet werden.

Die inhaltliche Verantwortung bleibt dementsprechend bei den einzelnen Autorinnen.

Dieser Reader soll einerseits als Service für die Teilnehmenden an der ihm zugrundeliegenden Lehrveranstaltung dienen, aber auch als Basisinformation bzw. Anregung für (aus verschiedenen Gründen) am Thema Interessierte.

Wien, Juli 1998 / Univ.-Ass. Mag. Dr. Harald Werneck




INHALTSVERZEICHNIS

1) Schwangerschaft und Geburtserleben aus Perspektive der Mütter (Brigitta Wiesmüller)
2) Rolle der Väter während Schwangerschaft und Geburt (Astrid Sander)
3) Das Kindkonzept werdender Mütter (Melanie Peham)
4) Geburtsvorbereitung (Barbara Klaus)
5) Postpartale Stimmungsstörungen der Mutter (Barbara Reithofer)
6) Identitätsveränderungen im Zuge des Übergangs zur Elternschaft (Sophie Chabert)
7) Elternschaft und Partnerschaftsqualität (Doris Wölbitsch)
8) Mütterliche Belastungsverarbeitung (Alexandra Wiener)
9) Belastungsaspekte und Gratifikationen beim Übergang zur Vaterschaft (Petra Stögerer)
10) Wiedereinstieg von Frauen in das Berufsleben (Anita Wisberger)
11) Kulturelle Determinanten des Elternschaftserlebens (Karin Mayer)
12) Jugendliche werden Mütter (Corinna Klein)
13) Tod des Kindes (Barbara Izay)
14) Tierexperimentelle Untersuchungen zur Elternschaft (Martina Gustavik)
15) Väterforschung (Petra Steindl)
16) Entwicklung der Vater-Kind-Beziehung (Sabine Nimmervoll)
17) Bedeutung des Vaters für die kindliche Entwicklung (Barbara Martl)
18) Väter in unterschiedlichen Familienstrukturen / Neue Väter? (Carina Kreuzinger / Tanja Kremser)
19) Düsseldorfer Längsschnittstudie "Paare werden Eltern" (Irene Hanke)
 





Inhaltsverzeichnis

 1) Schwangerschaft und Geburtserleben aus Perspektive der Mütter (Brigitta Wiesmüller)

1. Einleitung

In den 70er Jahren war die Geburtshilfe durch eine Überbetonung medizinisch-technischer Maßnahmen geprägt. Es wurde von der sogenannte "programmierten Geburt" gesprochen. Seit über 10 Jahren steht jedoch die Wahrung des natürlichen Geburtsverlaufes im Vordergrund des Interesses, natürlich nur soweit es ohne Gesundheitsrisiken für Mutter und Kind vertretbar ist. Begriffe wie "natürliche Geburt" und "ungestörtes Geburtserleben" deuten auf diese positive Entwicklung hin. Wünsche wie die Anwesenheit des Partners bei der Entbindung, Rooming-in, Stillwunsch, ambulante Geburten, Verzicht auf jegliche Art von Medikamenten, usw. sind schon beinahe alltäglich. Trotz aller Natürlichkeit machen werdende Mütter wie Väter während der Zeit der Schwangerschaft – und natürlich auch danach – eine Vielzahl von Veränderungen und Verunsicherungen durch. Im folgenden soll nun auf die unterschiedlichen Phasen im Verlauf des Schwangerschaftserleben eingegangen werden.

2. Verarbeitungsphasen vom Beginn der Schwangerschaft bis zur Geburt

Aufgrund detaillierter Beschreibungen und der Auswertung der bisherigen empirischen Forschungsergebnisse, kann eine prozeßhafte Unterteilung des Schwangerschaftserleben erfolgen. An dieser Stelle sollen die verschiedenen Phasen charakterisiert werden.

2.1 Die Verunsicherungsphase

Diese erste Phase reicht ungefähr bis zur 12. Schwangerschaftswoche. Die psychische Auseinandersetzung mit einer vorliegenden Schwangerschaft beginnt nicht mit dem Zeitpunkt der Befruchtung, sondern erst dann, wenn erste Erwartungen oder Befürchtungen über eine mögliche Schwangerschaft auftreten, spätestens aber dann, wenn eine positive Schwangerschaftsdiagnose durch den Arzt feststeht. Die Verunsicherung in den ersten Schwangerschaftswochen besteht einerseits darin, daß die Frauen eine Vielzahl von Vorstellungen, Wünschen und Erwartungen entwickeln. Sie müssen einen neuen Planungshorizont ergründen, außerdem stellen sich Veränderungen im Selbstkonzept als Frau ein, weitere Fragen beziehen sich häufig auf die zukünftigen Veränderungen im Alltagsleben, auf die Partnerschaft, auf den Beruf bzw. die Ausbildung usw. Oft kommt es beim Vorliegen einer Schwangerschaft zu plötzlichen sehr intensiven Umbrüchen in mehreren Handlungsbereichen. Selbst bei geplanten Schwangerschaften ist ein derartiger Umbruch zu beobachten, wenn er auch nicht so plötzlich und weniger intensiv auftritt. Auf der anderen Seite kann die Verunsicherung aufgrund der unmittelbaren körperlichen Signale der Schwangerschaft erfolgen. Für die psychische Verarbeitung einer Schwangerschaft sind nicht unbedingt die hormonellen und anatomischen Veränderungen, sondern vielmehr die daraus resultierenden körperlichen Empfindungen und Beschwerden relevant. Zu Beginn der Schwangerschaft berichten viele Frauen von Müdigkeit, morgendlicher Übelkeit, Erbrechen, Brustspannen, Geruchs- und Geschmacksempfindlichkeiten, Schwindelgefühlen, sowie vielen anderen somatischen Beschwerden. Auch die körperlichen Veränderungen werden in dieser Phase selten als positiv angesehen. Stimmungsschwankungen und emotionale Labilität sind am Anfang einer Schwangerschaft am höchsten. Oft treten Zweifel über die Erwünschtheit der Schwangerschaft zum jetzigen Zeitpunkt auf, sogar bei geplanten Schwangerschaften. Es wird häufig von einem sogenannten "Schwangeschaftskonflikt" gesprochen, der besonders stark bei Frauen auftritt, die überraschend schwanger werden und bis zum gegebenen Zeitpunkt keinen oder nur einen geringen Kinderwunsch gehegt haben. Es ist außerdem zu erwarten, daß in dieser Zeit Zweifel der Schwangeren an der Kompetenz als Mutter auftreten.

2.2 Die Anpassungsphase

Diese Phase wird von der 12. bis zur 20. Schwangerschaftswoche angesetzt. Die ersten eher krisenhaften Wochen werden abgelöst durch eine ruhigere Zeit der aktiven kognitiven und emotionalen Anpassung. Ausschlaggebend dafür ist, daß die Frau bzw. die Partner die Informationen über die neue Situation inzwischen von verschiedenen Seiten her durchdacht und diskutiert haben. Obwohl negative Bewertungen nach wie vor auftreten können, hat eine emotionale Akzeptanz der Situation stattgefunden. Die körperlichen Veränderungen, das Nachlassen der anfänglichen Beschwerden tragen entscheidend dazu bei, daß das allgemeine Wohlbefinden zu steigen beginnt. Die Beschwerdenerleichterung kann auf ein neu gewonnenes hormonelles Gleichgewicht zurückgeführt werden. Die Mitteilung der Schwangerschaft an die weitere Umwelt ist ein entscheidender Schritt der Anpassung. Im Rahmen der ärztlichen Routineuntersuchungen verstärken pränatale diagnostische Untersuchungen die psychische Anpassung der werdenden Eltern. Ab der 10. bis 12. Woche können die Herztöne des Kindes abgehört werden. Besondere Bedeutung kommt der ersten Ultraschalluntersuchung zu.

2.3 Die Konkretisierungsphase

Diese Phase reicht zirka von der 20. bis zur 32. Schwangerschaftswoche. Um die 20. Schwangerschaftswoche tritt in der Regel ein weiterer Schritt der Verarbeitung des Elternwerdens ein. Ab diesem Zeitpunkt können nun regelmäßig die Bewegungen des Kindes im Bauch gespürt werden. Die wichtigste psychologische Bedeutung regelmäßiger Kindeswahrnehmungen besteht darin, daß die Frau sie als sicheren Beweis für das Leben des Kindes in ihrem Bauch interpretiert (König & Otmichi, 1983; Shereshefsky & Yarrow, 1973, zitiert nach Brähler & Unger, 1996). Als vorherrschende Gefühle bei Kindesbewegungen werden Freude, Stolz und Erfülltheit berichtet. Das vorher nur indirekt bemerkte Kind wird nun konkret. Auch die ständigen körperlichen Veränderungen machen die Schwangerschaft nun konkret. Die Frau kann das Wachsen des Uterus selbst tasten, Brust- und Bauchumfang nehmen zu. In diesem Schwangeschaftszeitraum liegt das niedrigste Niveau von Ängsten vor. Die psychosomatischen Beschwerden sinken, das psychische Wohlbefinden erreicht das höchste Niveau. In dieser Phase beginnt die Mutter mit dem Aufbau einer Vorstellung über sich selbst als Mutter. Die Umwelt nimmt nun die Frau als Schwangere wahr. Verhaltensweisen des Umfelds machen die Frau (und den Partner) darauf aufmerksam, daß sie "in anderen Umständen" sind. Diese Rückmeldungen bestätigen das Selbstkonzept "wirklich schwanger" zu sein. Die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen, die Teilnahme an einer Schwangerschaftsgymnastik und die Kommunikation mit Freunden und Familienmitgliedern verdeutlichen dem Paar bereits den Zeitpunkt der Geburt.

2.4 Die Vorbereitungsphase

Diese Phase wird um die 32. bis 40. Schwangerschaftswoche angesetzt. In dieser Phase erreichen die körperlichen Veränderungen der Frau ihren Höhepunkt. Das Körperbild weicht maximal von dem gewohnten Bild ab. Der Bauchumfang erreicht sein Maximum, der Nabel tritt hervor, der Gang verändert sich und die körperliche Beweglichkeit ist eingeschränkt. Verschiedene Beschwerden wie Kreislaufstörungen, Verdauungsbeschwerden, Schlaflosigkeit und die intensive Beschäftigung mit dem Gewicht steigen an. Diese Veränderungen werden von den Frauen eher als negativ bezeichnet und haben zur Folge, daß es zu emotionalen Labilisierungen kommen kann. Außerdem sind alle Alltagstätigkeiten durch das bevorstehende Ereignis der Geburt geprägt. Spätestens jetzt sammelt das Paar Informationen über verschiedene Geburtsmethoden, und es fällt die Entscheidung über den Ort der Entbindung. Als vorherrschende Ängste wurden folgende berichtet: Angst vor einem behinderten oder toten Kind, Angst vor der Geburt, den Schmerzen, Angst vor Komplikationen und Angst vor ärztlichen Maßnahmen. Mit diesen Ängsten nehmen auch Symptome wie Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen und Gefühle von Hilflosigkeit zu. Die Phantasien über das Kind, das Aussehen, das Geschlecht und andere Merkmale sind in dieser Zeit besonders ausgeprägt. Die Vorbereitungen auf das Kind umfassen Tätigkeiten wie Einrichten des Kinderzimmers, eines Bettchens und Kaufen von Kleidung für das Baby.

2.5 Die Geburtsphase

Die Zeitangaben des Geburtsprozesses reichen vom Beginn der Eröffnungsphase, den ersten Wehen über die Austreibungs- bis zur Nachgeburtsphase. Bei diesem Prozeß zeigen sich deutliche interindividuelle Variationen. Die Eröffnungsphase dauert durchschnittlich neun Stunden, die Austreibungsphase drei Stunden. Das Geburtserleben ist größtenteils durch die Geburtssituation bestimmt. Das Erleben einer Geburt im Kreißsaal, einer Kaiserschnittgeburt, einer ambulanten Geburt oder einer Hausgeburt wird sehr unterschiedlich beschrieben. Heute ist die Geburtshilfe weniger an der Geburtsmechanik interessiert, sondern an der Prävention und Überwachung des natürlichen Geburtsverlaufes und an der Verbesserung des psychologischen Erlebens der Geburt. Während der Geburt muß sich die Frau der Autonomie dieses Naturvorganges überlassen, d. h. sie muß ihn in gewisser Weise passiv und unter großen Schmerzen akzeptieren. Andererseits wird von ihr eine aktive Haltung gefordert, in dem Sinn, diesen Prozeß zu verstehen, um unter größtem Einsatz und schwerer Arbeit das Kind zu gebären. Die emotionale Befindlichkeit wird durch starkes Schmerzempfinden, starke existenzielle Angst, Hilflosigkeit, Verlust an Selbstkontrolle und auch Todesangst bei gleichzeitiger extremer körperlicher und psychischer Anstrengung gekennzeichnet. Die Anwendung verschiedener Atemtechniken, Entspannungsmethoden ebenso wie die Anwesenheit des Partners können als Versuche gesehen werden, etwas Kontrolle zu gewinnen. Bei einer Kaiserschnittgeburt wird der Frau ihre aktive Rolle beim Gebären genommen. Besonders bei unerwarteten Kaiserschnitten können Gefühle des körperlichen Versagens entstehen. Der Höhepunkt der Geburt ist die erste Begegnung mit dem Kind direkt nach der Entbindung. Das Kind wird vorsichtig mit den Fingerspitzen berührt, die Eltern blicken in die Augen des Kindes, lächeln es an und sprechen zu ihm. Häufig fallen in den ersten Minuten Bemerkungen über das Aussehen, das Geschlecht oder Familienähnlichkeiten des Kindes (McFarlane, 1978, zitiert nach Brähler & Unger, 1996). Die unmittelbare Zeit nach der Geburt zeichnet sich oft durch einen Zustand emotionaler Labilität aus, mit häufigem Weinen, Angstzuständen und depressiven Stimmungen. Trotzdem erfährt der Großteil der Frauen intensive positive Gefühle für das Baby.

3. Verarbeitungsphasen nach der Geburt

3.1 Die Erschöpfungs- und Überwältigungsphase

Diese Phase wird zirka von der vierten bis zur achten Woche nach der Geburt angesetzt. Nach der Geburt beginnt eine neue Folge von Schritten der emotionalen und kognitiven Verarbeitung, die denjenigen direkt nach Feststellung der Schwangerschaft ähnelt. Diese Phase ist durch starke körperliche und emotionale Veränderungen gekennzeichnet. Die Anwesenheit des Kindes und die totale Einstellung auf die Bedürfnisse des Kindes stellen eine völlig neue ungewohnte Stituation für die Eltern dar, die sie sowohl psychisch als auch physisch überwältigt. Die ersten Wochen nach der Geburt verlangen – ähnlich wie in der Phase der Verunsicherung – eine kognitiv-emotionale Neuorientierung. Schon in den ersten Tagen bestehen hohe Anforderungen an die Verarbeitung neuer Informationen. Die Frau befindet sich körperlich, psychisch und sozial in einer völlig veränderten Situation. Sie erfährt wieder eine grundlegende anatomische, physiologische und hormonelle Umstellung ihres Körpers. Ihr Körperbild gleicht sich in der Regel demjenigen vor der Schwangerschaft wieder an. Die physiologische Erschöpfung von der Geburt, die hormonelle Umstellung nach Ausstoßen der Plazenta, die Rückbildung des Uterus und die Veränderungen der Brust im Hinblick auf das Stillen stellen eine hohe körperliche und psychische Beanspruchung dar, die häufig nicht ohne emotionale Verunsicherungen verarbeitet wird. Die Einübung des Stillens erfordert völlig neue körperliche und psychische Energien. Die Frau muß Informationen über die Bedürfnisse ihres Babys sammeln und gleichzeitig die eigenen Körpersignale (z. B. die Brustempfindung) bewerten. Durch den sogenannten "Erst-Kind-Schock" kommt es zu einem rapiden Abfall der ehelichen Zufriedenheit, zu Ängstlichkeit, ambivalenten Gefühlen, Unsicherheit gegenüber dem Kind und der eigenen mütterlichen Tätigkeit bei gleichzeitigen Glücksgefühlen über das Baby. In dieser Phase ist die Frau noch damit beschäftigt, ihre Vorstellungen von sich als Schwangere abzubauen und die Nachwirkungen der Geburt zu verarbeiten. Allerdings bietet das Kind für die Mutter mit seine konkreten Bedürfnissen, besonders beim Stillen und Pflegen intensive Anregungen für ein neues Bild von sich selbst.

3.2 Die Herausforderungs- und Umstellungsphase

Diese Phase reicht ungefähr vom zweiten bis zum sechsten Monat nach der Geburt. Mit zunehmender körperlicher und psychischer Erholung tritt eine neue Phase ein. Nach dem Ausklingen der Neugeborenenzeit stellt das Baby nun Anforderungen an die Eltern, die zur Herausbildung von regelmäßigen Pflege- und Versorgungsgewohnheiten führen. Nach Forschungsergebnissen auf der Basis der Bindungstheorie treten in dieser Zeit erste Vorläufer einer spezifischen Bindung des Kindes an die Bezugsperson auf. Das Kind ist inzwischen vertrautes Mitglied der Familie geworden. Durch die ständig fortschreitende Entwicklung sorgt es zwar immer wieder für Überraschungen und somit für Verunsicherung, aber die Eltern haben schon deutliche Vorstellungen von den spezifischen Merkmalen und Bedürfnissen ihres Kindes herausgearbeitet. Die Entwicklung der elterlichen Feinfühligkeit setzt einen hohen Grad an Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung voraus, da die Eltern Signale ihres Kindes registrieren und als Bedürfnisse interpretieren müssen. Nach den ersten Wochen der emotionalen Überwältigung setzt nach Kennenlernen der Alltagsroutine mit einem Säugling ein Ernüchterungsprozeß ein. Nun beginnen die Eltern erste Kompetenzüberzeugungen und Selbstvertrauen als Vater und Mutter auszubilden. Wenn die körperlichen Nachwirkungen der Geburt abgeklungen sind, gewinnt die Frau wieder Kontrolle über ihren Körper, da sie weniger von autonomen biologischen Prozessen beeinflußt wird, wie das während der Schwangerschaft der Fall war. Außerdem kommt es meist zur Wiederaufnahme sexueller Kontakte.

3.3 Die Gewöhnungsphase

Die Phase der Gewöhnung reicht zirka vom sechsten bis zum zwölften Monat nach der Geburt. Ungefähr ab dem sechsten Lebensmonat des Kindes kann ein neuer Zustand der Eltern postuliert werden. Die erhöhte psychische Belastung in den ersten Monaten nach der Geburt weicht nun einer relativen Entspanntheit, Vertrautheit, stärkeren Sicherheit und Gewöhnung. In der folgenden Zeit stellt sich eine erste Routine und Regelmäßigkeit bei der Ausübung der Elternschaft ein. Die Gewöhnungsphase besteht weniger darin, neue Erfahrungen zu verarbeiten, sondern verstärkt darin, prinzipiell schon vorhandene Informationen zu verfestigen. Die emotionalen Aspekte einer Gewöhnungsphase bestehen in einem Nachlassen der Anspannung, Nervosität, geringerem Streßempfinden, größerer Sicherheit und einem Vertrauen in die Bewältigung der aktuellen, nun abschätzbaren Situation.

4. Zusammenfassung

Es wurden insgesamt acht idealtypische Schritte des Übergangs zur Elternschaft dargestellt. Sie erstrecken sich über eine Zeitspanne vom Anfang der Schwangerschaft bis zum Ende des ersten Lebensjahres des Kindes. Die Schritte wurden im einzelnen als Verunsicherungsphase (bis zur 12. Schwangerschaftswoche), Anpassungsphase (12. bis 20. Schwangerschaftswoche), Konkretisierungsphase (20. bis 32. Schwangerschaftswoche), Vorbereitungsphase (32. bis 40. Schwangerschaftswoche), Geburtsphase, Überwältigungs- und Erschöpfungsphase (4 bis 8 Wochen nach der Geburt), Herausforderungs- und Umstellungsphase (2. bis 6. Monat nach der Geburt) und Gewöhnungsphase (6. bis 12. Monat nach der Geburt) bezeichnet. Jeder Schritt ist gekennzeichnet durch einen bestimmten kognitiv-emotionalen Zustand der werdenden bzw. neuen Mutter bzw. Eltern. Der Verlauf der kognitiv-emotionalen Zustände läßt sich in zwei ähnliche Zyklen der psychischen Verarbeitung zusammenfassen, von denen der erste während der Schwangerschaft und der zweite nach der Geburt durchlaufen wird. Die Verarbeitung beginnt jeweils mit der Aufnahme zahlreicher neuer, für die jeweilige Phase relevanter Informationen, begleitet von Gefühlen der Verunsicherung, Angst, Erleben von relativ geringer Kontrolle und einem instabilen Selbstbild. Danach folgen Schritte der Verarbeitung, in denen bereits vertraute Informationen gefestigt werden, wobei Gefühle des emotionalen Wohlbefindens, ein stabiles Selbstbild als werdende bzw. neue Mutter bzw. Eltern, größeres Vertrauen in die eigenen Kompetenzen und die Überzeugung, die Situation selbst beeinflussen zu können, auftreten.

5. Persönliche Stellungnahme

Ich bin der Meinung, daß es wichtig ist und hilfreich sein kann, diese unterschiedlichen Phasen, die während einer Schwangerschaft auftreten (können), zu kennen. Ich versehe das Wort "können" bewußt mit Klammern, da ich aus eigenen Beobachtungen und Gesprächen mit werdenden Müttern bzw. Eltern aus meinem Familien- und Bekanntenkreis zu dem Schluß gekommen bin, daß jede Schwangerschaft so individuell ist, wie die Menschheit selbst. Das soll aber auf keinen Fall heißen, daß ich die beschriebenen Phasen für überflüssig oder gar falsch halte. Es ist natürlich erwiesen, daß es zu derartigen Symptomen kommen kann und sicherlich auch häufig kommt, jedoch sollten keine Verallgemeinerungen getroffen werden. Ich finde es gut zu wissen, was auf eine schwangere Frau bzw. werdende Eltern zukommen kann, um sich auf die neue Situation besser vorbereiten zu können. Außerdem sollte es für das Umfeld, die Familie, den Bekanntenkreis von Interesse sein, wie sich die schwangere Frau fühlt, was in ihr vorgeht, welche Veränderungen sie durchmachen muß und natürlich auch wie der werdende Vater mit der neuen Situation fertig wird, um mögliche Stimmungsschwankungen, Ängste usw. besser verstehen zu können.

Literaturverzeichnis

Brähler, E. & Unger, U. (Hrsg.). (1996). Schwangerschaft, Geburt und der Übergang zur Elternschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Gloger-Tippelt, G. (1988). Schwangerschaft und erste Geburt. Psychologische Veränderungen der Eltern. Stuttgart: Kohlhammer.
 
 

Inhaltsverzeichnis

2) Rolle der Väter während Schwangerschaft und Geburt (Astrid Sander)

1. Einleitung

Der Frage nach der Rolle des Vaters während der Schwangerschaft und Geburt wandte sich die Forschung erst in neuester Zeit zu. Die ersten Untersuchungen in den 60er Jahren befaßten sich lediglich mit eventuell auftretenden psychopathologischen Konsequenzen, die eine Schwangerschaft für den Mann haben kann. Erst seit Mitte der 70er Jahre kann man einen grundsätzlichen Wandel feststellen im Hinblick auf die Bewertung der Rolle des Vaters während Schwangerschaft und Geburt.

Im folgenden werden in Anlehnung an Fthenakis (1985) drei Themenbereiche behandelt:

2. Ergebnisse empirischer Untersuchungen

In empirischen Studien wurde in erster Linie untersucht, welche Faktoren Einfluß auf die Einstellungen des Vaters zur Schwangerschaft und Geburt nehmen, sowie seine Funktionen während dieses Zeitabschnittes.

1.1. Einstellungsdeterminanten

Als ein wesentlicher Faktor der Einstellung zur Schwangerschaft erwies sich das Alter. So zeigten z. B. besonders junge Väter (unter 26 Jahren) und besonders alte Väter (über 40 Jahre) in einer Untersuchung von Scott-Heyes (1980, 1982), negativere Einstellungen zur Schwangerschaft als Väter zwischen 26 und 40 Jahren. Als bedeutsam erwies sich in dieser Untersuchung auch die soziale Schichtzugehörigkeit. Mit der Statusposition und entsprechend größeren finanziellen Ressourcen stieg auch die positive Einstellung zum "emotionalen Zustand der Schwangeren" und zum "Einbezug in Schwangerschaft und Vorbereitung auf die Geburt." Auch individuelle Erfahrungen in der Herkunftsfamilie wirkten sich auf das Schwangerschaftserleben des Mannes aus. Als günstige Voraussetzung für die Einstellung zur Schwangerschaft erwies sich nach einer Untersuchung von Lukesch (1977) die Intaktheit der Herkunftsfamilie. Eine spannungsgeladene Beziehung zwischen den eigenen Eltern beeinträchtigt das Schwangerschaftserleben des werdenden Vaters, und zwar nachhaltiger als wenn die Eltern geschieden waren. In dieser Untersuchung zeigte sich auch, daß Väter, die selbst strenger erziehen wollten als ihr eigener Vater, besonders große Angst vor der Geburt hatten und in bezug auf ihre Identifikation mit der Vaterrolle unsicher waren. Bei Müttern und Vätern wirkt sich die Erwünschtheit einer Schwangerschaft positiv auf die Einstellung zu diesem Ereignis aus (Lukesch, 1975, 1981). Als noch wesentlicher erwies sich allerdings die Qualität der Paarbeziehung. Die Schwangerschaft kann vor allem dann eine Belastung werden, wenn die momentane Situation mit dem Partner als unbefriedigend erlebt wird. Eine von beiden Partnern als befriedigend erlebte und zugleich realistisch eingeschätzte Gemeinschaft reduziert das Ausmaß an Belastungen, die von der Schwangerschaft ausgehen und führt seltener zu Geburtskomplikationen (Lukesch, 1975).

1.2. Funktionen des Vaters während Schwangerschaft und Geburt

Setzt man eine positive Einstellung des Vaters zur Schwangerschaft voraus, so besteht seine wichtigste Funktion während der Schwangerschaft in der emotionalen Unterstützung seiner Partnerin. Dadurch hilft er ihr, die Mutterrolle anzunehmen. Außerdem wirkt sich die Unterstützung des Vaters über die psychische Befindlichkeit der Mutter auch positiv auf das Verhalten des Kindes aus (weniger irritierbar) (z. B. Grossmann, Eichler & Winickoff, 1980).

Das Ausmaß väterlicher Anteilnahme während der Schwangerschaft ist auch eine günstige Voraussetzung für spätere Anteilnahme. Allerdings sind Verhaltensveränderungen des Ehemannes nicht unbedingt stabil und Schwangerschaft ist kein Allheilmittel für eine gestörte Beziehung. Häufig wird übersehen, daß gerade auch der engagierte Vater emotionale Unterstützung braucht. So wurde ein positiver Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit von Menschen, die emotionale Unterstützung gewähren und dem Grad der Zufriedenheit nachgewiesen (Gladieux, 1978).

Eine ebenfalls wichtige Funktion des Vaters während der Schwangerschaft ist die Hilfe für das ältere Kind (wenn vorhanden). Da die werdende Mutter häufig unnahbar und nervös ist, was zu einer Irritierbarkeit des älteren Kindes führt, kann der Vater hier kompensierend eingreifen und so dem älteren Kind die Anpassung an die neue Situation erleichtern (Legg, Sherick & Wadland, 1974).

3. Theoretische Ansätze zur Erklärung des Übergangs zur Vaterschaft

Da der Übergang zur Elternschaft eine tiefgreifende Veränderung in der Paarbeziehung mit sich bringt, kann diese Phase als kritisches Lebensereignis aufgefaßt werden. Entsprechend wurden in empirischen Untersuchungen deutliche Merkmale einer Krise bei den betroffenen Paaren festgestellt (z. B. Dyer, 1963). Auch die meisten theoretischen Arbeiten gehen von einer Lebenskrise aus. Allerdings werden in neuester Zeit weniger die Folgen der Krise in den Blick genommen, sondern das Interesse richtet sich verstärkt auf die Frage, welche Rahmenbedingungen und Bewältigungsstrategien die Bewältigung beeinflussen (erleichtern).

Im folgenden werden die wichtigsten Theorien zur Erklärung des Übergangs zur Vaterschaft dargestellt, die sich in der Krisenperspektive deutlich unterscheiden:

3.1. Der psychoanalytische Ansatz

Im psychoanalytischen Ansatz wird die Krisenperspektive favorisiert. Als Gründe für das krisenhafte Erleben und die damit verbundenen Ängste werden u. a. durch die Schwangerschaft reaktivierte Kindheitserfahrungen angenommen. So kann z. B. die Schwangerschaft Angst vor einer Veränderung der ehelichen Beziehung hervorrufen (Reaktivierung eines ödipalen Konfliktes), es können ungelöste Geschwisterrivalitäten reaktiviert werden ("Das Kind wird mein Rivale sein") oder ambivalente Gefühle gegenüber den eigenen Eltern werden wieder bewußt (Gerzi & Berman, 1981). Die mit den Kindheitserinnerungen verbundenen Ängste führen zu einem krisenhaften Erleben der Schwangerschaft und einer Erschwernis der Identifikation mit der Rolle des Vaters.

Beispiel A:

Auch in empirischen Untersuchungen wurden Ängste werden Väter nachgewiesen. So wurden z. B. in Interviews mit 49 werdenden Vätern (Stippig, 1983, zitiert nach Vogl, 1992, S. 29 ff) folgende Angstinhalte festgestellt:

In einer anderen Interviewstudie (Engel, 1982, zitiert nach Vogl, 1992, S. 9 ff) zeigte sich bei allen 5 untersuchten Väter die gemeinsame Erfahrung der Abhängigkeit von der Frau, die letztlich über Schwangerschaftsabbruch oder -fortbestehen entscheidet. Dies führt zu einer Veränderung der (traditionellen) Identität des überlegenen Mannes, was ebenfalls Ängste auslöst. Alle Väter (die nicht verheiratet waren) äußerten die Angst, durch das Kind auf unbestimmte Zeit an die Zweierbeziehung gebunden zu sein sowie Angst vor einem Verlust der "männlichen Freiheit" schlechthin.

3.2. Sozialpsychologische Ansätze

Aus sozialpsychologischer Sicht werden die (krisenhaften) Probleme beim Übergang zur Elternschaft durch mangelnde Vorbereitung auf die Vaterrolle, unrealistische romantische Vorstellungen von der Familie und zu geringe Unterstützung durch soziale Netzwerke (Zusammenbruch der Großfamilie) erklärt (vgl. Gilberg, 1975).

3.3. Theorie des sozialen Lernens

Zur Erklärung der Verhaltensänderung von Erwachsenen während der Schwangerschaft werden nach dem Prinzip des sozialen Lernens (Modellernen) Antizipationen (vorweggenommene Vorstellungen) der Veränderung sozialer Macht zwischen den Ehepartnern herangezogen. Während in der kinderlosen Ehe, vor allem wenn die Frau berufstätig ist, ein Gleichgewicht in den Machtverhältnissen herrscht, verschiebt sich dieses mit der Ankunft eines Kindes zugunsten der Frau. Antizipiert der werdende Vater das durch die Tradition vorgegebene Vatermodell mit den Eigenschaften Macht, Verantwortlichkeit, Strenge, so kann dies zu Konflikten führen bei dem Versuch, sich mit der Rolle des fürsorglichen Vaters (für die es noch weniger Modelle gibt) zu identifizieren (Ahammer, 1979).

3.4. Der familientheoretische Ansatz

Forscher, die den familientheoretischen Ansatz vertreten, interessieren sich für Faktoren, die für Veränderungen im Familiensystem verantwortlich sind und für die Konsequenzen, die solche Veränderungen für die Subsysteme in der Familie haben. Aus dieser Sicht wird Elternschaft als eine Krise dargestellt, die das familiäre Gleichgewicht stört. Als Stressoren werden gewöhnlich genannt Schlafmangel, chronische Erschöpfung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, zusätzliche Hausarbeit, die Abnahme sexueller Bedürfnisse, verstärkter ökonomischer Druck sowie psychische Belastung, die aus der Übernahme zusätzlicher Verantwortung resultiert (Hobbs, 1968). Anpassungsschwierigkeiten sind bei Vätern teilweise größer als bei Müttern.

In neuerer Zeit werden allerdings nicht mehr nur die Stressoren und die damit verbundene Belastung untersucht, sondern auch die positiven Konsequenzen einer Krise. So untersuchte Russell (1974) z. B. sowohl die Probleme als auch die Befriedigungen, die mit der Ankunft des ersten Kindes zusammenhängen. In dieser Studie zeigten die jungen Eltern keine Depressionen und waren trotz erheblicher Veränderungen ihres Lebensstils, was ihre Ehe betraf, gut angepaßt. Auch Faktoren, die die Anpassungsleistung, insbesondere des jungen Vaters erleichtern, wurden untersucht: "Reife" Väter, die gefühlsmäßig ausgeglichen sind, und relativ stabil im persönlichen und partnerschaftlichen Verhalten können sich besonders gut an das Ereignis "Vaterschaft" anpassen. Dagegen erschweren aggressive Phantasien, Schuldgefühle, oder auch Neid auf die Gebärende die Anpassung.

3.5. Der entwicklungstheoretische Ansatz

Die entwicklungstheoretische Betrachtungsweise sieht Elternschaft als eine vorhersehbare Reifungskrise, ein normatives kritisches Lebensereignis (Filipp, 1981). Die Bewältigung der Elternrolle wird als Entwicklungsaufgabe gesehen (Havighurst, 1972). Erikson (1950) geht davon aus, daß in jedem Lebensabschnitt eine Krise zu bewältigen ist. Die Bewältigung der Anforderungen des vorausgehenden Lebensabschnittes erleichtern die Bewältigung des folgenden. Ein junger Mann, der die psychosoziale Krise der Intimität versus Isolation, sowie die fünf davorliegenden erfolgreich gemeistert hat, ist zu gegenseitiger Unterstützung fähig. Dies erleichtert ihm die Bewältigung der folgenden Krise der Vaterschaft (Generativität versus Stagnation).

Kritische Lebensereignisse werden als Markierungspunkte der Entwicklung gesehen, die Risiken und Chancen in sich bergen. Die einseitige Sichtweise von Elternschaft und Vaterschaft als (negative) Krise ist hier endgültig überwunden.

3.6. Der rollentheoretische Ansatz

Aus rollentheoretischer Sicht liegt das Fokus auf der Erfassung individueller Bewältigungsstrategien für Krisensituationen. Elternschaft wie Vaterschaft impliziert gleichermaßen belohnende wie belastende Aspekte. Aus der Perspektive der Rollenübernahme wird es möglich, präventive Interventionsstrategien zu entwickeln, die werdenden Eltern die Rollenübernahme erleichtern könnte. Zur Erklärung des Übergangs zur Vaterschaft wird von Rollentheoretikern auf das Streßparadigma (Copingtheorie) zurückgegriffen:

Die Übernahme einer neuen Lebensrolle, wie der des Vaters, führt häufig zu Rollenkonflikten und dementsprechend Streß. Das Hauptproblem des werdenden Vaters liegt darin begründet, daß in unserer Gesellschaft eine klare Definition der Vaterrolle fehlt. Besonders ein Mann, der eine aktive Vaterfunktion übernehmen will, ist deshalb starken Rollenkonflikten ausgesetzt (Cordell, Parke & Sowin, 1980).

Männer, die die traditionellen Erwartungen an ihre Geschlechtsrolle erfüllen, haben nur ein kleines Repertoire an Bewältigungsstrategien zur Verfügung (z. B. sind nur wenige Männer bereit in Erziehungsurlaub zu gehen, weil sie einen Statusverlust fürchten).

Da sich durch die Vergrößerung der Familie die Anzahl der auszuführenden Rollenerwartungen vergrößert (Ehemann, Hausmann, Vater, Mann im Beruf), nimmt auch der Streß zu.

Diese Situation kann durch folgende Strategien abgemildert werden:

Aus der Sicht der Rollentheorie, ergänzt durch die Familien-Coping-Theorie werden also personspezifische Copingprozesse mit sozialadaptiven Prozessen, die auf eine Umstrukturierung der Lebenssituation hinauslaufen, verbunden. Außerdem wird der entwicklungspsychologische Aspekt berücksichtigt, in dem davon ausgegangen wird, daß frühere Bewältigungserlebnisse aktuelle Bewältigungsanforderungen beeinflussen.

Streßreduzierend für die Bewältigung der Vaterschaft wirkt aus dieser Sicht

Der rollentheoretische Ansatz ist von den dargestellten Ansätzen der umfassendste und ermöglicht demnach die differenzierteste Erfassung des Problems (sowohl in der Forschung als auch in der Beratung). 4. Auswirkungen der Anwesenheit des Vaters während der Geburt und von Geburtsvorbereitsungskursen Die Anwesenheit des Vaters ist heute relativ häufig (80 – 90 %). Es gibt aber keine klaren Vorstellungen, welche Rolle sie im Kreißsaal einnehmen sollen. Folgende Aspekte seiner helfenden Rolle werden genannt (Woollett, White & Lyon, 1982): In bezug auf die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen der Teilnahme des Vaters an der Geburt und der späteren Vater-Kind-Beziehung besteht, sind die Ergebnisse empirischer Untersuchungen widersprüchlich. Deshalb ist anzunehmen, daß nicht eine eindeutige kausale Beziehung zwischen väterlicher Teilnahme an der Geburt und Vater-Kind-Beziehung besteht. Vielmehr ist zu vermuten, daß sowohl die Anwesenheit bei der Geburt als auch seine spätere Beteiligung an der Kinderpflege durch schon vorher vorhandene Einstellungen bedingt sind. Wie z. B. Grossmann und Volkmer (1984) herausfanden, beteiligten sich Väter an der Pflege ihrer Kinder unabhängig von ihrer Anwesenheit bei der Geburt. Außerdem ist zu bedenken, daß ein aktives Pflegeverhalten des Vaters nicht unbedingt auch eine starke Beziehung zum Neugeborenen impliziert. Es zeigte sich z. B. in einer Längsschnittstudie (White & Woollett, 1981), daß die ursprüngliche Euphorie und die augenscheinlich starke Verbindung der Väter zu ihren Söhnen im Augenblick der Geburt nicht über die ersten 18 Lebensmonate hinweg anhielt. Das väterliche Bindungsverhalten dürfte demnach keineswegs nur vom ersten Kontakt (anwesend bei der Geburt oder nicht) abhängen. Da der Vater bei der Geburt keine hormonellen Veränderungen erfährt, sind die Auslöser für väterliches Bindungsverhalten eher extern und von einer Vielzahl von wiederholten Kontakten zum Kind abhängig. Das elterliche Verhalten ist flexibel und veränderlich. Insbesondere beim Vater ist die Entwicklung eines Bindungssystems eher das Ergebnis eines Prozesses unter der Perspektive einer lebenslangen Entwicklung. Dieser Prozeß wird durch die Einstellungen des Vaters, seiner sozioökonomischen Situation sowie durch Eigenschaften des Kindes bestimmt.

Im Zusammenhang mit der eben dargestellten Thematik ist auch auf Geburtsvorbereitungskurse für werdende Väter zu verweisen. Aufgrund der Befundlage aus empirischen Untersuchungen ist zwar nicht anzunehmen, daß sich die Teilnahme an solchen Kursen unbedingt positiv im Hinblick auf ihre Bindung an das Neugeborene auswirkt (Wente & Crockenberg, 1976). Es konnten aber positive Effekte gegenüber der Partnerin und hinsichtlich der väterlichen Rollenkompetenz im Kreißsaal festgestellt werden (z. B. Fein 1974, 1976, 1978).

Beispiel B:

In einer Längsschnittstudie wurden Väter, die an einem Säuglingspflegekurs teilgenommen bzw. nicht teilgenommen hatten, u. a. in Hinblick auf ihr Erzieherverhalten zu mehreren Meßzeitpunkten verglichen. Es zeigten sich z. B. 4 Monate nach der Geburt (Bartoszyk & Nickel, 1986), daß vorbereitete Väter im Vergleich zu nicht vorbereiteten signifikant mehr "Nahkontakte" wie z. B. Baden, Schmusen, Spielen mit ihrem Kind hatten, und daß sie signifikant häufiger das "Einschlafzeremoniell" übernahmen. Auch 5 Jahre nach der Geburt (Petzold, 1991) zeigten sich noch signifikante Unterschiede zwischen den Vätergruppen: So waren z. B. nach Angaben der Partnerinnen die vorbereiteten Väter stärker an der alltäglichen Versorgung des Kindes beteiligt, spielten mehr mit dem Kind und gaben ihm mehr Anregungen. Wie auch die Autoren meinen, sind diese Unterschiede aber nicht auf den Säuglingspflegekurs zurückzuführen, sondern auf unterschiedliche Einstellungen zu Geburt und Schwangerschaft, die dafür verantwortlich sind, daß ein Teil der Väter heute solche Kurse besucht. Die beiden untersuchten Vätergruppen unterschieden sich nämlich schon zum ersten Meßzeitpunkt während der Schwangerschaft. Die Väter, die an dem Säuglingspflegekurs teilnahmen, besuchten signifikant häufiger gemeinsam mit ihren Frauen auch einen Geburtsvorbereitungskurs und informierten sich signifikant häufiger durch Bücher und Gespräche über Themen wie "Schwangerschaft und Geburt" sowie "Umgang mit Kindern. Abschließend ist festzuhalten, daß gerade diese Längsschnittstudie zwar zeigt, daß bei einem Teil von Vätern heute ein größeres Engagement für Kindererziehung festzustellen ist, als es der traditionellen Vaterrolle entspricht. In den meisten untersuchten Familien war aber die traditionelle Rollenverteilung vorhanden. Ein grundlegender Wandel der Geschlechtsrollen im Sinne eines Typus des "neuen Vaters" war nicht festzustellen.

5. Zusammenfassung

Als wesentliche Faktoren, die die Einstellung zur Schwangerschaft von Vätern beeinflussen, erwiesen sich das Alter, die soziale Schichtzugehörigkeit, die Erwünschtheit der Schwangerschaft sowie die Qualität der Paarbeziehung. Bei einer positiven Einstellung zur Schwangerschaft sind die wichtigsten Funktionen des werdenden Vaters die emotionale Unterstützung der Partnerin und die Hilfe für das (die) schon vorhandene(n) Kind(er). Die meisten Theorien erklären den Übergang zur Vaterschaft als Lebenskrise. Allerdings werden in den neueren Theorien und den entsprechenden empirischen Arbeiten weniger die negativen Folgen der Krise in den Blick genommen, sondern das Interesse richtet sich verstärkt auf die Frage, welche Rahmenbedingungen und Bewältigungsstrategien den Umgang mit der Krise beeinflussen. Als die wichtigsten theoretischen Erklärungsansätze sind zu nennen:

Der psychoanalytische Ansatz, sozialpsychologische Ansätze, die Theorie des sozialen Lernens, der familientheoretische, der entwicklungstheoretische und der rollentheoretische Ansatz.

Das väterliche Bindungsverhalten hängt nicht davon ab, ob der Vater bei der Geburt anwesend war, oder ob er an einem Säuglingskurs teilgenommen hat. Die Entwicklung des Bindungssystems ist das Ergebnis eines lebenslangen Prozesses, das abhängig ist von den Einstellungen des Vaters, seiner sozioökonomischen Situation und den Eigenschaften des Kindes.

6. Persönliche Stellungnahme

Das Thema des Referates habe ich besonders interessant gefunden, weil meist im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt nur über die Situation der Mutter und die Mutter-Kind Beziehung zu lesen ist. Da sich die Einstellungen junger Menschen zu Familie und Partnerschaft stark gewandelt haben, werden in der Familien- und Erziehungsberatung tätige Psychologen immer häufiger mit werdenden und jungen Vätern zu tun haben, die an einer engen Beziehung zum Kind interessiert sind. Aus der Kenntnis der dargestellten Theorien und empirischen Untersuchungsergebnisse können Hinweise entnommen werden, die für die Beratung in der Lebenskrise "Übergang zur Vaterschaft" relevant sind.

Literaturverzeichnis

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Bartoszyk, J. & Nickel, H. (1986). Teilnahme von Vätern an Säuglingspflegekursen und ihr Betreuungsverhalten in den ersten Lebenswochen des Kindes. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 35, 254-261.

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Inhaltsverzeichnis

3) Das Kindkonzept werdender Mütter (Melanie Peham)

Einleitung und Theorien

Schon in früheren Kulturen, in Mythen, Märchen oder in religiösen Schriften gibt es Vorstellungen darüber, wann Paare überhaupt fruchtbar werden können, welche Merkmale Eltern haben müssen, damit ihre Kinder gedeihen können und gegebenenfalls mit welchem Fluch oder Segen ihre Nachkommen belegt sind. Im Zuge des medizinischen Interesses, die Mütter- und Säuglingssterblichkeit zu verringern, entdeckten Sozialwissenschaftler eine tiefgreifende Einstellungsveränderung gegenüber Kindern in den letzten Jahrhunderten.

Diesbezüglich bekam der Beginn der Elternschaft eine immer wichtigere Bedeutung, sie stellt gleichsam den Übergang ins Erwachsenenalter dar. Innerhalb der Lebensspannenentwicklungspsychologie hat Gloger-Tippelt ein idealtypisches Phasenkonzeptes des Schwangerschaftsverlaufes konzipiert, wobei biologische, emotionale, soziale und rechtliche Kriterien zur Kennzeichnung der Phasen herangezogen wurden. Gloger-Tippelt unterschied vier präpartale Phasen:

  1. Verunsicherungsphase (bis 12. Schwangerschaftswoche)
  2. Anpassungsphase (12.-20. SSW)
  3. Konkretisierungsphase (20.-32. SSW)
  1. Antizipation und Vorbereitung (32.-40. SSW)
Weiters unterschied sie drei qualitativ unterschiedliche Phasen beim Aufbau des eigenen Kindkonzeptes:
  1. Undifferenziertes Kindkonzept
  2. Kind als eigenständiges Wesen
3. Kind als Individuum/individuelle Person

Die Entwicklung des Kindkonzeptes ist parallel zum embryonalen bzw. fötalem Wachstum konzipiert. Näher wird darauf im folgenden Abschnitt eingegangen.

2. Hauptteil

2.1. Entwicklung des Kindkonzeptes

1.Phase: Undifferenziertes Kindkonzept (bis zur 20. SSW)

In dieser ersten Phase sind als Reaktion auf die Diagnose der Schwangerschaft Stolz, Freude, Betroffenheit und Angst zu bemerken. Je nachdem ob das Kind erwünscht ist oder nicht wird das Kindkonzept ein Positives oder Negatives werden. Bis zur 12. Schwangerschaftswoche gibt es noch keine differenzierten Vorstellungen. Es herrscht lediglich das Bewußtsein der Zeugung eines Kindes vor, was das einzige Merkmal des rudimentären Kindkonzeptes ist.

2.Phase: Kind als eigenständiges Wesen (20. bis 32. SSW)

Durch die Wahrnehmung der Bewegungen des Kindes (ab20. SSW) kommt es bei der Schwangeren zu differenzierteren Vorstellungen über das Kind und dessen körperliche Gestalt, sowie auch über das Geschlecht. Aber auch psychologische Merkmale werden dem Kind zugeschrieben, wie zum Beispiel Wünsche oder Absichten. Unabhängig vom Ultraschall wird das Kind jetzt als eigenständiges Wesen erlebt.

3. Phase: Kind als Individuum/ individuelle Person (ab 32. SSW)

Aufgrund der bevorstehenden Geburt wird die Vorstellung über das Kind konkreter, so wird es nicht als Fötus gesehen, sondern als individuelle Person nach der Geburt. Neugier einerseits aber auch Angst aufgrund eventueller Gefährdung bei der Geburt sind in dieser Phase stärker ausgeprägt.

Nach Gloger-Tippelt hängt die Entwicklung des Kindkonzeptes also hauptsächlich von der Gestaltdifferenzierung und den damit verbundenen sensorischen Reiz der Kindsbewegung ab. Ihre Theorie läßt also keine Vorgriffe auf erst bevorstehende Entwicklungsschritte zu.

2.2. Kindwahrnehmung und Bindung

Ethologische Ansätze weisen auf sensible Phasen nach der Geburt hin, die für die Bindung sehr wichtig sind. Aber auch die Präpartale Bindung ist für die Bindung post partum von Bedeutung und steht meist in vorhersagender Weise mit der Bindung nach der Geburt in Beziehung. Verschiedene Untersuchungen bestätigten dies:

Leifer identifizierte verschiedene Formen des Bindungsverhalten in der Schwangerschaft. So sprechen Schwangere mit ihrem Kind, geben ihm Kosenamen, schelten über übermäßig empfundene Bewegungen des Fötus und beziehen den Partner in Gespräche mit dem Kind mit ein. Die Ängste über die eigene Person verlagern sich zunehmend auf Ängste um das Kind. Die zunehmende Bindung zeichnet sich also ab. Es läßt sich also daraus schließen, daß die Bindung nicht unbedingt verbalisiert wird, sondern erfolgt also auch indirekt.
  1. Unterscheiden von Selbst und Fötus
  2. Rücksichtnahme auf die Schwangerschaft
  3. Rollenübernahme
  4. Nestbau
Diese sind bedeutend öfter vertreten als die folgenden zwei kindbezogenen Gedankenkomplexe bzw. Skalen:
  1. Dem Fötus Eigenschaften und Absichten zuschreiben
  2. Interaktion mit dem Fötus
Der Entwicklung der Bindung geht also ein Konzept vom eigenen Kind voraus. Die Bindung vertieft sich, wenn die Austragung immer sicherer wird. Dies kann ab dem Ende des größten Fehlgeburtsrisikos (12. SSW) oder ab der Wahrnehmung der Kindsbewegungen (20. SSW) sein. Der Zeitpunkt ist aber noch fraglich.

2.3. Studien über Vorstellungen über den Fötus im Schwangerschaftsverlauf

Die folgenden Ergebnisse sind aufgrund der Einschränkung auf den Entwicklungsstand des Fötus entstanden. Wider den Erwartungen kann daher das Kind schon sehr früh als Säugling oder Kleinkind vorgestellt werden.

2.4. Weitere Aspekte

Auch in Träumen werden unbewußt Aspekte des Kindkonzeptes verarbeitet. Es gibt auch psychoanalytische Symbole der Schwangerschaft, z. B. Ungeziefer oder Nieren im Backofen oder schwere Gegenstände. Die Geburt wird als "ins Wasser stürzen" und geboren werden als "aus dem Wasser kommen" dargestellt. Abgewandelt finden wir diese Symbole in "Vergiften = schwanger werden", "ertränken = gebären" oder "von einer Höhe herabstürzen = niederkommen". Aber auch in Rettungsträumen, in der eine Frau jemanden aus dem Wasser rettet, wird die Geburt symbolisch dargestellt. Die Zahl der Träume über ein Kind nimmt im Laufe der Schwangerschaft zu. So handeln 40 % des manifesten Trauminhaltes der Schwangeren vom Kind, während bei Gleichaltrigen das nur in einem Prozent der Fall ist. Laut Leifer (1980) kommen im ersten Trimenon Fruchtbarkeitsymbole, Ungewißheit über die Realität des Fötus und Sorge über die Normalität des Fötus vor. Deutsch (1945) bezeichnete Alpträume von einer Schädigung des eigenen Körper oder des Kindes als schuldbeladen oder masochistisch. Ebenso finden sich Verfolgungsszenen, in denen die Mutter oder das Kind von bösen äußeren Mächten bedroht wird oder sogar der Säugling verlorengeht. Auch können bevorzugte Merkmale des Kindes als symbolische Wunscherfüllung in Träumen vorkommen.

Das Geschlecht des Kindes beziehungsweise die Mitteilung des Geschlechtes hat ebenso Auswirkungen auf die Vorstellung der Schwangeren.

Katz-Rothman (1986) hat rückblickend festgestellt, daß Bewegungen des weiblichen Fötus als sanfter erlebt werden und eher durch Negationen beschrieben werden, z. B. nicht ungestüm, nicht aktiv und nicht übermäßig energisch. Hingegen werden die Bewegungen des männlichen Fötus als stark, kräftig und positiv bewertet.

Rubin et al. (1974) fanden heraus, daß weibliche Säuglinge trotz gleicher objektiver Maße als klein, hübsch oder niedlich beschrieben werden.

Es hat möglicherweise einen Einfluß auf den Prozeß der Differenzierung und auf die Ablösung vom Kind wenn man das fötale Geschlecht weiß.

2.5. Integrationsmodell des Kindkonzeptes

Jeder Mensch hat bereits vor dem Ereignis des Kinderkriegens bestimmte Kognitionen über die vorgeburtliche Entwicklung, das Aussehen, die Eigenschaften und das Verhalten von Säuglingen. Auch eigene Erfahrungen und kulturell bedingte Einflüsse tragen ihren Teil dazu bei. Durch das Puppenspiel zum Beispiel wird schon im Kindesalter das Elternsein "geübt". Mit dem Kind können auch archetypische Strukturen ausgedrückt werden. So steht ein Kind z. B. als Hoffnungsträger oder für den Neubeginn. Dieser Wissenskomplex wird in der Schwangerschaft wieder aktiviert. Aber das Wissen wird auch erweitert und die Phantasie trägt ihren Teil dazu bei. Es entsteht also eine Integration teils wenig strukturierter, nebeneinanderstehender Kognitionen, um zum Konzept "erstes eigenes Kind" zu kommen. Je näher das Ereignis der Geburt rückt, um so dominanter wird die Sorge um Mutter und Kind.

Dieses Modell ist ein Kognitionsmodell. Da manche Kognitionen nicht verbalisiert werden können, muß eine Methode zur Erfassung gefunden werden, die diese latenten Kognitionen wiedergibt.

Aus all diesen Befunden ergeben sich zwei Fragestellungen:

  1. Ist das Kindkonzept im ersten Trimenon so undifferenziert, wie es die vorliegenden Studien erwarten lassen ?
  2. Entwickelt sich das Kindkonzept kontinuierlich oder diskontinuierlich? Welche Auslöser sind für den Entwicklungsprozeß erforderlich?
Die Autoren führten eine Befragung mittels Interview zu sieben Zeitpunkten während der Schwangerschaft durch. Zusätzlich wurde zu vier Zeitpunkten Daten mit dem Repertory-Grid-Test erhoben.

Die Interviews wurden halbstrukturiert durchgeführt. Die behandelten Themen wurden je nach eigener Präferenz der Frauen gereiht. Nicht erwähnte Themen wurden am Ende der Befragung von den Interviewern angesprochen.

Das erste Gespräch mit der Frau wurde bis zur 14. SSW durchgeführt. Es enthielt Bereiche wie die Vorgeschichte, also z. B. Lebenslauf und Geplantheit des Kindes, der zweite Bereich umfaßte Aktuelles wie körperliches Befinden, Kind- und Selbstkonzept, Paarbeziehung Zukunftsvorstellungen und Ähnliches.

Die weiteren Interviews wurden zwischen der 14. und 16., der 16. und 20., der 20. und 24., der 24. und 32. und der 34. und 40. durchgeführt. Ebenso wurde 4-6 Wochen nach der Geburt ein weiteres Gespräch durchgeführt. Die Interviews wurden nach der Inhaltsanalyse nach Mayring (1985) ausgewertet, wobei es drei Hauptdimensionen gab. Diese waren schwangerschaftsbezogene Themen, körperbezogene Themen und kindbezogene Themen, mit der Unterteilung des letzten Themas in Fötus, Kind post partum, Kinder allgemein und Kind als Topos. Bei Fötus und Säugling wurde Aussehen, Persönlichkeit und Interaktion getrennt. Die Interviews wurden um das Kindkonzept zu analysieren, hermeneutisch analysiert.

Die Repertory-Grid-Technik ist ein idiographisches Verfahren zur Untersuchung persönlicher Konstrukte und geht sowohl auf individuelle wie auch auf allgemeine Eigenheiten ein. Zur Veranschaulichung gibt es Karten. Diese sind in fünf Themengruppen aufgeteilt. Für das vorgeburtliche Stadium gibt es Bilder von einem Embryo (U), einem Fötus (G) und einer Ultraschallaufnahme (B). Zum Stadium des geborenen Kindes gibt es Bilder von einem zufriedenen Säugling (S), ein Kind mit Down-Syndrom (T), ein Kleinkind-Mädchen (M) und ein Kleinkind-Junge (J). Zur Repräsentation der postpartalen Interaktion gibt es ein Bild einer Dreiergruppe - Säugling, Mutter und Vater (D), ein Bild mit einer Stillsituation (ST) und ein Bild eines schreienden Säuglings (SCH). Schwangerschaftsbezogenes Verhalten wurde durch Genußmittel (N), Schwangerschafts-vorsorgeuntersuchung (SV) und Untersuchung im Kreissaal - Wehenschreiber (C) dargestellt. Körperbezogene Aspekte sind in einem Bild mit einer Frau unter Preßwehen (P) und einer schwangeren ruhenden Frau (V). Zu jedem Untersuchungszeitpunkt sollten die Frauen diese Karten in eine nach ihren Gesichtspunkten derzeit aktuelle Reihenfolge bringen. Zusätzlich sollte jedes Bild auf einer 6-Punkt-Skala eingeschätzt werden.

2.6. Fallbeispiel Frau Zach:

Frau Z. ist Mitte 30 und lebt seit 15 Jahren mit ihrem Mann in einer Partnerschaft. Sie ist die Älteste von drei Schwestern und in einer intakten Familie aufgewachsen. Mit der zehn Jahre jüngeren Schwester verbindet sie sehr wenig, sie fühlt sich eher zu ihrer drei Jahre jüngeren Schwester hingezogen. Die Schwangerschaft war geplant. In der 16. SSW läßt sie eine Fruchtwasserpunktion durchführen um sicher zu gehen, daß das Kind nicht "mongoloid" ist. Obwohl sie zuerst vorhatte, bei einer positives Diagnose die Schwangerschaft abzubrechen, ist sie aber letztendlich dann doch nicht so ganz überzeugt von diesem Entschluß. Bei Frau Z. werden fünf Ultraschalluntersuchungen durchgeführt. Die Kindsbewegungen kann Frau Z. ab der 18. SSW deutlich wahrnehmen. Aufgrund einer Vielzahl von Komplikationen muß Frau Z. medizinisch überwacht werden. Die Entbindung komplizierte sich durch eine verlängerte Austreibungsphase. Der Junge kam aber kerngesund zur Welt und hatte 4000g. Am zweiten Tag nach der Entbindung durfte Frau Z. mit ihrem Kind bereits nach Hause. Die ersten vier Wochen wurde der Alltag ganz vom Kind bestimmt, danach pendelt sich das Zusammenspiel schon mehr ein. Das nächste Kind ist für das nächste Jahr geplant.

Das Kindkonzept von Frau Z.:

1. Interview (13. SSW)

Das Kindkonzept geht weit über ein undifferenziertes Kindkonzept hinaus. Ein Merkmal ist z. B. eine komplexe, archetypische Vorstellung von einem präexistenten Kind, welches eben ein eigenes Wesen ist. Sie beschäftigt sich auch mit den Vorteilen des Stillens, der Kindererziehung und hat auch schon Phantasien bezüglich des Aussehens des Kindes und der Freizeitgestaltung mit dem Kind. Die Identifikation mit der Mutterrolle ist ebenfalls ein Thema. Frau Z. verfügt über genaue Kenntnisse über Gestalt und Entwicklungsstand des Fötus. Ihr Kindkonzept entwickelt sich nicht parallel zum Wachstum des Kindes. Aufgrund ihrer Erwartungshaltung nimmt sie Veränderungen, wie z. B. die Kindsbewegungen in der 18. SSW, früh wahr. Auch spielen diese eine größere Rolle als die Ultraschalluntersuchung. Ab der 28. SSW bereitet Frau Z. das Ungeborene auf die Zeit post partum vor, so spielt sie ihm die Melodie einer Spieluhr vor.

Das Kindkonzept von Frau Z. im Rep-Grid-Test

Die Karten Genußmittel, Preßwehen und Kind mit Down-Syndrom wurden stets negativ bewertet, daß heißt mit Schädigung, körperlicher Belastung beziehungsweise mit Angst oder Fürsorge in Verbindung gebracht. Diese Karten tragen am meisten zur Varianzaufklärung bei, vor allem letztere. Durchgehend positiv wurde das Bild mit der Dreiergruppe beurteilt. Die Themen-Kärtchen Körperliche Veränderung, Kleinkind-Mädchen und die Bilder der intrauterinen Entwicklung des Kindes wurden variabel beurteilt. Nach der Mitteilung des männlichen Geschlechts ist dieser Bereich weniger relevant. Das Bild des schreienden Säuglings reiht Frau Z. im Unterschied zu den anderen Frauen in das Konstrukt "Alltag" ein, es stellt also keine Belastung dar.

2.7. Kindkonzepte von vier Frauen im Grid-Test:

Verglichen wurden die fünf erstgewählten Bildkarten. Diese Rangordnung widerlegt die Annahme des undifferenzierten Kindkonzeptes. So werden zu Beginn des zweiten Trimenons übereinstimmend das Ultraschallbild, der Fötus und der zufriedene Säugling zuerst gewählt. Letzteres deutet darauf hin, daß die Frauen ihr Kind bereits vor Augen haben.

Zum zweiten Zeitpunkt, bei dem vor allem die körperlichen Veränderungen sichtbar und spürbar werden, wird das Kärtchen "körperliche Veränderungen" vorangereiht.

Bei der dritten Untersuchung, bei der die Entbindung bevorsteht, werden die Themen "Wehenschreiber" und "Dreiergruppe" zuerst gewählt.

In der letzten Grid Untersuchung, die nach der Geburt erfolgt, bekommen die Karten "Stillen", "schreiender Säugling" und die Bilder der Kleinkindphase mehr Bedeutung.
 
 

Schlußfolgernd läßt sich sagen, daß eine emotionale Bindung schon sehr früh aufgebaut wird, was besonders bei einem Abortus zu schwerwiegenden Verlusterlebnissen führen kann.

Ich glaube, daß sich das Kindkonzept werdender Mütter schon sehr früh entwickelt und noch zusätzlich von der körperlichen Differenzierung beeinflußt wird. Es sind ja eigentlich schon Vorstellungen über ein eigenes Kind vorhanden, noch bevor sich eine Schwangerschaft einstellt. Zumindest sind es Wunschvorstellungen, die man über sein eigenes Kind hat. Auch Erziehungsmaßnahmen werden "geplant", so denkt man öfter darüber nach, wie man etwas bei seinem Kind machen würde oder nicht, oft nur aus einem gegebenen Anlaß heraus, wenn man zum Beispiel eine Familie oder eine Mutter mit ihrem Kind beobachtet. Natürlich spielen auch eigene Erfahrungen eine Rolle. So möchte man dem eigenen Kind all das ermöglichen, was einem selbst verwehrt wurde. Man nimmt sich vor, dem eigenen Kind schlechte Erlebnisse, die man vielleicht aufgrund eines Lebensumstandes hatte, zu ersparen, soweit es geht. Im großen und ganzen, glaube ich, hat man zumindest schon ziemlich genaue Vorstellungen über das eigene Erziehungsverhalten. Ich glaube, daß all das auf einen Wunsch abzielt, nämlich, daß es dem Kind einmal besser gehen soll, als es einem selbst gegangen ist, beziehungsweise überhaupt gut geht.

Literaturverzeichnis

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Schuster, P. Springer-Kremser, M. (1994). Psychoanalytische Traumdeutung. In Bausteine der Psychoanalyse (S. 74). Wien: WUV Universitätsverlag.
 
 
 

Inhaltsverzeichnis

4) Geburtsvorbereitung (Barbara Klaus)

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit gibt einen kurzen Überblick über den Themenbereich der Geburtsvorbereitung. In einem ersten Schritt erkläre ich, warum Geburtsvorbereitung überhaupt von Bedeutung ist. Dann gehe ich speziell auf Geburtsvorbereitungskurse ein. Ich erkläre den grundsätzlichen Aufbau eines Kurses und erläutere die einzelnen Schwerpunkte, wie Informationsvermittlung, Gespräch und körperliche Übungen. Danach gebe ich einen Überblick über die Ziele der Geburtsvorbereitung. Abschließend finden auch Forschungsergebnisse über die Wirkung der Geburtsvorbereitung Eingang in meine Arbeit.

2. Schwangerschaft als krisenanfälliger Zustand

Der Übergang zur Elternschaft ist durch Veränderungen im Leben von Frau und Mann als Individuen und als Paar gekennzeichnet, die sich in Folge der Ereigniskette Schwangerschaft, Geburt und Beginn der Elternschaft vollziehen (vgl. Stadlhuber-Gruber, 1989, S. 1) Die mannigfachen Veränderungen, die mit dem Eintritt einer Schwangerschaft auftreten, stellen außerordentliche Anforderungen an die werdenden Eltern. Die Schwangerschaft als emotionale "normative Krise" ist mit körperlichen und seelischen Veränderungen verbunden. "Allgemein wird Schwangerschaft als Periode emotionaler Instabilität und erhöhter Ängstlichkeit, Ambivalenz, Affektlabilität, Introversion, Depression und Niedergeschlagenheit gekennzeichnet, beschrieben" (Prammer, 1992, S. 35).

Schwangerschaft ist also keineswegs ein rein physiologisch veränderter Zustand, sondern ein stark psychisch gefärbtes Geschehen. Schwangerschaftsspezifische Prozesse beschränken sich keinesfalls auf eine somatische Ebene, sie werden in hohem Maße auch von psychologischen und sozialen Parametern determiniert (vgl. Prammer, 1992, S. 15). Lukesch plädiert deshalb für eine Schwangerenbetreuung, die neben der somatischen auch die psychische Komponente einbezieht. Er sieht darin eine Möglichkeit, ernstere psychische Konflikte vermeiden zu helfen, und eine günstige Ausgangssituation für das noch ungeborene Kind zu schaffen. Der Wirkungskreis beratender und therapeutischer Maßnahmen sollte seiner Meinung nach gezielt auf die gesamte Familie, aber ganz besonders auf den Partner ausgedehnt werden (vgl. Lukesch, zitiert nach Stadlhuber-Gruber, 1989, S. 8).

3. Was ist Geburtsvorbereitung?

Seit Ende des vorigen Jahrhunderts werden in der Geburtshilfe verschiedene geburtsvorbereitende Methoden angeboten, die unter Begriffen "Psychoprophylaxe" oder "vorgeburtliche Übungsverfahren" zusammengefaßt werden und zu den primär präventiven psychologischen Maßnahmen zählen (vgl. Ringler et al., zitiert nach Prammer, 1992, S. 127).

Als erste theoretisch fundierte Möglichkeit der Geburtsvorbereitung kam die Hypnose zum Einsatz. Begründer der ersten Geburtsvorbereitungsmethode im engeren Sinne war Granley Dick-Read. Er postulierte bereits 1931 die alleinige Abhängigkeit des Geburtsschmerzes von Angst und Anspannung (vgl. Prammer, 1992, S. 127f).

Unter dem Sammelbegriff Geburtsvorbereitung wird heute eine große Anzahl verschiedener Methoden subsumiert, die sich alle mit der Schwangerschaft und der darauffolgenden Geburt auseinandersetzen. In Schwangerschaftskursen können werdende Eltern einen Freiraum finden, sich auf das ungeborene Kind gemeinsam einzulassen. Sie erhalten in Gesprächen mit anderen werdenden Vätern und Müttern und mit Geburtsvorbereitern Unterstützung. Das Kennenlernen und die Sensibilisierung für die körperlichen Vorgänge helfen, deren Angst und Unsicherheit vor der bevorstehenden Geburt zu nehmen. Geburtsvorbereitung sollte aber mehr als Wissensvermittlung sein. Es geht vor allem darum, das Selbstvertrauen der Frauen in ihren eigenen Körper zu stärken (vgl. Wilberg & Hujber, 1991, S. 18ff).

3.1. Informations- und Gesprächsthemen in der Geburtsvorbereitung

Bei der Geburtsvorbereitung lassen sich grob das Gruppengespräch und die Informationsvermittlung mittels Vortrag unterscheiden. Das Gruppengespräch dient vor allem dazu, zu erkennen, daß man mit seinen Problemen nicht alleine ist. Die Kursteilnehmer können ihre Erfahrungen untereinander austauschen und sich gegenseitig Tips und Tricks verraten. Das Gespräch hilft, sich verstanden zu fühlen und schafft eine entspannte und ruhige Atmosphäre in der Gruppe. Die Informationsvermittlung erfolgt meist durch Referate von Fachärzten oder Hebammen (Filme und anschauliches Material können zum besseren Verständnis verwendet werden). Natürlich besteht die Möglichkeit das Gruppengespräch und den Vortrag zu verbinden, um wichtige Informationen mittels Gespräch zu überbringen (vgl. Lippens, 1993, S. 112ff; vgl. Wilberg & Hujber, 1991, S. 213ff).

In Geburtsvorbereitungskursen werden vor allem diejenigen Themenbereiche angesprochen, die bei werdenden Eltern Ängste und Sorgen auslösen. Solche Themen sind unter anderem: Schwangerschaftsveränderungen, Umgang mit Schmerzen, Sexualität in der Schwangerschaft, Ernährung, Geburt mit Anwesenheit des Partners usw. (vgl. Lippens, 1993, S. 112). Aber nicht nur das Besprechen der eigenen Gefühle und Vorstellungen ist Teil eines Kurses. Ein guter Geburtsvorbereitungskurs gibt auch Information über die verschiedenen Geburtsmöglichkeiten und alternativen Geburtspositionen. So kann die Geburt beispielsweise als ambulante Geburt (ambulantes Wochenbett), Hausgeburt oder Unterwassergeburt durchgeführt werden. Die alternativen Geburtshilfen sind zahlreich, und der Geburtsvorbereitungskurs soll die jeweiligen Vor- und Nachteile aufzeigen (vgl. Walther, 1992, S. 160ff). Die Information über die möglichen Geburtspositionen (z. B. stehen, hocken, sitzen, liegen usw.) ermöglicht die Planung des Geburtsvorganges, der individuell auf die Bedürfnisse der Frau eingeht (vgl. Lippens, 1993, S. 92ff).

3.2. Körperliche Übungen in der Geburtsvorbereitung

Neben der Informationsvermittlung haben die meisten Geburtsvorbereitungskurse auch praktische Teile. Im folgenden möchte ich einige Bereiche der "Körperarbeit" bei der Geburtsvorbereitung kurz anführen.

Zunächst kann Schwangerschaftsgymnastik eine sinnvolle Vorbereitung sein. Diese Übungen, die meist mit Hilfe des Partners und unter Anweisung der Geburtsvorbereiterin ablaufen, dienen unter anderem der Vorbeugung bzw. Linderung von Schwangerschaftsbeschwerden. Sie ermöglichen die Körperwahrnehmung und fungieren als Vorbereitung auf ungewohnte Haltungen (z. B. tiefe Hocke) (vgl. Lippens, 1993, S. 40ff).

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist oftmals die Arbeit mit dem Atem. Die Atemarbeit soll sanft sein. Sie soll helfen, die Atemmöglichkeiten zu erweitern, den Atem unter Belastung erfahrbar zu machen und den Atem als Entspannungshilfe einzusetzen. Außerdem wird durch gezielte Atemübungen die Körperwahrnehmung verbessert (vgl. Lippens, 1993, S. 63ff).

In Zusammenhang mit dem Atem müssen auch Entspannungsübungen erwähnt werden. Eine Möglichkeit stellt hier die Progressive Relaxation dar. Die werdende Mutter lernt die aktive Entspannung, das Weiteratmen trotz Spannung und die allgemeine Wahrnehmung von Spannungszuständen (vgl. Lippens, 1993, S. 84f).

Eine umfassende und erfolgreiche Geburtsvorbereitung darf sich nicht nur auf die Vermittlung biologisch-technischen Wissens oder eintrainierte Entspannungs-Atem-Übungen beschränken. Sie muß genauso Gefühle, Phantasien und irrationale Ängste mit einbeziehen. "Um die dazu nötige vertrauensvolle Atmosphäre in der Gruppe gewährleisten zu können, bedarf es der Arbeit in kleinen Gruppen" (Prammer, 1992, S. 132).

4. Ziele eines Geburtsvorbereitungskurses

Wesentlich ist, daß jeder Kursverlauf anders ist, je nach Konstellation und Bedürfnis der Gruppe. Die Schwangeren kommen oft mit unterschiedlichen Einstellungen in die Geburtsvorbereitung; dementsprechend wird jedes Programm verschiedene Ziele und Auswirkungen haben (vgl. Prammer, 1992, S. 57). Außerdem ist es wichtig zu erwähnen, daß jeder Kurs mit Anwesenheit des Partners noch effizienter wird. Bei der familienzentrierten Geburtsvorbereitung nimmt der Partner nicht nur an der Geburtsvorbereitung, sondern auch an der Geburt selbst teil (vgl. Prammer, 1992, S. 129). Die wichtigsten Ziele der Geburtsvorbereitung sind:

"Der Geburtsvorbereitung schlechthin liegt das Ziel zugrunde, einerseits Maßnahmen zur Angstbewältigung und -kontrolle zu vermitteln, andererseits eine Geburtsschmerzreduktion zu erzielen" (Ringler, zitiert nach Prammer, 1992, S. 130). Die Frauen lernen, aus der passiven Rolle des Gebärens herauszufinden, und die Geburt aktiv zu bewältigen. Sie sind folglich besser in der Lage, Unsicherheiten zu reduzieren, und mit der Schwangerschaft verbundene Konflikte zu bearbeiten (vgl. Davies-Osterkamp & Beckmann, zitiert nach Prammer, 1992, S. 131). Jede Geburtsvorbereitung umfaßt didaktische, physiotherapeutische und psychotherapeutische Elemente (vgl. Prammer, 1992, S. 131).

Raphael-Leff ist der Ansicht, daß in Geburtsvorbereitungskursen den wenigen Stunden der Geburt und der Vorbereitung auf diese zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Viel zu wenig Beachtung wird der Vorbereitung auf die Mutterschaft beigemessen. "Indeed, we often tend to forget that the purpose of pregnancy is not merely to create a baby but to produce a mother" (Raphael-Leff, zitiert nach Stadlhuber-Gruber, 1989, S. 20).

5. Auswirkungen der Geburtsvorbereitung - Forschungsergebnisse

Geburtsvorbereitete Frauen zeigen sich in der Regel psychisch ausgeglichener. Vor allem im Hinblick auf Geburtsängste finden sich gravierende Unterschiede zwischen vorbereiteten und nicht vorbereiteten Schwangeren. "Der Erfolg der Geburtsvorbereitung scheint dabei von der angewandten Methode nicht abhängig zu sein" (Perrez et al., zitiert nach Prammer, 1992, S. 55).

Ringler sieht in den beiden Variablen "Awareness" (aufmerksame Wachheit bei vollem geistigen und körperlichen Bewußtsein) und "Angstreduktion" die Grundlage der positiven Auswirkungen von Maßnahmen zur Geburtsvorbereitung auf den Geburtsverlauf. Sie manifestieren sich auf psychologischer Ebene (Geburtserleben und -verhalten betreffend) und objektiv in einem physiologisch deutlich koordinierterem Geburtsverlauf (vgl. Prammer, 1992, S. 132). Die Frauen beschreiben ihr Geburtserlebnis befriedigender und positiver und haben in der Regel weniger Geburtsangst, was auch zu einer besseren Ökonomie innerhalb des Geburtsverlaufs führen kann. Geburtsvorbereitete Frauen zeichnen sich durch angepaßt-effektives und kooperatives Verhalten aus. Es gelingt ihnen zum Beispiel besser, den Ablauf der Wehen zu kontrollieren. In Verbindung mit den in Geburtsvorbereitungskursen erlernten Entspannungstechniken kann so auch die Dauer der Geburt verkürzt werden (vgl. Prammer, 1992, S. 132f). Die Raten der Frühgeburten und der Übertragungen sind deutlich reduziert. "Mit der deutlichen Reduktion der geburtshilflichen Komplikationsrate in der Gruppe vorbereiteter Frauen sinkt auch die Zahl operativ beendigter Geburten stark ab" (Ringler et al., zitiert nach Prammer, 1992, S. 137). Das gut angepaßte Verhalten der Gebärenden wirkt sich aber auch auf den Zustand des Kindes aus, das durch eine bessere Atemtechnik der Mutter reichhaltig mit Sauerstoff versorgt wird (vgl. Prammer, 1992, S. 137).

Auch Stadlhuber-Gruber konnte mit ihrer Untersuchung zur Geburtsvorbereitung den häufig vermuteten präventiv psychohygienischen Effekt eines Geburtsvorbereitungskurses nachweisen. Nach ihrer Studie kann vor allem der ganzheitlichen Geburtsvorbereitung (Informationsvermittlung, Körperübungen, Rollenspiele, Gruppengespräche, aktive Beteiligung der Teilnehmer) ein psychoprophylaktischer Effekt zugeschrieben werden. Die untersuchten Paare erlebten den Übergang zur Elternschaft in vielen Aspekten subjektiv positiver als nicht vorbereitete Paare. Ihre Grundstimmung war nach der Geburt hypomanisch. Bei den ganzheitlich vorbereiteten Frauen tritt nach der Geburt keine Verschlechterung in ihrer Beziehung zum Körper ein. Sie haben vor und nach der Geburt weniger Mißempfindungen und sind weniger unsicher gegenüber körperlichen Reaktionen als die Grundpopulation (vgl. Stadlhuber-Gruber, 1989, S. 148ff). Die Auswirkungen der medizinischen Geburtsvorbereitung (Informationsvermittlung durch lange Vorträge und anschließend Gymnastik) waren jedoch sehr negativ. Die Frauen waren nach der Geburt depressiv gestimmt, und sie fühlten sich weniger attraktiv. Mißempfindungen und Unsicherheit den eigenen Körperreaktionen gegenüber nahmen nach der Geburt zu. Die medizinische Geburtsvorbereitung entspricht also nicht der Erwartung, eine präventive Wirkung zu entfalten (vgl. Stadlhuber-Gruber, 1989, S. 148ff).

In einer Studie von Tönnies und Wirths (1996) wurde der Frage nachgegangen, ob Entspannungsverfahren in gesprächspsychotherapeutischen Gruppen zur Minderung bestehender Schwangerschafts- und Geburtsängste beitragen können. (Die positive Wirkung von verhaltenstherapeutischen Interventionen wurde schon mehrfach empirisch bestätigt). "Insgesamt gesehen belegen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, daß das Angebot personenzentrierter Gruppenarbeit mit Schwangeren effektiv gewesen ist. Die Kombination von Entspannung und hilfreichen Gesprächen hat zur Minderung bestehender Schwangerschafts- und Geburtsängste beitragen können" (Tönnies & Wirths, 1996, S. 38).

6. Zusammenfassung und persönliche Stellungnahme

Schwangerschaft, Geburt und der Übergang zur Elternschaft bedeuten für die werdenden Eltern eine massive Umstellung. Diese Phase ist gekennzeichnet durch sehr ambivalente Gefühle. Freude, Glück und Hoffnung können neben Angst, Verzweiflung und Trauer bestehen. Es ist eine krisenanfällige Zeit und bedarf der Hilfestellung durch andere. Eine Möglichkeit stellt der Besuch eines Geburtsvorbereitungskurses dar. Ein/e dafür ausgebildete/r Geburtsvorbereiter/in begleitet die werdenden Eltern und steht ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Die Kurse werden in kleinen Gruppen abgehalten. Den Gruppenmitgliedern wird einerseits Wissen über die Themenbereiche Schwangerschaft und Geburt vermittelt (erfolgt meist durch Vorträge von Ärzten oder Hebammen), und andererseits werden körperliche Übungen absolviert. Die Frauen lernen dabei richtig zu atmen, sich zu entspannen, und der Partner lernt, hilfreich beiseite zu stehen. Ein weiterer wesentlicher Punkt jedes Geburtsvorbereitungskurses ist das Gespräch über die eigenen Gefühle. Ängste, Vorstellungen und Wünsche werden besprochen und diskutiert. Die werdenden Eltern erkennen somit, daß sie nicht alleine mit ihren Sorgen sind. Durch die Informationsvermittlung bekommen die Schwangere und ihr Partner einen besseren Einblick in die körperlichen Vorgänge. Sie können das Geburtserlebnis individuell planen. Atmungs- und Entspannungsübungen helfen der Frau aktiv an der Geburt teilzunehmen und mitzuarbeiten. Die Wirksamkeit der Geburtsvorbereitung zur Minderung von Schwangerschafts- und Geburtsängsten wurde empirisch mehrfach bestätigt (vgl. Tönnies & Wirths, 1996, S. 29).

Meiner Ansicht nach sollten alle werdenden Eltern die Möglichkeit der Geburtsvorbereitung nutzen. Es gibt jetzt schon so viele verschiedene Angebote und Methoden, so daß sich jedes Paar aussuchen kann, welcher Kurs es am ehesten anspricht. Eine Geburtsvorbereitung ist eine Chance, das beste aus dem wunderschönen Ereignis ein Kind zu bekommen, herauszuholen. Sie hilft einerseits den Eltern besser mit ihren Sorgen und Ängsten umgehen zu können und ermöglicht andererseits dem neuen Erdenbewohner einen besseren Einstieg ins Leben. Geburtsvorbereitung fördert die Körperwahrnehmung der Frau und damit auch den Kontakt mit dem Ungeborenen. Somit kann schon früh eine Bindung aufgebaut werden. Ein Geburtsvorbereitungskurs kann außerdem dabei helfen, daß das Geburtserlebnis für die werdenden Eltern befriedigend erlebt wird, und dem Kind wird durch die aktive Teilnahme der Mutter bei der Geburt ein Teil der Arbeit abgenommen. Geburtsvorbereitung hilft, die Basis für einen gelungenen Start ins Leben zu schaffen. Die Eltern werden auf die Rolle als Vater und Mutter vorbereitet. Die Geburtsvorbereitung dient als "Psychoprophylaxe". Sie hat einen präventiv psychohygienischen Effekt.

Literaturverzeichnis

Bauhofer, G. (1997). Die neue Schule der Geburtsvorbereitung. München: Ehrenwirth Verlag.

Lippens, F. (1993). Geburtsvorbereitung. Eine Arbeitshilfe für Hebammen (2. erweiterte Aufl.). Hannover: Elwin Staude Verlag.

Prammer, M. (1992). Akupunktur vor der Geburt: Ihre Auswirkungen auf den Geburtsverlauf. Eine multivariate Studie. Unveröffentlichte Dipl.-Arbeit, Universität Wien.

Prinz, W. (1992). Schwangerschaft. München: Gräfe und Unzer Verlag.

Stadlhuber-Gruber, A. (1989). Der Übergang zur Elternschaft. Mit einer empirischen Untersuchung über Geburtsvorbereitung. Unveröffentlichte Dissertation, Universität Salzburg.

Tönnies, S. & Wirths, I. (1996). Personenzentrierte Gruppenarbeit mit Schwangeren zur Minderung von Schwangerschafts- und Geburtsängsten. In E. Brähler & U. Unger (Hrsg.), Schwangerschaft, Geburt und der Übergang zur Elternschaft (S. 29-39). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Wilberg, G.M. & Hujber, K. (1991). Natürliche Geburtsvorbereitung und Geburtshilfe. Ein Handbuch. München: Kösel-Verlag.
 
 

Inhaltsverzeichnis

5) Postpartale Stimmungsstörungen der Mutter (Barbara Reithofer)

1. Einleitung

In der folgenden Abhandlung werden postpartale Stimmungsschwankungen, insbesondere der postpartale Blues, die postnatale Depression sowie die postnatale Psychose näher beschrieben. Kennzeichen und Ursachen der oben genannten Störungen werden aufgezeigt. Weiters werden mögliche Behandlungsmethoden besprochen.

1.1 Postpartale Stimmungsschwankungen

Nach der Entbindung leiden die meisten Mütter an depressiven Verstimmungen. Je nach Dauer und Zeitpunkt des Auftretens unterscheidet man drei psychogene Störungsformen: der postpartale Blues (PPB) auch "Baby Blues" genannt, die postnatale Depression (PND) und postnatale Psychosen (PNP). Durch die überstandenen Anspannungen der Schwangerschaft und des Geburtsvorgangs kommt es bei vielen Frauen nach der Geburt vorübergehend zu depressiven Verstimmungen. Dieses frühe Syndrom (welches meist als "Baby Blues" bezeichnet wird) kann vom leichten oder gemäßigten Blues bis zur schweren Psychose führen. Der Blues setzt im allgemeinen in der ersten postpartalen Woche ein, hält einige Wochen an, bis er schließlich aus eigener Kraft überwunden werden kann. Seit Jahrzehnten sind diese Phasen des "Leeregefühls", welche auch als "heulendes Elend" oder "Milchfieber" bezeichnet werden, bekannt. 1926 schrieb jedoch der Psychiater E. A. Strecker, daß die oben genannten Störungsformen nicht als eigenständige Krankheiten existieren. Seiner Meinung nach liegen bei den betroffenen Frauen Störungen wie manische Zustände, Schizophrenien, Depressionen oder andere affektive Störungen vor, und diese sollten dementsprechend behandelt werden. Streckers Einfluß war so groß, daß die Begriffe postnatale Depression sowie die postnatale Psychose weder in offiziellen klinischen Klassifikationen, noch in medizinischen Lehrbüchern aufschienen. Obwohl die beiden vorher genannten Begriffe sowohl von Ärzten als auch von Autoren verwendet werden, gehören sie bis heute nicht der offiziellen medizinischen oder psychologischen Terminologie an. Weder in dem diagnostischen Handbuch DSM noch im britischen ICD hat die PND einen Code für die Computerklassifikation. Auch wissenschaftlich wurden postpartale Stimmungsschwankungen lange Zeit vernachlässigt. Daher finden sich diesbezüglich im deutschsprachigen Raum so gut wie keine wissenschaftlichen Studien. Als Grund für die wissenschaftliche Vernachlässigung wird die scheinbare Normalität, Trivialität und Gutartigkeit des Phänomens angeführt. Es gibt auch noch kein Standardverfahren zur Erfassung des "Baby Blues". Es existieren aber zwei spezielle Fragebogenverfahren, die den Blues zu erfassen versuchen.

Das bekannteste Merkmal des "Baby Blues", welcher bei 24 bis 50 Prozent aller Frauen auftritt, ist unkontrollierbares Weinen, welches so weit verbreitet ist, daß Ärzte es als normalen Bestandteil des Entbindungsprozesses betrachten. Andere Merkmale sind Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Aggressivität, das Gefühl der Verwirrtheit oder der Ablehnung, etc. Tatsache ist aber, daß über die Symptome, die den Blues charakterisieren, kein Konsens besteht. Zwischen dem fünften und dem zehnten Tag nach der Geburt haben bis zu 50 % aller neuentbundenen Frauen Phasen, in denen sie häufig weinen. Viele Frauen verstecken ihre Gefühle gegenüber der Außenwelt, da sie ihre Traurigkeit für unangemessen und für eine sozial unerwünschte Reaktion halten. In unserer Gesellschaft verbinden sich mit der Mutterschaft meist nur positive und liebliche Vorstellungen. Dadurch denken viele, daß Mütter nicht durch die Mutterschaft alleine depressiv werden können, sondern schon vor der Niederkunft zu Depressionen oder anderen psychischen Störungen geneigt haben müssen. Die Kindbettpsychose tritt ebenso wie der "Baby Blues" in der ersten postpartalen Woche in Erscheinung. Beide Formen sind gekennzeichnet durch Erregungszustände und Ängste. Zu den Symptomen des postpartalen Blues manifestieren sich bei der PNP zusätzlich Halluzinationen, Wahnideen sowie starke Stimmungsschwankungen. Diese schweren Symptome können meist nicht aus eigener Kraft bewältigt werden. Daher ist ein Klinikaufenthalt und eine intensive psychotherapeutische Behandlung während den ersten Wochen nach der Entbindung oft unumgänglich. Im Gegensatz zum "Baby Blues" und der PNP tritt die PND nicht gleich nach der Entbindung sondern erst Wochen bis Monate später auf. Die vorherrschende Stimmung (die im allgemeinen langsam und schleichend in Erscheinung tritt) dieser Form ist depressiv. Auch bei dieser später auftretenden Depression unterscheidet man milde, gemäßigte und schwere Formen. PND treten doppelt so häufig in Erscheinung wie PNP. Es ist aber noch unklar ob diese drei Störungsbilder, die unter dem Oberbegriff postpartale Stimmungsstörungen zusammengefaßt sind, voneinander unabhängige Störungen darstellen. Es wäre auch möglich, daß sie sich nur in Ausprägungsgrad und Dauer unterscheiden und somit eine kontinuierliche Dimension mit zunehmendem Schweregrad darstellen.

1.2. Ursachen postpartaler Stimmungsschwankungen

Biologische (körperliche) Ursachen

Der Stellenwert der körperlichen Einflüsse, der Persönlichkeitsvariablen und der demographischen Faktoren bei Wochenbettdepressionen ist bisher noch ungeklärt. Bisherige Studien bezüglich des "Baby Blues" zeigten, daß das Alter der Mutter, Anzahl der Geburten, Dauer und Verlauf der Geburt, Länge des Klinikaufenthaltes und Stillen keinen Einfluß auf das Auftreten des Blues haben dürften. Einige Frauen berichten jedoch, daß sie die "übertechnisierte" Geburt im Krankenhaus erschrecke.

"Das war furchtbar für mich, so hilflos und ausgeliefert in dem ungemütlichen Kreißsaal zu liegen, umgeben von Apparaten, ab und zu untersucht zu werden und das Gefühl zu haben, überhaupt nicht wichtig für die Geburt meines Kindes zu sein, weil dafür schon andere sorgen würden. Ich fühlte mich deshalb sehr niedergeschlagen und traurig und glaube, damit haben meine Depressionen begonnen" (Leibold, 1988, S. 43). Demnach dürften negative Erlebnisse in der Klinik bei der Entstehung postnataler Depressionen einen gewissen Anteil haben.

Ein signifikanter Zusammenhang zeigte sich zwischen der psychischen Befindlichkeit der Mutter während der Schwangerschaft und dem Auftreten des postpartalen Blues.

Hormonelle Veränderungen die mit jeder Schwangerschaft einhergehen, wurden schon relativ früh als Ursache postpartaler Stimmungsschwankungen angenommen. Vor allem der "Baby Blues" dürfte hormonell bedingt sein, da sich die heftigste hormonelle Veränderung am ersten Tag nach der Niederkunft abspielt. Die biologische Erklärung des PPB orientiert sich an der Veränderung der Hormone Östrogen, Progesteron, Prolactin und Kortisol vor und nach der Entbindung. 24 bis 36 Stunden nach der Entbindung sinkt der stark erhöhte Progesteron- sowie der Östrogenspiegel drastisch ab. Dieser Hormonabfall kann ähnliche Symptome hervorrufen wie ein Drogenentzug. Diese biochemischen Veränderungen können zu Schlaflosigkeit, Verwirrtheit, starker Erregung und stundenlangem grundlosen Weinen führen.

Zur Rolle der genannten Hormone wurden verschiedene Hypothesen überprüft, wobei die veröffentlichten Daten aber so widersprüchlich sind, daß bis heute keine einheitlichen Beweise für eine hormonelle Verursachung bzw. Mitverursachung des PPB vorliegen. Für einen Zusammenhang zwischen Depressionen und Hormonen spricht jedoch die Tatsache, daß nach der Geburt depressive Zustände gehäuft bei Frauen auftreten, die auch während der Schwangerschaft und der Monatsblutung an verschiedenen hormonell bedingten Störungen litten. Postpartale depressive Verstimmungen können auch durch körperliche Krankheiten wie Infektionen, Thrombosen, Embolien, etc. im Wochenbett begünstigt werden. Die mit den Krankheiten verbundenen körperlichen Symptome alleine können schon zu Wochenbettdepressionen führen.

1.3. Individuelle psychische Probleme

Erlebnisse während der Geburt

Komplikationen während der Geburt können zu schweren seelischen Belastungen führen, auf die depressive Reaktionen der Mutter möglich sind. Muß das Kind z. B. per Kaiserschnitt geholt werden, kommt es im Einzelfall manchmal zu Schuldgefühlen und dem Gefühl versagt zu haben. Komplikationen während der Geburt führen besonders häufig zu depressiven Zuständen der Mutter, da diese meist zur völligen Passivität verurteilt ist, und es den Ärzten überlassen werden muß ihrem Kind auf die Welt zu helfen.

Fehl-, Totgeburten und Abtreibung

Zu den schwersten seelischen Belastungen, die im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt auftreten, zählen Fehl-, Totgeburten und Abtreibung. Die betroffenen Frauen reagieren sehr häufig mit Depressionen. Zunächst ist diese Reaktion natürlich und muß durch "Trauerarbeit" langsam überwunden werden. Dies gelingt aber nicht immer (vor allem dann nicht, wenn noch andere seelische Störungen vorhanden sind) und längere psychotherapeutische Begleitung wird erforderlich.

Behinderungen des Neugeborenen

Versagens- und Schuldgefühle, welche schon bei Müttern "normaler" Kinder auftreten und zu PND führen können, sind bei Eltern behinderter Kinder viel schwerwiegender. Sie trauern um das vollkommene Kind, welches sie sich erträumt haben. Zusätzlich kommen oft finanzielle Schwierigkeiten und Zukunftsängste hinzu.

Soziale Isolation

Viele Mütter klagen nach der Geburt des Kindes über soziale Isolierung. Sie haben für früher gewohnte Aktivitäten keine Zeit, da sie das Baby durch seine zahlreichen Bedürfnisse derart anstrengt, daß ihnen für anderes kaum Zeit bleibt. Die mangelnde Kommunikation und das Gefühl, alleine mit den eigenen Problemen fertig werden zu müssen, erhöhen die Gefahr an postpartalen Stimmungsschwankungen zu erkranken.

Berufstätigkeit

Auch das gesamte Problemfeld der Berufstätigkeit kann zu den Belastungs- und Streßsituationen, die für die PND charakteristisch ist, beitragen. Die Frau muß sich nicht nur mit der Mutterrolle, sondern auch mit dem verwirrenden Durcheinander in ihrem Selbstbild, mit ihrer Weiblichkeit und ihrer Berufsidentität auseinandersetzen. Einige Frauen leiden unter Schuldgefühlen, weil sie in ihren Beruf zurückgekehrt sind. Sie wollen zwar nicht auf ihre Berufstätigkeit verzichten, fühlen sich aber dem Kind gegenüber schuldig. Andere sind unzufrieden, da sie lieber ganz in ihrer Mutterrolle aufgehen möchten, aber aus finanziellen Gründen das Familieneinkommen aufbessern müssen. Die Konflikte zwischen dem, was die Betroffene meint tun zu müssen, und dem, was sie am liebsten tun möchte, können leicht zu Auslösern postpartaler Stimmungsschwankungen werden.
 
 

1.4. Prävention postnataler Depressionen

Um PND vorzubeugen, ist die umfassende Vorbereitung der Eltern erforderlich. Vor allem junge Eltern sind sich über das Maß ihrer Verantwortung für das Kind und die lange Zeit, während der sie in dieser Pflicht stehen, oft nicht im klaren.

Das mögliche Auftreten postpartaler Stimmungsschwankungen sollte schon vor der Entbindung bedacht und mit dem Partner besprochen werden. Alternative Hilfsmöglichkeiten sollten geklärt werden. Da keine Frau im voraus wissen kann, was ein ausschließliches Mutterdasein für sie bedeuten wird, sollten Alternativen, auch wenn ein Berufsausstieg geplant ist, offen gehalten werden. Frischentbundene Frauen sehen sich häufig mit dem Problem konfrontiert, daß sie sich niemandem anvertrauen können. Häufig werden sie mit aufmunternden Sprüchen abgespeist. Angesichts der gesellschaftlichen Normvorstellung von zufriedenen und glücklichen Müttern erfordert es offenbar immer noch viel Kraft einzugestehen, daß man sich durch die Mutterschaft eingeengt fühlt. Mütter fühlen sich oft unverstanden und beginnen an ihren eigenen Gefühlen zu zweifeln. Mehr Verständnis und Hilfe von Ärzten, Familienangehörigen, Freunden, etc. wäre daher dringend notwendig.

1.5. Behandlung postpartaler Stimmungsschwankungen

Möglichkeiten mit dem "Baby Blues" und gemäßigten PND umzugehen

Eine große unmittelbare Hilfe kann das Gespräch mit einem verständnisvollen Menschen sein. Eltern- oder Mütterselbsthilfegruppen geben den betroffenen Frauen Gelegenheit Erfahrungen auszutauschen. Jede Mutter sollte überlegen, wie sie Regenerationsmöglichkeiten für ihre Energien finden kann. Die Einschränkung der persönlichen Freiheit durch das Kind empfinden viele Frauen als besonders einschneidend. Eine gewisse Anpassung an den Lebensrhythmus des Babys ist unumgänglich, sie sollte aber nicht zu weit gehen, da sonst negative Gefühle und depressive Verstimmungen nicht ausbleiben. Weiters sollten eigene Interessen und soziale Beziehungen nach der Geburt nicht völlig vernachlässigt werden. Natürlich sind Abstriche erforderlich, werden aber die eigenen Interessen zu sehr vernachlässigt, können sich depressive Verstimmungen entwickeln, da sich die Frau unausgefüllt fühlt. Isolation kann ebenfalls leicht zu Depressionen führen, da Gefühle nicht geäußert werden können, und die gesamte emotionale Energie auf das Kind gerichtet wird.

1.6. Behandlung schwerer postnataler Depressionen bzw. postnataler Psychosen

Bei schweren PND oder PNP ist keine Selbsthilfe mehr möglich. Schwermut, Trauer, Pessimismus und andere depressive oder psychotische Symptome beherrschen die Frau so stark, daß sie nicht in der Lage ist, sich aus eigener Kraft zu helfen. In diesen Fällen bleibt die Behandlung dem/der Fachmann/frau vorbehalten und muß manchmal auch teilweise in der Klinik erfolgen. In manchen Fällen werden Psychopharmaka eingesetzt, die stimmungsaufhellend, teils beruhigend und teils anregend wirken. Sie sollten aber nur bei schweren Depressionen bzw. Psychosen eingesetzt werden, da Rückstände des Medikamentes in die Muttermilch gelangen. Um die Wurzeln der Störung zu beseitigen muß meist eine, auf die betreffende Frau zugeschnittene, Psychotherapie durchgeführt werden. In Fällen schwerer PNP ist eine Klinikeinweisung notwendig, da die Betroffene weder für sich noch für ihr Kind die Verantwortung übernehmen kann.

Wichtig ist vor allem das rasche Erkennen postpartaler Stimmungsschwankungen, um der Frau so rasch wie möglich eine individuelle Behandlung zu ermöglichen. Dies erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten, Hebammen, Psychiatern aber auch Laien.
 
 

2. Persönliche Stellungnahme

Da die wenigsten wissen, wie man mit depressiven Menschen umgehen soll, ist es für Frauen, welche unter PND leiden besonders schwer sich jemandem anzuvertrauen – vor allem, weil die Gefühle, die mit postpartalen Stimmungsschwankungen einhergehen den Mutterschaftsvorstellungen widersprechen. Viele Frauen ziehen sich in ein Schneckenhaus zurück, wenn sie feststellen, daß sie niemand zu verstehen scheint. Für sie selbst ist es wahrscheinlich am schwersten sich ihre ambivalenten Gefühle dem Kind gegenüber einzugestehen. Meiner Meinung nach trägt die Gesellschaft einen großen Teil dazu bei, daß psychische Krankheiten häufig vertuscht werden. Es herrscht oft noch die Meinung, daß Depressionen aus eigener Kraft (wenn man sich nur zusammennimmt) überwunden werden können. Mehr Verständnis und Unterstützung für die Betroffenen wäre daher ein wichtiger Schritt um der betroffenen Mutter rasch und gezielt helfen zu können.
 
 

Literaturverzeichnis

Dix, C. (1991). Depressionen nach der Geburt. Hilfe für Mütter (und Väter). Reinbek: Rowohlt.

Leibold, G. (1988). Postnatale Depressionen. Ursachen und Behandlung. Düsseldorf: Econ.

Mähler, B. & Osenbrügge, K. (1995). Die ersten Wochen mit dem Baby. Hamburg: Rowohlt.

Unger, U. & Rammsayer, T. (1996). Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Eine Literaturübersicht zum Post-Partum-Blues und Ergebnisse einer klinischen Studie. In E. Brähler & U. Unger (Hrsg.), Schwangerschaft, Geburt und der Übergang zur Elternschaft (S. 153- 173). Opladen: Westdeutscher Verlag.
 
 
 

Inhaltsverzeichnis

6) Identitätsveränderungen im Zuge des Übergangs zur Elternschaft (Sophie Chabert)

1. Einleitung

Diese Seminararbeit soll einen kurzen Überblick über die Identitätsveränderungen im Zuge des Überganges zur Elternschaft bieten. Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Identität ganz allgemein und soll aufzeigen, was unter Identität zu verstehen ist und wie sie sich entwickelt. Der zweite Teil befaßt sich mit den Identitätsveränderungen selbst. Es interessiert in diesem Zusammenhang vor allem die Frage, welche Identitätsveränderungen in diesem Zusammenhang auftreten und wie sich die Identität verändert. Der Elternidentität wird, als Ergebnis solch einer Identitätsveränderung, besonders viel Raum innerhalb dieser Arbeit gewidmet. Es wird erläutert, was man darunter versteht, wie sie entsteht und wie sie sich weiterentwickelt. In der Folge werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede bezüglich der Elternidentität dargestellt, und es wird die spezifische Mutter- beziehungsweise Vateridentität behandelt.

2. Identität

Identität ist ein hypothetisches Konstrukt, das nicht durch ein Merkmal zu operationalisieren ist, sondern durch eine Vielzahl von Merkmalen, die einen Zusammenhang bilden.

Abgesehen von dem Problem der Operationalisierbarkeit ergeben sich bei der Beschäftigung mit der empirischen Identitätsforschung zwei weitere Schwierigkeiten. Die erste betrifft die Begrenzung der Identitätsentwicklung, die in der Regel mit der Überwindung der Identitätskrise im Jugendalter als abgeschlossen betrachtet wird, die zweite betrifft die Definitionsprobleme. Identität kann nicht einheitlich definiert werden und es gibt unzählige verschiedene Ansätze zu ihrer Definition. Man versteht unter Identität beispielsweise die Summe aller Rollen, die ein Mensch darstellt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von sozialer oder öffentlicher Identität, die einem Individuum im sozialen System zugeschrieben wird. Andererseits aber kann Identität auch ausschließlich als das Ergebnis der individuellen Geschichte betrachtet werden. Identität bedeutet hier soviel wie Individualität oder Persönlichkeit. Es ist dies eine historisch relativ neue Bedeutung von Identität, die erst im 19. Jh. entdeckt wurden. Eine dritte Möglichkeit Identität zu definieren, besteht in einer Verbindung der beiden erst genannten. Identität kann auch als Synthese aus persönlicher Biographie und gesellschaftlicher Realität gesehen werden. Diese Definition beinhaltet zwei Komponenten: Die erste Komponente betrifft die Person, für die man sich selbst hält, das heißt, die persönliche oder personale Identität. Die zweite Komponente betrifft die Person für die einen andere halten. Diese Komponente entspricht der öffentlichen oder sozialen Identität.

So betrachtet, ist Identität immer eine Folge von Interaktion zwischen Menschen und entsteht in einem Prozeß der Identifikation mit potentiellen Modellen, der eingebettet ist in einen großen historischen und kulturellen Kontext.

3. Veränderungen der Identität

3.1. Was passiert mit der Identität im Zuge des Überganges zur Elternschaft?

"Ein Kind zu bekommen, bedeutet immer auch, einen Abschied von einem bisher gewohnten Stück Identität: wir werden nie mehr die sein, die wir waren."

Am Übergang zur Elternschaft, das heißt, während der Schwangerschaft und in den ersten Monaten nach der Geburt steigt der Anteil des Mutter- beziehungsweise Vaterseins am Selbstbild stark an und wird zentral. Gleichzeitig sinkt die Gesamtzahl der übrigen Selbstbildanteile. Man ist nun vollkommen und ganz damit beschäftigt, Mutter oder Vater zu werden. Das gesamte Denken kreist um diese Vorstellung. Dieses Zentral-Werden des Mutter- beziehungsweise Vaterseins oder -werdens ist so stark, daß es zur Ausbildung einer neuen zusätzlichen Identität innerhalb der Gesamtidentität führt. Diese neue zusätzliche Identität wird als Elternidentität bezeichnet. Die Elternidentität ist also ein Teil der Gesamtpersönlichkeit, der am Übergang zur Elternschaft ganz bedeutend und zentral ist und einen großen Teil der Identität ausmacht oder sogar ganz ausfüllen kann. Als zusätzlicher Definitionsraum der Identität bewirkt die Elternidentität natürlich eine Veränderung der Gesamtkonstellation der Identität, die bis dahin erworbenen Identitäten, wie beispielsweise die Partnerschafts- oder die Geschlechtsrollenidentität bleiben jedoch erhalten.

3.2. Was versteht man unter Elternidentität?

Unter Elternidentität versteht man die subjektive Sicht der Person von sich selbst als Vater oder Mutter. Sie ist somit bedeutend für deren Selbstauffassung als Eltern. Ihre Entwicklung vollzieht sich am Übergang zur Elternschaft und besteht im wachsenden Bewußtsein Mutter oder Vater zu werden. Die biologische Tatsache Mutter oder Vater zu werden reicht jedoch für den Erwerb der Elternidentität nicht aus. Die Elternidentität enthält Anteile, die bereits Teil der allgemeinen Ich-Identität sind, von den Erfahrungen der eigenen Eltern herrühren und dann in der Pubertät und im frühen Erwachsenenalter in Zusammenhang mit der gesamte Lebensplanung (will ich wirklich ein Kind?) ausdifferenziert und erweitert wurden, aber auch Anteile, die erst in der Schwangerschaft völlig neu erworben werden müssen.

Drei Komponenten sind an der Zusammensetzung der Elternidentität beteiligt: die kognitive Komponente, die emotionale Komponente und das Verhalten. Die kognitive Komponente betrifft die Selbstkategorisierung als Mutter oder Vater, das heißt die Sicht der Person von sich selbst als Mutter oder Vater, die sich aus den Erfahrungen der individuellen Biographie entwickelt hat. Diese Vorstellung wird entweder bereits mitgebracht oder sie entwickelt sich erst nach der Geburt in der Auseinandersetzung mit dem Kind und ist eingebettet in einen bestimmten historischen und kulturellen Kontext. Sie entspricht der kognitiven Repräsentation eines Elternkonzeptes. Die zweite Komponente, die emotionale Komponente, betrifft die emotionale Auseinandersetzung mit diesem Bereich des Ichs. Ihre Entwicklung erfolgt bei Mann und Frau unterschiedlich. Bei der Frau wird ihre Entwicklung durch die unmittelbare Erfahrung des Kindes beeinflußt. Die mittelbare Erfahrung des Kindes, zum Beispiel durch Ultraschall, hat keine nachhaltige Wirkung auf die emotionalen Entwicklungsprozesse im Rahmen der Identitätsentwicklung. Sie kann emotionale Prozesse zwar stützen aber nicht langfristig auslösen. Beim Mann wird die Entwicklung der emotionalen Komponente der Identität durch die Art und Weise, wie seine Partnerin ihre körperliche Entwicklung bewertet und erlebt, mitbestimmt. Der werdende Vater ist also in seiner Entwicklung stark abhängig vom Erleben seiner Frau. Liegt ihrerseits eine akzeptierende Haltung vor, resultiert daraus eine parallele Entwicklung beim Mann. Bei ambivalenter Haltung der Frau allerdings entwickelt der Ehemann eine kompensatorische Haltung. Die Entwicklungsverläufe ergänzen sich gegenseitig sinnvoll. Dort, wo ein Elternteil nicht in der Lage ist, das Kind willkommen zu heißen, entwickelt der andere diese Fähigkeit. Die Parallelität beziehungsweise Komplementarität der werdenden Eltern, zeigt, daß die Identitätsentwicklung ein partnerschaftlicher Prozeß ist, der im Rahmen einer gemeinsam erfahrenen Elternschaft die Möglichkeit bietet, die Grundlage für eine weitere gemeinsame Entwicklung zu legen. Als dritte Komponente der Elternidentität gilt das Verhalten. Das Verhalten werdender Mütter und Väter orientiert sich stark an Rollentypisierungen. Die Rollenerwartungen, mit denen sie sich in unserer Kultur heute wohl am stärksten auseinandersetzen müssen, sind die der Mutter als "opferbereite Hausfrau" und die des Vaters als "verantwortlicher Versorger". Auch die eigene Familie stellt eine weitere Orientierungshilfe dar. Die Art der Bewältigung der neuen Situation wird weitgehend durch Klarheit oder Unklarheit der Rollenleitbilder beeinflußt.

3.3. Wie entsteht die Elternidentität?

Die Entstehung der Elternidentität erfolgt in der Auseinandersetzung mit dem Bild oder Vorbild der eigenen Eltern, mit den Vorbildern, die die Umgebung bietet und anderen kulturell vermittelten Modellen, mit denen bestimmte Rollenerwartungen verknüpft sind.

Ihre Herstellung ist eine entwicklungspsychologisch orientierte Aufgabe. Sie steht in lebensgeschichtlichem Zusammenhang von Erfahrungen, die ein Mensch gemacht hat und orientiert sich daran wie er werden möchte. Die Entwicklung beziehungsweise die Entstehung der Elternidentität ist unter ganz bestimmten Bedingungen beobachtbar. Es sind dies identitätskritische Lebenslagen, sogennante "life-events", die dazu herausfordern, einzelne Ausschnitte der Identität besonders zu gewichten und zu akzentuieren. Eine wichtige Auseinandersetzung für ihre Entwicklung ist die Auseinandersetzung mit dem werdenden Kind. Phantasien über den Fötus, sein Aussehen und sein Verhalten sind von entscheidender Bedeutung. Diese Phantasien brauchen zu ihrer fortschreitenden Veränderung Anstöße, die gegeben sind durch die körperliche Wahrnehmung bei der Frau und vor allem visuelle und soziale Wahrnehmung beim Mann. Hierfür werden ganz bestimmte Schlüsselereignisse genannt. Diese sind geschlechtsabhängig und beruhen auf dem unterschiedlich kulturell verwurzelten Verständnis von Mutterschaft und Vaterschaft. Diese Schlüsselereignisse liegen bei der Frau überall dort, wo sich Mutterliebe entwickelt, beim Mann immer dort wo sich ein Gefühl von Verantwortung und eine Zukunftsperspektive einstellt.

Im folgenden sollen die wesentlichen Schlüsselereignisse angeführt werden.

Vor der Geburt sind dies:

1.) Das Sichtbar-Machen des Kindes durch Ultraschall

2.) Das Hörbar-Machen des Herzschlages des Kindes

3.) Die Wahrnehmung der kindlichen Bewegung

4.) Die deutlich sichtbare Körperveränderung: Die werdenden Mütter und Väter werden nun auch häufig von Nichteingeweihten auf ihre Rolle hin befragt, und müssen sich spätestens jetzt damit auseinandersetzen.

5.) Konkrete Handlungen, die auf die Ankunft des Kindes vorbereiten: Darunter fällt zum Beispiel die Wahl eines Namens, der das Kind in gewisser Weise bereits mit einem Charakter belegt, da hiermit meistens das Bild eines geborenen Kindes verknüpft ist.

Dies zeigt sich in Überlegungen wie "dieser Vorname in Kombination mit diesem Nachnamen provoziert zu dem und dem Spottnamen, dann wird das Kind in der Schule nur geärgert, das oder das Familienmitglied hieß so und ich kann mir vorstellen, daß mein Kind einen ähnlichen Charakter haben wird". Andere konkrete Handlungen wären auch noch der Kauf oder die Herstellung von Kleidung und anderen Dingen, die für das Kind benötigt werden sowie die Einrichtung eines Bettchens oder Zimmers.

Auch nach der Geburt lassen sich bestimmte Schlüsselereignisse aufzeigen, die zur Entwicklung der spezifischen Vater- oder Mutteridentität beitragen. Gewisse Verhaltenssignale des Kindes sind hier ausschlaggebend für das Verhalten der Eltern. Als Beispiele derartiger Verhaltenssignale seien das Kindchenschema, Schauen, Lächeln, ... genannt.

  1. Was hat die Entwicklung der Elternidentität für einen Sinn?
Die Entwicklung der Mutter- oder Vateridentität führt zu Bindungsbereitschaft, die dann nach der Geburt in konkretes Verhalten umgesetzt werden kann.

Die Elternidentität erleichtert erstens die Akzeptanz der Kinder und die Bindung nach der Geburt, und zweitens die Anpassung an die neue Situation.

3.5. Geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich der Elternidentität?

Da die Erfahrungen als Mütter und Väter unterschiedlich sind und darüber hinaus an Mütter und Väter unterschiedliche gesellschaftliche Ansprüche gestellt werden, ist auch zu erwarten, daß diese Entwicklung durch die jeweils anderen Einflußfaktoren auch einen unterschiedlichen Verlauf nimmt.

Die Elternidentität entspricht also nicht der spezifischen Mutter- oder Vateridentität.

Mutteridentität

Mutteridentität ist die Fähigkeit und die Absicht der Mutter das Kind willkommen zu heißen und zu ernähren (Definition nach Erikson).

Der vorherrschende Anteil ist die Emotionalität. Das Gelingen, ein Bild vom Kind und sich selbst als Mutter zu entwickeln, wird hauptsächlich emotionalen Veränderungen zugesprochen. Der entscheidende Auslöser für die emotionalen Prozesse ist die ständige Repräsentanz des Kindes durch die unmittelbare körperliche Erfahrung. Die Akzeptanz der Schwangerschaft und die Sensibilität für emotionale Prozesse sind entscheidende Schritte für ihre Entwicklung. Die Wahrnehmung der Mutter wird unterschiedlich schnell oder langsam auf das Kind gerichtet. Dies hängt davon ab, ob die werdende Mutter bereits vor der Schwangerschaft eine individuelle Vorstellung davon hat, wie eine Mutter sein sollte und daß sie selbst Mutter sein will. In diesem Fall differenziert die werdende Mutter dieses Bild zunehmend, bis sie gegen Ende der Schwangerschaft Sicherheit darüber gewonnen hat, wie sie selbst als Mutter sein wird. Die Vorstellung von Mutterschaft kann jedoch auch ausschließlich gesellschaftlichen Normen entlehnt sein und dadurch unter Umständen ambivalent erlebt werden. Die Entwicklung eines individuellen Bildes entsteht erst im Verlauf zur Elternschaft. Es wird dann meist plötzlich, durch die Signale des Kindes angestoßen. Die Frage der Zukunftsplanung ist für Mütter mit der Aufgabe oder Beibehaltung ihres Berufes verknüpft, wobei sie ganz selbstverständlich davon ausgehen, daß sie in den ersten Monaten für das Kind da sein werden, bedingt durch eine über die Schwangerschaft hinausreichende Bindung, das Stillen, an das Kind. Sicher ist das Gefühl von materieller Verantwortung auch für Frauen wichtig, aber sie akzentuieren es weit weniger als Männer. Für sie geht es offenbar darum, ob sie während der Schwangerschaft eine Beziehung zu dem Kind aufbauen können, es geht um Mutterliebe.

Vateridentität

"Vaterschaft findet im Kopf statt" ist die These, unter der die Entwicklung des werdenden Vaters meist betrachtet wird. Durch die Unmöglichkeit, das körperliche Erleben der Frau zu teilen, scheinen die kognitiven Prozesse um die Auseinandersetzung mit der künftigen Vaterschaft im Vordergrund zu stehen. Es ist daher auch anzunehmen, daß die kognitive Verunsicherung des Mannes zu Beginn der Schwangerschaft größer ist als jene der Frau.

Allerdings spielen sich auch beim werdenden Vater emotionale Prozesse ab. Das emotionale Engagement des Mannes während der Schwangerschaft ist in drei Phasen einteilbar:

Die erste Phase, die Ankündigungsphase reicht von der Ahnung über eine bestehende Schwangerschaft bis zu deren Bestätigung und ist vor allem durch das Erleben von Streß gekennzeichnet. In der Moratoriumsphase, der zweiten Phase, wird der Gedanke an die Schwangerschaft zurückgestellt. Es herrscht emotionale Distanz vor. Diese zweite Phase dauert unterschiedlich lange und wird dann aber sehr plötzlich beendet.

Es folgt nun hieraus die dritte Phase, in der der Mann die Schwangerschaft "wie vom Blitz getroffen" begreift und sie als wirklich und wichtig für sein Leben begreift. Er beginnt in dieser letzten Phase seine zukünftige Rolle zu definieren und macht sich ein Bild von seinem Kind. Für Männer markiert die Tatsache Vater zu werden, den Beginn eines neuen Lebensabschnittes, neue Verantwortlichkeiten und neue Sichtweisen der Zukunft.

Männer sprechen daher viel häufiger als Frauen darüber, welche Bedeutung die Schwangerschaft für ihr Leben hat und welche Zukunftsperspektiven sich für sie daraus ergeben. Obwohl Verantwortung und Zukunftsplanung die für Männer zentrale Themen sind, möchten natürlich auch sie eine Beziehung zu ihrem Kind aufbauen und sind um eine emotionale Bindung bemüht. Die Aussagen der werdenden Väter stehen in einem engen Bezug zu den von ihren Frauen geäußerten Ansichten, Empfindungen und Erlebnissen. Insofern scheint Vaterschaft wirklich eine Erfahrung aus "zweiter Hand" zu sein. Hat die Frau keine Schwierigkeiten eine Beziehung aufzubauen, ist es für den Vater während der Schwangerschaft schwer, eine eigene väterliche Identität zu entwickeln und seine Beziehung zum Kind zu definieren, solange er sich an mütterlichen Modellen orientiert. Gelingt es der Mutter jedoch nicht, eine eigene mütterliche Identität zu etablieren, so kann der Vater in Beziehung zum Kind eine komplementäre Funktion einnehmen.

4. Zusammenfassung

Im Zuge des Überganges zur Elternschaft steigt der Anteil des Mutter- beziehungsweise Vaterseins am Selbstbild der werdenden Eltern dermaßen stark an, daß es zur Entwicklung einer neuen zusätzlichen Identität, der Elternidentität kommt. Man versteht darunter, die subjektive Sicht von sich selbst als Vater oder Mutter. Ihre Entstehung erfolgt in der Auseinandersetzung mit dem Bild der eigenen Eltern, den Vorbildern der Umgebung und anderen kulturell vermittelten Modellen und ist unter ganz bestimmten Bedingungen ("life-events" und identitätskritischen Lebenslagen) beobachtbar. Die Elternidentität führt zu einer Bindungsbereitschaft. Sie erleichtert die Akzeptanz des Kindes und die Anpassung an die neue Situation. Die Elternidentität entspricht jedoch nicht der spezifischen Mutter- oder Vateridentität. Mutteridentität wird als die Fähigkeit und die Absicht das Kind willkommen zu heißen definiert. Der vorherrschende Anteil ist die Emotionalität. Das Gefühl von materieller Verantwortung ist für Frauen sicher auch wichtig, sie akzentuieren es allerdings weit weniger als Männer. Für sie geht es vorwiegend darum eine Beziehung zum Kind aufzubauen und um Mutterliebe. Bei Vätern stehen vor allem die kognitiven Prozesse im Vordergrund. Die Tatsache Vater zu werden markiert für Männer den Beginn eines neuen Lebensabschnittes, neue Verantwortlichkeiten und neue Sichtweisen der Zukunft. Auch sie sind jedoch um eine Beziehung und Bindung zu ihrem Kind bemüht.

Literaturverzeichnis

Gauda, G. (1990). Der Übergang zur Elternschaft. Eine qualitative Analyse der Entwicklung der Mutter- und Vateridentität. Frankfurt / Main: Peter Lang.
 
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7) Elternschaft und Partnerschaftsqualität (Doris Wölbitsch)

1. Einleitung

Die Geburt eines Kindes stellt einen großen Umbruch dar. Auf die Partner kommt eine Reihe neuer Aufgaben zu und viele Anpassungsleistungen sind erforderlich. Diese neue Situation hat natürlich auch einen großen Einfluß auf die Beziehung der Partner zueinander. Je nachdem, vor welche Schwierigkeiten die jungen Eltern gestellt werden und welche Strategien sie anwenden, um diese Herausforderungen und Schwierigkeiten zu meistern/zu bewältigen, kann die Partnerschaft negativ oder positiv beeinflußt werden. Bevor ich aber auf diese Umstände näher eingehe, möchte ich noch einige Faktoren aufzählen, die auf jede Art von partnerschaftlichen Beziehungen Einfluß nehmen.

2. Determinanten für Partnerschaftsqualität und -stabilität

2.1. Gesellschaftliche Faktoren:

Hierzu zählen Einflüsse von Schicht und Status, besonders gesellschaftliche Werte und Normen (z. B.: In den 60er Jahren aufkommende Begriffe wie Emanzipation, Liebesheirat, Unabhängigkeit hatten großen Einfluß und bewirkten ein Umdenken in Ehe und Partnerschaft.). Es ist heute die Tendenz da, Beziehungen schneller aufzulösen, wenn sie nicht den Vorstellungen/ Ansprüchen der jeweiligen Partner genügen. Die Ansprüche und Erwartungen (in Liebe, Zärtlichkeit, Feinfühligkeit, Verständnis, Sexualität etc.) an partnerschaftliche Beziehungen sind in den letzten Jahren stark angestiegen, die Befriedigung der Bedürfnisse und die Einlösung der Erwartungen durch den anderen werden erschwert. Daraus können Unsicherheit und Unzufriedenheit resultieren. Auch die zunehmende Liberalisierung und Enttabuisierung durch die Medien kann zu Konflikten führen, speziell dann, wenn die neuen aufoktruierten Werte und Normen nicht den eigenen (bzw. den im Elternhaus erlernten) entsprechen. Punkte wie Scheidung, außerehelicher Geschlechtsverkehr, uneheliche Kinder haben heute ihren negativen Touch verloren, was zu einem erweiterten Handlungsspielraum führt.

2.2. Ökonomische Faktoren

In Krisenzeiten scheinen die Ehen stabiler zu sein und die Partnerschaftszufriedenheit wird in der Regel positiver bewertet. In weniger entwickelten Staaten bleiben weniger Frauen allein und unverheiratet als in Industriestaaten.

2.3. Soziobiologische Faktoren

Eine Theorie besagt, daß Frauen mehr an Stabilität interessiert sind, während Männer vermehrtes Interesse an Abwechslung und Diversität zeigen. So wäre dadurch in Gesellschaften, in denen den Männern eine größere Auswahl an Frauen zur Verfügung steht, die Scheidungsrate höher.

2.4. Juristische Faktoren

In den letzten Jahren (Jahrzehnten) wurde die Scheidung juristisch einfacher. Dadurch steigt ihre Attraktivität. In Ländern mit liberaleren Scheidungsgesetzen ist ein Anstieg an Scheidungen zu verzeichnen.

2.5. Psychologische Faktoren

Attraktivität der Partner

Dieser Aspekt ist zu Beginn einer Partnerschaft von Bedeutung, verliert jedoch im Laufe der Partnerschaft an Bedeutung. Er spielt aber eine gewisse Rolle bei der Aufrechterhaltung der Beziehung.

Einstellungen und Erwartungen

Vorstellungen und Erwartungen bezüglich Partner und Partnerschaft haben einen großen Einfluß auf die Partnerschaftsqualität. So haben zum Beispiel höhere Unzufriedenheit und intrinsische Motivation als Grund für das Fortbestehen der Beziehung einen hohen Prädiktorwert für die Trennung.

Psychische und somatische Befindlichkeit

Einen hohen positiven Einfluß auf die Partnerschaftszufriedenheit haben persönliche Eigenschaften wie seelisches und psychischen Wohlbefinden und interpersonelle Sozialkompetenzen.

Kompetenzen der Partner

Hier sind als die bedeutungsvollsten individuelle und dyadische Kompetenzen, wie Sozialkompetenz, Interaktions- und Kommunikationsfertigkeiten, Bereitschaft zur Selbstöffnung, adäquater Gefühlsausdruck, Problemlösefähigkeit beider Partner zu nennen. Studien haben ergeben, daß bezüglich dieser Variablen ein hoher Unterschied zwischen zufriedenen Paaren und weniger zufriedenen Paaren besteht. Zufriedene Paare zeichnen sich u. a. durch mehr positive Affekte, mehr soziale Verstärkung, mehr versöhnende und die Interaktion erleichternde Handlungen, ein stärkeres Engagement bei Problemlösungen aus.

Ich möchte noch kurz einige Arten von Streß erwähnen, die einen negativen Einfluß auf die Partnerschaftsqualität haben können:

"Kultureller" Streß

Durch die laufenden Veränderungen, denen wir in der heutigen Zeit ausgesetzt sind, steigen die Adaptionsanforderungen an jeden einzelnen, sowie auch an die Partnerschaften, z. B. durch berufliche Bedingungen.

Streß im Beziehungsbereich

Besonders Begriffe wie Selbstverwirklichung, Emanzipation und Freiheit wirken oft als ein verunsichernder Faktor. Durch den Anstieg der Ansprüche an Liebe, Zärtlichkeit, Feinfühligkeit, Verständnis, Sexualität etc. wird es für beide Partner immer schwieriger den Bedürfnissen und Erwartungen des anderen zu genügen. (Eine besondere Problematik ist hier gegeben, wenn Paare sehr jung in die Ehe gehen, da sie meistens die eigene Persönlichkeit noch nicht gefestigt haben, und somit den Auseinandersetzungen der Partnerschaft/Ehe nicht adäquat begegnen können.).

Physikalische Stressoren

Die jeweilige Umgebung, Infrastruktur etc. können ebenfalls einen Einfluß auf die Partnerschaftsqualität haben (z. B. Lärmbelastung, Umweltverschmutzung).

Moderne Epidemien

Unheilbare Krankheiten, wie z. B. Aids, die durch Geschlechtsverkehr oder Ähnliches übertragen werden, stellen ein Risiko bei der Bildung von Partnerschaften dar.

3. Die Geburt des ersten Kindes als kritisches Lebensereignis

Dieses Ereignis wird deshalb als kritisch betrachtet, da es gewohnte Verhaltensmuster stört und einen Wendepunkt zu einer positiven oder negativen Entwicklung darstellt. Das Ereignis selbst wird dabei nicht als störend empfunden, sondern die Veränderung der Lebenslage.

Die Geburt eines Kindes stellt also einen Umbruch dar, der von beiden Partnern eine (große) Umstellung verlangt. Sie müssen eine neue Rolle übernehmen, die für das Kind die Funktion der Versorgung, der Sozialisation und der Erziehung hat. Durch diesen Prozeß kann eine Reihe von Bedürfnissen gefährdet sein.

3.1. Potentiell gefährdete Bedürfnisse beim Übergang zur Erstelternschaft:

Im Bereich Erwerbsarbeit können gefährdet sein die Bedürfnisse nach

- Zeit für die Erwerbsarbeit

- Ausgeglichenheit, Gelassenheit bei der beruflichen Arbeit

- Beziehungen zu Kollegen

- beruflichen Erfolg

- materieller Unabhängigkeit vom Partner / von der Partnerin

- beruflicher Weiterentwicklung

Im Bereich Hausarbeit können gefährdet sein die Bedürfnisse nach

- Einhaltung der Qualitätsstandarts im Haushalt

- Ausgeglichenheit, Gelassenheit bei der Hausarbeit

- Kultiviertheit, Eßkultur, Alltagskultur

Im Bereich Partnerschaft können gefährdet sein die Bedürfnisse nach

- Sexualität

- Konfliktfreiheit

- Verhaltenssicherheit gegenüber Partnerin / Partner

- Ausgeglichenheit, Gelassenheit im Umgang mit dem Partner / der Partnerin

- Einfühlungsvermögen des Partners / der Partnerin, mitfühlendem Verständnis

- Ansehen beim Partner / der Partnerin und Anerkennung durch den Partner / die Partnerin.

Im Bereich Freizeit können gefährdet sein die Bedürfnisse nach

- Schlaf

- Ausruhen

- Zerstreuung, Ablenkung

- eigene Pflege und "Verwöhnung"

- gemeinsamen Freizeitaktivitäten mit dem Partner / der Partnerin

- Freundschaftsbeziehungen

- Verwandschaftsbeziehzungen

- Wissenserwerb, Bildung

- Erhaltung körperlicher Leistungsfähigkeit

- Engagement für soziale, politische, religiöse Ziele.

Bereichsübergreifend können gefährdet sein die Bedürfnisse nach

- Flexibilität und Freiheit

- Existenzsicherheit

- Wohlstand.

Bei Frauen sind hier in allen Bereichen Einschränkungen festzustellen (Reichle, 1994). Besonders stark sind diese im Erwerbstätigkeits- oder Ausbildungsbereich, aber auch in der Erfüllung ihres Schlafbedürfnisses. Auch die "Erhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit" und der "gesellschaftlichen Partizipation" werden zurückgestellt. Die Männer erleben ebenfalls Einschränkungen in den einzelnen Bereichen, aber wesentlich geringer als die Frauen. Bei den Frauen sind leichte Zuwächse in den partnerschaftsbezogenen Bedürfnissen "Verständnis des Partners" und "Anerkennung des Partners" festzustellen. Bei den Männern ist nur ein geringerer Zuwachs im letztgenannten Bedürfnis zu vermerken. Durch die Einschränkung in den einzelnen Bereichen können Probleme wie die folgenden entstehen.

Die Partnerschaftszufriedenheit steht mit den folgenden Punkten in einem signifikant hohen Zusammenhang (Reichle, 1994): Bei den Frauen besteht im Bereich der Partnerschaft ein signifikant hoher Zusammenhang zw. Partnerschaftszufriedenheit und Einschränkungen in Bedürfnissen:

- nach Ruhe und Gelassenheit im Umgang mit dem Partner,

- nach Respekt des Partners,

- Verständnis des Partners,

- gemeinsamen Unternehmungen mit dem Partner,

während bei den Männern nur ein signifikant hoher Zusammenhang zwischen Partnerschaftszufriedenheit und der Einschränkung in seinem Bedürfnis nach Sexualität feststellbar ist.

Problematische Ausgangssituationen wie Unzufriedenheit in der Partnerschaft bereits vor der Geburt des Kindes, ungewollte Schwangerschaft, schwierig empfundene Schwangerschaft und Geburt, erschweren den Partnern die Anpassung an die neue Situation. Paare, die vor der Geburt schon länger zusammenlebten zeigten sich als weniger krisenanfällig.

Gloger-Tippelt (1988, zitiert nach Reichle, 1994) teilt das prozeßhafte Geschehen um die Geburt eines Kindes in 7 Phasen:

1. Verunsicherungsphase bis zur 12. Schwangerschaftswoche post menstruationem

2. Anpassungsphase bis zur 20. SSW p.m.

3. Konkretisierungsphase von 20.-32. SSW p.m.

4. Geburtsphase

5. Phase der Überwältigung und Erschöpfung 4-8 Wochen nach Geburt

6. Phase der Herausforderung und Umstellung bis zum 6. Monat

7. Phase der Gewöhnung ab 6. Lebensmonat

Gloger-Tippelt betont die Bedeutung folgender Punkte für die erfolgreiche Bewältigung dieses Umstellungsprozesses:

- Vorerfahrungen mit Kindern (ideal, wenn man diesen Prozeß schon einmal mitmachen konnte, und man ungefähr einen Ahnung hat davon, was auf einen zukommen kann)

- eine realistische Zukunftseinschätzung

- Interaktions- und Kommunikationsfertigkeiten

- Interpersonelle Sozialkompetenzen

- Bereitschaft zur Selbstöffnung

- Empathie

- Bereitschaft zur konstruktiven Problemlösung

In Geburtsvorbereitungskursen sollten, nach Gloger-Tippelt, die werdenden Eltern auch die Möglichkeit bekommen, die Zeit nach der Geburt genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Paare sollten diese Konfliktsituationen diskutieren können. Eine gute Alternative wäre auch die Weiterführung von Elterngruppen, die während der Schwangerschaft entstanden sind.

4. Zusammenfassung

In meinem Beitrag habe ich versucht, näher auf die Problematik der Veränderungen durch die Geburt des ersten Kindes und ihre Folgen für die Partnerschaft der Eltern einzugehen. Dabei bin ich zuerst von allgemeinen Überlegungen zur Partnerschaft ausgegangen, um zu sehen, welchen Belastungen/Bewährungsproben Partnerschaften in unserer heutigen Zeit außerdem ausgesetzt sind. Man kann das Zusammenleben zweier Menschen als ständige Arbeit aneinander und miteinander betrachten, also in sich betrachtet schon als eine Herausforderung. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Geburt eines Kindes, insbesondere des ersten Kindes eine große Umstellung darstellt und Probleme mit sich bringt. Wenn man sich darauf einstellt, daß besonders in der ersten Zeit vielleicht nicht alles so einfach sein wird, wird man vielleicht weniger schnell aus der Bahn geworfen. Ich glaube, es ist für die Partner wichtig, zu wissen, daß sie nach der Geburt des Kindes verschiedene Dinge, z. B. eigene Freiheit, Zeit nur für den Partner allein da zu sein, etc. einschränken, bzw. auf verschiedene Dinge verzichten müssen. Auch sollten sich beide bereit für so eine Veränderung fühlen. Paare, bei denen eine ungeplante Schwangerschaft entsteht, sind hier vielleicht einen Schritt hintennach. Ich glaube aber trotzdem, daß sich jedes Problem bewältigen läßt, vorausgesetzt man ist bereit sich, mit dem Partner gemeinsam, damit auseinanderzusetzen. Außerdem darf man nicht vergessen, daß die Geburt eines Kindes so etwas Schönes und Wunderbares ist.
 
 

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8) Mütterliche Belastungsverarbeitung (Alexandra Wiener)

1. Einleitung

Der Übergang zur Elternschaft, im besonderen aus der Perspektive der Frau, wird als einschneidendes Erlebnis im Leben einer Frau gesehen. Ein solch freudiges Ereignis zeigt sich jedoch nicht immer nur von der Sonnenseite. Die erfordernden Umstellungen bringen neben der Bereicherung auch enorme Belastungen mit sich. Die Lebensveränderungen, die sich abzeichnen, bedeuten zuerst eine Störung gewohnter Verhaltensmuster, wobei sich oft Krisen entwickeln können. Um diese Veränderungen seitens der Mutter, die damit bedingten Belastungen und die günstige Belastungsverarbeitung im Umgang mit einem Säugling soll es nun im folgenden hauptsächlich gehen.

2. Übergang zur Elternschaft

In der psychologischen Lebensereignisforschung wird als kritisches Lebensereignis ein Vorkommnis bezeichnet, das gewohnte Verhaltensmuster stört und insofern krisenhaft ist, als es einen Wendepunkt zu einer positiven oder negativen Entwicklung markiert (Reese & Smyer, 1983 zitiert nach Reichle, 1994). Dabei ist es nicht das Lebensereignis per se, das belastet und Gewohnheiten stört, sondern vielmehr die Lebenslage, für die das Ereignis lediglich der Auslöser ist (Montada, 1981, zitiert nach Reichle, 1994).

Ein empirisch begründetes Modell bezüglich Übergang zur Elternschaft stammt von Gabriele Gloger-Tippelt (1988). Sie unterscheidet zwischen acht "idealtypischen psychologischen Phasen des Übergangs". Während der Schwangerschaft, der Geburt und im ersten Jahr des Kleinkindes haben Mütter immer neue Aufgaben zu bewältigen. Psychische Veränderungen, biologische Vorgänge sowie soziale Um- und Neuorientierungen führen in den verschiedenen Phasen zu unterschiedlichen Anforderungen. Die Verunsicherungsphase(bis zur 12. Schwangerschaftswoche) beginnt, wenn sich die ersten Befürchtungen oder Erwartungen über das Vorliegen einer Schwangerschaft einstellen. Psychosomatische und hormonelle Veränderungen und die körperliche Belastung durch Erbrechen, Schwindelgefühl, Müdigkeit etc. machen in dieser Phase vielen Frauen zu schaffen. DieAnpassungsphase (ca. 12.-20. Schwangerschaftswoche) stellt eine ruhigere Zeit dar. Die Schwangerschaft wird allmählich akzeptiert, Ängste, Depressionen und negative Stimmungen nehmen ab, und die psychische Gesundheit der Mutter steigt. In der Konkretisierungsphase (ca. 20.-32. Schwangerschaftswoche) werden erstmals Kindesbewegungen registriert. Diese Rückmeldungen sind für die Mutter von großer Bedeutung. Die Vorstellungen vom Kind als selbständiges Wesen konkretisieren sich immer mehr, die Zuversicht steigt, und die Ängste erreichen ihr niedrigstes Niveau. Die Phase der Antizipation und Vorbereitung (ca. 32.-40. Schwangerschaftswoche) wird durch die bevorstehende Geburt geprägt, welche oft ambivalente Gefühle auslöst. Für viele Frauen ist das Ende der Schwangerschaft mit neuen körperlichen Belastungen verbunden (Senkung des Uterus etc.), die sie als negativ erleben. Oft kommt es auch zu einer emotionalen Labilisierung. Weiters finden Vorbereitungen auf die Geburt, Veränderungen in der Umgebung etc. statt. Die Geburtsphase wird als Kulminationspunkt und Wendepunkt in der Familienentwicklung gesehen. Viele Mütter berichten nach der Geburt von einem spontanen Wechsel von äußerster Anspannung und Schmerz zu unerwarteter Ruhe und intensivem Glücksgefühl.

Die Phase der Überwältigung und Erschöpfung (ca. 4-8 Wochen nach der Geburt) verlangt von der Mutter, daß sie sich auf die Bedürfnisse des Säuglings einstellt. Die völlig neue und ungewohnte Situation verlangt große Umstellungen und eine enorme Flexibilität. Es kommt zu einem Bruch mit dem vorher etablierten Alltagsleben. Mütter berichten von körperlicher Erschöpfung, Müdigkeit und reduzierter kognitiver Leistungsfähigkeit infolge der nächtlichen Schlafunterbrechungen. Weiters sind die ersten Wochen mit dem Neugeborenen von enormer Aktivität, Sorge, Nervosität und Anspannung gekennzeichnet, und der Übergang von der Dyade zur Triade verläuft nicht immer unproblematisch. In der Phase der Herausforderung und Umstellung (ca. 2.-6. Monat nach der Geburt) zeigen sich die ersten Anzeichen von Bindungsverhalten zwischen Kind und Bezugsperson. Das Kind wird zunehmend sozial aktiv und die Pflege- und Versorgungsroutine des Kindes gestaltet sich immer weniger strapaziös. Die Arbeitsteilung der Eltern ist bereits geregelt, wobei sich die Rollenverteilung in den meisten Familien traditionell gestaltet. Manche Frauen berichten von einer gewissen Ernüchterung was den Alltag mit einem Baby, die Rolle als Hausfrau und Mutter oder das Familienleben betrifft. Darüber hinaus erleben sie die finanzielle Abhängigkeit und den Mangel an Sozialkontakten oft als sehr belastend. In der Phase der Gewöhnung (ca. 6.-12.- Monat nach der Geburt) kommt es zu einer gewissen Alltagsroutine. Die Erfahrungen mit dem Kleinkind helfen den Eltern nun den Alltag mit mehr Sicherheit, Entspannung und Reflexion zu bewältigen.

3. Belastende Lebensveränderungen für Mütter

Eine Situation ist dann für eine Mutter belastend, wenn sie als schädigend oder beeinträchtigend bewertet wird und nicht durch eine automatisierte Handlung behoben werden kann, sondern zielorientiertes Bewältigungsverhalten verlangt (Schedle, 1994).

Belastende Situationen können vom Kind z. B. in Form einer Krankheit, sowie von Kontextbedingungen (Zeitdruck) als auch von der Mutter selbst verursacht werden, z. B. in Form von Überlastung oder Müdigkeit. Wie eine Mutter den belastenden Alltag mit ihrem kleinen Kind bewältigt, hängt wiederum von mehreren Faktoren ab: Nämlich von den Merkmalen des Kindes (Temperament, etc.), den derzeitigen Lebensbedingungen (z. B. Streit mit dem Partner) sowie vom Charakter der Mutter selbst, dazu gehören ihre Erwartungen, Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale. Man kann davon ausgehen, daß die Art, wie eine Mutter kritische Situationen im Alltag bewältigt, für das Kind von großer Bedeutung ist. Eine bewältigungskompetente Mutter kann nämlich auch unter schwierigen Umständen ihr eigenes psychisches Gleichgewicht besser aufrechterhalten, was ihr wiederum ermöglicht, dem Kind mehr Aufmerksamkeit zu schenken und darüber hinaus auch auf seine Bedürfnisse eingehen zu können. Bewirkt das Kind durch seine Signale, wie Schreien, daß ihm die Mutter bei der Linderung von Distress hilft, so erfährt es die eigene Effektivität, verstärkt durch das angenehme Gefühl der Beruhigung, was seine weitere Entwicklung positiv beeinflußt.

Man kann also annehmen, daß die Art der mütterlichen Belastungsverarbeitung in Interaktionssituationen einen bedeutenden Einfluß auf die Streßbewältigungskompetenz und die Entwicklung des Kindes hat. Vermutlich wird der Übergang zur Mutterschaft auch deswegen als besonders herausfordernd erlebt, weil das Neugeborenen für die Mutter einen herausragenden Wert besitzt und weil sie gleichzeitig glaubt, daß die Gesundheit und das Wohlergehen des Kindes weitgehend von ihrem Verhalten abhängig ist. Die Psychoanalytische Tradition mißt der pränatalen Entwicklung und der frühen Kindheit großen Wert bei. Verläuft diese Entwicklung nicht günstig, kann es eventuell zu psychischen Störungen kommen. Das kleine Kind steht laut Psychoanalyse in enger symbiotischer Beziehung zur Mutter, zur Ernährerin, und diese ist durch keine andere Person zu ersetzen, was eine Mutter natürlich sehr stark unter Druck setzen kann. Es liegt ja in ihrer Verantwortung all das für das Kind zu tun, was für seine Entwicklung förderlich ist, und schädigende Einflüsse möglichst zu vermeiden, außerdem will sie dem Kind optimale Startchancen geben.

Im folgenden werden Forschungsergebnisse aus einigen Studien überblicksmäßig dargestellt:

Le Masters (1957) überprüfte die Hypothese, daß die Geburt des ersten Kindes in einer Familie eine Krise auslösen würde. Es wurden 46 Mittelschichtspaare befragt, von denen 83 % von einer ausgedehnten oder schweren Krise berichteten. Die Ursache für die Krise sah Le Masters in einer nicht genügenden Vorbereitung der jungen Eltern.

Es kam vor allem dann zu Schwierigkeiten, wenn die häufig romantische Vorstellung von Elternschaft nicht mit der Realität vereinbart werden konnte.

Während des Übergangs zur Elternschaft sind viele Mütter mit der Frage nach der Vereinbarkeit von Mutter- und Berufsrolle konfrontiert, was meist zu einem Zuviel an zeitlicher, physischer, und psychischer Belastung führt (Notz & Braecker, 1989).

Die am häufigsten beklagten Probleme beim Übergang zur Elternschaft sind laut einer Untersuchung von Feldman und Nash (1984) Schlafentzug und Einschränkung der Erholungszeit, sexuelle Probleme und Einschränkungen der gemeinsamen Zeit mit Freunden. Die von Müttern am häufigsten genannte Belastung ist die rund um die Uhr geforderte Einsatzbereitschaft, gefolgt von den Einschränkungen in der Zeit für sich selbst, für den Partner oder Freizeitaktivitäten. Die Verantwortlichkeit für das Kind wird als belastend erlebt, weiters der Verlust an Spontanität, Streit mit dem Partner und der Zwang zu Routinen und Organisation.

Nun werden diese psychologischen Korrelate der Lebensveränderungen näher betrachtet:

Zu den personenseitigen Effekten zählen in erster Linie die depressiven Symptome der Mütter, auf die ich nicht näher eingehen werde, und weiters das Erleben verstärkter emotionaler Belastung und Anspannung; darüber hinaus die Erfahrung der drastischen Einschränkung der individuellen Freiheit und der permanente Zeitdruck.

Nach Brüderl (1985) gehören zu den eher alltäglichen Stressoren nach der Geburt der erhöhte Arbeitsaufwand und die ständige Präsenz der Mutter. Neben der körperlichen Erschöpfung berichten stillende Frauen durch den veränderten Tages- und Nachtrhythmus über ein ausgeprägtes Schlafmanko. Probleme, die beim Stillen bzw. bei der Nahrungsaufnahme auftreten, sind im allgemeinen für Mütter sehr belastend. Weitere personenseitige Effekte stehen im Zusammenhang mit der Aufgabenneuverteilung der Eltern. Es kommt zu einer Aufgabensegregierung und Aufgabe der Berufstätigkeit seitens der Frau.

Aufteilung der Verantwortung im ersten Jahr nach der Geburt, Erwartungen der Mütter:

(ohne Alleinerziehende; in %, N=170).

Die Verantwortung liegt vermutlich ........
 
 
 
hauptsächlich bei der Mutter
bei 
beiden
hauptsächlich beim Partner
Ernährung und Gesundheit des Kindes
69,8
30,2
-
Pflege des Kindes
58,3
41,7
-
Haushalt und Einkaufen
51,2
45,8
3,0
Zahlungen, Steuererklärung, Kontakt mit Ämtern
23,5
44,7
31,8
Anregung und Förderung des Kindes
15,9
83,5
0,6
Kontakte zur Verwandtschaft
14,2
85,2
0,6
Kontakte im Freundes- und Bekanntenkreis
11,8
87,6
0,6
Planung gemeinsamer Freizeitgestaltung, Ferien
5,9
91,8
2,4
Erwerb des Familieneinkommens
1,8
21,4
76,8
nach Huwiler (1994).

Die Tabelle zeigt, daß Kinderbetreuung und Haushalt häuptsächlich Aufgabe der Frau ist und der Mann vor allem für den Erwerb des Familieneinkommens zuständig ist. Spielerische Interaktion mit dem Kind, Freizeit und Sozialkontakte gehören laut Tabelle zur gemeinsamen Sphäre der Partner. Laut der Studie nach Huwiler entsprach die Zuteilung der Verantwortung, welche die Mütter für die Zukunft voraussahen, bei 78 % der Frauen ihren eigenen Wünschen. 20 % erwarteten mehr Verantwortung tragen zu müssen als sie sich wünschten und nur 2 % sahen voraus, unterfordert zu sein. Eine Traditionalisierung in der Aufgabenverteilung kann zu Unzufriedenheit führen, und die einzelnen Aspekte der neuen Rollen können als belastend erfahren werden. Wurden die Erwartungen der Mütter hinsichtlich der Beteiligung der Väter an der Hausarbeit und Kinderversorgung verletzt, kann sich dies in negativen Gefühlen gegenüber ihren Männern niederschlagen. Im Zusammenhang mit der neuen Elternrolle berichten vor allem Frauen von Zweifeln an den eigenen mütterlichen Kompetenzen.

Zu den Kontexteffekten zählen die Einkommensreduktion und die daraus resultierenden materiellen Sorgen. Die Rollenkonstellation ändert sich meist von einer Familie mit zwei Erwerbstätigen zu einer Familie mit einem Alleinverdienenden. Daß ein Kind eine enorme Menge Geld kostet beweisen verschiedene Berechnungen. Nach deutschen Grobschätzungen verursacht ein Kind bis zum 18. Lebensjahr direkte Kosten zwischen DM 100 000 - 150 000. Die Partnerschaftszufriedenheit, ein weiterer Kontexteffekt, ist in diesem Zusammenhang auch nur kurz zu nennen. Weiters zeichnet sich auch eine interaktionale Veränderung zwischen den einzelnen Elternpersonen und Außenstehenden ab. Nach der Geburt des ersten Kindes verändern Eltern ihren Freundes- und Bekanntenkreis, wobei Frau und Mann getrennte Bezugsgruppen bilden. Nach Fthenakis (1985) stellen die Konflikte und Einmischungen der Großeltern und Verwandten für die Mütter oft erhebliche Belastungen dar. Darüberhinaus kommt es oft zu potentiellen Belastungserlebnissen mit einem Säugling, im Zusammenhang mit chronischer Krankheit, Hospitalisation oder einer Behinderung des Kindes.

4. Bewältigung des Übergangs zur Mutterschaft

Im folgenden sollen ein paar Studien, die sich mit der mütterlichen Belastungsbewältigung befassen, erwähnt werden.

Spieker und Booth (1988) konnten zeigen, daß Kinder, deren Mütter sechs Wochen nach der Geburt ein hohes Vertrauen in ihre eigene Fähigkeit zur Bewältigung der Erziehungsaufgaben haben, später mehr sichere Bindungsmuster aufweisen.

Brüderl (1985) untersuchte das Erleben und die Auseinandersetzung mit Anforderungen und Problemen in vier Lebensbereichen. Bei den Bewältigungsmechanismen unterschied sie zwischen Coping, Abwehr und Anpassung. Es zeigte sich, daß Mütter drei Monate nach der Geburt bei Problemen, die im Zusammenhang mit dem Kind auftraten, hauptsächlich Anpassungsstrategien (sich angleichen, sich fügen) wählten. Mütter, die hauptsächlich mit Abwehrmechanismen reagierten, fühlten sich signifikant mehr belastet.

Die Zusammenhänge zwischen mütterlichen Bewältigungshandlungen und der subjektiven Belastung wurden von Coletta, Hadler und Gregg (1981) untersucht.

Die 64 adoleszenten Eltern, die Kinder im Alter zwischen 2 und 24 Monaten hatten, reagierten auf Streß am häufigsten mit einer aktiven Suche nach sozialer Unterstützung.

Vor allem bei aufgabenorientierten Problemen, die im Zusammenhang mit Wohnung, Krankheit oder Geldangelegenheiten standen, war diese Reaktion beobachtbar.

Bei zwischenmenschlichen Problemen zeigten diese jungen Mütter vor allem Vermeidungsverhalten. Aktive Bewältigungsstrategien hängen stark mit hohem Selbstwertgefühl, mehr sozialer Unterstützung und geringerer emotionaler Belastung zusammen.

Es soll noch einmal darauf hingewiesen werden, daß soziale Unterstützungsstrategien bei der Bewältigung von Problemen nach der Geburt und besonders bei Hospitalisationen von Kindern von großer Bedeutung sind. Was den Kontext der frühen Mutter-Kind-Beziehung betrifft, so sind die ersten Monate nach der Geburt für die meisten Mütter insofern belastend, da es für die Mütter schwierig ist, aus dem noch kleinen Verhaltensrepertoire des Säuglings, der ja noch nicht über sprachlichen oder symbolischen Ausdruck verfügt, seine Bedürfnisse und Zustände zu erschließen. So gewinnen Laute des Unbehagens beim Säugling wie Jammern, Wimmern bis hin zum extremen Schreien dann, wenn das Verhaltensrepertoire der Mutter erschöpft ist, zusätzlichen aversiven Charakter durch ihre Ambiguität, d. h. Mehrdeutigkeit. Eine Studie im Bereich der Streßforschung (Buh, Maladem, Sherpas & Greenbaum, 1986) belegt verschiedene Strategien, die Mütter zur Bewältigung ihres Erziehungsalltags einsetzen. Mütter stimmen ganz unbewußt ihre streßregulierenden Hilfestellungen auf den Entwicklungstand und das "Können" des Kindes ab.

In potentiell belastenden Situationen sind bedeutende Zusammenhänge zwischen dem Verhalten der Mutter und der Streßbewältigung des kleinen Kindes zu erkennen. Die ängstliche Aufregung der Mutter in schwierigen Situationen beeinträchtigt z. B. die kindliche Adaptation. Außerdem verhalten sich Mütter von sicher gebundenen Kindern in einer Streßsituation angemessener gegenüber den Signalen des Kindes als Mütter von unsicher gebundenen Kindern (Smith & Pederson, 1988).

Nach der Studie von Schedle (1994) zeigten Kinder jener Mütter ein ausgeprägteres Explorationsverhalten, die sich in Belastungssituationen wenig irritieren ließen, davon ausgingen, daß sich das Problem von selbst wieder zum Guten wenden wird, und die mehr für ihre eigenen Bedürfnisse taten.

5. Günstige Belastungsverarbeitung im Umgang mit einem Säugling

Am Beginn ist darauf hinzuweisen, daß sich große intraindividuelle Unterschiede in Belastungssituationen bei Müttern zeigen. Manche Mütter empfinden die Aufgaben im Umgang mit einem Säugling als Bereicherung, während diese für andere eine große Belastung darstellen. Da Gefühle Bedingung bewußten Handelns sind, ist es für Mütter im Umgang mit schwierigen Interaktionssituationen von Vorteil, wenn sie gegenüber Problemen mit dem Säugling offen sind. D. h. sie sollten ihre Gefühle von Wut, Angst oder Deprimiertheit zulassen können. Starke Belastungsgefühle wirken sich dann negativ aus, wenn sie gehäuft auftreten und Zeichen einer schlechten Regulation der eigenen Homöostase der Mutter sind. In diesem Zusammenhang sind die Depressivität und ein hohes Aggressionspotential gegenüber dem Kind, was im schlimmsten Fall zu einer Kindesmißhandlung führen kann, zu nennen. Entscheidend für eine gute Belastungsverarbeitung ist weiters die adäquate Einschätzung der Situation. Werden objektive Kontrollmöglichkeiten nicht wahrgenommen und hat die Mutter das Gefühl, selbst kaum auf die Situation einwirken zu können und das Ganze zum Guten zu wenden, kann dies verheerende Folgen haben. Wichtig ist auch die Empathie gegenüber dem Kind. Eine Mutter muß sich in den Zustand und die Bedürfnisse des Säuglings hineinversetzen können und zu einem gewissen Maß auch immer ihre eigenen Anliegen und Bedürfnisse im Auge behalten.

Eine gewisse Selbstkritik gegenüber dem eigenen Handeln ist wichtig, jedoch sollten Mütter in belastenden Situationen nicht in enormen Selbstvorwürfen, aber auch nicht in Beschuldigungen des Kindes versinken. Allgemein sind mütterliche Palliationsversuche, d. h. sich innerlich gut zureden und beruhigen, in der Interaktion mit dem Kind sinnvoll. Kann die Mutter streßvolle Situationen alleine nicht bewältigen, ist es von Vorteil, beim Partner, bei Bekannten oder Verwandten Unterstützung anzufordern, im Sinne von Ratschlägen, konkreten Hilfen oder emotionaler Unterstützung. Ebenso scheinen soziale Unterstützungsstrategien zentral für die Bewältigung von Problemen nach der Geburt.

6. Zusammenfassung und persönliche Stellungnahme

Die mit der Mutterschaft verbundenen Veränderungen und Verpflichtungen stellen für die meisten Mütter eine große Herausforderung dar. Durch die Geburt verstärken sich bei beiden Elternteilen ihre traditionellen Rollen, wobei Frauen noch allein für die Haushaltsführung und die Pflegeaktivitäten des Säuglings verantwortlich sind, was oft bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geht. Die Einschränkungen, die Frauen mit der Geburt eines Kindes erfahren, wie z. B. der Mangel an Sozialkontakten, sind besonders für alleinerziehende Frauen belastend. Die lückenhafte soziale Sicherung im Bereich der Familienlasten, dazu zählen die verkürzte Karenzzeit, der Rückzug bzw. die Einschränkung diverser finanzieller Unterstützungen, fehlende kostengünstige Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder etc., führt Familien und besonders exponierte Familien wie Alleinerziehende, Alimentenpflichtige usw. häufig zu Armutsituationen. Solche Beeinträchtigungen beeinflussen natürlich auch die Interaktion in der Familie – es kommt vermehrt zu Spannungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern – und darüber hinaus gefährden sie auch die gesunde Entwicklung eines Kindes.

Ziel der Familienpolitik wäre meiner Meinung nach eine soziale Gerechtigkeit auf allen Ebenen. Dazu gehören Angebote zur Reduktion von Unsicherheit und Leidensdruck sowie eine finanzielle Entlastung, besonders für jene Frauen, die Belastungen im Umgang mit einem Säugling stärker ausgesetzt sind.
 
 

Literaturverzeichnis

Gstöttl, I. (1996). Veränderungen im Leben der Frau nach Geburt eines Kindes: eine qualitative Studie. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien.

Huwiler, K. (1995). Herausforderung Mutterschaft. Eine Studie über das Zusammenspiel von mütterlichem Erleben, sozialen Beziehungen und öffentlichen Unterstützungsangeboten im ersten Jahr nach der Geburt. Bern: Huber.

Reichle, B. (1994). Die Geburt des ersten Kindes - eine Herausforderung für die Partnerschaft. Verarbeitung und Folgen einer einschneidenden Lebensveränderung. Bielefeld: Kleine.

Schedle, A. (1994). Mütterliche Belastungsverarbeitung und frühe Entwicklung des Kindes. Eine prospektive Längsschnittstudie während des ersten Lebensjahres. Hamburg: Kovac.
 
 
 

Inhaltsverzeichnis

9) Belastungsaspekte und Gratifikationen beim Übergang zur Vaterschaft (Petra Stögerer)

1. Einleitung

In meinem Beitrag beschäftigte ich mich mit dem Thema des Übergangs zur Vaterschaft und den damit verbundenen Belastungen, aber auch Belohnungen.

Die Geburt eines Kindes geht für die Eltern in der Regel einher mit tiefgreifenden und nachhaltigen Veränderungen sowohl im Einstellungsbereich als auch im tatsächlichen Verhalten - speziell wenn es sich dabei um das erste Kind dieser Partnerschaft handelt. Ich möchte mich in der Folge mit diesen Phänomenen aus der Sicht der Väter auseinandersetzen.

Der Übergang zur Vaterschaft wird als das Ergebnis psychologischer Veränderungen auf der individuellen, der familialen und der kontextuellen Ebene betrachtet. Dieses Ereignis zählt zum Bereich der "kritischen Lebensereignisse" (life events); es kommt zu schwerwiegenden Eingriffen in den bisherigen Alltag, die eine Umorientierung der betroffenen Personen in ihrem Denken und Handeln erfordern.

2. Hauptteil

2.1. Phasenmodelle

Der Übergang zur Vaterschaft wird als ein Prozeß dargestellt, welcher von verschiedenen Autoren in verschiedene Phasen gegliedert wird. Ich möchte nun das Phasenmodell von May (1985) herausgreifen. Sie konzentriert sich auf die Entwicklung des Vaterschaftserlebens und unterscheidet dabei drei Phasen.

1) Announcement-Phase

Diese Periode erstreckt sich von den ersten Anzeichen der Schwangerschaft bis zu ihrer Gewißheit. Sie geht entweder mit Freude und Glücksgefühlen oder mit Schockerleben und Angstgefühlen einher, je nachdem, ob die Schwangerschaft erwünscht ist oder nicht.

2) Moratoriums-Phase:

Diese Phase ist gekennzeichnet durch eine Distanzierung von der Schwangerschaft der Partnerin und ist begleitet von verstärkt ambivalenten Gefühlen gegenüber der zukünftigen Vaterrolle, von erhöhtem Risiko für Partnerschaftskonflikte, was durch das in dieser Zeit häufig gesteigerte Zuwendungsbedürfnis der werdenden Mutter noch erhöht wird.

3) Focusing-Phase:

Die Vorstellung der Elternschaft für die Väter wird konkreter durch die Möglichkeiten, die Kindesbewegungen zu ertasten, die Herztöne des Kindes zu hören und das Kind per Ultraschall sehen zu können. Es kommt zu einer erhöhten Beachtung der Schwangerschaft der Partnerin und einer bewußteren Selbstdefinition als werdender Vater.

2.2. Couvade = "Männerkindbett"

Dies ist ein interessantes Phänomen, unter dem man Symptome von (werdenden) Vätern, die in den Phasen, vor, während und nach der Geburt des Kindes auftreten und sich stark am Beschwerdebild der (werdenden) Mütter orientieren, versteht. Hierbei treten vor allem psychosomatische Beschwerden, wie Ermüdung, Kopf- und Rückenschmerzen sowie Verkühlungen auf. Für dieses Phänomen gibt es verschiedene Erklärungsansätze, wie die Aktualisierung von Abhängigkeitswünschen, resultierend aus der sinkenden Aufmerksamkeit der Partnerin, den Identifikationswunsch des Vaters mit der Mutter, den unbewußten Widerstand gegen die Vaterschaft, den Wunsch des Vaters, das Schwangerschaftserleben mit seiner Partnerin zu teilen, den Gebärneid, die Imitation der weiblichen Rolle, die Reaktion des Vaters auf die Geringschätzung seiner Rolle bei Schwangerschaft und Geburt durch die Gesellschaft etc.

Wenn Männer nun zum zweiten oder auch noch öfteren Mal Väter werden, wächst für sie die Belastung durch die verstärkte Inanspruchnahme als Betreuungsperson für das (die) ältere(n) Kind(er), um die Partnerin zu entlasten. Außerdem tragen sie nun häufig die alleinige Verantwortung als Ernährer. Der die Belastungen verringernde Effekt des Erfahrungsvorsprungs vom ersten Kind wird durch die Mehrbelastungen zumeist kompensiert.

2.3. Sozioökonomische Faktoren

Alter

Grundsätzlich fallen älteren Paaren die Umstellungs- und Anpassungsprozesse bei der Geburt eines Kindes wesentlich schwerer als jüngeren, da die Lebensgewohnheiten meist viel verfestigter sind. Insbesondere relativ alte Väter haben nach der Geburt häufig Probleme durch mangelndes Verbundenheitsgefühl und Kommunikationsschwierigkeiten mit dem Kind sowie durch einen ungünstigeren Umgang im Kontrollverhalten. Allerdings können positive Effekte durch die Geburt das Verbundenheitsgefühl stärken. Generell kann man sagen, daß sich jüngere Väter mehr an der Versorgung von Säuglingen und Kleinkindern beteiligen als ältere.

Wohnsituation

Die Größe des verfügbaren Wohnraumes und dessen Lage (ländliche Region versus Großstadt) beeinflussen die Art und Weise der Bewältigung des Übergangs zur Vaterschaft. Väter aus Großstädten beteiligen sich mehr an der Erziehung und Pflege ihrer Kinder als Väter aus ruralen Gebieten, wo noch die traditionelle Rollenverteilung zwischen Vater und Mutter vorherrscht. Außerdem wirkt sich eine größere Wohnung beziehungsweise ein Haus, wo jedes Familienmitglied seinen eigenen Bereich hat, positiv aus.

Bildung

Höhere Bildung geht generell mit mehr väterlichem Engagement einher, aber parallel dazu auch mit einer stärkeren Problemwahrnehmung, Belastung und Konfliktneigungseinschätzung.

Finanzielle Situation

Höhere finanzielle Ressourcen tragen zur Entspannung des väterlichen Belastungserlebens bei, um so mehr, als beim Übergang zur Elternschaft häufig der mütterliche Beitrag zum Familieneinkommen wegfällt. Dieser Verlust ist für Ersteltern am höchsten und am deutlichsten spürbar.

2.4. Geschlecht des Kindes

Insgesamt dürften Väter ihr Verhalten stärker am Geschlecht des Kindes orientieren als Mütter. Während amerikanische Studien auf ein höheres Engagement der Väter bei ihren Söhnen, im Vergleich zu ihren Töchtern, verweisen, kommt eine schwedische Studie (Lamb et al., 1988) genau zum gegenteiligen Schluß; Väter seien speziell bei Töchtern mehr involviert als bei Söhnen. Adler et al. (1994) beobachteten bei Eltern eines Buben eine größere partnerschaftliche Zufriedenheit, was mit den überlieferten gesellschaftlichen Wertvorstellungen, nämlich der höheren Erwünschtheit männlicher Nachkommen, zu tun haben dürfte.

2.5. Partnerschaft

Die hohe Bedeutung einer als befriedigend erlebten Partnerschaft für die Qualität des Übergangs zur Elternschaft und für die künftige Eltern-Kind-Beziehung scheint evident. Die Partnerschaftsqualität dürfte in entscheidendem Zusammenhang mit der Vaterschaft stehen. Bei mangelnder Zufriedenheit in der Partnerbeziehung besteht die Gefahr, daß sich der Mann nicht nur von seiner Partnerin, sondern auch von seinem Kind emotional distanziert und seine Vaterrolle vernachlässigt.

Häufig kommt es nach der Geburt des Kindes zum Rückgang der Partnerschaftszufriedenheit, was bei den Vätern vor allem mit den (vorübergehenden) Einschränkungen in der partnerschaftlichen Sexualität, der verminderten emotionalen Zuwendung der Partnerin und derem erhöhten Streitverhalten zu tun hat. Auch die Geplantheit eines Kindes hat einen großen Einfluß. Grundsätzlich ist zu bemerken, daß die Partnerschaftszufriedenheit in Zusammenhang steht mit der Anzahl der Kinder und dem Altersabstand zwischen den Kindern. Partner, die mehr als ein Kind zu betreuen haben, sind insgesamt unzufriedener als Eltern mit nur einem Kind, und zwar um so mehr, je geringer der Altersabstand zwischen den Geschwistern ist.

Es gibt aber auch Untersuchungen, die belegen, daß die partnerschaftlichen Veränderungen im wesentlichen unabhängig vom Elternstatus sind (Belsky & Pensky, 1988; Cowan & Pape Cowan, 1993). Sie sind der Meinung, daß ein Baby weder eine funktionierende Ehe oder Partnerschaft zerstören noch eine zerrüttete Beziehung kitten kann. Allerdings liegen in einer gemeinsam erfahrenen Elternschaft auch große Chancen für eine Weiterentwicklung der Partnerschaft beziehungsweise der partnerschaftlichen Identität.

2.6. Soziale Netzwerke

Die Auswirkungen des Übergangs zur Elternschaft auf die sozialen Netzwerke der Väter sind geringer, als allgemein angenommen wird. Dennoch kommt es zu einer gewissen Einschränkung des Bekannten- bzw. Freundeskreises bei gleichzeitiger Intensivierung der Verwandtschaftskontakte, vor allem zu den eigenen Eltern. Eine Erhöhung der Kontaktdichte bedeutet jedoch nicht automatisch auch eine Verbesserung des Verhältnisses. Als negative Auswirkungen etwaiger Hilfestellungen, vor allem durch die Eltern, werden das Gefühl der sozialen Kontrolle, des Drucks oder der Verpflichtung gegenüber dem Helfenden genannt. Adler et al. (1994) verweisen außerdem auf Vorteile geringerer sozialer Unterstützung für das Elternpaar, konkret auf positive Zusammenhänge zwischen weniger Verwandtschaftskontakten des werdenden Elternpaares während der Schwangerschaft mit stärkerem späteren Engagement des Vaters in der Kinderbetreuung. Es ergeben sich zufriedenstellendere Partnerbeziehungen, in denen die Väter mehr Vertrauen zur Partnerin erleben, einen angemesseneren Umgang mit Fehlern haben und keine erhöhten Ansprüche an die Partnerin stellen.

Herkunftsfamilie

Vor allem bei den Vätern zeigen sich auffällige Parallelen zwischen dem familiären Klima in der eigenen Kindheit und jenem in der eigenen, neu gegründeten Familie. Aber auch die aktuelle Beziehung zu den eigenen Eltern spielt eine Rolle. Gerade für die Väter werden die eigenen Eltern zu wichtigen Ansprechpartnern, der Kontakt zu ihnen wird intensiviert, und das Verständnis für sie nimmt zu.

Freundes- und Bekanntenkreis

Hier kommt es durch die Übernahme der Vaterrolle meistens zu (vorübergehenden) Einschränkungen.

2.7. Freizeit

In diesem Bereich sind die Väter zwar weniger von Einschränkungen betroffen als ihre Partnerinnen, wobei die Mütter jedoch später wieder vermehrt neue Freizeitaktivitäten aufnehmen. Bei den jungen Vätern kommt es zu Verhäuslichung, Familienzentrierung und Privatisierung der Freizeit. Die jungen Paare unternehmen weniger gemeinsam, gehen seltener aus, und Urlaubsreisen fallen in den ersten Lebensjahren des Kindes häufig gänzlich aus. Allerdings haben die meisten Eltern mit solchen Einschränkungen bereits im vorhinein gerechnet. Mit zunehmender Dauer der Elternschaft geht die Verhäuslichung des Freizeitverhaltens jedoch wieder zurück.

2.8. Arbeitsteilung

Obwohl es in den letzten Jahrzehnten zu einer zunehmenden Angleichung der Rollenzuschreibungen und zu partnerschaftlich strukturierten Formen der Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen gekommen ist, bewirkt der Übergang zur Elternschaft meist eine Rückkehr zu traditionellen Rollenaufteilungen. Auch vorher mühsam erarbeitete Formen der Arbeitsteilung gehen vor allem in den ersten Jahren des Familienbildungsprozesses häufig verloren. Diese Retraditionalisierung löst sich beim Wiedereinstieg der Mütter in den Beruf nicht auf, sondern stabilisiert sich sogar mit zunehmender Ehe-/Partnerschaftsdauer.

Hausarbeit

Obwohl der Anteil der Männer an der Hausarbeit generell steigt, ziehen sich die Väter nach der Geburt eines Kindes fast vollständig von diesen Tätigkeiten zurück, erledigen dafür aber mehr Behördenwege und widmen die verbleibende Zeit auch ihren Kindern. Außerdem fällt für die Väter die Phase des Übergangs zur Elternschaft häufig mit einem hohen Zeitaufwand erfordernden Abschnitt des väterlichen Berufslebens zusammen.

Kinder

Nur in wenigen Bereichen scheint den Vätern, im Vergleich zu den Müttern, zeitmäßig gesehen, eine ähnliche oder sogar größere Bedeutung als Bezugsperson für ihre Kinder zuzukommen. Dies sind vor allem spielerische und sportliche Aktivitäten.

2.9. Erziehungsverantwortlichkeit

Je älter die Kinder werden, desto mehr steigt die Beteiligung der Väter an der Erziehung. Dies ist um so überraschender, da diese Phase häufig mit dem Zeitraum des Anstiegs des von den Vätern in den Beruf investierten Zeitanteils zusammenfällt. Als Argument für die höhere Beteiligung an der Erziehung, wenn die Kinder älter sind, wird häufig genannt, daß "man dann mit ihnen schon mehr anfangen kann", das heißt, es sind mehr gemeinsame Spiel- und Sportaktivitäten möglich.

Der väterliche Erziehungsstil wurde deutlich weniger autokratisch und autoritär als noch in der vorigen Generation.

2.10. Einstellungen

Im Sinne einer self-fulfilling-prophecy besteht ein Zusammenhang zwischen vor der Geburt angegebenen positiven Einstellungen und einer leichteren Bewältigung des Übergangs zur Elternschaft bei Vätern. In der Zeit um die Geburt des gemeinsamen Kindes erweisen sich die väterlichen Einstellungen insgesamt als stabiler als die mütterlichen. Außerdem messen junge Väter der Vater-Kind-Beziehung und dem Verantwortungsgefühl für ihre Kinder nach der Geburt einen deutlich höheren Stellenwert bei als vorher.

Wert von Kindern

Hoffman und Hoffman (1973) entwarfen erstmals ein Konzept zur Erfassung verschiedener Wertkategorien, die Kinder für ihre Eltern aufweisen können. Sie unterschieden dabei das Erreichen sozialer Identität, Selbstverwirklichung, Weiterleben in den eigenen Kindern und Fortbestand der eigenen Familie, religiöse Motive, Bedürfnis nach emotionaler Bindung, neue Herausforderung und so weiter. Olbrich und Brüderl (1986) ergänzten noch die Aspekte des ökonomischen Nutzens, von Statusgewinn und Prestige sowie eines Zeichens von Fruchtbarkeit und Potenz.

2.11. Belastung

Der Anstieg der Belastungen bei den Vätern resultiert nicht nur aus einer verstärkten Einbindung in die Elternpflichten, sondern aus verschiedenen Komponenten, wie Feldman (1987) erhob. Er nannte allgemeinen Streß des Mannes, Änderungen im Selbstkonzept der Frau, Ungeplantheit der Schwangerschaft, negatives Erleben der Schwangerschaft durch den Mann und geringes Alter der Frau. Bei Vätern verteilt sich der Streß, im Gegensatz zu den meisten Müttern, auf Beruf und Familie; sie sind jedoch auch einer besonderen Belastung durch den Zwiespalt zwischen diesen beiden Lebensbereichen ausgesetzt.

2.12. "Neue Väter"

Diese Bezeichnung kam in den letzten Jahrzehnten immer mehr in Mode und soll aussagen, daß die Vaterrolle eine umfassende Modifikation beziehungsweise Neudefinition erfahren hat im Hinblick auf die Interaktion mit der Partnerin, mit dem Kind und auch im Selbstverständnis der Väter. Es ist ein Zuwachs an Intimität, Zärtlichkeit und Verständnis von seiten der Väter für ihre Kinder zu verzeichnen. Diese erhöhte Sensitivität für Kinder muß nicht ein Vorläufer, sondern kann auch die Folge starken väterlichen Engagements sein.

Ein weiterer Aspekt ist sicherlich, daß die Väter heute auch stärker in das Geschehen um Schwangerschaft und Geburt eingebunden sind. Sie nehmen an Geburtsvorbereitungskursen teil und sind bei der Geburt anwesend. So entdecken sie schon von Anfang an die Bedeutung des Körperkontakts mit dem Säugling. Außerdem gibt es in vielen Ländern bereits die Möglichkeit, daß Väter Karenzzeit in Anspruch nehmen können, was aber nur von wenigen Vätern auch genützt wird.

2.13. Geschlechtsunterschiede beim Übergang zur Elternschaft

Es scheint geschlechtsspezifische Unterschiede in der Bewältigung des Übergangs zur Elternschaft zu geben. Bei Müttern nimmt die eheliche/partnerschaftliche Zufriedenheit nach der Geburt eines Kindes deutlicher ab als bei Vätern, wobei sich dieser Trend bis zum Schulalter des Kindes fortsetzt. Für die Väter ist häufig die Überidentifikation der Partnerin mit der Mutterrolle sowie die Abnahme zärtlicher Kontakte zum Partner ein Problem. Väter registrieren nach der Geburt ihres ersten Kindes wenig Veränderung in Richtung Nervosität, Gereiztheit und Unzufriedenheit. Dies gilt für Väter auch nach der Geburt ihres zweiten Kindes, nicht jedoch für Mütter. Insgesamt fühlen sich Mütter überforderter und erschöpfter als Väter. Das Streitverhalten ist bei jenen Müttern am größten, deren Kinder knapp aufeinanderfolgend geboren wurden. Väter erleben auch nach der Geburt des zweiten Kindes nochmals eine positive Änderung ihrer Persönlichkeit.

Die Partnerschaftszufriedenheit der Frauen steht in direktem Zusammenhang mit der Überidentifikation mit der Mutterrolle, jene der Männer ist vorwiegend von Variablen der Mütter, wie ihrer Persönlichkeitsveränderung, ihrer Erregbarkeit und ihrer Neigung zur Überidentifikation mit der Mutterrolle abhängig.

3. Zusammenfassung

Obwohl es viele Ansatzpunkte für einen Wandel der Vaterrolle beziehungsweise des väterlichen Selbstverständnisses gibt, dominieren nach wie vor traditionelle Verhaltensmuster. Kaum Väter nehmen die Karenzzeit in Anspruch, die Kinderbetreuung fällt immer noch überwiegend in den Aufgabenbereich der Mütter. Dennoch sind die Väter heutzutage stärker involviert als noch in der vorigen Generation. Es besteht eine starke Wechselwirkung zwischen der Qualität des Übergangs zur Vaterschaft und der Partnerbeziehung. Das väterliche Verantwortungsgefühl für ihre Kinder hat zugenommen. Als belastend empfinden Väter das Gefühl des Eingeschränktseins in den Außenkontakten und die hohe Doppelbelastung durch Beruf und Familie. Es besteht eine gewisse Ambivalenz unter den engagierten Vätern. Für den Übergang zur Vaterschaft sind eine Vielzahl von Faktoren mitbestimmend, nämlich sozioökonomische Faktoren, wie Alter, Wohnsituation, Bildung, finanzielle Situation sowie das Geschlecht des Kindes, die Qualität der Partnerschaft, die sozialen Netzwerke, bestehend aus Herkunftsfamilie sowie Freundes- und Bekanntenkreis, Möglichkeiten der Freizeitplanung und Arbeitsteilung bei Hausarbeit und Kindern, die Aufteilung der Erziehungsverantwortlichkeit, die Einstellungen der Eltern und noch einiges mehr.

4. Persönliche Stellungnahme

Ich kann zu diesem Thema aus eigener, praktischer Erfahrung Stellung nehmen, da ich selbst Mutter von zwei Kindern im Alter von sieben und fünf Jahren bin. Auch mein mittlerweile geschiedener Mann und ich lebten in den ersten fünf Jahren nach Geburt des ersten Kindes in einer sehr traditionellen Rollenaufteilung. Er verdiente das Geld, ging ganztags arbeiten, und ich nahm die Karenzzeit bei beiden Kindern alleine in Anspruch, war den ganzen Tag zu Hause, versorgte den Haushalt und betreute die Kinder. Trotzdem übernahm mein Ex-Mann einige Erziehungsverantwortlichkeiten, spielte abends mit den Kindern, badete sie manchmal. Außerdem unternahmen wir gemeinsame Spaziergänge und auch Ausflüge am Wochenende.

Unsere Lebensgewohnheiten in den ersten Lebensjahren der Kinder änderten sich stark in Richtung Verhäuslichung, Einschränkung der sozialen Kontakte zu Freunden und Bekannten und Unternehmungen zu zweit, wie Ausgehen, Theater- und Kinobesuche und so weiter. Der Kontakt zu unseren beiden Herkunftsfamilien intensivierte sich in dieser Zeit. Ich glaube, daß alle Elternpaare darauf achten sollten, daß sowohl genug Freiraum für beide Elternteile bleibt, als auch daß sie beide gemeinsam ohne Kinder regelmäßig etwas unternehmen können.

Literaturverzeichnis

Meyer, H. J. (1988). Partnerschaft und emotionale Befindlichkeit von Eltern nach der Geburt des ersten und zweiten Kindes. In M. Cierpka & E. Nordmann (Hrsg.), Wie normal ist die Normalfamilie? Empirische Untersuchungen (S. 43-62). Berlin: Springer.

Werneck, H. (1998). Übergang zur Vaterschaft. Auf der Suche nach den "Neuen Vätern". Wien: Springer.
 
 
 

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10) Wiedereinstieg von Frauen in das Berufsleben (Anita Wisberger)

1. Einleitung

1.1. Gründe für den Wiedereinstieg

Viele Frauen empfinden ihre Situation als Hausfrau als isoliert und beengend. Die Arbeit im Haushalt bewirkt eine Vereinzelung und weckt daher den Wunsch nach sozialen Kontakten außer Haus. Ein Großteil der Frauen nennt daher auch als Grund für ihren Entschluß zum Wiedereintritt ins Berufsleben subjektive soziale Bedürfnisse wie: Integration in die öffentliche Berufswelt, Kontrasterfahrung zum häuslichen Dasein, Wunsch die eigenen Fähigkeiten in größerem Rahmen zu entfalten und dafür Anerkennung zu erhalten, ... (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 1996).

Zwar werden auch ökonomische Aspekte genannt (finanzielle Unabhängigkeit vom Partner/ Ehemann, zusätzliches Einkommen für die Familie,..), jedoch sind diese oft nicht ausschlaggebend. Bei längerer Unterbrechung des eigenen Berufes, welcher vor der Kinderpause ausgeübt wurde, sind auch Gefühle der inneren Leere und mangelnde eigene Zukunftsperspektiven mit bedingend dafür, daß sich diese Frauen wieder in das Berufsleben integrieren wollen. Dieses scheint ihnen neue Möglichkeiten zu bieten vor allem für soziale Kontakte und die Entfaltung eigener Kompetenzen, unabhängig von ihrer Familie.

Zusammenfassend kristallisieren sich folgende Gründe als wichtig heraus:

Identitätsbildung, Wunsch nach mehr Selbständigkeit und Unabhängigkeit, Anerkennung im Beruf, Wunsch nach sozialen Kontakten, Zusatzverdienst für die Familie.

Sobald die Entscheidung zum Wiedereinstieg gefallen ist, stellt sich jedoch das Problem, das Spannungsverhältnis Familie - Beruf zur Zufriedenheit zu lösen. Für Frauen ist dieses nach wie vor eher ein Verhältnis mit einem hohen Konfliktpotential, während es bei Männern als ein komplementäres Verhältnis erlebt wird. Für Männer stellt sich kaum die Frage entweder Familie oder Beruf, sondern für sie ist dies meist eine eindeutige Beziehung Familie und Beruf. Frauen hingegen orientieren sich nach wie vor an der Vereinbarkeit beider Bereiche, wobei bei unüberwindlich scheinenden Problemen häufig zu Gunsten der Familie entschieden wird. Und somit viele eigene Bedürfnisse zum Wohle der Familie hinten angestellt werden. Die Familie hat also nach wie vor Vorrang vor der eigenen Berufstätigkeit. Es ist jedoch zu differenzieren. Frauen, die vor ihrer Kinderpause bereits längere Zeit berufstätig waren und höhere Bildungsqualifikation haben, sowie eine höhere Position innerhalb des Berufssystems einnahmen, kehren bereits nach kürzerer Zeit wieder in ihren Beruf zurück und haben im Durchschnitt weniger Kinder. Sie planen ihre Rückkehr in den Beruf und auch die Aufteilung der Hausarbeit und der Kindererziehung besser und genauer, als Frauen mit schlechterer Ausbildung. Frauen die bereits in jungen Jahren ihr erstes Kind bekommen und, damit häufig verbunden, keine oder nur eine geringe berufliche Qualifikation besitzen, nehmen später meist unqualifizierte und damit schlechter bezahlte Arbeit an und haben durchschnittlich mehr Kinder. Bei ihnen treffen mehrere Faktoren zusammen, die den Einstieg weder besonders erstrebenswert erscheinen lassen, noch ihn erleichtern.

1.2. Probleme beim Wiedereinstieg

Arbeitsplatzsuche – Aufrechterhaltung der Motivation

Dieser Bereich gestaltet sich vor allem für jene Frauen als problematisch, die längere Zeit aus dem Berufsleben ausgeschieden sind. Aufgrund des schnellen technologischen Wandels sind ihre Kenntnisse oftmals veraltet. Es ist daher notwendig, vor allem für diese Frauengruppe sowohl Ein- als auch Umschulungsmaßnahmen anzubieten. Auch die derzeitige Situation auf dem Arbeitsmarkt erleichtert die Wiedereingliederung nicht, und das Finden eines geeigneten Arbeitsplatzes erweist sich als schwierig. Hinzukommen oftmals eigene Bedenken der Frauen über die Auswirkungen ihrer zukünftigen Berufstätigkeit auf die Familie und im speziellen auf die Kinder. Als hilfreich und auch zielführend erweisen sich in diesem Zusammenhang diverse Maßnahmen durch das Arbeitsmarkt Service. Dies wird auch durch eine Studie des AMS Tirol (1996) belegt. Die in der Studie befragten Frauen geben an, daß die Unterstützung durch die Gruppe, in der sie an Einschulungs/Umschulungsmaßnahmen teilnahmen, eine wesentliche Hilfe und auch Erleichterung beim Finden eines Arbeitsplatzes darstellte. Die Gruppe stellte eine Informationsquelle für potentielle Arbeitsplätze dar und ermöglichte auch einen Vergleich mit Personen, die sich in derselben Lage befanden. Weiters wurde sie vor allem für die Aufrechterhaltung der Motivation zur Suche als förderlich erlebt. Schwierigkeiten konnten hier mit anderen Betroffenen besprochen werden und sie diente auch dazu das Selbstbewußtsein zu stärken. Als weitere Methoden, mit denen ein neuer Arbeitsplatz gefunden wurde, werden genannt: BeraterInnen des AMS, Zeitungsannoncen, Betriebspraktika im Zusammenhang mit den besuchten AMS - Kursen, Blindbewerbungen, Vermittlung durch persönliche Bekannte, Stellenausschreibungen des AMS. Hier ist allerdings festzuhalten, daß dies auch im allgemeinen die Methoden sein dürften, mit denen Personen, die im Kontakt mit dem AMS stehen, ihre Arbeitsplätze finden.

Erwartungen von seiten der Betriebe an die Wiedereinsteigerinnen

Interessant ist, daß die ArbeitgeberInnen keineswegs in erster Linie auf fachliche Qualifikationen der Wiedereinsteigerinnen Wert legen. Vielmehr sind es menschliche Qualitäten und soziale Kompetenzen, die erwartet werden.

Genannt werden vorwiegend folgende Kriterien, die zur Aufnahme der Frauen beitragen:

Teamgeist, Kontaktfähigkeit, Engagement, Stabilität, Sensibilität, Freundlichkeit und Zuverlässigkeit, Lernbereitschaft, Loyalität dem Betrieb gegenüber. Aufgrund dieser Eigenschaften erwarten die UnternehmerInnen eine allumfassende Einsetzbarkeit der Wiedereinsteigerinnen im Betrieb. Wie man sieht, haben die Arbeitgeber durchaus ein realistisches Bild davon, welche Kompetenzen man als Hausfrau und Mutter besitzen, bzw. entwickeln muß. Sie verlangen ein ganzheitliches Arbeitsverständnis, welches auch für die Führung eines Haushaltes und die Organisation des Familienlebens notwendig ist. Weiters wünschen sie ganz offensichtlich ein hohes Ausmaß an Identifikation mit dem Betrieb, auch dies läßt einen Vergleich mit der Hausfrauen - und Müttertätigkeit zu.

Aspekte erfolgreicher Stellensuche

Welche Faktoren tragen nun dazu bei, daß der Wunsch nach einem Arbeitsplatz auch Realität wird? Wie die Studie des AMS (1996) zeigt, ist eine gute und gezielte Ausbildung von großer Bedeutung. Dies nicht unbedingt, weil die Betriebe es als Voraussetzung sehen (siehe oben), sondern weil es für den Selbstwert der Frauen von großer Bedeutung ist. Es kann damit einer Dequalifizierung der Frauen auf einem neuen Arbeitsplatz vorgebeugt werden. Sie sind sich ihrer Fähigkeiten bewußter und haben damit die Chance, eher einen ihren Fähigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz zu bekommen. (Es wird dann nicht zwangsläufig der erste Job akzeptiert, der angeboten wird.) Weiters können sie auch ihre eigenen Anforderungen an den Arbeitsplatz genauer benennen. Zwangsläufig ist ein wesentliches Element bei einer erfolgreichen Stellensuche auch, daß die Unterbringung und Versorgung der Kinder zur Zufriedenheit gelöst ist, da ohne entsprechende Betreuungsmöglichkeit eine verbindliche Vereinbarung mit den ArbeitgeberInnen nicht möglich ist. Auch die Koordination der familiären Anforderungen mit den beruflichen ist von Bedeutung. Je kooperativer die männlichen Partner in diesem Zusammenhang sind, desto eher ist es den Frauen auch möglich, sich in ausreichendem Ausmaß und mit gutem Gewissen ihrer Arbeitsuche zu widmen. Flexible Arbeitszeiten im neuen Betrieb sind ebenfalls ein Aspekt, der die Zusage zu einer neuen Arbeit erleichtert und damit zum gewünschten Erfolg, einer neuen Arbeit, führt.

Problem am Beginn der neuen Tätigkeit

Ist die erste Hürde der Arbeitsplatzsuche überwunden, so steht die nächste bereits bevor. Die Aufnahme der Tätigkeit am neuen Arbeitsplatz beinhaltet für die Frauen vor allem in den ersten Wochen bzw. in der Probezeit etliche Schwierigkeiten. Oftmals wird die mangelnde betriebliche Einschulung beklagt. Die ArbeitskollegenInnen werden als distanziert und abwartend erlebt und stehen der "Neuen" oft mißtrauisch gegenüber. Für die anderen Mitarbeiter bedeutet ein neuer Mitarbeiter ebenfalls eine Belastung. Von ihnen wird erwartet, daß sie zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit die Einschulung, quasi nebenbei, erledigen und trotzdem mit der laufenden Arbeit zurechtkommen. Ungeduld ist die Folge, die auch die neuen Mitarbeiterinnen zu spüren bekommen und beklagen. Außerdem leiden sie am Anfang unter dem, für sie zu hohen Arbeitstempo bei Tätigkeiten, in denen sie noch keine oder wenig Routine haben. Es wird von den Wiedereinsteigerinnen auch beklagt, daß häufig keine konkreten Bezugspersonen und Ansprechpartner für auftretende Probleme vorhanden sind. Die Arbeitsabläufe werden nicht ausreichend erklärt und es kommen zu wenig Rückmeldungen über die eigene Arbeitsleistung. Werden vom Betrieb doch Mitarbeiter zur Einschulung der "Neuen" abgestellt, so kann diese Maßnahme möglicherweise durch gleichzeitig stattfindende Umstrukturierungsmaßnahmen im Betrieb oder Veränderung der betrieblichen Rahmenbedingungen quasi wieder aufgehoben werden. Zusätzlich zu den Problemen am Arbeitsplatz muß sich auch in der Familie erst der Umgang mit der neuen Situation einspielen. Die Belastungen zu Beginn der Tätigkeit sind also mannigfaltig und könnten leicht zur Resignation führen. Trotzdem halten viele Frauen diese Kraftprobe im Spannungsfeld Beruf – Familie durch, ein Hinweis auf ihre starke Motivation.

1.3. Beschäftigungsarten von Wiedereinsteigerinnen

Teilzeitarbeit

Es ist nicht weiter verwunderlich und auch nicht neu, daß Frauen mit Kindern einen Arbeitsplatz suchen, der ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern scheint. Die häufigste Form der Beschäftigung ist daher die Teilzeitarbeit. Vor allem Frauen mit noch nicht schulpflichtigen Kindern bevorzugen eine Stellung, welche weniger als 50 % der Normalarbeitszeit in Anspruch nimmt. Daraus können sich jedoch sowohl für ihre berufliche Zukunft, als auch für ihre Alters- und Krankenversorgung Probleme ergeben: Teilzeitarbeiter werden leichter gekündigt, da sie leichter ersetzbar scheinen. Sie haben nicht die gleichen Fortbildungs- und Aufstiegschancen wie Vollzeitarbeiter, da viele Unternehmer der Ansicht sind, daß sich die Investition nicht lohnt. Die Doppelbelastung durch Haushalt und Familie wird von den anderen nicht wahrgenommen, da sich bei Teilzeitarbeit scheinbar alles einteilen läßt. Tatsächlich vermindern weder die Frauen selbst, noch die restlichen Familienmitglieder den Anspruch, der an die Frau bezüglich der Haushaltsführung und des Kindermanagements gestellt wird. Es wird also das Niveau, das vor der Berufstätigkeit bestanden hat, weiterhin aufrechterhalten, nur muß zusätzlich auch den beruflichen Anforderungen entsprochen werden. Der Beruf der Frau stellt sich für den Rest der Familie eher als Hobby dar. Ausnahme davon sind sicher die Alleinerzieherinnen. Bei ihnen ist die finanzielle Notwendigkeit der Berufsausübung auch für Außenstehende unmittelbar einsichtig, da hier kein voll berufstätiger Mann zur Existenzsicherung beiträgt. Alles in allem bietet die Teilzeitarbeit eine scheinbar gute Möglichkeit, alles "unter einen Hut" zu bringen, doch sind sich die meisten Frauen der Gefahren, die diese Arbeitsform für ihre weitere berufliche und soziale Existenz birgt, wenig bewußt.

Heimarbeit - Telearbeit

Eine andere Form, wenn auch nicht so häufig wie die Teilzeitarbeit außer Haus, ist die Heimarbeit. Diese Form des beruflichen Wiedereinstiegs scheint ebenfalls den Bedürfnissen nach einer Vermeidung des Konfliktes zwischen Familie und Beruf entgegenzukommen. Wobei die Formen früherer Heimarbeit, wie z. B. schneidern, meist nicht mehr unter diesen Begriff verstanden werden. Heute denkt man eher an Telearbeit. Voraussetzung dafür ist aber ein eigener Computer und, immer häufiger, zumindest ein Modem, welches auch Onlinekontakt mit dem Betrieb ermöglicht. Wie schon aus den notwendigen Betriebsmitteln ersichtlich, wird diese Art der Tätigkeit eher besser qualifizierten Frauen oder selbständig Erwerbstätigen offen stehen. Sie wird auch von dieser Personengruppe bevorzugt genannt. Prinzipiell wird auch eine hohe Zufriedenheit mit dieser Arbeitsform bekundet, da sie ein hohes Maß an Selbstbestimmung ermöglicht. Freizeitaktivitäten müssen nicht in die späten Nachmittags- oder frühen Abendstunden verlegt werden, sondern können auch zwischendurch stattfinden. Die Zeit- und Ortsunabhängigkeit wird als äußerst positiv erlebt. Dies alles jedoch unter dem Aspekt, daß diese Art der Arbeit zeitlich begrenzt ist und vor allem Übergangsfunktion hat (2). Die Vorteile, die diese Arbeitsform bietet, können aber gleichzeitig auch die Nachteile sein. Die freie Zeiteinteilung kann zum Zwang führen, jede Stunde neu zu entscheiden ob man arbeitet, oder eher mit den Kindern etwas unternimmt. Jederzeit arbeiten zu können, kann auch heißen, daß man nicht abschalten kann. Bei der Arbeit zu Hause zu sein, kann auch heißen, daß man jederzeit den Kindern zur Verfügung stehen soll und so keine konzentrierte Arbeit leisten kann. Weitere Kritikpunkte, die von Personen, die in dieser Form bereits tätig sind, genannt werden: Isolation; kaum Gedankenaustausch mit Berufskollegen; keine Möglichkeit, Erfolgserlebnisse mit anderen zu teilen; fehlende instrumentelle, informelle und emotionale Beziehungen zu Kollegen; oft große Entfernung zum Betrieb.

Wie aus den kurz dargestellten Beispielen ersichtlich wird, erfordert gerade diese Arbeitsform ein hohes Ausmaß an Selbstdisziplin, Selbstorganisation, Eigenverantwortung und auch Eigenmotivation. Trotz alledem scheint sie, zumindest derzeit, eine Möglichkeit zu sein, auch während einer Kinderpause den Anschluß an das Berufsleben nicht zu verpassen und mit seinen Kenntnissen doch weitgehend am laufenden zu bleiben. Allerdings, wie bereits erwähnt, ist diese Form noch nicht dem Gros der Frauen zugänglich, sondern im wesentlichen vom Qualifikations- und Berufsniveau der Frauen abhängig.

1.4. Erlebte Zufriedenheit bei Erwerbstätigkeit der Frau

Im Zusammenhang mit der erlebten Zufriedenheit ist es vor allem von Bedeutung, die Rollenkongruenz (= Übereinstimmung: erwünschte Rolle - gelebte Rolle) mit in die Betrachtung einzubeziehen (Wicki, 1997). Frauen, deren eigenes Rollenverständnis die Erwerbstätigkeit als wesentliches Rollenelement beinhaltet, erleben diese auch eher als zufriedenstellend, als Frauen, deren Rollenbild eher traditionell geprägt ist. Sie planen den Wiedereinstieg fix in ihr Leben mit ein und versuchen bereits vor der Geburt des ersten Kindes, spätestens aber vor Wiederaufnahme des Berufes, die Aufgabenverteilung innerhalb der Familie gemeinsam mit dem Partner klar zu regeln. Je genauer dieser Bereich geklärt und vereinbart wurde, desto zufriedener sind die beiden Partner damit, wenn die Frau tatsächlich wieder ins Berufsleben eintritt. In einer Berner Studie (4) zeigt sich, daß sich erwerbstätige von nicht erwerbstätigen Müttern in ihrer Einschätzung des Familienklimas und in ihrem Befinden nicht voneinander unterschieden. Unterschiede ergaben sich in der Zufriedenheit mit der Aufgabenverteilung, und zwar im Zusammenhang mit der Rollenkongruenz. Mütter, die versuchen, eine von ihnen gewünschte Rolle (sei es die der Hausfrau oder die der berufstätigen Mutter) auch tatsächlich zu leben, waren insgesamt zufriedener – auch mit der Aufgabenverteilung in der Familie – als solche, die die von ihnen bevorzugte Rolle nicht lebten, wo also wenig Rollenkongruenz bestand.

1.5. Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes

Wie Studien zeigen (Klugger, 1996), ist für die gesunde Entwicklung des Kindes vor allem der Faktor einer liebevollen und verläßlichen Betreuung ausschlaggebend. Dabei ist nicht unbedingt die dauernde Anwesenheit der Mutter von Bedeutung. Es können auch andere Bezugspersonen diese beständige und vertrauensvolle Umgebung ermöglichen. Sogar ein Wechsel zwischen vertrauten Personen bei der Betreuung des Kindes ist möglich, ohne daß sich dies negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Ein Kriterium, welches sich jedoch vor allem auf die Entwicklung des Kindes auszuwirken scheint, ist die von der Mutter erlebte Belastung mit der Situation Beruf - Familie. Fühlt sie sich dadurch stark überlastet ohne Änderungsmöglichkeit, so kann dies negative Konsequenzen auf ihr Verhalten dem Kind gegenüber zur Folge haben. Fühlt sich die Mutter zwar stark belastet, ist aber eine kontinuierliche und dem Kind angemessene Betreuung vorhanden, so ist die empfundene Belastung nicht mit einer negativen Entwicklung des Kindes verbunden. Es sind also vor allem die Rahmenbedingungen der mütterlichen Berufstätigkeit und die Versorgung des Kindes für die Zufriedenheit der Mutter wichtig. Auch amerikanische Studien (Crockenberg & Litman, 1991, zitiert nach Wicki, 1997) zeigen, daß sich die Erwerbstätigkeit per se eher positiv auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Erst in Interaktion mit anderen negativen Variablen, wie niederem Familieneinkommen und geringer Rollenzufriedenheit, kann es zu negativen Effekten auf das mütterliche Fürsorgeverhalten und damit auch auf die kindliche Entwicklung kommen.

2. Zusammenfassung

Insgesamt zeigt sich, daß es für viele Frauen zu Normalität gehört, nach der Kinderpause wieder ins Berufsleben einzutreten. Ausschlaggebend dafür ist ein Bedürfnis nach außerhäuslicher Anerkennung und Integration in die Berufswelt. Der Aspekt der Familie ist jedoch nach wie vor meist wichtiger als die eigenen Bedürfnisse. Die bevorzugte Beschäftigungsart ist die Teilzeitarbeit. Dies auch, wenn damit eine Minderung der eigenen beruflichen Karrierechancen und eine schlechtere soziale Absicherung verbunden ist. Maßnahmen von seiten öffentlicher Institutionen, wie z. B. des Arbeitsmarkt Service, sind daher begrüßenswert und auch wirksam, indem sie die Frauen dazu anleiten, einerseits ihre Qualifikationen zu verbessern, anderseits aber auch die Einschätzung des eigenen Wertes in der Berufswelt zu verbessern und damit einer Dequalifizierung vorbeugen zu können. Vor allem die Möglichkeit, sich mit anderen Frauen über die Probleme des Wiedereinstiegs auszutauschen, trägt viel zur Aufrechterhaltung der Motivation bei der Arbeitsplatzsuche bei. Die ArbeitgeberInnen legen weniger Wert auf die fachlichen Qualifikationen, sondern schätzen vor allem die sozialen und menschlichen Fähigkeit der Bewerberinnen. Dies durchaus in dem Bewußtsein, daß damit relativ billige und abhängige Arbeitskräfte beschäftigt werden können, die noch dazu aufgrund dieser Fähigkeiten zu einer starken Identifikation mit dem Betrieb neigen. Sie stellen die Wiedereinsteigerinnen, vor allem zu Beginn ihrer Tätigkeit, oft auf eine harte Probe, indem sie z. B. nicht für eine entsprechende Einschulung sorgen. Dies führt auch zu Klagen der Überlastung gerade am Anfang der Tätigkeit von seiten der betroffenen Frauen. Die Familie ist in dieser Zeit häufig auch keine große Hilfe. Nach wie vor ist es Aufgabe der Frau, ihre bisherigen Arbeiten im Haushalt und mit den Kindern auch weiterhin zur Zufriedenheit aller zu erledigen. Nur in Beziehungen, die sich schon vor der Wiederaufnahme des Berufes mit dieser Problematik konkret beschäftigt haben und die diese auch in die Planung der Aufgabenverteilung mit einbezogen haben, kommt es zu einer Veränderung der Aufgabenverteilung im Haushalt. Eine moderne Form der Teilzeitarbeit, die Telearbeit, scheint derzeit eine günstige Möglichkeit Familie und Beruf zu vereinbaren. Sie ist jedoch eher einer besser qualifizierten Frauengruppe vorbehalten. Der Telearbeit wird vor allem eine Art Brückenfunktion zugeschrieben. Unter dieser Betrachtungsweise bietet sie, für begrenzte Dauer, die Möglichkeit den Anschluß nicht zu verpassen, und die negativen Effekte dieser Arbeitsform können damit in Grenzen gehalten werden. Als Arbeitsform auf Dauer wird sie jedoch nicht häufig gewünscht. Allgemein wirkt sich die Berufstätigkeit der Frauen nur in Zusammenhang mit der erlebten Rollenkongruenz auf die Zufriedenheit der Frauen aus. Die Auswirkung auf die Entwicklung der Kinder ist differenziert zu betrachten: Bei einer Überlastung der Frauen durch die doppelten Anforderungen und einer unzureichenden Betreuung des/der Kindes/er und einem niedrigem Familieneinkommen kann es zu einer negativen Auswirkung auf das mütterliche Fürsorgeverhalten kommen. Grundsätzlich zeigt sich jedoch in verschiedenen Studien, daß die Berufstätigkeit der Mutter per se durchaus zu einer positiven Entwicklung des Kindes beitragen kann. Erst in Interaktion mit den oben erwähnten negativen Variablen können daraus negative Konsequenzen abgeleitet werden.

3. Stellungnahme

Meines Erachtens ist es gerade für sozialpolitische Maßnahmen von großer Bedeutung, die Schwierigkeiten aufzuzeigen, die bei Wiederaufnahme der Berufstätigkeit der Mutter entstehen. So sind Studien über die Auswirkung von Kursen durchaus von Bedeutung. Jedoch sind die daraus gezogenen Konsequenzen zu einseitig auf Maßnahmen gerichtet, die zum Zeitpunkt des Wiedereinstiegs gesetzt werden. Tatsächlich müßte aber bereits im Bereich der Ausbildung von Frauen, vor der Geburt des ersten Kindes, Maßnahmen gesetzt werden, die darauf abzielen, eine möglichst gute Berufsqualifikation und mehrjährige Berufstätigkeit vor der Geburt des ersten Kindes zu bewirken. Aufgrund persönlicher Beobachtungen ist bei mir der Eindruck entstanden, daß viele Frauen aus der Verantwortung des Berufslebens in jungen Jahren fliehen, indem sie sich oft von einer momentan stark emotionalisierten Beziehung dazu verleiten lassen, frühzeitig Kinder zu bekommen. Gerade in den unteren Bildungsschichten ist nach wie vor die Tendenz vorhanden, bereits frühzeitig aufgrund einer Kinderpause aus dem Erwerbsleben auszuscheiden und dies, ohne irgendwelche eigenen beruflichen Qualifikationen erworben zu haben. Es scheint mir dies eine Flucht aus der Arbeitsmarktmisere einerseits und der Vermeidung der Klärung eigener Lebensvorstellungen andererseits zu sein. Daß sich dieses Vermeidungsverhalten vieler Frauen dann doppelt rächt, indem sie weder eine gute Ausbildung haben, noch finanziell in der Lage sind, eine Berufstätigkeit überhaupt nicht anstreben zu müssen, zeigt sich in vielen Biographien. Es ist daher einmal mehr unser Bildungssystem gefordert: Die Schule sollte auch Eigenverantwortung und die Auseinandersetzungen mit eigenen Zielvorstellungen ermöglichen. Und fördern. Damit könnte ein Grundstock gelegt werden, daß nicht die erst besten traditionellen Verhaltensmuster in Konfliktsituationen (wie dies z. B. mangelnde Arbeitsplätze sind) gewählt werden, sondern daß der/ die Einzelne in erster Linie die eigenen Vorstellungen über sein/ihr Leben klärt. Wie sich zeigt, sind Personen mit besserer Ausbildung und beruflicher Qualifikation weit weniger gefährdet, auf Grund einer Kinderpause sozial abzurutschen, bzw. haben diese auch häufiger eine zufriedenstellende Organisation für ihr familiäres Leben gefunden. Dies vor allem auch deshalb, weil sie bereits im Vorfeld klargestellt haben, welche Lebensform sie für die Zukunft bevorzugen. Aufgrund der empfängnisverhütenden Möglichkeiten (die leider noch immer zum Großteil zu Lasten der Frauen gehen) scheint es mir in unserem Kulturkreis wirklich möglich, zumindest eine grobe Lebensplanung, welche auch Kinder beinhaltet, aufzustellen. Allerdings scheuen viele Frauen oft davor zurück, ihre eigenen Erwartungen klar zu definieren. Eine genauere Planung wann und unter welchen Bedingungen Kinder tatsächlich erwünscht sind, wird nicht durchgeführt. Sie lassen die Dinge an sich herankommen, bis auf wenige Ausnahmen, die man, durchaus auch abwertend, als "Karrierefrauen" bezeichnet, nehmen sie die Chancen zur eigenen Lebensgestaltung in jungen Jahren nicht wahr und müssen sich im Laufe ihres späteren Lebens zu einem Zeitpunkt mehreren Anforderungen gleichzeitig stellen. Um die häufig beklagte Doppelbelastung von Frauen zu minimieren, ist aber auch ein besseres Konfliktmanagement von ihrer Seite notwendig. Frauen nehmen Konflikte im allgemeinen gut wahr, doch scheuen sie häufig davor zurück an ihrer Lösungkonkret zu arbeiten. Eine lange verbale Auseinandersetzung mit einem Thema wird konkreten Handlungen meist vorgezogen.

Daß eine Gesellschaft mit unserem sozialen Wohlstand für entsprechende Rahmenbedingungen zur Kinderbetreuung zu sorgen hat, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Dies bedeutet jedoch nicht, daß damit der/die einzelne aus der Eigenverantwortung entbunden wird. Meines Erachtens sollte in Zukunft die Sichtweise etwas verallgemeinert werden. Es sollte nicht immer nur die Problematik Frau – Familie aufgegriffen werden, sondern zunehmend Menschen mit oder ohne Kinder. Dies vor allem deswegen, damit sich Männer in Zukunft weniger aus diesem Spannungsfeld davonstehlen können. Solange immer nur das Problem der Vereinbarkeit für Frauen definiert wird, gibt es keinen Grund für Männer über ihre Vereinbarkeit Familie - Beruf nachzudenken, bzw. sie überhaupt zu problematisieren. Sofern ein partnerschaftliches Modell gelebt wird, stellt sich das Problem aber sicher für beide Geschlechter, also schlichtweg für Eltern.

Literaturverzeichnis

Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Abteilung für grundsätzliche Angelegenheiten der Frauen. (Hrsg.). (1996). Wiedereinstieg von Frauen in das Berufsleben - Und danach? Wien: Autor.

Büssing, A. (1998). Telearbeit: Für jeden empfehlenswert? Psychologie Heute, 25/4, 36 - 41.

Klugger, U.(1996). Die berufliche und familiäre Rolle der Frau nach der Karenz. Eine vergleichende Untersuchung von erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Frauen bezüglich familiärer Arbeitsteilung, Partnerschaft und Einstellung zur Elternschaft. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien.

Wicki, W. (1997). Übergänge im Leben der Familie. Veränderungen bewältigen. Bern: Huber.
 
 
 

Inhaltsverzeichnis

11) Kulturelle Determinanten des Elternschaftserlebens (Karin Mayer)

1. Einleitung

1.1. Historischer Überblick und Allgemeines

Über die Entstehung der "Familie" weiß man nichts Genaues, jedoch wird angenommen, daß sie mit der Bildung der menschlichen Evolution einhergeht, weil sie in allen Kulturen vorkommt. Kulturvergleichende Untersuchung von Murdock (175 Jäger- und Sammler-gesellschaften) fanden durchgehend Familienstrukturen mit traditioneller Arbeitsteilung.

97 % der Kulturen betrachteten Jagen als Angelegenheit der Männer;

93 % Fischen als Tätigkeit der Männer; bei

60 % sammelten nur Frauen die Nahrung.

In der Regel waren Kampf, Beschützen des Stammes und Ausüben religiöser Funktionen Sache des Mannes, und andererseits hatten Frauen die Erziehung der Kinder, Pflege des Heimes und Zubereitung und Aufbewahrung von Nahrungsmitteln zu übernehmen.

Entscheidungen, die den ganzen Stamm betrafen, wurden meist von Männern getroffen, und Frauen mußten sich damit zufrieden geben, einen großen informellen Einfluß ausüben zu dürfen. Da Männer und Frauen ökonomisch aufeinander angewiesen waren, lebten sie in einer relativen Gleichberechtigung. In der Regel waren die Väter den Kindern nahe. Besonders wenn es darum ging, die Söhne in der Jagd und in religiösen Gebräuchen zu unterweisen.

Durch die Kultivierung des Ackerbaus entwickelten sich diverse Techniken, die einen Produktionsüberschuß ermöglichten. Eine ungleiche Verteilung war Voraussetzung für die ersten Klassengesellschaften. Dadurch kam es auch zur Entwicklung unterschiedlicher Familientypen und zu einer stärkeren Differenzierung bei den Geschlechtsrollen, meist zugunsten einer Stärkung der Position des Mannes. Der Vater wurde zum Hauptverdiener, und die Mutter übernahm fast die ganze Verantwortung für die Erziehung der Kinder.

Die Vater-Kind-Beziehung war am ausgeprägtesten, wenn die Lebensgrundlage der Kultur das Sammeln von Nahrung oder der Gartenbau war und keine Kombination aus Polygynie, patrilokaler Wohnform, erweitertem Familienverband und vaterbeherrschter Arbeitsteilung vorlag. Wenn es in einer Gesellschaft Besitz zu verteidigen gibt und von größeren Gruppen oder dem Staat keine Verteidigungs-kräfte bereitgestellt werden, ist die Distanz zwischen den Eheleuten größer und die Vateranwesenheit nimmt ab.

Elternverhalten ist in erster Linie kulturell bedingt. Veränderungen im Verhalten gehen mit sozialen, ökonomischen und möglicherweise medizinischen Entwicklungen einher.

2. Vergleiche gegenwärtiger Kulturen

2.1. Trobriander in Melanesien

Haben keine Kenntnis von der biologischen Bedeutung des Vaters. Trotzdem muß die Frau heiraten, bevor sie Kinder haben darf. Ein Mann muß in jedem Haushalt leben und die Frau (und Kinder) leben am Wohnort des Vaters (= patrilokale Lebensweise). Vater und Mutter teilen sich die Aufgaben der Pflege, der Ernährung und des Transports eines Kindes. Die emotionale Beziehung des Vaters zu seinen Kindern ist tief und echt. Es wird erwartet, daß die Kinder versuchen ihren Vätern ähnlich zu werden.

2.2. Berg-Arapesh

Arapesh-Männer verhalten sich ausgesprochen mütterlich. Sie übernehmen frauliche Pflichten und beteiligen sich in gleichem Maße wie die Frauen an der Kindererziehung. Diese steht auch in Mittelpunkt des sozialen Lebens.

2.3. Mundugumor:

Beide Geschlechter zeigen ein übertrieben maskulines Verhalten. Damit ist gemeint, daß weder Frauen noch Männer besonders kinderlieb sind. Kinder werden allgemein rauh behandelt. Die Mutter verabscheut die Schwangerschaft als Last und verwendet nur ein Mindestmaß an Zuwendung an die Kinder.

2.4. Kung San aus dem Nordwest-Botswanaland

Der Lebensunterhalt wird überwiegend durch Sammeln und Jagen gewonnen. Da das Nahrungsangebot so reichlich ist, benötigen die Frauen und Männer nur einen halben Tag, um die Ernährung sicherzustellen. Es bestehen grundsätzlich keine gezielten kriegerischen Aktivitäten. Den Kindern wird von klein auf mit viel Duldsamkeit und Nachsicht begegnet. Väter beschäftigen sich viel mit den Kindern, da sie auch relativ viel Zeit haben. Tägliches Versorgen und Beruhigen weinender Kinder obliegt aber den Müttern. Es gibt aber auch viel körperlichen Kontakt der Kinder zu den Vätern, die letztere nahezu nie zurückweisen.

2.5. Bewohner eines Lesu-Dorfes in Neuirland – typische Vertreter der Kulturen auf den pazifischen Inseln – (Melanesien)

Ernährung durch Fischfang und Gartenanbau, durch Männer und Frauen. Kaum Kämpfe zwischen den verschiedenen Siedlungen. Das öffentliche Leben ist nach Geschlechtern getrennt organisiert. Männer von schwangeren Frauen müssen nachts in eigenen Männerhäusern schlafen. Trotzdem wird das Familienleben als innig und liebevoll geschildert. Der Ehemann kümmert sich häufig um Kleinkinder und spielt mit ihnen liebevoll. Die kleinen Kinder bleiben sich selten selbst überlassen.

2.6. Koreaner aus dem Sondup’o-Dorf (Kanghwa Insel)

Nahrung überwiegend durch Ackerbau. Die Landbestellung erfolgt hier nur durch den Mann, Schutz und Verteidigung des Dorfes durch den Staat. Meisten größere Familieneinheiten nach patrilokalen bzw. patrilinearen Muster. Der älteste Sohn ist der Erbe des Vaters. Dieser ist streng und etwas distanziert den Kindern gegenüber. Nur jüngere Mädchen erfahren von ihm eine liebevolle Zuwendung. Der Vater erwartet den unbedingten Gehorsam seiner Söhne. Die Mutter gilt dagegen als der verständige und entlastende Elternteil. Sie und die älteren Geschwister kümmern sich um die kleineren Kinder; ältere Kinder gehen zur Schule. Nur selten helfen sie dem Vater bei der Feldarbeit.

2.7. Thonga von der Ostküste Südafrikas

Lebensunterhalt aus einfachem Ackerbau (von den Frauen verrichtet) und Viehzucht (durch die Männer). Die Thonga verfügen zu ihrer Verteidigung über Krieger mit eigens gestalteten Kriegskostümen. Familienorganisation folgt einem polygynen Muster innerhalb eines größeren Familienverbandes. Die verschiedenen Frauen eines Mannes leben jeweils in einer eigenen Hütte. Väter beziehen sich nahezu nie auf die Kinder, obwohl diese genug Zeit dafür hätten. Von ganz kleinen Kindern halten Tabus den Vater fern. Kleinstkinder werden von den Müttern versorgt. Sobald sie abgestillt sind, leben sie einige Jahre bei den Großeltern. Der Vater erwartet von den Kindern beiderlei Geschlechts absoluten Gehorsam, und er straft seine Söhne körperlich, wenn sie ihm diesen verweigern. Die Kind-Vater-Beziehung ist durch Respekt, der bis zur Furcht gehen kann, gekennzeichnet.

2.8. Rwala Beduinenstamm aus der nordarabischen Wüste

Sie sind Halbnomaden und beschäftigen sich vorwiegend mit Kamelherden, Pferdezucht und dem Handel mit entsprechenden Produkten. Darum kümmern sich die Männer, während die Frauen im Häuslichen wirken. Die Rwala gehören mit zu den kriegerischsten Stämmen, die in der Literatur bekannt sind. Die beiden Geschlechter leben streng voneinander getrennt. Sie schlafen in abgetrennten Abteilen ihrer Zelte. Der Vater-Kind-Kontakt ist gering und beschränkt sich auf gelegentliche Gespräche. Körperliche Strafen erfolgen von früher Kindheit an, bei kleinen Kindern mit Stöcken, bei älteren Söhnen auch mit Säbel oder Dolch. Dadurch wird versucht die Söhne zum Gehorsam zu zwingen und sie für das weitere Leben abzuhärten. Ältere Knaben verbringen mehr Zeit mit älteren Männern und müssen bei diesen Hilfsdienste leisten.

2.9. Stämme in Südostasien, Indonesien und Westafrika

Geltende Tradition der "maternalen Deszendenz", d. h. Abstammungsrechnung nur nach der Mutterseite. Alle sozialen Rechte und Pflichten der Vaterschaft obliegen keineswegs dem leiblichen Erzeuger, sondern dem "Mutterbruder". Frauen haben hier große soziale und auch sexuelle Freiheit. Scheidungen sind leicht und häufig, ledige Geburten kein Problem. Kinder sind lebenslang Mitglieder ihrer Muttersippe und gelten mit der Sippe ihres biologischen Vaters sozial als nicht verwandt. Sie können ihn somit also auch nicht beerben. Der leibliche Vater verwöhnt seine Kinder und spielt mit ihnen wie mit Geschwistern, während der zur Erziehung verpflichtete Mutterbruder, also der Onkel, stets streng zu sein hatte, um den von ihm ausgehenden Ge- und Verboten Nachdruck zu verleihen. Dieser mußte außerdem Hab und Gut seinen Neffen vererben, statt es den eigenen Kindern übereignen zu dürfen.

3. Vaterschaft als Zuschreibung

4. Vergleichsergebnisse aus hochentwickelten Ländern

4.1. Südkorea

Die Familie und nicht das Individuum stellt die kleinste Einheit der Gesellschaft dar. Der Jüngere hat sich dem Älteren immer unterzuordnen. In der traditionellen koreanischen Familie war nicht die Gattenbeziehung die Hauptbeziehung der Gemeinschaft, sondern die vertikale Beziehung zwischen Eltern und Kindern und zwischen Vorfahren und Nachkommen. Außerdem war diese Familienform patrilinear und patriarchalisch, d. h. einerseits hatten sich Frauen den Männern unterzuordnen, andererseits die Mitglieder der jüngeren Generation denen die älteren. Dieses Prinzip galt auch für die Beziehung zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter. Die Mehrzahl der Bevölkerung lebte in Stammfamilien, zu denen Eltern, unverheiratete Kinder und meistens der älteste Sohn mit seiner Familie gehörten, oder in Kernfamilien, die sich nur aus Eltern und unverheirateten Kindern zusammensetzten. Die Verheiratung erfolgt bis heute in den meisten Fällen nicht aus Liebe, sondern durch Vermittlung von Verwandten. "Es ist die Pflicht einer Frau, sich in der Kindheit ihrem Vater zu unterwerfen und ihm zu dienen, in der Ehe ihrem Mann und im Alter ihren Söhnen." Es ist die Pflicht der jungen Ehefrau der Familie einen Sohn zu gebären. Selbstverständlich schien es, daß in den ersten ein bis zwei Jahren nach der Heirat ein Kind geboren wird. In der Zeit der Schwangerschaft versucht die gesamte Verwandtschaft, der Frau das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Es herrschte die bestehende Vorstellung, daß das Ungeborene durch die Erfahrungen und Emotionen der Mutter in seinem Charakter geprägt wird.

Den eigentlichen Beistand bei der Geburt leistet die Schwiegermutter. Die Niederkunft erfolgt nie in der Rückenlage wie in Westeuropa. Traditionellerweise dürfen in den ersten drei Wochen nur die Familienangehörigen das Neugeborene sehen. Die Geburt des Kindes wird nicht gefeiert, aber das "Fest der hundert Tage", genau hundert Tage nach der Geburt, da dann das Baby nicht mehr so schwach ist. Im heutigen Südkorea besteht eine Tendenz zur späteren Heirat. Erst seit kurzem besteht die Möglichkeit der freien Partnerwahl. Aufgrund der veränderten Familienstrukturen steigt die Zahl der Frauen, die eine eher negative Einstellung zur Schwangerschaft haben. Auch die soziale Unterstützung ist in städtischen Kleinfamilien weniger vorhanden. Die Paarbeziehung hat an Bedeutung gewonnen.

Nach einer Studie aus dem Jahre 1990, gaben 80 % der befragten, verheirateten Frauen an, daß Haushaltstätigkeiten wie Kochen, Waschen und Aufräumen alleine von ihnen erledigt würde, obwohl sie berufstätig waren. In den befragten Familien waren zu 70,6 % die Männer die Hauptverdiener, das Regeln von Geldangelegenheiten sahen jedoch 61,6 % der Frauen als ihre Aufgabe an. Die Betreuung der Kinder oblag im Säuglings- und Kleinkindalter vorwiegend der Mutter; wenn die Kinder älter waren, beteiligten sich hingegen Mutter und Vater in etwa gleichen Anteilen an der Kindererziehung.

4.2. Japan

Elterliches Kontrollverhalten wird von den deutschen Jugendlichen eher als Feindseligkeit von seiten der Eltern interpretiert, während die japanischen Jugendlichen es positiv bewerteten und mit Akzeptanz und Wärme in Verbindung brachten, sich sogar durch ihre Eltern abgelehnt fühlten, wenn diese weniger kontrollierend waren und ihnen mehr Autonomie zubilligten.

Im Vergleich zu deutschen Müttern, reagieren japanische Mütter signifikant weniger mit Ärger, sie deuten kindliches Fehlverhalten weniger in einer den kindlichen Selbstwert beeinträchtigenden Weise, und sie können Konflikte und Ärgereskalation vermeiden, ohne deswegen auf die Einhaltung von Regeln zu verzichten.

Bei einem Vergleich amerikanischer und japanischer Mütter, sahen erstere ihre mütterlichen Pflichten als kurzfristiger an und fühlten sich auch für andere Bereiche verantwortlich als die japanischen. Während die japanischen Mütter die Mutterschaft als lebenslange Aufgabe auffaßten und als wichtigste Erziehungsziele Kooperationsfähigkeit und hohe Leistungsmotivation nannten, wollten die amerikanischen Mütter ihren Kindern vor allem körperliche Pflege und Liebe zukommen lassen, und dies nur bis zum Erreichen des Erwachsenenalters.

Gegenwärtige japanische Angestelltenfamilie aus der Mittelschicht: Der Vater als sogenannter "Salary Men" ist durchschnittlich sechzehn Stunden von zu Hause abwesend. Die Ehefrau verfügt über das Gehalt, das ihr Mann verdient, und teilt ihm daraus lediglich ein Taschengeld zu, um dessen Höhe viel gestritten wird. Um alles was die Kinder betrifft, kümmert sie sich allein. Die Sorge um Eltern und Schwiegereltern ist gleichfalls ihre Sache. Kommt der Vater spätabends beziehungsweise nachts heim, liegen die Kinder längst im Bett. Sie sehen ihn höchstens am Wochenende und selbst das nicht regelmäßig, weil auf manche Salary Men sogar dann noch geschäftliche Pflichten warten. Gemeinsame Unternehmungen und Gespräche fehlten in der Vater-Kind-Beziehung. Der Aspekt der sozialen Vaterschaft beschränkt sich im Grunde auf die Bereitstellung der Lebenshaltungskosten.

4.3. Israel

Modell eines landwirtschaftlichen Kibbuz, bei der am Morgen der Vater und die Mutter zur täglichen Arbeit aufs Feld gegangen sind und die Kinder, während des Tages in die Kibbuz-Kindertagesstätte gebracht worden sind. Die Eltern verbrachten täglich ein bis zwei Stunden mit den Kindern, bevor diese zu Bett geschickt wurden.

5. Einflüsse anderer Kulturen - Amerika

5.1. Afrikanische Amerikaner

Früher wurde angenommen, daß die Frau das Oberhaupt der Familie wäre und der Mann sich nur selten zu Hause zeigen würde. Während die schwarzen Mütter tatsächlich eine zentrale Rolle im Familienleben einnehmen, so werden schwarze Väter sehr aktiv, wenn es um die Beziehung zu ihren Söhnen geht. Afrikanische Eltern erwarten bereits früh Autonomie, Kontrolle und Unterstützung der Kinder. Sie sind weiters davon überzeugt, daß sowohl Vater, als auch die Mutter in der Kindererziehung tätig sein sollten.

5.2. Lateinamerikanische Kultur

Ursprünglich wurden die lateinamerikanischen Männer als dominante und autoritäre Personen beschrieben. Man sagte, der "Macho" hätte das Sagen in der Familie und die Frau hätte sich unterzuordnen und ruhig zu sein. Sie hatte sich um den Haushalt und die Erziehung der Kinder zu kümmern. Der Mann fällte alle wichtigen Entscheidungen und verbreitete Furcht und Angst innerhalb seiner Familie. Harte Strafen für die Kinder waren selbstverständlich. Tatsächlich aber ist der Mann nicht so autoritär und hat nicht so viel Macht, wie es beschrieben wurde. Entscheidungen werden z. B. von Mann und Frau getroffen. Darüber hinaus wirken die lateinamerikanischen Männer signifikant positiv auf die Erziehung ihrer Kinder mit ein. Gerade zu sehr kleinen Kindern verhalten sie sich sehr warmherzig und mitfühlend. Den größten Anteil ihrer Freizeit verbringen sie gemeinsam mit ihren Familien.

5.3. Asiatische Kulturen

Chinesische Amerikaner: Chinesische Frauen mußten sich früher nicht nur ihren Männer, sondern auch deren Eltern unterordnen. Sie lebten auch meist gemeinsam unter einem Dach. Für den Mann war es wichtig – er erreichte dadurch "Unsterblichkeit" – wenn er Söhne in die Welt setzte und die Linie in der Familie dadurch fortsetzte.

Die Chinesen in Amerika waren gezwungen sich mehr oder weniger ihrem neuen Heimatland anzupassen.

Japanische Amerikaner: Die Familienstruktur war hierarchisch aufgebaut. Das Individuum mußte sich den Bedürfnissen der Allgemeinheit anschließen. Die japanisch-amerikanische Familie paßte sich auch nach mehreren Generationen ihrem neuen Heimatland an. So wurde z. B. das Hauptmotiv für eine Heirat Liebe.

Koreanische und südasiatische Amerikaner: Auch hier hatten sich alle Familienmitglieder dem Mann und Vater unterzuordnen. Ursprünglich wurde erwartet, daß die Frau zu Hause blieb und sich um die Kinder kümmerte. Niedrige Löhne und harte ökonomische Bedingungen jedoch zwangen die Frauen einen Beruf zu ergreifen. Dadurch stieg auch das Ansehen und die Macht der Frauen, wenn auch noch nicht so stark wie bei den weißen Amerikanerinnen. Väter kümmern sich kaum um Kleinkinder. Sobald diese jedoch älter werden, beschäftigen sie sich öfter mit ihnen, d. h. hauptsächlich mit ihren Söhnen.

5.4. Indianer

Die indianischen Kulturen erweisen sich als sehr unterschiedlich. Bei einigen haben die Männer mehr Macht, bei anderen die Frauen.

Als Beispiel seien die Navajos genannt: Die Frauen nahmen eine gleichberechtigte, wenn nicht sogar wichtigere Position dem Mann gegenüber ein. Die Struktur der Navajos wurde als matrilinear und matrilokal beschrieben. Die Frauen übernahmen die Erziehung ihrer Kinder (die aber ebenfalls von Tanten, Onkel, Cousinen, Großeltern u. a. umsorgt wurden) und tätigten auch eine Menge finanzieller Entscheidungen. Heilige Zeremonien und politische Aktivitäten wurden jedoch dem Mann überlassen. Durch den Kontakt mit der weißen Kultur und der Tatsache, daß nur verheiratete Männer Land besitzen konnten, sank der Einfluß der Frauen. Wohl auch dadurch, daß sie im Berufsleben bei gleicher Arbeit einen niedrigeren Lohn als ihre Männer erhielten.

5. Besonderheiten

5.1. Couvade (= Männerkindbett)

In einigen Kulturen (siehe z. B. Korsika, Küstenstämme am Schwarzen Meer, Nordspanien, Polen, Albanien, etc.) ist es üblich, daß sich nach der Geburt eines Kindes der Ehemann an bestimmte Vorschriften hält. Die Extremform heißt "Männerkindbett". Der Mann legt sich anstelle oder gemeinsam mit der jungen Mutter ins Wochenbett, wobei der Vater das Verhalten einer Wöchnerin imitiert. Während dieser Zeit läßt er sich von eben dieser Frau bedienen und umsorgen. Dies kommt wahrscheinlich daher, daß dem Mann vor allem riskante außerhäusliche Aktivitäten, wie Jagd auf Großwild, Bäumefällen usw. untersagt waren. Da er nichts von Hausarbeit verstand, mußte er dort bleiben, wo er nicht im Weg war, also auf der Lagerstatt und nahm der Mutter das Baby ab. Die Mutter wiederum mußte ebenfalls harte und eventuell gefährliche Arbeiten außer Haus meiden. Aufgrund der überlieferten Beispiele entsteht der Eindruck, daß die Eltern und das Baby am besten eine Weile im engsten Umkreis ihrer Heimstatt bleiben sollten, weil dies für alle am sichersten sei.

Andere Autoren beschrieben Couvade auch als Verhalten von Männern schwangerer Frauen: Wenn sich die Geburt ankündigte, zeigten statt der Frauen ihre Männer alle Anzeichen der Beschwerden und Geburtswehen, wie sie in unserer Kultur üblicherweise bei Schwangeren erwartet werden. Im westeuropäisch-amerikanischen Kulturkreis ist ein derartiges Verhalten "schwangerer Männer" unbekannt. Doch stellt sich bei einem gewissen Prozentsatz der werdenden Väter mit dem Einsatz der Schwangerschaft eine Reihe mehr oder weniger ausgeprägter Symptome ein, wie Appetitverlust, Ermüdung, Kopf- und Rückenschmerzen, ja sogar Übelkeit und Erbrechen. Fast unmittelbar nach der Geburt pflegen diese Symptome wieder zu verschwinden (Couvade-Syndrom). Die Symptome sind hier nicht Bestandteil eines Rituals. Häufig war es auch so, daß die befragten Männer ihre Beschwerden überhaupt nicht bewußt in einen Zusammenhang mit der Schwangerschaft ihrer Frau brachten.

Englischen Militärärzten fiel während des Zweiten Weltkrieges auf, daß von ihnen betreute Soldaten von Unterleibsschmerzen zum vermeintlichen Zeitpunkt der Geburtswehen ihrer Frauen berichteten. Über den Grund des Auftretens des Couvade-Syndroms ist man sich nicht einig.

Literaturvezeichnis

Bozett, F. W. & Hanson, S. H. M. (Eds.). (1996). Fatherhood and families in cultural context. New York: Springer Publishing Company.

Fthenakis, W. E. (1985). Väter (Bd. 1). München: Urban & Schwarzenberg.

Michelsen, H. (Hrsg.). (1995). Über Väter. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag.

Quaiser-Pohl, C. (1996). Übergang zur Elternschaft und Familienentwicklung in Deutschland und Südkorea. Münster: Waxmann.
 
 
 

Inhaltsverzeichnis

12) Jugendliche werden Mütter (Corinna Klein)

Einleitung

Da die Anzahl der schwangeren Adoleszenten international im Steigen begriffen ist, gewinnt dieses Problem zunehmend an Relevanz für die wissenschaftliche Forschung, aber auch für die psychologische und medizinische Praxis. Ich möchte in meiner Arbeit den Fragen nachgehen, aufgrund welcher Entscheidungsstrukturen die jungen Mütter den Entschluß fassen, ihr Kind auszutragen – kurz: welche Probleme durch die verkürzte psychophysische Kindheit auftreten, welche Probleme die Schwangerschaft in der Adoleszenz mit sich bringt und schließlich, wie die soziale Wirklichkeit der adoleszenten Mutter aussieht. Zum Abschluß möchte ich eine österreichische Pilotstudie vorstellen.

2. Welche Faktoren beeinflussen die Entscheidung das Kind auszutragen?

Göbel ermittelte in seiner Untersuchung über ungewollte Schwangerschaften (bezieht sich nicht nur auf die Adoleszente) einen Entscheidungszeitraum von 3 Wochen nach der Entdeckung der Schwangerschaft bis hin zur getroffenen Entscheidung. Er weist auch darauf hin, daß die erste Schwangerschaft immer schwieriger zu akzeptieren ist, als folgende.

Auch haben laut seiner Untersuchung die rein moral-ethischen Überlegungen dazu weniger Gewicht als beispielsweise die Frage nach den ökonomischen Voraussetzungen. Denn gerade in der adoleszenten Schwangerschaft stellt die zumeist finanzielle Abhängigkeit von den Eltern einen großen Entscheidungsträger dar. Allerdings scheinen junge Mädchen, die sich zum Schwangerschaftsabbruch entscheiden, ihre finanzielle Situation realistischer einschätzen zu können, als die adoleszenten Mütter. (Eine ungenügend finanzielle Situation wird auch als wichtigster Grund für die Interruption angegeben). In einer Untersuchung in den USA stellte sich heraus, daß die Probleme aber auch auf dem sozialem Gebiet liegen. So stellte man zum Beispiel fest, daß unter den schwangeren Mädchen eine erhöhte Anzahl an Schulversagern zu finden ist, was im weiteren Verlauf auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich eingeschränkt. Die Autoren konstatieren weiters das Fehlen von Zufkunftsvorstellungen bzw. -perspektiven. Es scheint daher der Wunsch nach einem Kind in der Vorstellungswelt der Jugendlichen gerechtfertigt zu sein. Dazu kommt, daß gerade die Jugendlich in ihrer Phase der Rebellion und Risikobereitschaft mit der Kontrazeption im Vergleich zu reiferen Frauen einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist schwanger zu werden. Die Autoren sprechen auch von schichtspezifischen Symptomen, die eher ein tristes Bild von der Situation junger Mütter zeichnen. So stellte man fest, daß schwangere Mädchen nicht nur durchwegs schlechtere Schulnoten hatten, sondern auch häufiger in Kontakt mit Jugendgerichten oder psychiatrischen Kinder- und Jugendabteilungen gekommen waren. Demgegenüber berichten aber neuere Studien aus den USA, daß die adoleszenten Mütter vermehrt auch in der Mittelschicht anzutreffen sind und dies damit nicht nur als ein Problem einer sozial unterprivilegierten Schicht anzusehen ist. Man kann also sagen, daß neben der individuellen ökonomischen Situation auch die gesamtgesellschaftliche ökonomische Situation (Jugendarbeitslosigkeit, verstärkte Zurückweisung der Frau auf die traditionell weibliche Rolle) einen wesentlichen Faktor darstellt und damit auch zum besseren Verständnis der Entscheidung für oder gegen das Kind beitragen kann. Es können jedoch auch massive Probleme in der Familie sein, nicht erfüllte Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, die bewirken, daß junge Mädchen von ihrem Baby erwarten, all das zu bekommen, was sie daheim vermißten. Schließlich gibt es dann noch den Leitgedanken "Was nicht sein darf, kann nicht sein", wonach von vielen Adoleszenten die Schwangerschaft verleugnet wird und der Arzt erst so spät konsultiert wird, daß ein Abbruch schon illegal wäre.

3. Adoleszenz und Schwangerschaft

3.1. Wie hoch ist das Schwangerschaftsrisiko?

Was die Schwangerschaft anbelangt, wird in der Literatur immer wieder darauf hingewiesen, daß Adoleszente bei der Geburt eines Kindes ein größeres Risiko eingehen als reifere Frauen bis zum 35. Lebensjahr. Das heißt, es ist die Erkrankungsziffer und Sterbeziffer höher als bei älteren Frauen. Es wurde festgestellt, daß es bei jugendlichen Müttern vermehrt zu Früh- und Todgeburten kommt, was mit einer ungenügenden Beckenkapazität in Zusammenhang gestellt wird. So sind bei sehr jungen Müttern z. B. Geburten mit einem Gewicht unter 2500 Gramm häufiger. Neben der physischen Unreife ist auch die psychische Unreife der jungen Mütter ein Grund für ein größeres Risiko bei der Geburt, vor allem dann, wenn Präventivuntersuchungen und Geburtsvorbeitung vielfach nicht im erforderlichen Maße durchgeführt wird.

Thompson und Cappleman stellten fest, daß zwei bis fünf Tage alte Babys von adolseszenten Müttern signifikant weniger Fähigkeiten entwickelt hatten, auf soziale Stimuli zu reagieren, sie waren weniger wachsam und konnten ihre Bewegungsreflexe weniger koordinieren als gleich alte Babys von älteren Müttern. In den neueren Untersuchungen kommt aber dem medizinischen Risiko weniger Bedeutung zu als dem psychischen und sozialen Kofliktmomenten.

3.2. Was bedeutet die Schwangerschaft für die adoleszente Mutter?

Nach Wallace sind für die jugendliche Mutterschaft Faktoren wie emotionale Reife, soziökonomischer Status und die Beziehung der jungen Mutter zu ihrer eigenen Familie bestimmend. Das Eintreten der Schwangerschaft bedeutet auch unter günstigen Umständen eine grobe Veränderung der Lebensbedingungen und damit eine große Lebensumstellung.

Die junge Frau soll in der Zeit der Schwangerschaft ihre eigene Identität als Mutter finden und sich auch gleichzeitig von ihrer eigenen Mutter lösen. Aber gerade in der Adoleszenz beginnt eigentlich erst der Ablösungsprozeß und die eigene Identitätsfindung. Der Wunsch nach einem Kind wird in diesem Zusammenhang oft auch als überstürzte Ablösung gedeutet, beziehungsweise als Ausweg aus einer trostlosen Identitätsfindung bezüglich Berufswahl und Lebensweg. Trotzdem bleiben aber große Ängste vor dem Übernehmen von Verantwortung und damit eine gewisse Hilflosigkeit. Alle Phasen von entwicklungsbedingten Krisen (Pubertät, Menopause, Schwangerschaft) erfordern Anpassungsleistungen. Wobei allen gemeinsam ist, daß sie eine unwiderrufliche abgeschlossene Entwicklung bedeuten. Doch für die erstschwangere Adoleszente bedeutet dies, daß ein neuer Lebensabschnitt beginnt, obwohl der vorhergehende noch nicht adäquat abgeschlossen werden konnte. In diesem Zusammenhang wird erwähnt, daß viele Jugendliche dann überstürzt Ehen eingehen, die dann zu einem sehr hohen Prozentsatz wieder früh geschieden werden. Des weiteren wird in der Literatur immer wieder auf ambivalente Gefühlen während der Schwangerschaft hingewiesen. Durch die psychischen, physischen und sozialen Veränderungen kommt es zwangsläufig zur Verunsicherung der Schwangeren. Diese Verunsicherung dominiert vor allem im ersten Schwangerschaftsdrittel, bis ein Ausgleich an die intrapsychischen Veränderungen und eine Anpassung and die veränderte Selbst- und Außenwahrnehmung stattgefunden hat.

3.3. Die psychische Bedeutung des Kinderwunsches und einige Theorien dazu

Der Kinderwunsch impliziert eine große Anzahl von mehr oder weniger bewußten Erlebnisinhalten. Molinski beschreibt verschiedene Motive des Kinderwunsches. So zum Beispiel das Bedürfnis einer Frau eine biopsychische Symbiose mit dem Kind einzugehen oder den Wunsch sich zu verewigen und damit über den Tod hinaus nachzuwirken.

Wie aber schon erwähnt, muß auch im Zusammenhang mit dem Kinderwunsch die Beziehung zur eigenen Mutter herausgestrichen werden. Denn sie prägt wesentlich die Vorstellungen und Phantasien hinsichtlich der zukünftigen Mutterschaft. Die Mutter ist sozusagen das primäre Modell, an dem mütterliches Verhalten erlernt werden konnte. Das heißt, daß der Kinderwunsch auch für eine fehlende oder negative Identifizierung mit der Mutter ein Versuch einer bewußt weiblichen Rollenannahme bedeuten kann. Bleibt der Kinderwunsch allerdings die einzige Möglichkeit sich von der Mutter zu lösen, wird möglicherweise nicht nur die neue Mutter-Kind-Beziehung problematisch verlaufen, sondern auch der Ablösungsprozeß mißlingen.

Neben diesem Verhaltensmuster spielt für die Adoleszente oft auch die Verstärkung durch die eigene Mutter eine Rolle. Das heißt auch die Mutter, die sich ein Enkelkind wünscht und in Folge ihrer Tochter das Kind "abnehmen" will, sichert sich dadurch ihre verlorengegangene Position wieder. Springer-Kremser und Beck konnten bei Gesprächen mit jungen Schwangeren, die überaus starke Identifizierung der Mütter mit den Töchtern feststellen.

Diederichs bringt den Kinderwunsch in Zusammenhang mit schwer einlösbaren Über-Ich Ansprüchen. Dazu konnte festgestellt werden, daß Schwangerschaft in der Adoleszenz der häufigste physische Faktor ist, die Schullaufbahn abzubrechen.

Einen weiteren Einfluß kann auch eine streng religiöse Erziehung darstellen, wonach Sexualität und Mutterschaft nicht als getrennte Inhalte erfahren werden. Nach Freud ist der Penisneid erst dann abgeschlossen, wenn dieser durch den Wunsch ein Kind zu haben abgelöst wird.

Horney sieht den Kinderwunsch als biologisch triebhaft verankert.

Für Mead ist der Kinderwunsch das Ergebnis eines Lernprozesses.

3.4. Welche Konfliktbereiche entstehen aus der Angst vor dem Kind?

Es werden unterschiedliche Kategorien von Ängsten vor dem Kind genannt (Molinsky):

Erstens die Angst vor dem Kind kann aus realen, äußeren Schwierigkeiten entstehen.

Die Dreifachbelastung Ehefrau, Mutter und Berufstätige bringt leicht die Gefahr der Überforderung der Mutter mit sich. Gibt die Frau den Beruf auf, beziehungsweise übt sie keinen aus, so gerät sie zwangsläufig in eine Abhängigkeit. Zweitens kann die Angst vor dem Kind aus innerpsychischen Schwierigkeiten entstehen: Probleme mit der Selbstbehauptung, der Hingabe während der Schwangerschaft. Drittens kann Angst durch neurotische Schwierigkeiten entstehen. Junge, infantlile Frauen können zum Beispiel befürchten durch ihr eigenes Kind die enge Beziehung zu der eigenen Mutter zu verlieren, derer sie noch bedürfen. Andere Ängste entstehen aufgrund der Vorstellung einer "Nur-Mütterlichkeit", oder davor, dem Kind nicht gerecht zu werden. Das heißt, aus den innerpsychischen Strukturen der Adoleszenten und der Konflikthaftigkeit dieses Lebensabschnittes mit dem Kampf der Ablösung, der Suche nach einer Identität und der ökonomischen Abhängigkeit ergibt sich die besondere Relevanz dieser Ängste für junge Mütter.

Des weiteren werden aber auch einzelne Konfliktbereiche unterschieden.

- Identitätskonflikt: Diese Konfliktsitutation beinhaltet die Störung der weiblichen Geschlechtsidentität. Nach Merz ist der Identitätskonflikt gerade bei jungen Frauen, die ungewollt schwanger werden, Ausdruck einer Durchgangsstörung in einem schwierigen Reifungs- und Entwicklungsabschnitt.

- Eröffnungskonflikt: Die ungewollt Schwangere muß sich hier auf die Anfangsphase der neuen Partnerschaft einstellen. Fragen und Wünsche, die damit verknüpft werden, sind z. B.: "Wirst Du zu mir stehen?", "Wie verhältst Du Dich in der Not?", oder "Kann ich mich auf Dich verlassen?".

- Schwellenkonflikte: einerseits in der Partnerschaft, andererseits in lebenswichtigen Entscheidungen. In der partnerschaftlichen Schwellensituation sind zumeist Klärungsprozesse notwendig. Können diese nicht erbracht werden, so soll die Schwangerschaft dazu dienen, eine bestehende Ungewißheit zu beenden.

Zu den lebenswichtigen Entscheidungen ist darauf hinzuweisen, daß Schwangerschaften für junge Frauen oft in einem besonders ungünstigen Moment entstehen, z. B. vor Abschlußprüfungen, Ausbildungsbeendigungen, ...).

- Ablösungskonflikt: dieser ist im Zusammenhang mit adoleszenten Schwangeren von großer Relevanz.

- Trennungskonflikt: von diesem wird dann gesprochen, wenn die ungewollte Schwangerschaft gerade zum Zeitpunkt einer Beziehungskrise oder mit einer bevorstehenden Trennung vom Partner einhergeht. Die Schwangerschaft hat hier den Charakter einer unbewußten Beziehungsrettung.

4. Wie sieht nun die soziale Wirklichkeit der adoleszenten Mutter aus?

4.1. Soziale Hintergründe

Es konnte in einigen Untersuchungen belegt werden, daß adoleszente Mädchen nicht nur von ambivalenten Gefühlen, sondern auch von unrealistischen, tagträumerischen Phantasien begleitet sind. Die Autoren kamen aber auch zum Ergebnis, daß den jungen Mädchen oft ein Zukunftskonzept fehlt. Ein anderes Phänomen besagt, daß Schwangerschaft in der Adoleszenz häufig nach einem gewissen familieninternen Muster weitergegeben wird. So konnte bestätigt werden, daß eine große Anzahl der jungen betroffenen Mütter eine Mutter hatten, die ebenfalls sehr früh schwanger geworden waren. Interessanter Weise sind es aber dann gerade diese zukünftigen Großmütter, die ein großes Problem haben, die Schwangerschaft ihrer jungen Tochter zu akzeptieren bis dahin, daß sie ihnen jede Unterstützung verweigern.

In einem weiteren familiären Zusammenhang wird die These der "life-events" im Leben der ungewollt Schwangeren dargestellt. So wurden in einer Studie bei Adoleszenten signifikant mehr Todesfälle von nahen Bezugspersonen kurz vor der Schwangerschaft festgestellt als bei einer Kontrollgruppe von reiferen Frauen. Eine Reihe von weiteren Untersuchungsergebnissen gibt Aufschluß über den sozialen Hintergrund der jungen Mutter. So mußte infolge von sozialen Belastungen eine größere Instabilität der Beziehungen festgestellt werden. Auch bringen Frauen, die das erste Mal in der Adoleszenz gebären, überhaupt mehr Kinder zur Welt, als Frauen, die erst später gebären. Durch die abrupt aufgezwungene Mutterschaft, werden Entwicklungsprozesse zurückgestellt und schließlich die Berufswahl eingeschränkt. All dies muß als krasse Überforderung der jungen Mutter gesehen werden. Es wurde festgestellt, daß jene Frauen, die die Schule frühzeitig abgebrochen hatten und den Abschluß nicht mehr nachholen konnten, insgesamt auf eine geringere Schulbildung zurückblicken können als Gleichaltrige. Es wurde auch infolge geringerer Arbeitsmarktchancen ein signifikant geringeres Einkommen, in wenig prestigeträchtigen Jobs ermittelt. Genaueres möchte ich aber in der noch folgenden Studie vorstellen.

4.2. Wie sieht die adoleszente Mutter-Kind Beziehung aus?

Durch den schon mehrmals erwähnten Eingriff in die adoleszente Entwicklung, wird von vielen Autoren ein besonders hohes Risiko für das Kind angegeben, von der Mutter narzißtisch mißbraucht zu werden. Es wird betont, daß die junge Mutter aufgrund der vielfachen Anforderungen, die auf sie einströmen, oft den Kind nicht mehr gerecht werden kann.

Ein weiteres Moment stellt das Problem dar, daß die Eltern das Kind oft mit unbewußten Wünschen belasten und auf diese Weise eine neurotische Störung des Kindes begünstigen.

Auch führen oft Verunsicherungen der jungen Eltern zu einer für das Kind sehr schwer nachvollziehbaren widersprüchlichen Erziehungsprogrammatik, die wiederum kindliche Unsicherheiten mit sich bringt.

Die unreife Persönlichkeitsstruktur kann damit der Ursprung eines Bindungszwangs, einer ablehnenden Haltung dem Kind gegenüber, aber auch vieler Ängste und Schuldgefühle sein.

5. Eine österreichische Pilotstudie über langfristige Auswirkungen früher Mutterschaft

Da die meisten Untersuchungen aus dem angloamerikanischen Raum kommen, die sich nicht mit den regionalösterreichischen Verhältnissen decken, beziehungsweise nur kurzfristige Effekte der frühen Mutterschaft erfragen, sollte diese Pilotstudie die längerfristigen Auswirkungen untersuchen. Es handelte sich hierbei um eine retrospektive Datenerhebung, in der 21 Mütter im Alter zwischen 30 und 35 Jahren befragt wurden. Bei der Geburt des ersten Kindes waren die Mütter zwischen 16 und 19 Jahre alt, das heißt, in der Phase der auslaufenden Adoleszenz. Die Kindesväter waren im Durchschnitt um fast 5 Jahre älter.

Die Erhebung wurde mittels biographischer Interviews durchgeführt. Dabei wurden die Kategorien "Kindheit", "Schul- und Berufslaufbahn", "Schwangerschaft" und die "gegenwärtige Lebenssituation" zur Auswertung verwendet.

5.1. Kindheit

Die meisten Mütter wurden als eheliche Kinder geboren. Mehr als die Hälfte aller Väter der jugendlichen Mütter sind Facharbeiter. 1/3 der Väter sind Angestellte oder Beamte. Die Väter wurden vorwiegend als dominant beschrieben. 2/3 der Befragten wohnten in Landgemeinden. Das restliche drittel in der Stadt. Die durchschnittliche Geschwisteranzahl war 3. Die befragten Mütter geben an, emotional gut versorgt worden zu sein. Viele waren für die Betreuung der Geschwister (mit-) verantwortlich und übernahmen auch einen Großteil der Hausarbeit.

5.2. Schwangerschaft

Ein Viertel der Mütter heiratete vor der Geburt des Kindes, ein Viertel heiratete nicht und rund ein Viertel während des ersten Lebensjahres des Kindes. Der Verlauf der Schwangerschaft wurde sehr unterschiedlich geschildert: Von einer ruhigen ausgeglichenen Zeit, bis hin zu anstrengend und mit Komplikationen behaftet. Einige klagen über Zeitmangel und darüber, "angehängt" zu sein. Andere empfanden die Schwangerschaft als persönliche Freiheit. Wieder andere empfanden sie als "schwere Zeit" und fühlten sich eingeschränkt: "hatten nichts mehr von der Jugend".

Trotz anfänglicher Schwierigkeiten mit der Umwelt wurde die Einstellung ihnen gegenüber zunehmend positiver. Das Kind wurde von der Großmutter nicht selten wie ein eigenes Kind akzeptiert und verwöhnt. Viele Mütter berichten, daß sie gut unterstützt wurden (Nachbarn, Eltern, Schwiegereltern). Nur wenige beschrieben mangelnden Rückhalt: ein Zitat eines Vaters war "... das hättest Du Dir ersparen können". Manche Kindesväter haben die Belastungen nicht verkraftet und entzogen sich der Mutter und dem Kind. Oftmals war auch die schwierige finanzielle Lage Ursprung partnerschaftlicher Schwierigkeiten.

Mehr als die Hälfte der Mütter empfanden die frühe Übernahme von Verantwortung als sehr anstrengend. Sie sprachen von Zeitmangel, Schwierigkeiten in der Partnerschaft, Einschränkungen und finanziellen Sorgen. Andere fanden die Tatsache ein Kind zu haben als schön und waren stolz auf ihr Kind. Rückblickend gesehen meinten aber viele Mütter, daß sie nicht mehr so früh ein Kind bekommen, nicht mehr heiraten würden und ihre berufliche Laufbahn sicher anders ausgesehen hätte.

5.3 Schul- und Beruflaufbahn

Alle Jugendlichen hatten vor der Geburt einen Pflichtschulabschluß oder befanden sich gerade in einer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung. Vereinfacht ausgedrückt, setzten Mütter mit schulischer Ausbildung diese eher fort, als jene die in der Berufsausbildung standen. Zum Zeitpunkt des Interviews waren drei Viertel der Befragten erwerbstätig. Es waren aber vor allem die Familien, die einen wesentlichen Einfluß auf ihre weitere Ausbildung hatten.

5.4 Gegenwärtige Lebenssituation

Mit zwei Ausnahmen sind alle Mütter zum Zeitpunkt des Interviews verheiratet, die meisten mit den Kindesvätern. Ein Viertel der Mütter hat ein Kind, knapp die Hälfte zwei und die übrigen drei bis fünf Kinder. Ein Viertel lebt in der Stadt, drei Viertel leben am Land. 2/3 der befragten Mütter geben an mit ihrer finanziellen Lage zufrieden zu sein, der Rest gibt an daß "sie auskommen" und "halt keine großen Sprünge machen können". Für die allgemeine Zufriedenheit wird aber vor allem das soziale Umfeld angegeben. Zum Großteil sind es die Eltern der Mütter, die die Familie unterstützen. Die gegenwärtige Situation wird aber immerhin von 4/5 der Befragten als (sehr) zufriedenstellend bezeichnet. Zusammenfassend kann man sagen, daß höhere berufliche Qualifikationen nur unter günstigen Bedingungen, wie gute soziale Netzwerke, zu erreichen sind. Dazu gehören die effektive Mithilfe bei Kindererziehung und -betreuung, Engagement auch in beruflicher Hinsicht, Verzichtbereitschaft der Mütter und schließlich günstige örtliche und finanzielle Bedingungen. Kritisch anzumerken ist, daß es sich bei dieser Studie eher um eine positiv verzerrte Gruppe von Befragten handeln könnte.

Trotzdem stellt sie, anders wie in den USA, keine sozial, ökonomisch und bildungsmäßig besonders abgehobene Gruppe dar.

6. Eigene Stellungnahme

Obwohl die Gesamtgeburtenzahl der jugendlichen Mütter in den letzten Jahrzehnten rückläufig war, stellen sie 1996 doch fast 2 % der Gesamtgeburten dar. Ich meine, daß diese jungen Mädchen einer besonderen Unterstützung bedürfen. In diesem Zusammenhang spielt für mich die ärztliche Betreuung eine wichtige Rolle. Gynäkologen, die eine angstfreie und vertrauensvolle Situation schaffen, sind in dieser Situation von besonderer Bedeutung.

So wurde z. B. in Schweden eine Klinik für Jugendliche eröffnet. Es wird dort durch die Zusammenarbeit von Ärzten, Krankenschwestern, Hebammen, Psychologen, Sozialarbeitern und Jugendpsychiatern den Jugendlichen eine angemessene Unterstützung zuteil, die sicher auch zur Verringerung von Risikoschwangerschaften und -geburten geführt hat.

Ich finde es sehr positiv, wenn dem theoretischen Aufzeigen von Jugendproblemen praktische Maßnahmen folgen.

Literaturverzeichnis

Janig, H. (1994). Familiäre Unterstützung, Schulbildung, Berufstätigkeit bei jugendlichen Müttern. In H. Janig (Hrsg.), Psychologische Forschung in Österreich (S. 85 - 89). Klagenfurt: Universitätsverlag Carinthia.

Janig, H. & Wang, M. (1993). Lebenschancen jungendlicher Mütter. In Janig & B. Rathmayer (Hrsg.), 2. Bericht zur Lage der Jugend (S. 420-426, 428). Wien: Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie.

Nöstlinger, C. (1988). Schwangerschaft in der Adoleszenz:eine Vergleichsstudie über Interruption und Geburt. Unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien.

Oerter, R & Montada L. (Hrsg.). (1992). Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz.

Statistisches Zentralamt (Hrsg.). (1996). Demographisches Jahrbuch für die Republik Österreich. Wien: Autor.
 
 
 

Geburtenraten:
1970
1980
1990
1992
1996
12 bis unter 13 
2
1
2
0
0
13 bis unter 14
4
4
2
2
2
14 bis unter 15
31
30
16
18
9
15 bis unter 16
169
133
74
87
46
16 bis unter 17
813
660
338
320
214
17 bis unter 18
2409
1821
851
873
524
18 bis unter 19 
4446
3376
1599
1538
981
Gesamt
7874
6025
2882
2838
1776

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Inhaltsverzeichnis

13) Tod des Kindes (Barbara Izay)

Einleitung

Im Jahr 1986 starb im Laufe des ersten Lebensjahres eines von 100 Lebendgeborenen.

Derzeitige Schätzungen geben an, daß bei jeder 4. Schwangerschaft das Kind während der Schwangerschaft stirbt; das würde bedeuten, daß jede 3. Frau betroffen ist.

In dieser Seminararbeit möchte ich einige Aspekte, die mit dem Thema "Tod des Kindes während der Schwangerschaft" in Verbindung stehen, anführen. Die Recherche zu diesem Thema war trotz der hohen Anzahl an Betroffenen etwas schwierig. Dank der Selbsthilfegruppe "Regenbogen - Verein zur Hilfestellung bei glückloser Schwangerschaft" konnte ich dennoch eine Menge an Material und Unterlagen erhalten und somit einen Überblick schaffen.

Zunächst gehe ich auf die rechtlichen Aspekte, wie Begriffsdefinitionen, Bestattung, Namensrecht und Wochenschutz ein; im zweiten Teil möchte ich kurz die medizinischen Aspekte anschneiden. Im weiteren Verlauf beschreibe ich dann psycho-soziale Aspekte (Reaktionen des Umfeldes, der Mutter und des Vaters, Trauerreaktionen) und letztlich therapeutische Aspekte bei einer Fehl- oder Totgeburt.

Teil I: Rechtliche Aspekte

1. Begriffsdefinitionen (Hebammengesetz, April 1994)

In diesem Absatz gehe ich kurz auf die unterschiedlichen Definitionen von Lebendgeburt, Totgeburt und Fehlgeburt ein:

"Als lebendgeboren gilt unabhängig von der Schwangerschaftsdauer eine Leibesfrucht dann, wenn nach dem vollständigen Austritt aus dem Mutterleib entweder die Atmung eingesetzt hat, oder irgendein anderes Lebenszeichen erkennbar ist, wie Herzschlag, Pulsation der Nabelschnur oder deutliche Bewegung willkürlicher Muskeln, gleichgültig, ob die Nabelschnur durchgeschnitten ist oder nicht, oder ob die Plazenta ausgestoßen ist oder nicht."

Wird nun das Kind lebend geboren, stirbt aber innerhalb der ersten 28 Tage, so spricht man vom Neugeborenentod (innerhalb der ersten 7 Tage spricht man von Frühsterblichkeit)

"Als totgeboren oder in der Geburt verstorben gilt eine Leibesfrucht dann, wenn keines der oben genannten Zeichen erkennbar ist und sie ein Geburtsgewicht von mindestens 500 Gramm aufweist." "Dies liegt vor, wenn bei einer Leibesfrucht kein Zeichen einer Lebendgeburt vorhanden ist und die Leibesfrucht ein Geburtsgewicht von weniger als 500 Gramm aufweist."

2. Bestattung, Namensrecht, Wochenschutz

Basierend auf dieser Begriffsdefinitionen erfolgt die Bestattung, das Namensrecht und der Wochenschutz.

Teil II: Medizinische Aspekte

Gründe für eine Fehl- oder Totgeburt:

Als die wichtigsten sozialen und demographischen Risikofaktoren der Sterbewahrscheinlichkeit unabhängig vom Geburtsgewicht gelten:

Andere Risikofaktoren wären genetische Prädisposition (genetische Mißbildungen des Kindes), Gesundheitszustand der Mutter und organische Ursachen (Köck et al., 1988).

Der tatsächliche Grund einer Fehl- oder Totgeburt im Einzelfall ist meist jedoch nicht nachzuvollziehen.

Teil III: Psycho-soziale Aspekte

1. Reaktionen des Umfeldes

Dem Verlust des Kindes während der Schwangerschaft wurde in der Forschung und in der ärztlichen Praxis wenig Beachtung geschenkt. Es gab die verbreitete Vorstellung, daß in den frühen Schwangerschaftsphasen, in der weder körperliche Veränderungen sichtbar noch Kindsbewegungen spürbar sind, nicht mit einer intensiven Bindung an das heranwachsende Kind zu rechnen sei.

Hilfestellungen für die Betroffenen beschränken sich nach wie vor oft auf den Rat, den Tod der ohnehin nicht lebensfähigen "Frucht" nicht zu schwer zu nehmen, oder die Vergewisserung, sie könnten ja wieder schwanger werden.

Viele Frauen beklagen eine mangelnde Anerkennung der Bedeutung ihres Verlustes und ihrer Traurigkeit durch Arzt und soziales Umfeld, was häufig Gefühle von Enttäuschung und Verunsicherung bezüglich der Berechtigung der eigenen Gefühle nach sich zieht.

2. Reaktionen der Mutter

Obwohl sich viele Frauen gedanklich mit der Möglichkeit eines Aborts befaßt hatten, kam die Feststellung des Aborts für die meisten wie ein Schock, und es fiel ihnen schwer zu glauben, daß ihr Kind nicht mehr lebte oder möglicherweise nie gelebt hatte. Als größte Belastung nennen Frauen unmittelbar nach dem Abort vor allem Gefühle von Enttäuschung, Verlust und Verlassenheit, Ungewißheit, Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit und äußere Umstände (Wartezeit, mangelnde Einfühlung des medizinischen Personals).

Angesichts der mangelnden medizinischen Erklärung für den Abort im Einzelfall stellt sich bei der Mehrzahl der Frauen die Frage, warum gerade sie eine Abort hatten.

Nicht selten sind die Suche nach Schuld und Verantwortung bei der eigenen Person, Besorgnis über die Intaktheit des eigenen Körpers und die Fähigkeit, überhaupt ein Kind bekommen zu können – als Ursachen einer Fehlgeburt werden sehr oft Selbstverschulden, biologische Ursachen, Streß und Überforderung genannt; nur selten Schicksal und Schuld anderer.

Im Unterschied zum Verlust einer nahestehenden Person fehlt beim Spontanabort eine greifbare Beziehungserfahrung, und es gibt wenig konkrete Anhaltspunkte für Leben und Individualität des Kindes. Schmerzliche Gefühle richten sich mindestens ebenso auf die Vereitelung einer begonnenen Entwicklung, Hoffnung und Zukunftsperspektiven ...

3. Trauer des Vaters

Männer tragen oft eine doppelte Last. Sie fühlen ihre eigene Trauer und leiden gleichzeitig, weil ihre Frau leidet. In unserer Gesellschaft existiert oft noch immer das Bild des Mannes, der nicht weint, der seinen Schmerz nicht zeigt. Jedoch gibt es auch zu diesem Thema kaum Literatur oder Untersuchungen.

4. Trauerreaktion und depressive Reaktion

Eine Bindungsbereitschaft zu dem heranwachsenden Embryo oder Feten entwickelt sich weit früher als bislang angenommen. Selbst wenn objektiv keine intakte Schwangerschaft nachzuweisen ist, handelt es sich in der Phantasie der Frauen oft bereits um ein Kind mit bestimmten Merkmalen (z. B. Geschlecht). Ihre Bindungsbereitschaft drückt sich in Träumen, konkreten Vorbereitungen, Tagträumen und inneren Dialogen mit dem Kind aus.

Eine Studie von Beutel et al. (1992) konnte zeigen, daß es sich bei der Mehrzahl von Patientinnen nach einem Spontanabort um einen gravierenden Verlust handelte. 20 % der Betroffenen entwickelten Körperbeschwerden, depressive und Angstreaktionen im Jahr nach dem Verlust, diese bestanden vielfach auch in einer erneuten Schwangerschaft.

Längerfristige Beeinträchtigungen sind nach einer depressiven Reaktion, nicht aber nach einer Trauerreaktion zu erwarten. Unterschiedliche Verarbeitungsformen hängen möglicherweise von der Einstellung zur Schwangerschaft und Entwicklung der Bindungsbereitschaft sowie vorausgegangenen Belastungen und der Qualität der sozialen Beziehungen ab.

In der Studie von Beutel et al. (1994) wurde davon ausgegangen, daß eine Trauerreaktion eintritt, wenn die Schwangerschaft gewünscht war und sich eine ausgeprägte Bindungsbereitschaft zu dem heranwachsenden Kind entwickelt hat. Depressiven Reaktionen hingegen geht eine zwiespältige Einstellung zur Schwangerschaft, eine Vorgeschichte von Depression, ungelösten Belastungen und unbefriedigenden sozialen Beziehungen (selbst wenn keine intensive Bindungsbereitschaft vorlag) voraus.

Trauer ist eine schmerzliche, jedoch notwendige, prozeßhaft verlaufende Auseinandersetzung mit dem Verlust, begleitet von dem Affekt der Traurigkeit, der der Ablösung von dem Verlorenen dient.

Die depressive Reaktion auf einen Verlust ist charakterisiert durch Niedergeschlagenheit, Verzweiflung, oft auch Hilf- und Hoffnungslosigkeit, Gefühle der Wertlosigkeit, Bitterkeit, Sinnlosigkeit und Leere. An Stelle der Auseinandersetzung mit dem Verlorenen tritt eine Verleugnung des Verlustes und des Trennungsschmerzes.
 
 

Folgende Tabelle zeigt eine Übersicht über die unterschiedlich benannten Phasen der Trauerreaktion.

Phasen der Trauerreaktionen:
 
Elisabeth Kübler-Ross
1991 (Neuauflage)
Verena Kast
1982
Hannah Lothrop
1995
nicht wahrhaben wollen
nicht wahrhaben wollen
Schock und Betäubung
Zorn
aufbrechende Emotionen
Suchen und Sehnen
Verhandeln
Suchen und sich Trennen
 
Depression
 
Desorientierung und Verwandlung
Zustimmung
neues Selbst- und Weltbild
Erneuerung
Hannah Lothrop (1995) bezog ihre Phasen speziell auf die Trauerreaktionen von Eltern bei Verlust eines Kindes. Im Verlaufe gehe ich genauer auf die einzelnen Phasen ein. Wichtig bei einer Einteilung in Phasen bei Trauer ist, daß die Reihenfolge, Intensität und Auftreten der einzelnen "Phase" individuell unterschiedlich ist, und eine Einteilung in Phasen nur als Richtlinie und Hilfe dienen soll.

1. Schock und Betäubung (kann Stunden, Tage oder gar Wochen dauern)

Frisch Betroffene sind wie benommen und emotional betäubt, möglicherweise überwältigt von Gefühlsausbrüchen wie Panik und Verzweiflung. Sie haben Schwierigkeiten Entscheidungen zu treffen und "funktionieren" automatisch.

2. Suchen und sich sehnen (ca. 4-6 Monate)

Wenn der Schockzustand abklingt, brechen starke chaotische Gefühle auf: Schmerz, Wut, eventuell Schuldgefühle, Versagensgefühle, Bedauern, Traurigkeit, Einsamkeit, Eifersucht, Verzweiflung, Bitterkeit, Ruhelosigkeit – aber auch Liebe, ausgedrückt durch Sehnsucht nach dem, was hätte sein können, und Suche nach dem Warum.

3. Desorientierung und Verwandlung (ca. nach einem halben Jahr bis nach dem ersten Todestag, danach oft allmählich abklingend)

Die Realität holt Trauernde endgültig ein. Zustand der Desorientierung, Verarbeitung auf einer tieferen Ebene, In-Frage-Stellen früherer Werte, Suche nach neuem Sinn. Keine Energie, schlechtes Gedächtnis, depressionsähnlicher Zustand, Eß- und Schlafstörungen. Möglicherweise immer noch unverarbeitete Gefühle, z. B. Schuld. Geringe Abwehr gegen Erkrankungen.

4. Erneuerung und Neuorientierung (meist im 2.Jahr)

Allmähliche Integration des Verlustes in das Leben Betroffener. Neue Energie, der Wunsch und die Fähigkeit, sich dem Leben, neuen Aufgaben und vielleicht dem Gedanken an ein neues Baby zuzuwenden, sowie neue Hoffnung wachsen, Selbstvertrauen nimmt zu. Einschätzung, wie der Verlust das Leben verändert hat. Sinnfindung.

5. Nachfolgende Schwangerschaften

Der Zeitpunkt einer erneuten Schwangerschaft wird zum großen Teil durch die Psyche der Frau bestimmt – sie ist sehr oft mit großen Angst- und Unsicherheitsgefühlen verbunden. Es gibt Frauen, die eine Folgeschwangerschaft brauchen, um das Vergangene zu verarbeiten und welche, die längere Zeit danach nicht schwanger werden. Auch medizinisch gesehen gibt es keine wissenschaftlich begründete Regel.

Aus jahrelanger Beobachtung von Folgeschwangerschaften nach Kindsverlust wird empfohlen, die Beziehung zwischen dem Ungeborenen und werdender Mutter möglichst bewußt zu erleben (Negatives wie Positives).

Teil IV: Therapeutische Aspekte

Thesen des therapeutischen Umganges mit Abort, Fehlgeburt und frühem Kindstod

  1. Wenn eine Schwangerschaft nicht mit der Geburt eines lebensfähigen Kindes endet, so ist das ein trauriger, aber natürlicher Vorgang und nichts pathologisches. In der gesamten Natur ist die Reproduktion auf Überfluß angelegt und viel "gezeugtes Leben" wird nie ein selbständiges Lebewesen. Bei uns Menschen endet jede dritte Schwangerschaft nicht wie gewünscht.
  2. Eltern können Trauerarbeit leisten, wenn man sie so sein läßt, wie sie sind. Das was sie unterstützt ist emphatische Begleitung, von jemanden, der offen ist für sämtliche Gefühle und Reaktionen die auftreten können.
  3. Trauerarbeit braucht zwei Grundlagen: Einerseits muß klar sein, daß es sich um ein Kind handelt (auch schon in der 3. Schwangerschaftswoche!). Und zweitens kann man sich nur von dem, was man begriffen hat, auch verabschieden.
  1. Grundregel für den Umgang mit glücklosen Schwangerschaften ist, daß man die Geburt als normalen Geburtsakt sieht und auch das tote Kind primär als Neugeborenes und folglich möglichst ähnlich behandelt. Der gravierende Unterschied liegt für die Entbindende darin, daß die gemeinsame Geschichte von Mutter und Kind viel kürzer ist, als sie es sich erhofft hatte.
  1. Nicht das Ereignis des Kindverlustes ist das traumatisierende, sondern das kaum wahrnehmbare Leugnen der Existenz des gestorbenen Kindes durch die Gesellschaft (Namengebung, Bestattung ...).
Teil V: Zusammenfassung u. persönliche Stellungnahme

In dieser Seminararbeit konnte ich einige Aspekte, die beim Tod des Kindes während der Schwangerschaft eine Rolle spielen, anschneiden. Mir persönlich war die große Anzahl von Betroffenen vor dieser Arbeit nicht bewußt. Bei meiner Suche nach Information war es für mich erschreckend, daß die Ambulatorien in Wien (5 hatte ich kontaktiert) keine Informationen bzw. Informationsbroschüren zu diesem Thema hatten. Für mich stellte sich die Frage: an wen wenden sich Betroffene? Zufällig fand ich in der Zeit, in der ich mein Referat vorbereitete, einen Artikel in der Zeitung (Salzburger Nachrichten vom 23. März 1998), der mich auf eine Selbsthilfegruppe aufmerksam machte. Ich möchte mich hier bei Mag. Elisabeth Widensky der Selbsthilfegruppe Regenbogen herzlich bedanken; in fast 2 Stunden konnte sie mir durch Informationsmaterial und Erzählungen die Problematiken und möglichen Hilfestellungen bei Fehl- und Todgeburt verdeutlichen.

Literaturverzeichnis

Beutel, M., Hertweck, J., Willner, H., Dechardt, R. & Weiner, H. (1996). Verarbeitung eines Spontanaborts – Ergebnisse einer kontrollierten Längsschnittstudie mit 125 Patientinnen. In E. Brähler, & U. Unger (Hrsg.), Schwangerschaft, Geburt und der Übergang zur Elternschaft. Empirische Studien (S. 245-263). Westdeutscher Verlag.

Köck, C., Kytir, J. & Münz, R. (1988). Risiko "Säuglingstod". Plädoyer für eine gesundheitspolitische Reform. Wien: Franz Deuticke Verlag.

Lothrop, H. (1995). Gute Hoffnung – jähes Ende (5. Aufl.). München: Kösel-Verlag.
 
 

Anmerkung: sehr viel Informationsmaterial erhielt ich ohne nähere Literaturangaben von der Selbsthilfegruppe "Regenbogen – Verein zur Hilfestellung bei glückloser Schwangerschaft, Wien".
 
 

Inhaltsverzeichnis

14) Tierexperimentelle Untersuchungen zur Elternschaft (Martina Gustavik)

1. Einleitung

Besonders in den letzten Jahren hat man begonnen, sich vermehrt mit der Vaterrolle in der Humanforschung auseinanderzusetzen. Gleichzeitig führte man Studien zum väterlichen Sorgeverhalten im Tierreich durch, um mehr Aufschluß über die Bedeutung und Stellung des Vaters zu erlangen

2. Vater-, Mutter- und Elternfamilien

Nach einer Einteilung von Lynn (1974) läßt sich Elternverhalten grobrastig unterteilen, je nachdem, wer sich um den Nachwuchs kümmert, in Vater-, Mutter oder Elternfamilien. Howell (1969) spricht sogar von 11 Arten unterschiedlicher elterlicher Sorge (Bsp. Nichtsorge, Sorge durch die Gruppe, Pflegeeltern, Geschwister etc.). Vaterfamilien kommen überwiegend bei sogenannten Nestflüchtern vor, bei Hühnern, Gänsen oder Enten. Bsp.: Bei allen südamerikanischen Steißhühnern bereiten die Männchen, sobald sie in Brutstimmung kommen, ein eigenes Nest vor, rufen dann ein Weibchen herbei und lassen sich von ihm ein paar Eier ins Nest legen. Sie brüten allein und scharen später ihre Küken um sich. Mutterfamilien gibt es bei vielen Säugetieren, z. B. bei Eichhörnchen, Maulwürfen, Rehen oder Katzen. Hierbei übernimmt das Weibchen die alleinige Sorge über den Nachwuchs. Bei einigen Spezies ist es auch möglich, daß das Männchen nach der Befruchtung getötet wird. Die Gottesanbeterin (Fangheuschrecke), beispielsweise verzehrt nach der Begattung das Männchen. In Elternfamilien wachsen junge Füchse, Mantelpaviane, Gibbons und die meisten Vogelarten auf. Die Sorge über den Nachwuchs erfolgt zu gleichen Anteilen durch beide Elternteile, wobei entweder die Aufgaben gleich verteilt oder strikt arbeitsteilig geregelt sind.

3. Vaterverhalten bei Nichtprimaten

Bei Insekten gibt es kaum elterliche Sorge für die Nachkommen. Ganz selten kann der Vater Bewachungs- und Schutzfunktionen übernehmen. Bei einigen Fischarten oder anderen niederen Wirbeltieren findet man häufig eine reine Vaterfamilie. Bsp.: Beim Stichling baut das Männchen das Nest, ventiliert die abgelegten Eier mit frischem Wasser, bewacht die junge Brut und vertreibt alle Eindringlinge, auch die Weibchen aus dem Revier. Beim Seepferdchen brüten die Männchen, nachdem die Weibchen die Eier in eine Körpertasche des Männchens abgelegt haben, diese aus. Bei einigen Welsarten transportieren die Männchen die Brut im Maul, bis sie schlüpft (Maulbrüter). Die Reptilien zeigen im allgemeinen überhaupt keine elterliche Sorge (Fthenakis, 1988, S. 56). Die Vögel wiederum haben sehr verschiedenartige Formen des Vaterverhaltens entwickelt. Bei den Silbermöwen und bei Tauben brütet tagsüber fast nur das Männchen. Die Jungen des Königpinguins leben nach dem Schlüpfen in der Bauchtasche des Vaters und werden überwiegend von ihm versorgt, während das Weibchen für die Nahrungssuche zuständig ist. Auch bei Säugetieren finden sich einige Männchen unterschiedlicher Arten, die Sorgeverhalten für ihre Jungen entwickeln. Der Wolf versorgt das Weibchen und die Jungen, indem er Futter vorverdaut und für die Jungen wieder erbricht (Fthenakis, 1988, S. 57). Dudley konnte am Beispiel der kalifornischen Maus zeigen, daß die Anwesenheit und Mithilfe des Vaters die Überlebenschancen der Nachkommen erhöht. Durch die Mithilfe der Männchen nahmen die Jungen rascher zu und überlebten eher. Diese wenigen Beispiele reichen aus, um zu zeigen, daß bereits bei verschiedenen Spezien, die nicht zu den Primaten gehören, das Vaterverhalten ganz unterschiedlich ausgeprägt sein kann.

4. Vaterverhalten bei subhumanen Primaten

Verhalten männlicher Primaten gegenüber Jungtieren läßt sich in drei grobe Kategorien einordnen:

  1. Ignorieren von Jungtieren

  2.  

     

    Da die meisten Primaten in gemischtgeschlechtlichen Sozialgruppen leben, ist ein räumlicher Kontakt zwischen Männchen und Jungtieren gegeben, doch im Alltagsleben der meisten Arten finden sich kaum Interaktionen zwischen ihnen.

  3. Feindseligkeit, Aggression gegenüber Jungtieren, bis hin zur Tötung

  4.  

     

    Bei einer Reihe von Primaten wie Languren (Hanuman-Languren), Schimpansen und Berggorillas wurde Kindermord durch erwachsene männliche Tiere der gleichen Art beobachtet. Es stellte sich heraus, daß das Männchen mit dem getöteten Kind zumeist nicht verwandt ist und daß das Männchen dadurch versucht, seine Fortpflanzungschancen zu steigern, da das Weibchen nach dem Tod ihres Kindes sehr schnell wieder empfängnisbereit ist. Am häufigsten treten solche Fälle dann auf, wenn es in einer Primatengruppe zu einem Führungswechsel kommt.

  5. Fürsorgliches Verhalten gegenüber Jungtieren
Bei einer Reihe von Arten entwickeln Männchen, aber auch enge Beziehungen zu Jungtieren. Das Vaterverhalten kann sich in einer regelmäßigen und langfristigen Pflege, beispielsweise durch Tragen, Fellpflege ("Lausen") und Beschützen, oder manchmal in der alleinigen Pflege durch den Vater zeigen. Mitchell und seine Kollegen untersuchten Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre elterliches Verhalten bei männlichen und weiblichen Rhesusaffen. In der freien Natur kann man beobachten, daß sich männliche Rhesusaffen nicht an der Aufzucht der Jungtiere beteiligen, sie sogar häufig attackieren und bei beengten Verhältnissen auch töten. Man wollte im Laborexperiment herausfinden unter welchen Bedingungen sich väterliches Fürsorgeverhalten induzieren läßt. Dafür sperrte man jeweils ein erwachsenes Rhesusaffen-Männchen und einen Säugling über 7 Monate in einen etwa kühlschrankgroßen Käfig zusammen ein und schaute dann zu, wie die beiden miteinander auskamen. Es zeigte sich, daß die Männchen elterliche Verhaltensweisen entwickelten, wenn sie dazu Gelegenheit haben. Besonders interessant dabei war, daß sie nicht nur mütterliche Verhaltensweisen übernahmen sondern sich auf mindestens vier Arten deutlich in ihrem Verhalten von weiblichen Rhesusaffen unterschieden:
  1. Es kam sehr selten zu einem Bauch-zu-Bauch-Kontakt zwischen Jungtieren und Vater.
  2. Die Vater-Kind-Beziehung verstärkte sich mit dem Alter der Jungtiere, während die Stärke der Mutter-Kind-Beziehung abnahm.
  3. Das Rhesusaffen-Männchen schützte das Junge, indem es auf die Gefahrenquelle losging, während das Rhesusaffen-Weibchen das Junge aufnahm und flüchtete.
Die Rhesusaffen-Männchen spielten weit häufiger und intensiver mit den Jungen als die Weibchen. Mitchell sieht sich aufgrund dieser Beobachtungen zu der Vermutung veranlaßt, daß (zumindest die Rhesusaffen-)Männchen über eine größere Plastizität im Verhalten verfügen, während die Mütter ein Verhalten von vergleichsweise geringer Unterschiedlichkeit zeigen. Gerade diese Verschiedenheit bedeute aber für das Jungtier wie für die Gruppe – so Mitchell – einen Zuwachs an Erfahrungsmöglichkeiten (Fthenakis, 1988, S. 59).

Suomi (1977), der ebenfalls das Verhalten erwachsener männlicher Rhesusaffen im Labor studierte, konnte diese Ergebnisse bestätigen.

Spencer-Booth und Hinde (1967) kamen zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie entfernten in freier Wildbahn einige weibliche Rhesusaffen aus einer Kolonie und konnten beobachten, daß sich die Männchen vermehrt um die Jungen kümmerten, indem sie öfters mit ihnen spielten und sie Bauch-an-Bauch trugen.

4.1. Weitere Beispiele väterlichen Verhaltens bei Primaten

Die ranghohen Männchen der japanischen Makaken übernehmen beispielsweise die Pflege von Jungtieren, indem sie vermehrt mit ihnen spielen, während sich das Muttertier auf eine neuerliche Geburt vorbereitet. Wenn ein Makakenjunges verwaist, dann übernehmen oft erwachsene Männchen die Aufzucht. Bei verschiedenen Pavianarten findet man unterschiedliche elterliche Verhaltensweisen. Bei der Beobachtung der Hamadryan-Paviane zeigt sich, daß junge männliche Tiere oft als Babysitter für einjährige Tiere fungieren. Bei Angriffen flüchten die kleinen Paviane in die Arme des älteren männlichen Tieres, das sich dann gegen die Gefahrenquelle richtet. Männliche Steppenpaviane wiederum entwickeln ganz bewußt enge und dauerhafte Beziehungen zu bestimmten Weibchen und ihren Kindern, um dadurch ihre eigene sexuelle Attraktivität für das Weibchen zu erhöhen. Bei den in Malaysien und Sumatra beheimateten Siamangs, einer monogam lebenden Gibbonart, beteiligt sich der Vater direkt an der Aufzucht der Kinder. Besonders im zweiten Lebensjahr des Kindes übernimmt der Vater eine aktive Rolle als Betreuer. Männliche Berberaffen entwickeln ebenfalls enge Beziehungen zu Kindern, jedoch benutzen sie diese zumeist nur um mit ranghöheren Männchen freundliche Beziehungen anzuknüpfen und deren Aggressionsbereitschaft abzupuffern. Dian Fossey (1976) berichtete über einen erwachsenen Berggorilla, der ein weibliches Jungtier aufzog, dessen Mutter gestorben war. Er kümmerte sich intensiver um das Junge, indem er es z. B. mehr putzte und gegenüber anderen verstärkt schützte, als es normalerweise eine Mutter tun würde. In der Regel vermeidet der erwachsene Berggorilla jeden Kontakt mit sehr jungen Tieren und deren Müttern. Ältere Jungtiere hingegen suchen vermehrt den Kontakt zu erwachsenen Männchen. Schimpansen gelten ähnlich wie Berggorillas zwar als duldsam gegenüber dem Nachwuchs, manchmal können sie sich jedoch auch sehr aggressiv ihnen gegenüber verhalten.

5. Mögliche Einflüsse auf die Entstehung von väterlicher Sorge

Vaterverhalten kann als das Resultat des Zusammenspiels einer Reihe von Faktoren angesehen werden, unter denen die jeweilige genetische Anlage und biologische Ausstattung eine große Rolle spielt.

5.1. soziale Organisationsform einer Art

Der Einfluß des Paarungssystems

Die Art des Paarungssystems kann einen großen Einfluß auf die Ausbildung des Vaterverhaltens haben.

Die monogame Beziehung findet man eher selten unter den Primaten (Bsp. Gibbons).

Typische Kennzeichen monogam lebender Säugetiere sind nach Kleiman (1977):

  1. Weibchen und Männchen unterscheiden sich relativ wenig in ihrer Gestalt
  2. der Paarung geht selten ein Paarungszeremoniell voraus, das heißt es gibt kein ausgeprägtes Werbungsverhalten
  3. solange die Jungtiere noch bei den Eltern leben, dürfen sie selbst keinen Nachwuchs zeugen
  4. heranwachsende Tiere beteiligen sich an der Sorge für jüngere Kinder (Fthenakis, 1988, S. 66).
Typisch für diese Gruppe ist weiters eine territoriale Lebensweise und eine Beteiligung der Männchen an der Kinderaufzucht bis hin zu einem gelegentlichen "Rollentausch" zwischen Weibchen und Männchen. Bei den Krallenäffchen konnte beobachtet werden, daß die Weibchen ihr Territorium verteidigen, während die Männchen die Jungen trugen und auf sie aufpaßten. In der Haremsbeziehung lebt ein Männchen mit mehreren geschlechtsreifen Weibchen und Jungtieren beiderlei Geschlechts in einer Gruppe zusammen. Weibchen und Männchen unterscheiden sich zumeist deutlich in Größe und Gestalt. Sobald der Nachwuchs die Geschlechtsreife erlangt, wird er vom Anführer aus dem Harem vertrieben. Das Vaterverhalten beschränkt sich in der Regel nur auf den Schutz des Nachwuchses. Lebensweisen ohne feste Paarbeziehung findet man zum Beispiel bei einigen Makaken- und Pavianarten. Es besteht meistens ein Unterschied in der Größe und Gestalt der Geschlechter. Die väterliche Sorge beschränkt sich auf die Verteidigung des Territoriums und der Jungen.

5.2. Soziale Erfahrung bzgl. Kinderaufzucht

Für einige Primatenarten ist es wichtig, daß sie als heranwachsende Tiere Erfahrungen im Umgang mit Jungtieren und ihrer Pflege sammeln, bevor sie später selbst Nachwuchs adäquat aufziehen können. Fehlt nämlich die Vorerfahrung für die Kinderaufzucht, so ist es zwar möglich Nachkommen zu zeugen, die Eltern versagen aber bei der Aufzucht ihrer Kinder.

5.3. Einfluß von Rang und Alter

Bei der Untersuchung von männlichen Stummelschwanz-Makaken zeigte sich, daß der soziale Rang eines Männchens mit dem Alter wuchs und gleichzeitig mit dem Anstieg des Alters stieg auch die Interaktionshäufigkeit mit den Jungen an.

5.4. Einfluß von Alter und Geschlecht der Jungtiere auf die Vater-Kind-Interaktion

Es stellte sich heraus, daß sich Männchen mehr um männliche und ältere Jungtiere kümmern. Bei den erwachsenen Weibchen hingegen nimmt die Interaktionshäufigkeit mit dem Alter ab und ist auch nicht geschlechtsabhängig.

5.5. Art der Interaktion

Die häufigste Interaktionsform bei männlichen Primaten ist das Spielen. Für erwachsene Weibchen ist das Spiel als Interaktionsform eher untypisch. Demnach hat das Spiel als Interaktionsform zwischen Männchen und Jungtieren einen hohen Stellenwert. Suomi (1979) konnte für Rhesusaffenmännchen feststellen, daß zu ca. 60 % die Interaktion aus dem Spiel besteht.

5.6. Ökologische Rahmenbedingungen

Ein hohes väterliches Investment läßt sich vielfach dort beobachten, wo die Tiere Allesfresser sind, in isolierten Paaren oder Gruppen leben, wo die verfügbaren Ressourcen eher beschränkt sind und die Jungen nach der Geburt relativ lange von den Eltern abhängig bleiben (Fthenakis, 1988, S. 72). Dies gilt zum Beispiel für Gibbons, Siamangs, verschiedenen wilde Hundearten, Coyoten, Füchse und viele Vögelarten. Wenn sich die ökologischen Rahmenbedingungen verändern, dann kann sich auch das ursprüngliche Verhalten ändern. Barash (1975) untersuchte dies anhand von Murmeltieren in der freien Wildbahn. War die Populationsdichte aus ökologischen Gründen gering, dann zeigten sich vermehrt Interaktionen zwischen den Männchen und Jungtieren. War die Populationsdichte groß, dann ließ der Kontakt nach. Es resultieren deutliche Unterschiede im väterlichen Verhalten abhängig davon, ob Tiere in der Wildnis leben oder in einem Labor gehalten werden (siehe Rhesusaffen). 5.7. Vaterschaftssicherheit

Bei ca. 95 % aller Vogelarten beteiligt sich der Vater direkt an der Aufzucht der Jungen, bei Säugetieren hingegen nur zu ca. 3 %. Ein Erklärungsansatz dafür ist, daß die Vogelmännchen, da zwischen Befruchtung und Eiablage meist nur wenige Stunden vergehen, ziemlich sicher über ihre Vaterschaft sind, während bei Säugetieren diese Sicherheit nicht gegeben ist, da zwischen Befruchtung und Geburt Wochen bis Monate liegen.

6. Schwierigkeiten bei der Erforschung väterlichen Verhaltens

6.1. Wer ist der Vater?

Weder im Labor noch in freier Wildbahn ist es möglich, eindeutig die biologische Vaterschaft festzustellen. Deshalb begnügt man sich zumeist mit der Beobachtung derjenigen männlichen Tiere, die eine elterliche Fürsorge gegenüber den Jungtieren zeigen.

6.2. Was gilt als väterliches Verhalten?

Es ist nicht so einfach, aus einer Vielzahl von Beobachtungen die Verhaltensweisen herauszufiltern, die auch wirklich väterliches Verhalten beschreiben. Lynn (1974) zählt z. B. Schützen, Zurückholen bzw. Wiedereinfangen, Putzen und Pflegen, Versorgen mit Nahrung und Spielen zu elterlichem Verhalten.

7. Zusammenfassung und persönliche Stellungnahme

Im Tierreich finden sich ganz unterschiedliche Formen der Elternschaft. Ganz grob, kann man zwischen Vater-, Mutter- und Elternfamilie unterscheiden. Obwohl man reine Vaterfamilien eher selten antrifft, so gibt es doch ganz unterschiedlichste Beiträge des Vaters an der Aufzucht der Jungen. Es gibt durchaus genügend männliche Tiere, die sich fürsorglich gegenüber dem Nachwuchs verhalten – sei es nun, um mit dem Jungtier im Spiel zu interagieren, bei der Nahrungssuche zu helfen, Schutz gegenüber Feinden zu gewähren oder einfach um bestimmten Weibchen zu imponieren. Aufgrund zahlreicher Verhaltensbeobachtungen und Experimente kam man zu dem Schluß, daß väterliches Verhalten als ein Resultat des Zusammenspiels einer Reihe von unterschiedlichen Faktoren, wie beispielsweise der genetischen Ausstattung, sozialen Organisationsform, ökologischen Rahmenbedingungen, Vaterschaftssicherheit etc., angesehen werden kann. Es ist jedoch nicht immer leicht väterliches Verhalten zu erforschen, da oft unklar ist, wer der biologische Vater ist und was letztendlich aus allen Beobachtungen als eigentliches Vaterverhalten herausgefiltert werden kann. Es hat mich sehr verwundert, wie unterschiedlich das Vaterverhalten im Tierreich ausgeprägt ist. Eigentlich war ich vor der Auseinandersetzung mit diesem Thema der Meinung, daß die Männchen in größerem Ausmaß an der Kinderaufzucht beteiligt sind. Es ergibt sich nun die Frage, inwiefern die Erkenntnisse aus dem Tierreich auf den Menschen anwendbar sind. Ich glaube nicht, daß es legitim wäre, Ergebnisse aus Tierstudien gänzlich auf den Menschen zu übertragen. Aber dennoch denke ich, daß tierexperimentelle Untersuchungen durchaus Aufschluß über väterliches Sorgeverhalten geben. Besonders interessant fand ich die Tierstudien über die männlichen Rhesusaffen. Anhand dieser Untersuchung ist deutlich geworden, daß die Männchen durchaus imstande sind, in einer künstlich angelegten Situation die Aufzucht der Jungtiere zu übernehmen. Vielleicht sollte man gerade diese Erkenntnis als Anstoß nehmen und (menschlichen) Vätern einfach die Gelegenheit geben sich an der Erziehung und "Aufzucht" ihrer Kinder mehr zu beteiligen. Es könnte ja sein, daß sich eine "neue Art Vater" entwickelt.
 

Literaturverzeichnis
 

Fthenakis, W.E. (1988a). Väter (Bd.1). München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

Maler-Sieber, G. (1990). Verhaltensforschung. Eine Einführung. München: Orbis-Verlag.

Michelsen, H. (Hrsg.).(1995). Über Väter. Skizzen einer wichtigen Beziehung. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag.
 
 
 

Inhaltsverzeichnis

15) Väterforschung (Petra Steindl)

1. Einleitung

Wie sicher jeder schon bemerkt hat, vollzog sich in den letzten Jahren beziehungsweise im letzten Jahrzehnt ein Wandel hinsichtlich der Männerrolle. Nicht nur in bezug auf "Gleichberechtigung" im Haushalt, sondern auch bezüglich Kindererziehung. Für immer mehr Männer sind in Hinblick auf eine befriedigende Lebenserfüllung und Lebensführung familiäre Werte und berufliche Erfolge gleichermaßen von Bedeutung. Im Gegensatz dazu stand früher bei den meisten Letzteres an erster Stelle. Es gibt sicher viele Gründe, die für diesen Einstellungswandel zusammenspielten. Ich persönlich glaube, daß Männer von Natur aus ebenso viel oder wenig familienbezogen sind wie Frauen, jedoch aufgrund langer Traditionen und gesellschaftliche Richtlinien in ein bestimmtes Rollenbild gedrängt wurden (sicher auch teilweise heute noch), das schon längst überholt ist.

2. Der Einstellungswandel

Eine große Rolle für diesen Wandel spielt sicher die Emanzipation. Nachdem die Frauen sich in zunehmendem Maße von der Rolle des "Hausmütterchens" entfernten und Anerkennung im beruflich-öffentlichen Leben anstrebten und diese sicher im Laufe der letzten Jahren erreicht haben, kam es für den Mann zu einer unausweichlichen Konsequenz. Er mußte jetzt, viele vorerst nicht ganz ohne Widerwillen, im Haushalt und bei der Kindererziehung Pflichten übernehmen. Dieser Rollenwandel der Männer ist aber nicht nur rein spekulativ, sondern bei den verschiedensten Ereignissen – zum Beispiel ist die Teilnahme der Väter bei der Geburt ihres Kindes gestiegen – und in den verschiedensten Bereichen bemerkbar. Ich möchte aber noch zu dem Beispiel hinzufügen, daß es bis vor etwa fünfzehn Jahren kaum möglich war, bei der Geburt dabei zu sein und damals schon sicher einige Männer den Wunsch hegten, die Geburt mitzuerleben. Dies zeigt uns auch, daß die Einstellungsänderung der Männer behindert wurde. Eine erste handfeste Auswirkung zeigte sich vor wenigen Jahren in Form einer Gesetzesinitiative, die besagt, daß nun auch Väter die Möglichkeit haben in Karenz zu gehen und dabei finanziell wie auch beruflich abgesichert zu sein. Auch ist die Anzahl der alleinerziehenden Väter gestiegen, wobei auch heute noch ein Großteil der Frauen das Sorgerecht für das Kind bei einer Ehescheidung zugesprochen bekommen. Dazu ist meinerseits noch hinzuzufügen, daß Väter das Sorgerecht für ihre Kinder meist nur dann erhalten, wenn die Mutter ihrerseits darauf verzichtet oder ihr Vernachlässigung nachzuweisen ist. Auch wenn sich Eltern, die nicht verheiratet sind, trennen, ist der Vater bezüglich der Ansprüche auf sein Kind sehr benachteiligt und zum größten Teil vom "guten Willen" der Frau abhängig. Damit will ich verdeutlichen, wie auch schon oben erwähnt, daß die Gesetzesinitiative ein Anfang ist, aber noch viel getan werden muß, um die Einstellungsänderung der Männer bezüglich Kindererziehung zu festigen und zu fördern. In soziographischer Hinsicht hat sich gezeigt, daß die "Trendsetter" in den höheren sozialen Schichten zu finden sind. Es hat sich allgemein gezeigt, daß der Schwerpunkt dieses Wandels in der Teilhabe der Männer an der Kinderbetreuung liegt und weniger im Engagement bezüglich des Haushaltes.

2.1. Verhalten von Männern im Kontext wissenschaftlicher Diskussion

Es gibt hierbei große interindividuelle Unterschiede zwischen den Vätern, die sich auf bestimmte Bedingungsvariablen zurückführen lassen:

soziale Schichtzugehörigkeit, regionale Herkunft, Lebensalter, Anzahl der Kinder.

Unter diesen Aspekten wurden mittels Clustersystem drei Gruppen von Vätern unterschieden:

A) Aktive Väter: Diese Gruppe ist gekennzeichnet durch regelmäßige Teilnahme an der Betreuung der Kinder sowie intensivste Beziehung zu ihnen.

B) Weniger aktive Väter: Diese sind bezüglich "Kontrolle" und "Bindung" mit der ersten Gruppe zu vergleichen, jedoch hinsichtlich "Schutzfunktionen" ähnlich den Vätern aus der dritten Gruppe.

C) Inaktive Väter: Sie schnitten in allen Funktionsbereichen schlecht ab. In dem Bereich "Kontrolle" konnten aber erhebliche Unterschiede festgestellt werden.

Weiters hat sich gezeigt, daß, wenn Mütter und Väter der selben Gruppe angehören, dies auf Übereinstimmung hinweist und sich positiv auf das Familienklima und Erziehungsklima auswirkt.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die veränderte Qualität der Vater-Kind-Beziehung vor allem in einer starken emotionalen Beziehung besteht und dies überwiegend auf jüngere Männer aus höheren sozialen Schichten zutrifft.

2.2. Untersuchungsergebnisse hinsichtlich sozioökonomischer Faktoren

Diese gehen zumindest teilweise von den eben oben erwähnten Bedingungsvariablen aus.

A) Alter: Es zeigte sich, daß das Alter eine wesentliche Rolle spielt bei dem Übergang zur Elternschaft, nämlich, daß ältere Väter mehr Umstellungsprobleme und Anpassungsschwierigkeiten haben als Jüngere. Dies bezieht sich vor allem auf mangelndes Verbundenheitsgefühl, das wiederum zu Problemen im Umgang mit dem Kind sowie Zugang zum Kind führt. Jedoch hat sich gezeigt, daß sich diese Schwierigkeiten eher auf die vorgeburtliche Zeit beschränken und sich durch die positiven Erfahrungen der Geburt die anfängliche Unsicherheit der Väter kompensieren läßt. Allgemein betrachtet sind jüngere Väter eher an der Versorgung und Betreuung der Kinder beteiligt. Dies ist, meiner Meinung nach, wiederum nur eine weitere Bestätigung für die Verantwortlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklung an der Einstellungsänderung der Väter in den letzten Jahren. Ältere Männer sind doch noch mehr in der alten Sichtweise der traditionellen Familie verhaftet.

B) Wohnsituation: Es stellte sich heraus, daß Väter aus Großstädten sich mehr an der Erziehung sowie an der Pflege beteiligen als Männer im ländlichen Bereich. Ich finde dies eigentlich nicht außergewöhnlich, da die Vorstellung über die traditionelle Rollenverteilung in ländlichen Gebieten sicher mehr verankert ist als in Städten. Weiters gehört zu diesem Punkt auch die Größe des Wohnbereiches. Räumliche Enge wirkt sicher negativer auf das Familienklima, als wenn jedes Familienmitglied die räumliche Möglichkeit hat, sich zurückzuziehen.

C) Bildung: Meiner Meinung nach liegt es klar auf der Hand, daß Männer mit höherer Bildung generell sich mehr an der Kindererziehung beteiligen. Höhere Bildung trägt nämlich sicher in großen Ausmaß dazu bei, daß Konflikte wie auch Belastungssituationen differenzierter wahrgenommen werden und dementsprechend reagiert werden kann.

D) Finanzielle Situation: Auch konnte anhand von Untersuchungen eine Korrelation zwischen Einkommen der Familie und den positiven Erfahrungen des Vaters nachgewiesen werden. Es ist nur allzu verständlich, daß Geldsorgen zusätzliche Konflikte heraufbeschwören, beziehungsweise vorhandene zum Eskalieren bringen können. Weiters führt dann der Verlust eines Einkommens im Falle der Karenzjahre sicher zu einer zusätzlichen Belastung im Zuge des Übergangs zur Elternschaft.

3. Vater-Kind-Beziehung im Kontext wissenschaftlicher Diskussion

Bis fast Ende der siebziger Jahre maß man dem Vater kaum Bedeutung zu für die Entwicklung des Kindes in den ersten Lebensjahren. Es wurde davon ausgegangen, daß die Mutter von Natur aus als primäre Bezugsperson bestimmt wurde und ihr, ausgehend davon, die Aufgabe der Pflege und emotionalen Bindungsfähigkeit im Kind zu fördern, obliegt. Weiters war die Hauptaufgabe des Mannes, die Familie wirtschaftlich abzusichern und seine Frau emotional zu unterstützen. Mitte bis Ende der siebziger Jahre konnte dann endlich aufgrund verschiedener Untersuchungsergebnissen nachgewiesen werden, daß Väter dieselben Fähigkeiten besitzen, auf die Signale ihrer Kinder mit Einfühlungsvermögen und kompetentem Verhalten zu reagieren. Es dauerte dann noch ein bißchen, bis die Bedeutung des Vaters für den Säugling und das Kleinkind erkannt wurde. Bis dato wurde ihm nur eine entscheidende Rolle bei Schulkindern und Jugendlichen zugestanden. Meiner Meinung nach ist diese Rolle aber nicht als emotionales Bindungsgefüge zu verstehen, sondern hier wird der Vater eher als ausübende Autorität dargestellt, der das Schulkind für Noten lobt oder tadelt und den Jugendlichen zeigt, wo es lang geht. Viele dieser neuen Erkenntnissen verdanken wir zahlreichen amerikanischen Untersuchungen. Daraus wurden dann praktische Ratschläge und Hinweise in einschlägigen Zeitschriften publiziert, die aber nicht immer durch Befunde abgesichert sind. Weiters wurde zunehmend die Rolle des Vaters und sein Einfluß auf die Schwangerschaft, Geburt usw. diskutiert und veröffentlicht. Ich möchte hier noch hinzufügen, daß der Vater zum Wohlbefinden der Mutter beisteuert und, da der Fötus auf die Emotionen der Mutter reagiert, weiters auch zum Wohlbefinden des ungeborenen Kindes. Auch wird die Bedeutung des Vaters in die Kinderpsychiatrie, Familiensoziologie, Rechtswissenschaft und in viele andere Wissenschaftsdisziplinen einbezogen. Trotz all dieser neuen Erkenntnissen und Anstößen hinkte beziehungsweise hinkt noch immer die empirische Forschung weit hinten nach. Bis vor kurzem fand man Studien in diese Richtung nur in der Bundesrepublik Deutschland.

4. Vater-Kind-Beziehung in der gegenwärtigen psychologischen Forschung

Diese Forschungsergebnisse beziehen sich auf Studien der Bundesrepublik Deutschland, wobei diese meiner Meinung nach durchaus für Österreich gelten, da die Lebensumstände sowie der Lebensstandard vergleichbar sind. Ich möchte hier jedoch nicht statistische Zahlen wiedergeben, sondern zusammenfassend die Ergebnisse.

4.1. Väter und Neugeborene

A) Geburt

Ein Großteil der Väter ist heute schon bei der Geburt des Kindes dabei, wobei sich fast alle Frauen die Anwesenheit des Mannes wünschen, hingegen nur etwa die Hälfte der Männer. Weiters wird der Vater bei der Geburt als unterstützend erlebt und ein Großteil der Männer empfindet seinerseits die Geburt ebenfalls als durchaus positives Erlebnis. Es gibt jedoch Kritik beiderseits hinsichtlich der Kreissaalbedingungen. Es wird mehr "Dreisamkeit" und mehr Förderung der Vater-Kind-Beziehung verlangt.

B) Empfindungen der Eltern vor und nach der Geburt

Mütter: Bei Frauen kommt es oft zu prä- und postnatalen Ängsten, depressiven Verstimmungen sowie Ermüdungserscheinungen. Ihre emotionale Befindlichkeit ist mehr von der Partnerschaftsbeziehung abhängig als bei Männern.

Väter: Männer zeigen im Gegensatz zu Frauen eher passive und ausweichende Reaktionsformen. Jedoch findet man auch bei einigen starke emotionale Belastungsmomente kurz vor der Geburt, vor allem bei jenen Vätern, deren Kinder nicht geplant waren.

C) Veränderungen durch die Geburt eines Kindes

Vorstellungen über eventuelle Veränderungen sind bei Männern weit weniger tiefgreifend, als dies bei Frauen der Fall ist. Jedoch wird beiderseits von erheblichen Anfangsschwierigkeiten berichtet, wobei dafür verschiedene Gründe verantwortlich gemacht werden können:

- mangelnde praktische Erfahrung im Umgang mit Säuglingen

- zu geringe Kenntnisse über die Pflege und Entwicklung des Säuglings

- zu viele widersprüchliche Informationen durch Ratgeberliteratur etc.

4.2. Väter als Betreuungs,- und Bezugsperson

Relativ aktuelle Untersuchungen zeigten, daß es die sogenannten "Neuen Väter" nicht wirklich gibt. Es hat sich sehr wohl etwas verändert bezüglich des Verhaltens gegenüber den Kindern, nämlich sind Väter viel mehr bereit, sich um den Aufbau einer liebevollen Beziehung zu ihrem Kind zu bemühen. Jedoch bleibt auch heute noch die Pflege und Betreuung weiter zum großen Teil der Mutter über. Ein Grund dafür könnte nach Gauda (1983) sein, daß durch den Austritt der Mutter aus dem Berufsleben die Väter nicht richtig gefordert werden.

Wutz unterschied drei Funktionsbereiche bei der Betreuung: Pflege, Trost und Spiel. Seine Untersuchungsergebnisse zeigten, daß Trost- und Pflege- Engagement relativ konstant bleiben. Hingegen das Spielengagement über die drei erfaßten Altersstufen zunimmt, wie auch die Einfühlsamkeit bei Trostversuchen.

4.3. Vorbereitungskurse für Väter und die Vater-Kind-Interaktion im ersten Lebensjahr

Es stellte sich heraus, daß Väter, die an entsprechenden Kursen teilnahmen und ihre Frauen dabei unterstützten, eine engere Verbundenheit während der Geburt und gleich anschließend zu ihrem Kind zeigten. Diese Väter beteiligten sich noch während des Klinikaufenthaltes stärker an der Pflege des Säuglings wie auch an der alltäglichen Betreuung.

Weiters zeigten vorbereitete Väter im dritten Lebensmonat bei einer Face-to-face-Interaktion mehr Ganzkörper-Bewegungen. Auch schnitten sie hinsichtlich Herzlichkeit und Wärme besser ab als unvorbereitete Väter. Im neunten Monat konnten dann erste positive Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder nachgewiesen werden. Die unvorbereiteten Vätern hatten sich in ihrem Verhalten den Vorbereiteten angenähert. Die Konsequenz ist, daß sich Vorbereitungskurse vor allem auf die ersten Monate auswirkt.

4.4 Die Vater-Kind-Beziehung im Kleinkindalter und Vorschulalter

Leider gibt es kaum Literatur oder entsprechende Untersuchungen zur Vater-Kind-Interaktion bezogen auf das Kleinkind- und Vorschulalter. Eine Initiative in diese Richtung stellen die sogenannten Eltern-Kind-Spielgruppen dar. Es handelt sich dabei um wöchentliche Treffen, die meist eineinhalb Stunden dauern und zum Teil auch pädagogische Betreuung bieten. Die Wirkung dieses Ansatzes wurde bisher nicht wissenschaftlich erforscht. Es zeigte sich aber durch Beobachtungen, daß die Bezeichnung Eltern-Kind-Spielgruppe völlig verfehlt ist. Es handelt sich um fast ausschließlich Mütter, die diese Kurse besuchen und eigentlich teilnehmende Väter die große Ausnahme darstellen. Ein wesentlicher Grund ist sicher der Beruf, der oft aus zeitlichen Gründen nicht die Möglichkeit bietet, an den Spielgruppen teilzunehmen. Ein weitere Erklärung könnte sein, daß Männer noch Schwierigkeiten haben Gefühle in der Öffentlichkeit zu zeigen und aufgrund der Anwesenheit ihrer Frauen noch gehemmter werden. Darum wäre eine reine Vater-Kind-Spielgruppe sicher eine Alternative, wie es Nickel und Köcher versuchten. Dabei zeigte sich, daß zumindest zum Teil die Befangenheit der Väter im Umgang mit ihren Kindern darauf zurückzuführen ist.

Eltern-Initiativ-Gruppen, Ende der sechziger Jahre, stellten die ersten Bemühungen dar, Väter als gleichberechtigten Erziehungsteil von Vorschulkindern zu institutionalisieren. Es wurde dann aber sehr schnell erkannt, daß die Erziehungsarbeit sowie die Betreuung der Kinder der Mutter obliegt und Väter vorwiegend sogenannte Hilfsdienste leisten. Allgemein ist eine veränderte Einstellung der Väter bezüglich Kinder vor allem in den ersten Lebensmonaten und dem ersten Lebensjahr zu erkennen und nimmt mit zunehmendem Alter ab. Die ergab sich aus einer Untersuchung von Gauda. Fischer und Lüscher kamen zu weniger schwerwiegenden Ergebnissen. Dies ist sicher auch darauf zurückzuführen, daß sie sich auf Interview-Daten und nicht wie Gauda auf Beobachtungen bezogen. Dies bestätigte auch die Einzelbefragungen der Mütter, die das väterliche Engagement weit geringer einschätzten, als die Väter selbst.

4.5. Interkulturelle Vergleichsstudien

Es wurde eine relativ untergeordnete Stellung der Väter in einigen Kulturen festgestellt. Dabei handelt es sich um kriegsführende und vorindustrielle Kulturen. Dem gegenüber stehen industrielle Gebiete, die durch primär monogam strukturierte Gesellschaftsformen wie auch einen höheren Anteil an erwerbstätigen Frauen gekennzeichnet sind. Dadurch zeigt sich, daß die Rolle des Vaters zu einem wesentlichen Teil von der Kultur bestimmt wird. Allgemein ist nun zu sagen, daß Vater-Kind-Interaktion sowohl von biologischen Einflüssen, zu einem größeren Teil von der jeweiligen Kultur und – nicht zu vergessen – natürlich auch von der Individualität des einzelnen Menschens abhängig ist.

5. Einfluß des sozialen Netzwerkes

5.1. Herkunftsfamilie

Die Persönlichkeit wird zu einem großen Teil von der Erziehung beeinflußt. Werte und Normen werden vorerst, ohne zu hinterfragen, von der Familie übernommen. Später in der Pubertät wird dann begonnen, diese Werte und Normen zu modifizieren und eigene aufzustellen. Es trifft meist zu, daß diese Wertvorstellungen denen der Herkunftsfamilie ähneln. Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß die am eigenen Leibe erfahrene Erziehung sowie die Beziehung zwischen den eigenen Eltern die Qualität der Veränderungen bezüglich des Übergangs zur Elternschaft sowie die Elternschaft selbst beeinflußt. Es werden bei der Erziehung auffällige Parallelen gefunden. Weiters wirkt sich sicher auch die aktuelle Beziehung zwischen Großeltern und Eltern aus, da wenn diese gut ist, Unterstützung von den Großeltern angeboten wird und diese auch dann von den Eltern dankend angenommen wird.

Meist führt die Geburt eines Kindes dazu, daß das Verständnis für die eigenen Eltern steigt und sich das Verhältnis intensiviert.

5.2. Freundeskreis

Auch wird die Vaterschaft vom Bekanntenkreis beeinflußt. Es macht sicher einen Unterschied, ob es im Bekanntenkreis viele Paare gibt, die ebenfalls Kinder haben, keine haben, oder Singles sind. Von Vorteil sind sicher Freunde mit ähnlichen Interessen und Problemen, da dadurch Ansprechpartner gegeben sind und natürlich im Zuge der Vater-Kind-Beziehung bewußt wie auch unbewußt Anregungen gegeben und aufgenommen werden.

6. Forschungsergebnisse allgemein und Konsequenz

Die Veränderungen beziehen sich vorwiegend auf einen Zuwachs an Zärtlichkeit und Verständnis bei Vätern und, allgemeiner, haben sich bei Männern die Einstellungen zu einem partnerschaftlichen Rollenverständnis hin geändert. Dies wirkt sich nicht nur auf die Familie aus, sondern auch auf das berufliche Betätigungsfeld. Damit ist gemeint, daß weibliche Berufstätigkeit und Gleichberechtigung bezüglich Hausarbeit heute akzeptiert wird, beziehungsweise immer mehr an Akzeptanz gewinnt. Das Thema "Neue Väter" gewann sicher an Popularität durch die vermehrten Publikationen wie auch Veröffentlichungen von Artikeln in sämtlichen Zeitschriften. Die Einstellungsänderungen der Männer haben auch positive Effekte zur Folge. Dazu zählen vor allem veränderte Moralvorstellungen oder besser ausgedrückt Weitergabe eines veränderten Rollenbildes, das den Kindern vorgelebt wird in Form verstärkter Partnerschaftlichkeit bei der Familienarbeit. Mädchen werden nicht mehr zum "Hausmütterchen" erzogen, das als Erwachsener nicht arbeiten muß und keine Verantwortung übernehmen muß, da dafür der Mann zuständig ist. Mädchen werden heutzutage genauso zu selbständigen und verantwortungsvollen Menschen erzogen wie Knaben. Weiters wird ihnen nun auch die Möglichkeit geboten, wie es früher nur Buben zustand, eine "ordentliche" Schulausbildung sich selbst zu wählen. Dies ist natürlich noch nicht zu verallgemeinern, da es vorwiegend auf die Herkunftsfamilie und soziale Schichtzugehörigkeit ankommt. Die allgemeine gesellschaftliche Einstellungsänderung zur Männerrolle wird auch deutlich durch eine Gesetzesinitiative, die besagt, daß Väter ebenfalls die Karenzzeit in Anspruch nehmen können und dabei, wie die Frauen, finanziell und beruflich abgesichert sind. Dies entspricht auch der partnerschaftlichen Arbeitsteilung und Gleichberechtigung. Die sogenannten "Neuen Väter" lassen sich also durch ein verändertes Frauenbild, mehr Offenheit bezüglich Gefühle und, im Gegenzug dazu, Abwendung von Gewalt und Autoritätsgelüste charakterisieren. Die Folge ist natürlich dann gesteigerte Anteilnahme an Pflege sowie emotionaler Fürsorge bei der Erziehung des Kindes.

7. Zusammenfassung und persönliche Stellungnahme

Es ist nicht zu bestreiten, daß sich im letzten Jahrzehnt ein Rollenwandel vollzogen hat. Dies bezieht sich vor allem auf die Akzeptanz weiblicher Berufstätigkeit und gleichberechtigte "Arbeitsteilung" bezüglich Kindererziehung und Haushaltsführung. Meiner Meinung nach ist dies das Resultat einiger zusammenwirkender Kräfte. Zum einen ist hierzu die Emanzipation der Frauen zu nennen, die den Mann in gewisser Weise dazu zwang, sein Rollenbild als Mann zu überdenken und neu zu gestalten. Dann verlor die traditionelle Familie und ihre Rollenbilder, an denen in den letzten Jahrzehnten festgeklammert wurde, an Bedeutungen. Es wurde Platz für eine neue Definition des männlichen Rollenbildes, nämlich ein gefühlsbetonteresn und kindzentrierteres. Jedoch ist erst der Anfang getan, und es bedarf noch einer längeren Umstellungsphase. Positiv wirkt sicher, daß die Gesellschaft diese Einstellungsänderung gutheißt. Zusätzlich beschäftigen sich verschiedenste Medien mit diesem Thema verstärkt. Doch konzentriert man sich eher auf die ersten Lebensmonate und erste Lebensjahr in Hinblick auf die Vater-Kind-Beziehung. Auch konzentrierte man sich anfangs auf den kognitiven Einfluß des Vaters und erst später auf Empathie und Sensitivität. Ich glaube, daß ein großer Nachteil ist, daß kaum Väterforschung betrieben wird und wenn dann oft im Zusammenhang mit anderen Zielrichtungen, wo sich halt auch nebenbei Ergebnisse auf dem Gebiet der Väterforschung ergeben. Das ist jetzt sicher ein bißchen übertrieben ausgedrückt. Wobei dies eher auf den europäischen Raum bezogen ist, da man sich schon seit längerem in den USA mit diesem Thema ausgiebig beschäftigt. Ich möchte aber noch hinzu fügen, daß die Ergebnisse aus dem deutschsprachigen Raum und den USA weitgehend übereinstimmen. So ist der Einsatz der Väter in den verschiedensten Bereichen unterschiedlich. Etwa konnte bestätigt werden, daß sich Väter am stärksten im Bereich Spiel einsetzten, dies aber speziell bei Kindern ab dem zweiten Lebensjahr. Abschließend möchte ich festhalten, daß die Interaktion zwischen Vater und Kind sicher kulturabhängig ist sowie von den gesellschaftlichen Normen, aber meiner Meinung nach zum großen Teil die Erziehung der Väter selbst und ihre Persönlichkeit eine große Rolle, bezüglich Einsatz im Haushalt und Erziehung, spielen.

8. Schlußwort

Es gibt sehr viele Gründe, die für die Einstellungsänderung der Männer verantwortlich sind, doch meiner Meinung nach ist die eigens erfahrene Erziehung wie die Persönlichkeit eines Menschens und im weiteren Sinne die engere Umwelt, die meist ebenfalls von der Erziehung abhängt, ausschlaggebend für Ansichten über Kindererziehung wie auch Partnerschaft.

Literaturverzeichnis

Nickel, H. & Köcher, E.M.T. (1986). Väter von Säuglingen und Kleinkindern. Psychologie in Erziehung und Unterricht,33,171-184.

Werneck, H. (1998). Übergang zur Vaterschaft. Auf der Suche nach den "Neuen Vätern". Wien: Springer.
 
 
 

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16) Entwicklung der Vater-Kind-Beziehung (Sabine Nimmervoll)

Von den Kindern
und er sagte:
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken,
denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen,
denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.
Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben verläuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.
Der Schütze sieht des Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit, und Er spannt euch mit Seiner Macht, damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.
Laßt euren Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein;
Denn so wie Er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt Er auch den Bogen der fest ist.
(Khalil Gibran)




1. Einleitung

Durch die Beschäftigung mit diesem Thema, begann ich auch, mich mit meiner eigenen Beziehung zu meinem Vater, und dessen Verhältnis zu seinem Vater auseinanderzusetzen. Mein Vater selbst litt sehr an der autoritären Erziehung meines Großvaters, liebevolle Worte oder Umarmungen waren ihm fremd. Für meinen Großvater galt nur der autoritäre Teil von Jungs Ansatz über das allgemeine Vaterbild: Der Vater ist Urheber und Autorität, daher Gesetz und Staat. Er ist das in der Welt sich Bewegende, das mit unsichtbaren Gedanken, Schaffende und Lenkende. Der Mann ist Verstand, Geist und schafft die Beziehung zur Dynamik der Natur. Somit ist der Vater ein mächtiger Archetypus, der in der Seele des Kindes lebt. Gefühle hatten bei meinem Großvater keinen Platz, Gefühle führen zur Verweichlichung, vor allem bei Burschen. Jung führte den Gedanken des Vaterarchtypus aber weiter aus: Ebenso wie die Mutter stellt auch der Vater ein allumfassendes Gottesbild dar. Im Laufe des Lebens wird er aber zu einer begrenzten, oft allzu menschlichen Persönlichkeit. Nach Jung schmilzt die Wichtigkeit der elterlichen Persönlichkeit mit wachsendem Bewußtsein zusammen. An die Stelle des Vaters tritt dann die Gesellschaft der Männer, an die Stelle der Mutter tritt die Familie. Das Väterliche fühlt sich, dem Kind gegenüber, für das Begreifen verantwortlich, es ebnet die Wege zum Verständnis und versucht den bösen Folgen des Mißverstehens vorzubeugen. Wie ein höheres Schicksal wird das Kind von der Elternmacht geleitet. Wenn das Kind heranwächst, beginnt aber der Kampf der infantilen Einstellung mit der fortschreitenden Bewußtheit; der aus infantiler Zeit herrschende elterliche Einfluß wird verdrängt und gerät ins Unbewußte, wird aber nicht eliminiert, sondern leitet mit unsichtbaren Fäden die scheinbar individuellen Schöpfungen des reifenden Geistes. Wie alles, was sich im Unterbewußtsein befindet, schickt auch die ursprüngliche infantile Situation noch Gefühle ins Bewußtsein, nämlich Gefühle geheimer Lenkung und jenseitigen Einflusses. Diese werden aber meist nicht mehr auf den Vater bezogen, sondern auf eine positive oder negative Gottheit (diese Wandlung vollzieht sich teils unter dem Einfluß der Erziehung, teils spontan).

Mein Vater besaß also kein Vorbild, nach dem er uns, seine Kinder, erziehen wollte. Er versuchte mit sehr viel Einfühlungsvermögen, Ruhe und Verständnis mit uns umzugehen, um unser Vertrauen zu gewinnen, da er die Angst, die er vor seinem Vater hatte, nicht an uns wiederentdecken wollte. Da die Beziehung zwischen meinen Eltern sehr innig und intensiv war und ist, und wir beides Wunschkinder waren, engagierten sich sowohl meine Mutter als auch mein Vater sehr bei der Versorgung ihrer Neugeborenen. Dieses engagierte Verhalten haben sie bis heute aufrechterhalten und uns somit eine wunderbare Kindheit und Jugend beschert. Die Bindung zu meinem Vater ist sehr intensiv und trotz heftiger Auseinandersetzungen während der Pubertät wuchs sie, anstatt darunter zu leiden. Es gibt keine bestimmten Phasen, in denen sich diese Bindung vertieft hat, das Gefühl erwünscht zu sein und die ständige Präsenz meines Vaters in "meinen guten und schlechten Tagen" bauten diese Beziehung auf und verstärken sie noch heute mehr und mehr. Trotz der guten und innigen Beziehung zu meinem Vater ist sie aber dennoch nicht mit der Beziehung zu meiner Mutter zu vergleichen, die etwas ganz Besonderes ist, eine Art "Seelenverwandtschaft", die uns verbindet, die ich mit meinem Vater nie erreichen werde.

2. Die Geburt

Die Entbindung selbst erleben die meisten werdenden Väter unterschiedlich, je nach Geburtsverlauf, der Vorbereitung darauf und ihrer individuellen Empfindsamkeit. Meist läuft sie aber ganz anders ab, als man es von Bekannten gehört, in Büchern gelesen oder in Kursen geübt hat. Durch die Anwesenheit des Vaters bei der Geburt entwickelt sich in vielen Fällen spontan eine intensive Beziehung, fast so als würde man sich schon lange kennen.

In einer Untersuchung, die bei der Konferenz der "Society of Research in Child Development" 1981 in Toronto vorgestellt wurde, stellte sich heraus, daß die Dauer dieses Erstkontaktes von Bedeutung für das spätere Vater-Kind-Verhältnis sein kann. Die Autoren verglichen zwei Gruppen von Vätern die beide bei der Geburt anwesend waren. Die eine Gruppe hatte "normalen" Kontakt, die andere Gruppe vier Stunden zusätzlichen Kontakt zum Neugeborenen. Die Väter beider Gruppen wurden sechs Wochen später im Kontakt mit ihren Kindern beobachtet und zu ihrer Einstellung zur Elternschaft befragt. Die Väter, die zusätzlichen Kontakt zu ihren Kindern hatten, berichteten über ein positiveres Engagement und größeres Selbstvertrauen, hatten häufiger Augenkontakt mit dem Kind und sprachen mehr mit ihm. Vielleicht, so spekulieren die Autoren, wird bei Männern durch den Kontakt mit dem Neugeborenen so etwas wie ein angeborener Auslösemechanismus für späteres väterliches Verhalten aktiviert. Dieses Miterleben der Geburt, aber auch der Zeit davor und unmittelbar danach ist für Väter eine Art "Initiationsritus" für einen neuen Lebenszyklus.

Ähnlich wie auch Taufe, Junggesellenabschied, Hochzeit usw. symbolisch den Abschied von einer früheren Entwicklungsstufe und den Eintritt in eine neue markieren, steht das Miterleben der Geburt für den bedeutsamen Übergang von einer Zweier- zu einer Dreierbeziehung und bleibt mit dieser Bedeutung oft lebenslang in intensiver Erinnerung.

Zum Thema Geburtserlebnis wurde eine standardisierte Befragung durchgeführt, bei der eine der Fragen lautete:

"Haben sie das Gefühl, daß ihre Anwesenheit bei der Geburt Ihre Beziehung zu ihrem Kind oder zu ihrer Frau beeinflußt hat?"

= "Es hat sicherlich geholfen eine Beziehung zum Kind zu entwickeln. Weniger, daß ich gesehen habe, wie es herausschlüpft, sondern daß es mich danach sofort angeschaut hat."

="Susanne war kein Wunschkind, und es wäre mir sicherlich noch schwerer gefallen, sie zu akzeptieren, wenn ich die Geburt nicht miterlebt hätte."

="Für mich war es wichtig, und ich glaube, daß auch er irgendwie gespürt hat, daß ich – also sein Vater – bei ihm war."

="Es passiert eine gewaltige Veränderung in der Beziehung, vom erotischen bis zum Verantwortungsbereich – aber nicht durch die Anwesenheit bei der Geburt selbst, sondern durch die,Geburt der Familie‘".

3. Alltagsleben

Die ersten Wochen mit dem Neugeborenen zu Hause bieten für Väter eine weitere Gelegenheit den Kontakt mit dem Winzling zu vertiefen, vor allem Stunden, die sie mit dem Säugling allein verbringen, lassen Vater und Kind zusammenwachsen. Am wichtigsten ist aber die Bereitschaft sich einzulassen, dadurch entwickeln Männer nach anfänglicher Unsicherheit bald ihr eigenes spezifisches Pflege-, Spiel- und Umgangsverhalten beim Tragen, Füttern und Trösten. Durch die intensive Beschäftigung mit dem Kind entwickelt sich auch zwischen Vater und Baby die typische symbiotische Beziehung der ersten Monate.

="Plötzlich fing ich an meinen Sohn ganz genau zu verstehen ... Ich brauchte ihn nur offen anzuschauen, und schon wußte ich, was er wollte, warum das kleine Gesicht immer verzweifelter wurde, warum er schließlich weinte und wie ich ihn trösten kann."

4. Wenn du einen Feind hast so suche ihn im Schatten deiner Hütte

Allein der Körperkontakt zum Neugeborenen wird als sehr intensiv beschrieben, und es gibt viele Gelegenheiten, sein Kind zu spüren; Wickeln, das in eine Spielsituation verwandelt werden kann, oder baden bei dem der Körperkontakt als sehr intim erlebt wird, vertiefen die Vater-Kind-Beziehung. Ängste vor Berührungen und ihre Grenzen treten hier aber immer wieder auf. Die bestehenden Hemmungen haben viel damit zu tun, daß es Männer meist nicht gelernt haben, ein natürliches Verhältnis zu ihrem eigenen Körper zu entwickeln. Hinzukommt, daß körperliche Genußfähigkeit beim männlichen Kind sehr früh auf das Geschlechtsteil beschränkt wird. Aus dieser eingeschränkten Erfahrung mit dem eigenen Körper ergibt sich für die meisten Männer, daß Zärtlichkeit fast ausschließlich in Verbindung mit genitaler Sexualität gesehen werden kann. Es ist wichtig dies in diesem Zusammenhang zu erwähnen, da jedes vierte Mädchen und jeder zwölfte Knabe direkten sexuellen Übergriffen ausgesetzt sind, wobei 80 % dieser Übergriffe in der eigenen Familie stattfinden. Untersuchungen zufolge sinkt mit dem Naheverhältnis die Wachsamkeit des Opfers und steigt das Ausmaß an Gewalt. In der Familie kommt es nicht nur zu den häufigsten, sondern auch zu den aggressivsten und am öftesten wiederholten Kindesmißhandlungen. Unheilbare Wunden werden dem Kind zugefügt, da der Ort, an dem das Kind Zuneigung und Geborgenheit sucht, zu jenem wird, an dem es am tiefsten und demütigsten verletzt wird, und zwar von einem Menschen, den es liebt und von dem es am meisten abhängig ist. Hier verläuft also eine wichtige Grenze. Solange die Zärtlichkeiten zwischen einem Kind und einem Elternteil, dem anderen Elternteil oder anderen, die zufällig dazukommen, als natürlich gezeigt werden können, solange sind es gesunde Zärtlichkeiten. Aber diese Grenze funktioniert nur, solange der Erwachsene in sich gesunde Schranken hat, die funktionieren.

5. Ödipus und Elektra

Von dem Mythos aus der griechischen Antike, in dem sich König Ödipus in seine Mutter verliebt, ohne allerdings zu wissen, daß sie seine Mutter ist, und im Zorn seine Vater ermordet, hat jene Phase in der Entwicklung des Kindes ihren Namen erhalten. Der Junge verliebt sich in dieser Phase tatsächlich in seine Mutter und der Vater wird zum Konkurrenten. Der Sohn beginnt den Vater zu beobachten und ihn zu imitieren, vor allem dann wenn er sich mit traditionellen männlichen Dingen beschäftigt. Der Vater ist nun nicht nur schärfster Konkurrent, sondern auch größtes Vorbild. Der Gegensatz dazu ist die Verliebtheit der Tochter in den Vater und wird als Elektrakonflikt bezeichnet. Diese Phase ist sowohl für die gefühlsmäßige als auch psychosexuelle Entwicklung von Mädchen und Buben von Bedeutung. Der Verlust eines Elternteils in dieser Phase der Entwicklung kann zu Niedergeschlagenheit und zu diffusen Schulgefühlen führen, da es ja der Wunsch des 4-jährigen war, daß der Vater verschwindet, um die Mutter für sich allein zu haben. Bei Mädchen kann es passieren, daß sie in Konkurrenz mit der Mutter um den neuen Mann in ihrem Leben tritt. Die Aufgabe des Vaters ist es, hier den Kontakt zu seinem Kind aufrechtzuerhalten, für das Kind da zu sein und ihm zu erklären, daß es keine Schuld an der Trennung der Eltern hat. Somit geht auch im Scheidungsfall die Vater-Kind-Beziehung nicht verloren.

6. Pubertät

Die Begleitung des Kindes in der Pubertät stellt eine weitere Herausforderung an den Vater dar und bietet aber auch eine weitere Möglichkeit den Kontakt zwischen Vater und Pubertierenden zu vertiefen. In dieser, einer der schwierigsten Phasen im Leben eines Menschen, besteht die Rolle des Vaters vornehmlich darin, ein Höchstmaß an Geduld zu wahren. In dieser Zeit, zwischen dem zwölften und siebzehnten Lebensjahr, durchläuft der Jugendliche Phasen der Unsicherheit, Verstörtheit, aber auch eines wachsenden Selbstbewußtseins. Die Aktions- und Einflußfelder innerhalb wie außerhalb der Familie werden neu abgesteckt. Die Jugendlichen benötigen in dieser Zeit die Haltung des aktiven, handelnden Vaters, der sich dem Bedürfnis des Kindes stellt, und es ihm ermöglicht sich am Vater zu "reiben" und dadurch zu reifen. Zum anderen benötigen sie die Haltung des Vaters, der gelassen und kritisch über sich und seine Einstellungen nachdenken kann, der sich, zumindest innerlich, zurücknimmt und die Attacken des Jugendlichen gegen den Vater aus der Distanz zu verstehen versucht. Nun ist es an der Zeit eine Partnerschaft zwischen Vater und Sohn/Tochter aufzubauen und an dieser immer weiter zu arbeiten.

Literaturverzeichnis

Friedrich, M.H. (1998). Tatort Kinderseele. Wien: Ueberreuter.

Gibran, K. (1994). Der Prophet. Solothurn: Walter-Verlag.

Gustafsson, L.H. (1993). Wir Väter. Stuttgart: Kreuz-Verlag.

Jung C.G. (1989). Von Vater, Mutter und Kind. Freiburg im Breisau: Walter-Verlag.

Mayer C. & Liebich, D. (1994). Wenn Mann ein Kind bekommt. Freiburg in Breisgau: Herder.

Müller-Commichau, W. (1995). Neue Männer – Neue Väter. München: Gräfe und Unzer-Verlag.
 
 
 

Inhaltsverzeichnis

17) Bedeutung des Vaters für die kindliche Entwicklung (Barbara Martl)

1. Einleitung

Die Mehrheit der sogenannten "Vaterstudien" beschäftigen sich mit der Auswirkung von Vaterabwesenheit auf die Entwicklung der Kinder. Ich möchte aber in meiner Arbeit auf die Bedeutung "anwesender" Väter eingehen, und dabei immer unterscheiden zwischen dem Einfluß auf die Entwicklung von Söhnen bzw. von Töchtern.

Väter haben u. a. in folgenden Bereichen Einfluß auf die Entwicklung ihrer Kinder:

2. Kognitive Entwicklung des Kindes

Besonders interessant ist meiner Meinung nach die Tatsache, daß Väter im allgemeinen die kognitive Entwicklung bei Söhnen und Töchtern unterschiedlich beeinflussen.

Väter tragen sowohl im Kleinkind-, Schul-, und frühen Erwachsenenalter wesentlich zur kognitiven Entwicklung ihrer Kinder bei.

2.1. Frühe Stimulation des Kindes und väterlicher Einfluß im Vorschulalter

Verschiedene Studien in Waisenhäusern haben gezeigt, welche verheerenden Auswirkungen eine reizarme Umgebung für Kleinkinder hat. Rubenstein et al. konnten andererseits zeigen, daß das eindeutige und angemessene Reagieren auf kindliche Signale besonders förderlich für die Entwicklung von Säuglingen ist. Väter können ihren Kleinkindern schon sehr früh eine Vielzahl von Erfahrungen vermitteln, die sich günstig auf ihre kognitive Entwicklung auswirken. In einer Studie an 5-6 Monate alten Kindern wurde eine Stichprobe von Kindern, die in vaterabwesenden Familien aufwuchsen, mit Kindern aus "intakten" Familien verglichen. Es konnte gezeigt werden, daß vaterlos aufwachsende Kinder weniger Zeit für die Exploration von Gegenständen aufwenden, als Kinder aus vollständigen Familien. Buben, die einen ausgedehnten Kontakt zu ihrem Vater haben, erreichten bei kognitiven Entwicklungstests signifikant höhere Werte als Buben aus vaterlosen Familien.

Für Mädchen läßt sich allerdings dieser Zusammenhang in diesem frühen Kindesalter nicht feststellen. Bei Mädchen dürfte, laut Parke, der Einfluß des Vaters auf die kognitive Entwicklung erst in einer späteren Entwicklungsphase relevant sein. Allgemein ist zu beobachten, daß Väter und Mütter ihre Säuglinge in unterschiedlicher Weise kognitiv stimulieren. Väter lassen den Kindern z. B. mehr Erkundungsfreiraum und sind weniger ängstlich als Mütter. Sie fördern somit die Selbständigkeit des Kindes. Dies betrifft v. a. das Verhalten der Väter gegenüber ihren Söhnen. Interessant ist, daß Väter wie Mütter ihre Töchter bzw. Söhne unterschiedlich stimulieren. So werden Buben v. a. durchphysisches Spiel stimuliert, während Mädchen in erster Linie verbal stimuliert werden.

Wie bereits erwähnt, tragen Väter in den ersten Lebensjahren kaum zur kognitiven Entwicklung ihrer Töchter bei. Das liegt möglicherweise daran, daß Väter allgemein nur bei ihren Söhnen Wert auf Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit bzw. Selbständigkeit legen. Aus diesem Grund werden Buben auch anders als Mädchen vom Vater stimuliert.

Ein weiterer Faktor, der Einfluß auf die kognitive Entwicklung seines Kindes hat, ist das "Pflegeverhalten" des Vaters. Söhne, deren Väter angeben, daß sie häufig die Pflege des Kindes übernehmen und auch oft mit ihnen spielen, erzielen in kognitiven Entwicklungstests allgemein höhere Werte als Söhne, deren Väter sich wenig mit dem Kind beschäftigen.

Für gleichaltrige Mädchen konnte dieser Zusammenhang wiederum nicht festgestellt werden.

Neben dem direkten Einfluß des Vaters auf die kognitive Entwicklung seines Klein- bzw. Vorschulkindes, übt er auch indirekten Einflußaus. Und zwar indem er das mütterliche Erziehungsverhalten beeinflußt. Außerdem wird natürlich die kognitive Entwicklung von Kindern auch indirekt über die Menge und Qualität des verfügbaren Spielzeugs beeinflußt.

2.2. Einfluß des Vaters auf die Schulleistung des Kindes

Eine Studie von Honzik et al. zeigte diesbezüglich, daß väterliche Freundlichkeit, nicht aber eine zu enge Vater-Kind-Beziehung sich positiv auf die schulische Leistungen von Mädchen auswirkt. Für Buben gilt das allerdings nicht. Vernachlässigendes Vaterverhalten wirkt sich allerdings sowohl bei Mädchen als auch bei Buben negativ auf die schulische Leistung aus. Auch Aspekte des väterlichen Selbstwertgefühls und dementsprechendes väterliches Verhalten beeinflussen wesentlich die kognitive Entwicklung von Kindern im Schulalter. Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem väterlichen Selbstkonzept und den Intelligenztestwerten von Grundschülern.

3. Die Rolle des Vaters bei der Internalisierung moralischer Normen

Eltern dienen als Bindeglied zwischen Kind und Gesellschaft, und müssen somit ihren Kindern die Werte und Normen der Gesellschaft vermitteln. Das tun sie einerseits, indem sie ihrem Kind als Modell dienen, und andererseits, indem sie bestimmtes Verhalten verstärken bzw. ablehnen und möglicherweise bestrafen. Es gibt verschiedenen Faktoren, die für die Entwicklung von Moral von Bedeutung sind. So z. B. die Angst vor Abweichung von der Norm, Identifikation mit den Eltern und Imitation ihres Verhaltens, Entwicklung von Empathie und Schuldgefühl etc. Laut Hofmann ist nur der Faktor "Identifikation" an das Geschlecht des Elternteils gebunden. D. h. Väter sind diesbezüglich für ihre Söhne wichtiger als für ihre Töchter, da sich Söhne eher mit dem Vater identifizieren als mit ihrer Mutter. Für Töchter gilt das Gegenteil. Identifikation mit einem Elternteil bedeutet auch, dessen Moralvorstellungen zu übernehmen. Interessant bezüglich der Internalisierung moralischer Werte ist, daß grundsätzlich der Mutter in diesem Bereich mehr Bedeutung zukommt als dem Vater, da Mütter allgemein öfter disziplinierende Maßnahmen setzen als Väter. Der Vater übt aber im speziellen zusätzlich Einfluß auf seine Söhne aus.

4. Die Rolle des Vaters bei der Entwicklung geschlechtsspezifischen Verhaltens seiner Kinder

Zur Erklärung von Verhaltensunterschieden zwischen Buben und Mädchen während der frühen Kindheit befaßt man sich vorwiegend mit biologischen und konstitutionellen Faktoren. Für spätere Unterschiede im geschlechtsspezifischen Verhalten macht man allerdings vorwiegend Faktoren der sozialen Umgebung verantwortlich. In allen theoretischen Forschungsansätzen, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzen, wird die Bedeutung und der große Einfluß des Vaters bei der Entwicklung der Geschlechterrolle unterstrichen.

4.1. Einfluß des Vaters auf das geschlechtsspezifische Verhalten seines Sohnes

Verschiedene Faktoren des väterlichen Verhaltens beeinflussen die Entwicklung des geschlechtsspezifischen Verhaltens seines Sohnes. So konnten z. B. Zusammenhänge zwischen väterlicher Dominanz und maskulinen Charakteristiken bei Söhnen festgestellt werden. Andererseits wurde gezeigt, daß die männliche Entwicklung eines Buben in keinster Weise dadurch beeinträchtigt wird, wenn Väter u. a. häusliche Aufgaben übernehmen. Die Entwicklung einer männlichen Identität wird allerdings stark durch Passivität des Vaters innerhalb der Familie beeinträchtigt, v. a. Passivität bei Entscheidungsfindungsprozessen erweist sich als besonders negativ. Väter, die ein fähiges, männliches Modell für ihre Söhne darstellen, sind sehr förderlich für die Entwicklung männlichen Verhaltens ihres Sohnes. Dabei ist v. a. das Verhalten, das der Vater bei Familieninteraktionen zeigt, von Bedeutung. Wichtig zu beachten ist es, daß die generellen Merkmale der Vater–Kind–Beziehung stärker prägend wirken, als nur die sogenannte Männlichkeit des Vaters.

Was mir auch bedeutend erscheint, ist der Zusammenhang zwischen der Entwicklung aggressiven Verhaltens beim Kind und der Anwendung restriktiver Maßnahmen durch den Vater. Restriktives Verhalten begünstigt nur innerhalb einer liebevollen Vater–Sohn–Beziehung die Zuneigung des Buben zum Vater und seine Entwicklung zum Mann. Wird ein Vater nur strafend, aber nicht liebevoll erlebt, wird sein Sohn ihn weniger imitieren und auch später sein Selbstbild kaum übernehmen. Abschließend ist zu sagen, daß allerdings die Entwicklung des geschlechtsspezifischen Rollenverhaltens eines Buben nicht ausschließlich vom Verhalten des Vaters abhängt. Natürlich muß man auch hier die gesamte Familienstruktur berücksichtigen, denn auch die Mutter übt wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung ihres Sohnes aus. Nach Biller scheint sich v. a. eine Familie, in der der Vater eine positive männliche Rolle und die Mutter eine positive weibliche Rolle innehat, günstig auf die adäquate Persönlichkeitsentwicklung des Sohnes auszuwirken.

4.2. Der Einfluß des Vaters auf das geschlechtsspezifische Rollenverhalten seiner Tochter:

Väter üben allgemein bei ihren Kindern intensiven Druck in Richtung geschlechtsadäquates Spielverhalten aus, d. h. intensiveren Druck, als das Mütter in der Regel tun.

So versuchen sie z. B. ihre Töchter beim Spiel vor Mißerfolgserlebnissen zu bewahren, ihnen die Situation so angenehm wie möglich zu gestalten, etc. Väter versuchen ihren Töchtern die Einstellung zu vermitteln, daß Erfolg eher über affektive Beziehungen als durch unabhängige Leistungen erreicht wird. Väter hegen häufiger als Mütter traditionelle geschlechtsrollenstereotype Vorstellungen und versuchen diese ihren Töchtern zu vermitteln.

Sie spielen v. a. in intakten Familien eine sehr wesentliche Rolle für die Entwicklung femininen Verhaltens bei Mädchen im Vorschulalter. So ist z. B. väterliches Verhalten wie Warmherzigkeit, eine positive Einstellung zu Frauen, Ermutigung von Selbständigkeitsbestrebungen etc. für Töchter von großer Bedeutung.

Väterliche Dominanz scheint bei Mädchen, im Unterschied zu Buben, einen eher geringen Einfluß zu haben. Allerdings haben Mädchen, die aus mutterdominanten Familien stammen, große Schwierigkeiten Beziehungen zu Burschen herzustellen. Eine Studie von Block et al. konnte zeigen, daß die am besten angepaßten Frauen aus Familien kommen, in denen beide Elternteile stark um das Kind bemüht waren. Frauen, bei denen der Vater während ihrer Kindheit abwesend war, haben Schwierigkeiten mit Männern zu interagieren, und positive, lang andauernde heterosexuelle Beziehungen einzugehen. Außerdem zeigt sich, daß einem Mädchen die Aufnahme heterosexueller Kontakte um so leichter fällt, je enger ihre Vater-Tochter-Beziehung war. Auch auf die Entwicklung ihrer Töchter üben Väter nicht nur direkten, sondern auch indirekten Einfluß aus. Wie bereits erwähnt, hegen Väter stärker als Mütter traditionelle geschlechtsspezifische Erwartungen und Einstellungen und beeinflussen somit das Verhalten und den Erziehungsstil ihrer Frauen. Außerdem nimmt das Interesse des Vaters am geschlsechtsspezifischen Verhalten seiner Kinder mit deren Alter zu. So zeigt sich z. B. auch bei Mädchen im Alter zwischen 6 und 9 Jahren ein drastischer Anstieg femininer Verhaltensweisen.

Alles in allem kann man sagen, daß Väter sicherlich großen Einfluß auf die Entwicklung ihrer Kinder üben können. Andererseits sollte man aber betonen, daß auch Familien ohne Vater nicht von vornherein als "ungünstig" abgestempelt werden sollten, da sicherlich die ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen, sowie ein positives soziales Netzwerk mögliche Defizite kompensieren können.

5. Persönliche Stellungnahme

Ich denke, daß jedes Kind, das in einer intakten Familie aufwächst, wo Vater wie Mutter eine positive Rolle inne haben, sehr glücklich zu schätzen ist. Denn selbst wenn ein "gutes" Umfeld auch viele Defizite kompensieren kann, wird einem Kind, das z. B. ohne Vater aufwachsen muß, eine wichtige Erfahrung fehlen. Ich bin außerdem der Meinung, daß Väter, anders wie es die verschiedenen Studien, die ich zitiert habe, erwähnen, sehr wohl auch sehr große Bedeutung für die Entwicklung ihrer Töchter haben. Ich empfand und empfinde meinen Vater stets als sehr wichtigen Bestandteil meiner Familie, der mitunter auch eine "Vermittlerrolle" zwischen mir und meiner Mutter, mit der ich – im Gegensatz zu meinem Vater – des öfteren in Konflikt gerate, einnimmt. Für mich persönlich spielte mein Vater auch in meiner frühen Kindheit bereits eine sehr wichtige Rolle. Das hängt möglicher Weise damit zusammen, daß er, ebenso wie meine Mutter, berufsbedingt immer zu Hause und somit für mich da war. Sehr wichtig war mein Vater für mich aber sicherlich auch während meiner Pubertät, wo auch er, neben meiner Mutter, mit Respekt und auch einem gewissen "Stolz" mein Erwachsenwerden mitverfolgte und mich mit Rat und Tat unterstützt hat. Ich glaube, daß ich mich, im Vergleich zu einigen meiner Freunde, über die gute Beziehung, die ich zu meinen Eltern habe, sehr glücklich schätzen darf.

Literaturverzeichnis

Fthenakis, W.E. (1988). Väter. (Bd. 1). München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
 
Inhaltsverzeichnis

18) Väter in unterschiedlichen Familienstrukturen / Neue Väter? (Carina Kreuzinger / Tanja Kremser)

1. Einleitung

Die von der traditionellen Ehe abweichenden Familienformen nehmen immer mehr zu. Scheidungen werden immer häufiger, dafür Eheschließungen seltener und auch die Kindergeburten gehen zurück. In diesem Beitrag geht es um die Rolle des Vaters in verschiedenen Familienstrukturen, wie die Stellung des Vaters eines nichtehelichen Kindes, die Stellung innerhalb einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die Rolle als sorge- oder nicht sorgeberechtigter Vater nach einer Scheidung und die Neuen Väter. Insbesondere geht es neben der traditionellen Ernährerfunktion um die direkte Beteiligung des Vaters an der Kinderpflege und -erziehung. Die Wahrnehmung der Elternverantwortung des Vaters ist abhängig von rechtlichen und situativen Bedingungen und auch von der Beziehung zwischen den Mitgliedern der jeweiligen Familienform. Im Teil, der die "Neuen Väter" behandelt, wird kurz darauf eingegangen, wodurch diese neuen Väter charakterisiert werden; den Hauptteil nehmen aber jene Männer ein, die sich nicht nur vermehrt mit der Familie auseinandersetzen, sondern die auch die Hauptverantwortung für das Kind bzw. für die Familie übernommen haben und den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen. Es soll beantwortet werden, welche Männer bereit sind in Karenz zu gehen, welche Motive hinter dieser Entscheidung stehen, wie sich der Karenz auf verschiedene Lebensbereiche auswirkt, wie die Umgebung auf den Rollentausch reagiert und wie die Karenzzeit retrospektive beurteilt wird.

2. Väter nichtehelicher Kinder

Der Anteil nichtehelicher Geburten steigt kontinuierlich, was auch auf die zunehmende Anzahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften und alleinerziehender Mütter zurückzuführen ist. Folgende Gründe, warum Personen gegen eine Heirat sind, wurden angegeben: "gegen die Institution Ehe, um die Unabhängigkeit zu bewahren, ohne Kind nicht notwendig usw." Besonders die Frauen scheuen diesen Schritt. Eiduson konnte in ihrer Pilotstudie acht Dimensionen ausmachen, die einen alternativen Lebensstil kennzeichnen: der Wunsch nach engen interpersonellen Beziehungen, mit dem Ziel, eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens zu schaffen; das Abrücken vom traditionellen Leistungs- und Erfolgsstreben zugunsten des Strebens nach Selbstverwirklichung; die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Aufhebung der traditionellen Rollenteilung von Mann und Frau; die Betonung natürlicher Lebensweisen; der Wunsch nach Bedürfnisbefriedigung im "Hier und Jetzt", der impliziert, daß weniger Wert auf Zukunftsplanung gelegt wird; die geringe Betonung materieller Werte eine antiautoritäre Sicht, die mit dem Wunsch einhergeht, weniger abhängig von medizinischen, sozialen und erzieherischen Institutionen in der Gesellschaft zu sein und das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen; die Tendenz, Wissenschaft und Intellekt abzulehnen und sich auf die eigene Intuition zu verlassen, wenn es darum geht, anfallende Probleme zu lösen. Es gab schon immer uneheliche Kinder, deren soziale Plazierung und Versorgung als illegitime Kinder gefährdet war. Die Mütter wurden früher verachtet und diskriminiert. Das Gesetz hat jetzt versucht diese Benachteiligung zu verbessern, indem es die Mutter eines nichtehelichen Kindes als Erzieher ernennt und dem Vater jegliche Rechte am Kind verwehrt. Dem Gesetzgeber war in den letzten 100 Jahren daran gelegen, das uneheliche Kind dem ehelichen gleichzustellen. Die Mutter mußte den Vater nicht mehr nachweisen können, es genügte ihn zu benennen. Die Beweislast liegt also beim Vater, wenn er die Vaterschaft bestreitet. Mit Feststellung der Vaterschaft tritt das Kind in Rechtsbeziehung zum Vater, und dieser ist dazu bestimmt, bis zum 18. Lebensjahr des Kindes bzw. bis zum Ende der Ausbildung Unterhalt zu bezahlen. Das Kind ist auch erbberechtigt, aber nicht in gleichem Maße wie eheliche Kinder. Das nichteheliche Kind hat kein Recht auf den Umgang mit dem Vater und auf die elterliche Sorge. Für den Vater ist diese Situation alles andere als einfach, wenn er Kontakt zu dem Kind haben möchte.

Mittlerweile ist es so, daß Väter sich melden und ihre Rechte geltendmachen wollen. Damit rückt die Vaterschaft neu in den Mittelpunkt, denn der Vater wird aus einer neuen Perspektive gesehen – nicht mehr nur als Ernährer, sondern auch wichtig in der Erziehung. Grundsätzlich ist der Vater eines nichtehelichen Kindes laut Gesetz vom Sorgerecht ausgeschlossen. Gibt ihn die Mutter nicht namentlich an, so existiert er nach dem Gesetz als Vater nicht und kann keine Ansprüche geltend machen. Sollte er nachweisen können, daß es zum Wohl des Kindes geschieht, so würde ihm ein minimaler Kontakt zugestanden, aber das ist vor Gericht schwer zu beweisen. Der Vater muß einen derartigen Bescheid gerichtlich erwirken, aber dadurch schließt das Gericht auf Konflikte zwischen den Eltern. Weil das Kind da nicht hineingezogen werden soll, und weil Streitigkeiten zwischen den Eltern nicht zum Wohl des Kindes führen, entscheidet sich das Gericht meist gegen einen Kontakt mit dem Vater.

Ein gemeinsames Sorgerecht von nichtverheirateten Eltern gibt es bei uns noch nicht, aber in Italien, in den skandinavischen Ländern, in Frankreich und Portugal. Es ist möglich, daß es in Europa zu einer Gleichstellung kommt, sodaß Väter in nichtehelichen Lebensgemeinschaften auch das Sorgerecht für das Kind erhalten können. Bis jetzt war es so üblich, daß der Vater die Kindesmutter heiraten mußte, um das Sorgerecht für das Kind zu erhalten.

Für einen Vater eines nichtehelichen Kindes wäre prinzipiell eine Adoption möglich, aber er hat die gleiche Ausgangsposition wie ein Fremder und die Mutter müßte einverstanden sein, denn sie vergibt ja das Sorgerecht. Der Vater wird in einem Adoptionsverfahren genauso geprüft, ob er geeignet ist. In Deutschland hat der Vater zwar ein Anhörungsrecht, aber er kann das Kind nur adoptieren, wenn es zum Wohl des Kindes passiert. Eine Adoption kann er allerdings nicht verhindern. Die Kinder sind vorher bereits bei Pflegeeltern, was dazu führt, daß der Antrag des Vaters wahrscheinlich abgelehnt wird. Die Ehelicherklärung des Kindes ist nur dann möglich, wenn die Kindesmutter das Sorgerecht aufgibt und ihr Einverständnis erklärt, der Mann braucht auch eine Einverständniserklärung seiner Ehefrau. Wenn der Vater und die Mutter keine eheähnliche Gemeinschaft führen, ist es noch schwieriger für den Vater das Sorgerecht zu erhalten. In Österreich hat er einen ähnlichen Status wie ein geschiedener Vater. Die rechtliche Situation macht es dem Vater schwer, seine Erziehung bzw. Elternschaft eines nichtehelichen Kindes anzutreten. Man mißtraut den Vätern noch immer und läßt sich vom historischen Standpunkt nicht abbringen, daß Väter kein Interesse an ihren unehelichen Kindern zeigen. Für diejenigen, die ihre Pflichten wahrnehmen wollen, die Interesse zeigen, gibt es keine Chance. Solche Väter zeigen jetzt ihren Unmut und wollen die tradierten Vorstellungen des "verantwortungslosen Vaters" hinter sich lassen. Sie wollen ihre Vaterschaft antreten, und es ist auch dem Kind gegenüber nicht fair ihm einen Elternteil vorzuenthalten. Es wird in Zukunft eine Anforderung an den Gesetzgeber sein, diese Situation zu verändern.

3. Nichtsorgeberechtigte Väter

Nach einer Scheidung ist es noch immer so, daß ungefähr 80 bis 90 Prozent der Väter der nichtsorgeberechtigte Elternteil sind, obwohl die Kinder oft gerne mit dem Vater zusammenleben möchten. Der Vater agiert dann nur als Zahlungsvater, und er hat ein Umgangsrecht. Für die Kinder bedeutet eine Scheidung ein größeres Schockerlebnis als der Tod des Vaters, deswegen ist es wichtig die Beziehung zum Vater weiterbestehen zu lassen. Wallerstein und Kelly konnten zeigen, daß ein kontinuierlicher und ungehinderter Kontakt zum nichtsorge-berechtigten Elternteil sich positiv auf die Nachscheidungssituation des Kindes auswirkt.

3.1. Der Lebensstil nichtsorgeberechtigter Väter

Nach Hetherington, Cox und Cox ergeben sich für geschiedene Väter praktische Probleme im finanziellen und beruflichen Bereich und auch bei der Führung eines eigenen Haushalts. Diese Väter konzentrieren sich dann mehr auf ihre Arbeit. Die geschiedenen Väter klagen auch oft über Probleme in ihren sozialen Kontakten, denn die Freunde ziehen sich zurück und außerdem behaupten sie, daß das soziale Leben nur auf Paare zugeschnitten sei. Im ersten Jahr nach der Scheidung haben sie wechselhafte Beziehungen, und sie genießen das Gefühl der Ungebundenheit, aber dann sehnen sie sich wieder nach einer dauerhaften Beziehung. Zwischen den geschiedenen Ehepaaren kommt es aus finanziellen Gründen zu Streitigkeiten. In 80 % der Fälle kann zwischen den Partnern das Umgangsrecht ohne Probleme geregelt werden, ansonsten orientiert sich das Gericht am "Kindeswohl", wobei die Kinder selbst einbezogen werden. Ein häufiger Besuch kann die Qualität der Vater-Kind-Beziehung positiv beeinflussen. Probleme diesbezüglich ergeben sich nur, wenn das Kind verstört ist nach den Besuchen, wenn der Vater wieder eine Partnerin hat oder wenn die Mutter einen Partner hat.

3.2. Sicht des Vaters

Trotz großzügiger Umgangsregelung halten Kinder nur wenig Kontakt zu Vater, weil dieser sich wenig Zeit nimmt. Faktoren, die bestimmend für die Häufigkeit des Umgangs sind, sind die Unterhaltszahlungen für die Kinder, aber auch die Nähe der Wohnorte und die Dauer der Trennung. Nach zwei Jahren sinkt die Kontakthäufigkeit stark ab, wegen Wiederverheiratung oder neuer Partnerschaft. Kelly und Wallerstein fanden heraus, daß jüngere Kinder (2-8 Jahre) den nichtsorgeberechtigten Elternteil öfter sehen, weil Kinder ihre Wünsche deutlich ausdrücken, während die 9-12jährigen keinen oder unregelmäßigen Kontakt haben und ihren Ärger oder ihre Aggressionen kundtun. Greif (1979) hat herausgefunden, daß bei jenen Vätern, die wenig Kontakt zu ihren Kindern haben, ein Rückgang des Einflusses auf die emotionale und moralische Entwicklung, sowie auf das Verhalten zu bemerken ist. Die Väter können den Kindern das Gefühl nicht geben, daß sie noch ein Teil der Familie sind. Je mehr Kontakt besteht, um so weniger verändert sich die Rolle. Doch meistens sind die Besuche auf Freizeitunternehmungen beschränkt, sodaß sich der Vater nur als Besuchsonkel sieht. Für Väter und Kinder ist es besser, wenn sie mehr Zeit haben, sodaß sie auch einen Alltag erleben können. Manche Väter, die auch während der Ehe keine Pflegetätigkeiten übernommen haben, sind mit der Rolle des Freizeitvaters zufrieden, aber es gibt auch Fälle, die nach der Scheidung ihre Vaterrolle neu überdenken. Probleme gibt es dann, wenn jetzt einer der früheren Partner wieder heiratet oder einen neuen Partner hat. Der nichtsorgeberechtigte Vater kann schwer verkraften, daß es einen anderen Mann gibt, der zusammen mit seinen Kindern lebt, während im umgekehrten Fall die Mutter die Kinder nicht mehr gerne zum Vater gibt, oder die neue Partnerin hat selbst Kinder und er wendet sich von seinen eigenen ab.

3.3. Umgangsregelung aus gerichtspsychologischer-psychiatrischer Sicht

Nach Arntzen (1980) wäre ein monatlicher Besuch und zusätzlich ein zweimalig längerer Ferienbesuch und bei Doppelfeiertagen der zweite Tag eine im psychologischen Sinn normale Besuchsregelung. Das Kind wird in der Gemeinschaft, in der es jetzt lebt, nicht massiv gestört. Bei großer Entfernung schlägt er Brief- und Telefonkontakt vor. Hingegen spricht Ell (1980) für eine flexible Einteilung, keine Regelung der Häufigkeit und Zeitdauer, denn das Kind kann seine Wünsche äußern. Er schlägt ein Besuchswochenende vor, an dem das Kind, wenn es einverstanden ist, beim Vater schlafen kann. Bei Kleinkindern soll sich der Besuch in Anwesenheit der Mutter auf ein paar Stunden pro Woche beziehen. Nach Lempp kann eine harmonische Regelung für das Kind auch belastend sein, weil es nicht mehr weiß, welcher Autorität es folgen soll, wo es richtig hingehört, und es kann Schuldgefühle entwickeln. Wenn es neue Partner gibt, steht Lempp einem ausgedehnten Besuchsrecht eher ablehnend gegenüber.

4. Alleinerziehende Väter

Definition: "Eine Familie mit einem alleinerziehenden Elternteil besteht aus einem Vater oder einer Mutter ohne Partner und seinen/ihren Kindern unter 16 Jahren, oder Kindern im Alter von 16 bis 19 Jahren, die sich noch in schulischer Ausbildung befinden. Eltern, die mit einem Partner zusammenleben oder deren Kinder nicht mehr abhängig sind, werden nicht als alleinerziehende Eltern betrachtet." Unter einem alleinerziehenden Vater versteht man einen Mann, der die alleinige Verantwortung für die tägliche Versorgung und Pflege seiner Kinder übernommen hat, wobei die Kinder ihre Mutter auch sehen können. Falls der Vater bei seinen Eltern oder einer Partnerin wohnt, gilt diese Definition nicht. Es läßt sich ein kontinuierlicher Zuwachs von alleinerziehenden Vätern feststellen. Schätzungen besagen, daß mindestens 30 % aller Kinder, die heute aufwachsen, eine Scheidung der Eltern erleben und weitere 15 bis 20 % einen Elternteil durch Tod verlieren oder Kinder von unverheirateten Männern und Frauen sind. In 17 % der Familien mit einem alleinerziehenden Elternteil ist der Vater alleinerziehend. Aber die Wiederverheiratungsrate bei alleinerziehenden Vätern liegt etwas höher als bei alleinerziehenden Müttern, sodaß die Kinder durchschnittlich nur zwei Jahre in diesem Familiensetting verbringen.

Der Übergang zur alleinigen Elternschaft erfordert vom Vater, daß er damit fertig werden muß ohne Partner zu leben und alleinerziehender Elternteil zu sein. Die Anpassung an diese Rolle ist mit großer Unsicherheit verbunden, und hängt auch von den Ursachen und Rahmenbedingungen ab, die zu dieser Situation geführt haben. Grundsätzlich ist noch immer die Ansicht vorherrschend, daß ein Kind seine Mutter braucht. In einer Untersuchung von Biermann und Biermann wird bewiesen, daß kleine Kinder nach der Scheidung bei ihrer Mutter besser aufgehoben sind. Andere Untersuchungen sagen, daß die Zuteilung des Rechts der elterlichen Sorge an die Mutter den Regelfall darstellen muß. Folglich muß der Vater gravierende Argumente bringen, um seinen Antrag auf Sorgerecht untermauern zu können. Das endet wieder in sehr vielen Konflikten und wirkt sich negativ auf die Kinder aus.

Lewis (1978) unternahm eine Klassifikation alleinerziehender Väter nach den Ursachen. Er konnte vier Ursachen unterscheiden:

Tod der Ehefrau (ein Drittel bis Viertel aller Fälle)

Adoption (alleinstehende Männer in guten Positionen adoptieren sich Jungen im Schulalter, die in der Regel als "schwierig" gelten)

elterliche Trennung (durch Übereinkunft oder Zwang)

Scheidung (Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater).

Diese Form tritt am häufigsten auf, entweder erhalten die Väter das Sorgerecht durch Zuerkennung (adjudication) oder durch Zuweisung (allocation). Mendes (1976) teilt die Väter in solche, die das Sorgerecht akzeptieren (assenters), die auf Grund von Tod, wegen zeitweiser oder andauernder Unfähigkeit der Ehefrau oder weil sie von ihr verlassen wurden, sich um die Kinder kümmern müssen. Dann gibt es noch die Kategorie der Sucher (seekers), die das Sorgerecht der Kinder bei Gericht beantragen, weil sie schon während der Ehe aktiv an der Erziehung beteiligt waren und sich nicht mit der Rolle als Wochenendvater zufriedengeben wollen. Aber es kann auch die Rache an der Ehefrau sein, weil sie eine neue Beziehung eingegangen ist oder daß ein Mann seiner "schuldigen" Frau keinen Unterhalt zahlen möchte.

4.1. Situation der alleinerziehenden Väter

Mendes (1976) unterscheidet alleinerziehende Väter auch nach ihren Familienstilen.

Alleinsorgender (der alleinerziehende Elternteil nimmt als einziger aktiv am Leben der Kinder teil), hilfreicher Elternteil (der alleinerziehende Elternteil teilt sich die Verantwortung mit dem Ehepartner, welcher die Familie finanziell unterstützt und mit den Kindern Aktivitäten z. B. in den Ferien unternimmt), nichtverwandter Ersatz (diese Person kann ein/e Freund, Freundin oder eine Haushälterin sein, die sich um die Kinder kümmert und sie muß nicht im selben Haushalt wohnen, aber es gibt keinen legalen Anspruch), verwandter Ersatz (der verwandte Ersatz ist ein legaler Ersatz, der teilweise elterliche Pflichten übernimmt, z. B. die Großeltern) Elternteil dem Namen nach (der alleinerziehende Elternteil lebt mit den Kindern zusammen, aber er kann seinen elterlichen Pflichten nicht nachkommen auf Grund von Drogenkonsum oder psychischer Krankheit). Es stellt sich die Situation eines alleinerziehenden Vaters auch sehr schwer dar, wenn man bedenkt, daß alle Hilfsangebote in Erziehungsfragen oder im sozialpolitischen Bereich auf die Mutter abgestimmt sind. Auch hat die Öffentlichkeit Probleme mit einem alleinerziehenden Vater umzugehen, was zu einer zusätzlichen Verunsicherung des Vaters führen kann. Ein offensichtliches Handicap für alleinerziehende Väter stellt die Vereinbarung von beruflicher und familiärer Rolle dar, denn die Väter bekommen in den seltensten Fällen Unterhalt bezahlt, also müssen sie die Rolle des Ernährers beibehalten. Häufig sind aber die Väter, die das alleinige Sorgerecht beantragen, in einer beruflich gut situierten Position, und sie verfügen über eine gute Ausbildung. Für Väter in weniger guten Positionen stellt sich die Situation problematischer dar, denn sie können sich ihre Arbeitszeit nicht einteilen. Manchmal müssen sie die Arbeitsstelle wechseln, oder bei Kleinkindern zu Hause bleiben, was natürlich eine finanzielle Einbuße bedeutet. Es kann dazu führen, daß sich diese Männer wertlos fühlen, zu Depressionen oder Aggressionen neigen. Auf Grund der schlechteren finanziellen Situation ist auch die Lebensqualität schlechter: Verschlechterung der Wohnsituation, weniger gemeinsame Unternehmungen der Familie in der Freizeit, weniger Sozialkontakte usw. Eine wichtige Voraussetzung für die Anpassung der alleinerziehenden Väter an ihre Situation ist eine gesicherte ökonomische Situation (trifft natürlich auch auf alleinerziehende Mütter zu!). Gewöhnungsbedürftig ist für alleinerziehende Väter auch die Führung des Haushalts, wobei sie nicht wissen, wieviel sie ihren Kindern zumuten können. Berufstätige Männer klagen über zuwenig Zeit für die Kinder. Väter, die ihre Arbeit aufgrund der Kinder aufgegeben haben, klagen über zuviel Zeit und über die soziale Isolation. Denn die sozialen Kontakte sind auch sehr mager, weil andere Männer diese Rolle nicht anerkennen können, bzw. weil man andere Interessen hat. So klagen viele Väter über Einsamkeit, auch in sexueller Beziehung leiden Männer mehr unter dem Verlust von vertrauensvollen Beziehungen als Frauen. Punkto Erziehung haben Väter auf lange Sicht weniger Probleme mit den Kindern als Mütter, überhaupt dann, wenn sie sich schon während ihrer Ehe verstärkt um die Erziehung der Kinder gekümmert haben und wenn sie sich aktiv um das Sorgerecht bemüht haben.

Hippgrave (1982) nennt drei Hauptängste alleinerziehender Väter: Die Annahme, daß das Aufwachsen des Kindes in einer Familie mit nur einem Elternteil für das Kind in jedem Fall eine Streßsituation bedeutet, was dazu führt, daß die Väter ständig darauf warten, daß sich beim Kind unangepaßtes Verhalten zeigt. Sie fürchten, daß die Konflikte nur unter der Oberfläche schlummern und irgendwann hervorbrechen.

Alleinerziehende Väter sind auch unsicher, ob sie die emotionalen Bedürfnisse ihrer Kinder befriedigen können nach der Redensart: "Was ein Kind braucht, ist Mutterliebe."

Die Väter befürchten, daß sie insbesondere ihre Töchter nicht richtig erziehen. Die Zeit der Pubertät erscheint ihnen als schwierig, und sie suchen dann bei Frauen Rat.

Mendes (1976) weist auf einige Faktoren hin, die bei der Erziehung verstärkt Probleme machen können: der Glaube des Vaters, daß er keine andere Wahl hatte, als die Kinder zu nehmen; der Übergang zur alleinigen Vaterschaft ohne Vorbereitung; Gedanken an die Ehe, daß sie nicht hätte beendet werden dürfen; und die Unfähigkeit des Vaters, vorhandene emotionale, finanzielle und soziale Möglichkeiten ausreichend auszuschöpfen, die ihm die Ausübung der elterlichen Rolle erleichtern könnten.

4.2. Sicht der Kinder

Wenn man kurz auf die Kinder alleinerziehender Väter eingeht und auf Aspekte des Zusammenlebens, kann man sagen, daß man auch von den Kindern große Anpassungsleistungen fordert. Sie beginnen ihr Vaterbild bald zu revidieren, weil sie das veränderte Rollenbild des Vaters als positiv erleben und ihre Anerkennung auch kundtun. Alleinerziehende Väter berichten immer wieder, daß die Zuerkennung des Sorgerechts einen positiven Effekt auf die Eltern-Kind-Beziehung ausgeübt habe, und sie bezeichnen ihre Beziehung zu den Kindern als nah, liebevoll und besser als vor der Scheidung bzw. Trennung. Alleinerziehende Väter neigen eher zu einem demokratischen Erziehungsstil. Das wirkt sich positiv auf die kognitive Entwicklung, auf den Lernerfolg und die schulische Leistung der Kinder aus. Überhaupt bei Jungen konnte eine bessere Entwicklung festgestellt werden, auch was ihre sozialen Kompetenzen und ihre Geschlechtsrollenorientierung betrifft. Mädchen in mutterlosen Familien wiesen ein weniger reifes Sozialverhalten auf und waren im Umgang mit ihrem Vater fordernder. Studien, die sich mit der Familienform der alleinerziehenden Väter beschäftigen, weisen immer wieder daraufhin, daß diese Untersuchungen eine Menge ungeklärter Fragen hinterlassen und nicht repräsentativ sind. Die Familie mit einem alleinerziehenden Vater erscheint eher als eine Übergangslösung denn als eine eigenständige Familienform. Die Alleinerziehung durch den Vater hat ihre eigene Qualität, besonders weil die Väter in ihrer Rolle sicherer werden und auch für sich Befriedigung daraus ziehen. Wichtig ist auch die Einbeziehung der Mutter in diesem Fall, um günstige Voraussetzungen für die Kinder zu schaffen. Abschließend wäre noch zu sagen, daß die Erziehung durch den Vater nicht minderwertig ist, besonders dann nicht, wenn die Rahmenbedingungen dieser Familienform auch seitens der Politiker verbessert würden.

5. Väter in Stieffamilien

Die Wiederverheiratungsrate ist sehr hoch, 75 % bis 80 % der geschiedenen Personen heiraten wieder. 1980 war bei 36 % der Eheschließungen ein Partner beteiligt, der bereits einmal verheiratet gewesen war. Der Trend ist so, daß Männer generell eher wieder heiraten als Frauen und auch Personen, die bei der Scheidung noch jünger waren. Aus der relativ hohen Wiederverheiratungsrate kann man sehen, daß Scheidung nur eine Übergangsphase in einem Prozeß ist, wobei die Dauer dieser Phase 3 bis 5 Jahre dauert. Wenn man die Stieffamilien betrachtet, so waren sie im allgemeinen größer als die Kernfamilien, die Kinder sind durchschnittlich älter als die Kinder, die mit ihren leiblichen Eltern zusammenleben, der sozioökonomische Status der Stieffamilien lag leicht unter dem von Kernfamilien, die Mütter in Stieffamilien waren im Durchschnitt älter, hatten eine geringere Schulausbildung und waren mit größerer Wahrscheinlichkeit berufstätig. Wie Untersuchungen zeigen, weist die zweite Ehe geringere Stabilität auf, und es kommt in 40 % dieser Ehen innerhalb von 5 Jahren wieder zu einer Scheidung. Gründe können die Kinder aus erster Ehe sein oder auch die geringere Hemmschwelle bezüglich einer Scheidung.

Definition: Ursprünglich war der Stiefelternteil der Ersatz für den gestorbenen Elternteil und rückte an dessen Stelle. Unter dem heutigen Begriff des "Stiefvaters" können verschiedene soziologische Sachverhalte subsumiert werden. Eine allgemeine Definition wäre, den Stiefvater als den Ehemann der leiblichen Mutter von Kindern in einer nachfolgenden Ehe zu bezeichnen. Aber jeder Stiefvater ist nicht gleich dem anderen, denn man muß auch seine Vergangenheit miteinbeziehen. Er kann vorher verheiratet gewesen sein oder nicht, er kann Kinder aus einer früheren Ehe haben oder nicht und er kann für eventuell vorhandene Kinder das Sorgerecht haben oder nicht. Der Stiefvater kann vor der Ehe ledig gewesen sein, aber mit einer Frau zusammengelebt haben oder verwitwet sein. Sollte er bereits Kinder aus erster Ehe haben, kann es sein, daß er das alleinige Sorgerecht, ein gemeinsames, ein geteiltes oder überhaupt kein Sorgerecht besitzt. Die Stieffamilien können sich also aufteilen in Stiefmutter-Familien, Stiefvater-Familien, zusammengesetzte Familien und zusammengesetzte Familien mit einem (mehreren) gemeinsamen Kind(ern).

5.1. Rolle des Stiefvaters

Der Stiefvater kann seine Rolle schwer definieren – Elternteil, Stiefelternteil, Nicht-Elternteil, Vater oder Freund? Es ist für ihn einmal nicht leicht in die neue Familie integriert zu werden, denn nach der Scheidung haben sich die Mutter und die Kinder enger zusammengeschlossen und sie sind selbständiger geworden. Er weiß nicht, welche Erwartungen man an ihn hat, die Kinder wissen nicht, wie sie ihn benennen sollen und geraten in Loyalitätskonflikte dem leiblichen Vater gegenüber. Es ist also schwierig für die Kinder, sich an den Stiefvater zu gewöhnen, und er kann auch zu den Kindern nicht sofort ein "natürliches" Verhältnis haben, was auf seine persönliche familiäre Vergangenheit zurückzuführen ist. Wenn der Stiefvater keine Kinder hat, fällt ihm die Erziehung der Stiefkinder leichter, und es gibt seltener Konflikte mit den leiblichen Elternteilen. In Untersuchungen konnte herausgefunden werden, daß Stiefväter die Kinder bewußter erziehen und die Erziehung mit ihrem Partner eingehender diskutieren, was auf die Erfahrungen aus erster Ehe zurückzuführen sein kann. Die Stiefväter leiden auch unter Schuldgefühlen ihren eigenen Kindern gegenüber, was die Beziehung zu den Stiefkindern entweder beeinträchtigen oder zu Kompensationsversuchen führen kann. Stiefväter, die Kinder aus einer ersten Ehe haben, müssen Unterhaltszahlungen leisten, was für sie in der neuen Familie als Bürde empfunden wird. Außerdem wird die Unterhaltszahlung des leiblichen Vaters der neuen Familie als unangenehm empfunden, und sie würden das gerne ausschalten. Sie versuchen auch die Stiefkinder zu adoptieren, manchmal sogar gegen den Willen dieser.

5.2. Beziehung zwischen Stiefkind und Stiefvater

Eine rechtliche Regelung der Beziehung wäre angebracht, um eine klare Beziehung zwischen Stiefvater und Stiefkind zu erhalten, wobei man auch mit der Mutter einen Vertrag abschließen kann. Wiederverheiratete Eltern fühlen sich für die Veränderungen, die der Wechsel für das Kind mit sich bringt, verantwortlich, und sie versuchen eine möglichst emotionale Beziehung zu entwickeln. Die Stiefväter glauben, sie seien ungeeigneter in der Erziehung als die leiblichen Väter, und sie schätzen die Stiefkinder unglücklicher ein als diese sich selbst. Nach einer Befragung von Burgoyne und Clark (1982), welche Erwartungen Stiefväter an sich selbst richten, waren materielle Versorgung der Familie, Konzentration auf das Familienleben, sich für bestimmte Aufgaben verantwortlich fühlen und Spielen mit den Kindern die Antworten. Sie setzen meist ihre eigene Beziehung zu den Kindern herab und fühlen sich für ihre Probleme verantwortlich. Ein negativer Aspekt der Stiefelternschaft ist der Wegfall des Inzest-Tabus, wodurch es öfter zu einem sexuellen Kindesmißbrauch kommt.

5.3. Auswirkungen von Stiefelternschaft

Bei einer Wiederverheiratung sinken die Schulleistungen der Kinder, wobei Umzug und Schulwechsel wesentliche Faktoren sind, aber dieses Tief kann nach einer bestimmten Anpassungszeit ausgeglichen werden. Ein mehrmaliger Wechsel ist als Stressor aufzufassen und führt zu einer leichten Leistungsbeeinträchtigung, denn das Kind kann sich auf die jeweilige Situation nicht mehr einstellen. In vielen Untersuchungen konnte festgestellt werden, daß die Leistungen von Stiefkindern zwischen denen aus intakten und alleinerziehenden Familien liegen. Hinsichtlich der psychosozialen Entwicklung, ICH-Stärke, gleicht der Stiefvater nachteilige Effekte der Vaterlosigkeit aus. Die Vaterfigur ist verfügbar und kann als soziales Modell dienen, die wiederverheiratete Mutter drückt in ihrer neuen Partnerschaft eine gute psychosoziale Anpassung aus. Bezüglich des Selbstwertgefühlskam man zu unterschiedlichen Ergebnissen: einerseits kommt es bei Stiefkindern zu vermehrten Streßerlebnissen, negativen Gefühlen und geringe Selbstschätzung, andererseits fühlen sich Kinder auch nicht schlechter oder besser behandelt wie Kinder von leiblichen Eltern. Das Selbstkonzept wurde anhand eines Fragebogens ermittelt. Laut Ergebnissen von Parish und Dostal (1980) entwickeln Kinder in intakten Familien Selbstkonzepte, die sie als positiv beschreiben und die denen ähnlich sind, die sie ihren Eltern zuschreiben. Bei einer Scheidung verändern sich die Selbstkonzepte der Eltern in die negative Richtung. Bei Wiederverheiratung gleichen sich die Selbstkonzepte denen des Stiefvaters an, der Charakter der Beschreibung wird positiver, wobei die Charakterisierung des leiblichen Vaters stärker von der Selbstdarstellung des Kindes abweicht.

5.4. Faktoren, die diese Auswirkungen beeinflussen

Der Stiefvater ist in erster Linie der neue Partner der Frau. Komplikationen in der neuen Konstellation ergeben sich daraus, daß es auch noch einen leiblichen Elternteil gibt, daß es zu wirtschaftlichen und geographischen Veränderungen kommt; problematisch ist auch die Zeit, die Kinder von der Trennung der Eltern bis zur Wiederverheiratung brauchen. Eine gute Beziehung zwischen der Mutter der Kinder und dem Stiefvater erleichtert die Anpassung der Stiefkinder an die veränderte Situation. Die Beziehung zwischen dem Stiefvater und dem Stiefkind braucht sehr viel Zeit, um sich entwickeln zu können. Der Stiefvater muß seine Rolle erst für sich selbst definieren, und es dauert 1,5 – 2 Jahre bis er ein gleichberechtigtes Mitspracherecht bei der Disziplinierung der Kinder hat. Der Stiefvater kann für die Kinder wichtig sein, besonders die Qualität der Beziehung, aber er soll nicht in Konkurrenz mit dem leiblichen Vater treten. Es kommt auch vor, daß sich die Kinder gegen den Stiefvater wehren, ihn nicht akzeptieren können und sich von ihm nichts sagen lassen. Der Eintritt des Stiefvaters verläuft bis zu einem Alter des Kindes von etwa 6 oder 7 Jahren mehr oder weniger unproblematisch oder sogar vorteilhaft. Negative Vorurteile haben keine Berechtigung. Der Stiefvater ist nicht nur wichtig als neuer Partner der Frau, sondern er kann auch einen positiven Beitrag für die Entwicklung der Kinder seiner Frau leisten.

6. Zusammenfassung und persönliche Stellungnahme (Carina Kreuzinger)

In allen diesen unterschiedlichen Familienstrukturen rückt der Vater als Erzieher in den Mittelpunkt. Wenn man sich in unserer heutigen Zeit umsieht, muß ich sagen, daß in manchen Familien diese Veränderung bereits bemerkbar ist. Viele Väter kümmern sich intensiver um die Kinder und erleben die Entwicklung viel bewußter. Der Trend geht eher in die Richtung, daß Väter ihre Rolle als Elternteil und insbesondere ihre Verantwortung ernst nehmen und nicht mehr nur der sein wollen, der das Geld nach Hause bringt. Egal, ob man sich den Vater jetzt als Alleinerziehenden, Nichtsorgeberechtigten oder als Vater eines unehelichen Kindes vorstellt, ist die Gesellschaft in ihrer Ansicht noch ein bißchen hinten nach. Nicht nur das Gesetz gehörte aktualisiert, auch die tradierten Einstellungen sollten sich verändern. Männer, die die Rolle des Alleinerziehers übernehmen, werden noch immer belächelt und oft nicht verstanden. Meiner Meinung nach sollte man in einer Zeit, in der man für alles Moderne offen ist, nicht in der Beziehung Scheuklappen aufhaben. Warum soll ein Vater nicht das Recht haben die Erziehung seiner Kinder zu übernehmen, und vor allem warum soll er nicht fähig dazu sein? Ich finde, daß ein Vater bei der Erziehung genauso wichtig ist wie die Mutter, und die Zeiten, wo man die Kinderpflege allein der Mutter zugeschoben hat, sollten doch langsam vorbei sein. Im nächsten Kapitel geht es vorwiegend um Väter, die den Job als Hausmänner und Kindererzieher übernommen haben und die zeigen, daß man als Mann diese Rolle genauso gut erfüllen kann. Der Begriff des "Neuen Vaters" wird in diesem Zusammenhang eingeführt und kennzeichnet den Umbruch. Unsere neuen Väter nehmen ihre Pflichten in der Erziehung wahr und setzen sich bewußt damit auseinander.
 
 

7. Neue Väter

Es handelt sich einerseits um Männer, denen die traditionelle Männerrolle als außerhäuslicher Berufsmann und Familienernährer zu wenig ist, und die sich sowohl an der Kindererziehung aktiv beteiligen wollen als auch Haus- und Familienarbeit partnerschaftlich teilen möchten (Werneck, 1998). Laut Zulehner (1994) dominiert aber auch heute noch der traditionelle Mann, der das Männerbild als bequem und naturgemäß erachtet und praktiziert; allerdings beginnen immer mehr Männer – vor allem jüngere – an diesem traditionellen Bild zu zweifeln. Diese werden zwar nicht sofort "neu", liegen aber mit ihren Einstellungen im mittleren Bereich. Neue oder fast neue Männer wollen mehr Zeit mit der Familie und den Kindern verbringen. Sie erfahren dadurch Selbstbestätigung, während die Frauen diese vermehrt durch Engagement im Berufsleben erhalten. Das steigende Interesse der Väter an ihren Kindern zeigt sich bereits durch Einbeziehung und Teilnahme der Väter bei Schwangerschaft und Geburt. Auch die Teilnahme der Väter an Säuglingspflegekursen bestätigt ihre prinzipielle Einstellung zur Bereitschaft für eigenes Engagement in der Pflege und Betreuung des Kindes (Petzold). Nach der Geburt sind Väter wenig in die Kinderbetreuung involviert, mit zunehmenden Alter steigt die Beteiligung an der Erziehung.

Vor allem jüngere Väter engagieren sich mehr an der Versorgung der Kinder als ältere (Nickel, 1988). Da traditionelle Rollenverteilungen vermehrt am Land zu finden sind, kommen die Väter, die sich an der Kindererziehung beteiligen, vielfach aus dem städtischen Gebiet und verfügen sie über höheres Bildungsniveau, zeigen aber parallel dazu stärkere Problemwahrnehmung und Belastung. Erhöhte Beteiligung in der Kindererziehung geht mit geringerer ehelicher Zufriedenheit der Männer einher (Petzold, 1991).

8. Neue Väter in Karenz

Andererseits sind unter neuen Vätern auch jene Männer zu verstehen, die bereit sind die Rollen zu tauschen, Hausmann zu werden und ihr Kind zu erziehen. Allerdings stellen diese Männer eine Minderheit dar. 1994 nahmen in Österreich 1009 Männer die Möglichkeit, in Karenz zu gehen, in Anspruch. Das Verhältnis Karenzväter zu -mütter beträgt 1 zu 120. Im Gegensatz dazu nimmt in Schweden – als einziges Land der EU – die Mehrheit der Väter Erziehungsurlaub.

8.1. Wer durchbricht die Rollenklischees?

Laut Pruett beeinflussen die Erfahrungen der Männer mit dem eigenen Vater ihre Bereitschaft zu Hause beim Kind zu bleiben. So haben die Väter entweder eine besonders enge Beziehung zum Vater erlebt, die sie auch zum Kind aufbauen wollen oder aber eine Kindheit erfahren, in der das Verhältnis zum Vater sehr distanziert war und sie eine solche Vater-Kind-Beziehung vermeiden wollen. Weiters sind jüngere Männer frauenfreundlicher eingestellt und eher zu einem Rollentausch bereit als ältere (Metz-Göckel, 1986). Bei der Hälfte der Karenzväter ist es das erste Kind, um das sie sich kümmern. Wie oben gilt, daß viele Karenzvaterfamilien im städtischen Gebiet wohnen (ein Viertel in Wien). Die meisten dieser Familien kommen aus der Mittel- und Oberschicht, wobei die hohe Qualifikation der Elternpaare zu erwähnen ist. Ein Viertel haben ein Hochschulstudium abgeschlossen – im Vergleich dazu sind nur 8 % der Gesamtbevölkerung in diesem Altersbereich Akademiker. Prinzipiell arbeiten im Haushalt hochqualifizierte Männer mehr mit als weniger qualifizierte und auch Männer hochqualifizierter Frauen kümmern sich mehr um die Hausarbeit (Deutsch & Janik, 1993).

8.2. Der Entscheidungsprozeß

Die Idee, in Karenz zu gehen, entsteht zu verschiedenen Zeitpunkten, wobei Angaben über Zahlen sich von Studie zu Studie unterscheiden:

Bei einem Drittel der Befragten war bereits vor Schwangerschaftsbeginn klar, daß der Mann in Erziehungsurlaub geht. Laut Pruett gehören zu dieser Gruppe Freiberufler, Studenten, Angehörige der Oberschicht. Bei vielen Paaren kommt die Idee der Inanspruchnahme des Karenz durch den Vater zu unterschiedlichen Zeitpunkten während der Schwangerschaft, im kurzfristigsten Fall während des Mutterschutzes. Eine Minderheit entscheidet sich erst nach der Geburt dafür, daß der Mann in Karenz geht, wobei die Gründe verschieden sind (z. B. Arbeitslosigkeit). Viele dieser Väter sind anfangs zögernd, widerwillig und unsicher. Gerade diese Spätentschiedenen halten die Rolle als Hauptbezugsperson am längsten durch und üben sie sehr betont und überzeugt aus (Pruett, 1988). Selten ist es der ausdrückliche Wunsch der Frau, daß der Vater den Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt, sondern meistens geht die Initiative von beiden Partnern aus. Allerdings müssen Männer auch für ihr Recht kämpfen, ihr Kind versorgen zu können. So mancher Mann muß sich gegen die Einstellung der Partnerin durchsetzen, daß Kindererziehung Sache der Frau ist.

8.3. Motive

Suche nach emotionaler Nähe zu ihren Kindern ist das Hauptmotiv finnischer Väter, Erziehungsurlaub zu nehmen (Huttunen, 1993). Im deutschsprachigen Raum gibt es dagegen nicht den Grund für die Inanspruchnahme des Karenz durch den Vater, sondern die Entscheidung wird durch mehrere Faktoren beeinflußt. Trotz individueller Lebensgestaltung der Familien sind die dahinterstehenden Motive ähnlich. Väter wollen mehr Zeit mit der Familie verbringen und sich aktiv an der Kindererziehung beteiligen – Freizeitvater zu sein ist ihnen zu wenig. Sie möchten eine intensivere Beziehung zum Kind aufbauen, seine Entwicklung aktiv miterleben und Entscheidungen in bezug auf das Kind treffen bzw. beeinflussen. Zum Teil haben sie das Bedürfnis, das nachzuholen, was sie bei ersten Kindern versäumt haben. Außerdem glauben die Väter, daß ein intensiver Kontakt zum Vater für die Entwicklung des Kindes wichtig und förderlich ist. Erziehungsurlaub wird von den Männern auch als Möglichkeit gesehen, vom Beruf Abstand nehmen zu können. Karenz bietet sich als Abwechslung im Alltag an. Gleichzeitig ermöglichen die Männer ihren Partnerinnen weiterhin berufstätig zu sein. Einige Frauen können oder wollen ihre Ausbildung nicht unterbrechen oder nicht länger aus dem Berufsleben aussteigen. Auch hier sind die Hintergründe verschieden: Zum Teil leiden die Frauen unter der unbefriedigenden Situation zu Hause. Sie fühlen sich unterfordert und von der Außenwelt isoliert. Manche wollen nicht auf einen Beruf verzichten, der ihnen Spaß macht und wichtig ist; andere möchten ihren alten Arbeitsplatz erhalten oder die Chancen nutzen und eine neu angebotene Stellung anzunehmen. Karriereorientierte Frauen sehen ihre beruflichen Möglichkeiten durch einen längeren Karenzurlaub eingeschränkt oder sind für den Betrieb schwer ersetzbar. Prinzipiell versuchen die Eltern berufliche Benachteiligungen zu minimieren und für alle Beteiligten eine passende Lösung zu finden. Eine möglichst kurze Unterbrechung ihrer beruflichen Tätigkeit ist für Selbständige besonders wichtig – ein späterer Berufswiedereinstieg wäre nur unter erschwerten Bedingungen oder gar nicht möglich. Außerdem haben Selbständige keinen Anspruch auf Karenzgeld – die finanzielle Situation ist zwar selten das Hauptmotiv, daß sich der Vater um das Kind kümmert, spielt aber doch eine nicht unwesentliche Rolle in der Diskussion, wer von den Eltern den Erziehungsurlaub beanspruchen soll. Grundvoraussetzung für die Entscheidung pro Mann ist der vergleichbare Verdienst der Partnerin. Sie muß über ein mindestens so hohes Einkommen verfügen wie ihr Mann. Oft arbeitet der Mann neben den Kindern im Haus und ersetzt so Handwerker. Zusätzliche Beweggründe für die Inanspruchnahme der Karenzzeit durch den Mann sind die Einstellungen beider Elternteile: sie plädieren für eine egalitäre Beteiligung an Erwerbs-, Haus- und Familienarbeit. Keiner soll bestimmte Lebensbereiche aufgeben oder sich auf welche fixieren müssen. Ursachen, warum manche Väter trotz vorhandener Bereitschaft letztendlich nicht in Erziehungsurlaub gehen, sind den oben genannten Motiven sehr ähnlich und liegen meist im beruflichen Umfeld. Einerseits werden negative Konsequenzen für den beruflichen Werdegang werden befürchtet, andererseits äußern aber auch Frauen das Bedürfnis, sich um das Kind zu kümmern – gleichzeitig haben sie die Möglichkeit, von ihrer Arbeit zu pausieren. Schlußendlich verhindern auch finanzielle Gründe, warum manche Väter nicht in Karenz gehen können. Unter anderen Voraussetzungen wären mehr Männer bereit, in Karenz zu gehen (z. B. über die Hälfte in der Studie von Werneck, 1998). Es darf aber nicht vergessen werden, daß die Teilung der Kindererziehung bei einem beträchtlichen Teil der Väter nicht einmal diskutiert oder in Erwägung gezogen wird.

8.4. Erwartungen in den Erziehungsurlaub

Nur wenige Väter haben keine Vorstellungen von der Karenzzeit. Die Väter freuen sich vorwiegend auf die Zeit mit dem Kind, wobei sie aber auch Angst vor unangenehmen Tätigkeiten haben und sich im Umgang mit Kindern inkompetent fühlen. Sie möchten sich viel mit dem Kind auseinandersetzen, viel mit ihm unternehmen und die Entwicklung genau mitverfolgen. Gleichzeitig steht mehr Zeit für die Familie, den Haushalt und handwerkliche Tätigkeiten zur Verfügung. Außerdem hoffen die Väter mehr Zeit für sich selbst zu haben. Negative Erwartungen an den Erziehungsurlaub hegen die wenigsten Männer.

8.5. Folgen der partnerschaftlichen Rollenverteilung

Kind

Zum Großteil entwickelt sich die Vater-Kind-Beziehung positiv. Sie wird enger und inniger erlebt. Die Vertrautheit zum Kind wird als Bereicherung gesehen – Reaktionen des Kindes werden besser verstanden. Väter haben das Gefühl, von ihren Kindern noch etwas lernen zu können. Sie erleben sich außerdem als mütterlich und erfahren, daß sie auch mütterliche Funktionen einnehmen können und ihrer Partnerin gleichgestellt sind.

In den USA stellte Pruett fest, daß die betroffenen Kinder in bestimmten Bereichen besonders begabt sind; mit zunehmenden Alter sinkt der Grad, in dem sie den Altersgenossen voraus sind (Annahmen: bedingt durch den besonderen Umgang des amerikanischen Vaters mit dem Kind; mit dem ersten Kind beschäftigt man sich intensiver; Männer können sich für oder gegen Familienarbeit entscheiden; letztendlich erhält das Kind von zwei Elternteilen Förderung). Frauen empfinden die veränderte Situationen als erleichternd, freuen sich auf das Kind, wenn sie nach Hause kommen und genießen die gemeinsame Zeit. Durch die Berufstätigkeit erfahren sie Selbstbestätigung und schöpfen daraus Kraft, die wiederum der Familie zugute kommt. Zum Teil sind Frauen überrascht, daß Männer das auch können, leiden aber auch darunter, das Kind dem Mann zu überlassen und haben Schuldgefühle. Darum beschäftigen sie sich noch intensiver mit dem Kind. Manchen fällt es schwer, sich nach der Hektik im Beruf auf das langsame Tempo des Kindes einzustellen oder reagieren auf die gute Vater-Kind-Beziehung eifersüchtig. Über die Ziele der Kindererziehung herrscht meist Einigkeit. Zu keinen Konflikten kommt es, wenn die Zuständigkeiten in der Erziehung von Beginn an festgelegt sind oder gänzlich dem Karenzvater überlassen bleiben. Ist das nicht der Fall, sind Diskussionen um verschiedenen Standpunkte notwendig. Des öfteren ändern Männer im Laufe ihres Erziehungsurlaubes die Einstellung zum Kind und dessen Erziehung. Sie gehen anders mit dem Kind um, sind konsequenter, während die Frauen toleranter werden.

Partnerschaft

Für die Paarbeziehung steht weniger Zeit als früher Verfügung. Als Grund dafür wird weniger der Karenzurlaub des Vaters angenommen, sondern eher die Erweiterung der Familie an sich. Durch ihre Erfahrungen im Erziehungsurlaub oder im Berufsleben bringen die Partner dem anderen mehr Verständnis entgegen. Männer erfahren die Belastungen des Hausmanndaseins und erleben Solidarität mit den früheren Problemen der Partnerinnen. Sie beginnen die alltägliche Frauenarbeit zu schätzen; oft erfahren die Frauen eine höhere Wertschätzung durch ihre Berufstätigkeit als früher und sind entspannter, was sich positiv auf das Familienklima auswirkt. Die Wirkungen auf die Partnerschaft sind unterschiedlich. Viele Paare erfahren trotz weniger Zeit eine intensivere Beziehung – das erhöhte gegenseitige Verständnis dürfte sich also positiv auf die Partnerschaft auswirken. Die Ergebnisse in der Literatur sind aber widersprüchlich, da es z. B. nach Werneck zum Absinken der Qualität in der Partnerschaft kommt und eine eher kritische Phase durchgemacht wird.

Persönliches Wohlbefinden

Frauen fühlen sich durch die veränderten Zuständigkeitsbereiche teilweise verunsichert, entwickeln aber auch Vertrauen in Kompetenz der Männer. Diese bauen Ängste und Unsicherheiten im Umgang mit dem Kind ab. Auswirkungen der Vater-Kind-Beziehung sind positiv für das psychische Wohlbefinden. Allerdings leiden Väter in Karenz mit zunehmender Dauer unter den gleichen Belastungen wie karenzierte Frauen. Ein Problem stellt die Isolation dar. Karenzväter bauen zwar Kontakte während ihres Erziehungsurlaubes auf, wünschen sich aber auch solche zu Erwachsenen ohne daß Kinder beteiligt sind. Während manche Männer mit ihrer Freizeitgestaltung zufrieden sind und das Gefühl eines größeren Freiraumes haben, fühlen sich andere doch wiederum in ihrer Freizeitgestaltung eingeschränkt und vermissen Unternehmungen ohne Kinder oder spontane Aktionen. Ähnlich individuell sind die Einstellungen zur Arbeit: Unterforderung wird oft genannt, andere Väter sind weniger berufsorientiert.

Haushalt

Wie bei der Kindererziehung gilt hier: Je partnerschaftlicher der Haushalt früher geführt wurde, desto leichter wird der Übergang zum Hausmann vollzogen. Weiters kann es auch zur Änderung der Einstellung zur Hausarbeit kommen. Die Praxis zeigt, daß sich die Hausmänner die Arbeit leichter vorgestellt haben und sich auch ihr Stellenwert erhöht. Gleichzeitig richten Frauen höhere Anforderungen an die Haushaltsführung. Die meisten Männer sind mit der Aufteilung zufrieden – nur wenige sprechen sich für mehr Unterstützung von seiten der Frauen aus. Zu beachten gilt aber auch, daß sich einige Karenzväter auch nur für das Kind zuständig fühlen und die Hausarbeit den Frauen überlassen. Generell wird die Arbeit mit dem Kind dem Haushalt vorgezogen. Auch wenn die Hausarbeit die Karenzväter ausreichend ausfüllt, überfordert sie sie nicht. Die Karenzmänner kennen und erfahren aber sehr wohl Haushaltsfrust. Nur eine Minderheit kann sich längeres Hausmanndasein vorstellen, die meisten bevorzugen ein befristetes. Nach Ende des Erziehungsurlaub sind sie vorwiegend bereit, in der Kindererziehung und im Haushalt vermehrt mitzuarbeiten, da sie eine Vorstellung von Familien- und Hausarbeit entwickelt haben. Schlußendlich darf nicht vergessen werden, daß Frauen, deren Männer in Karenz sind, sich mehr an der Kindererziehung und im Haushalt beteiligen als Männer mit Frauen in Karenz. In Karenzfamilien dreht sich die Rollenaufteilung nicht um, sondern Familien- und Hausarbeit wird partnerschaftlicher geteilt, auch wenn Frauen noch immer das Zepter im Haushalt überlassen wird.

Finanziell

gibt es wenig Probleme, da die meisten Familien aus Mittel- oder Oberschicht kommen bzw. sich auf die Situation vorbereitet haben. Nur in Einzelfällen gibt es gelegentlich Meinungsverschiedenheiten über die veränderte finanzielle Situation.

Wenn der Mann den Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt, übernimmt die Partnerin die Rolle des Familienernährers und schlüpft dadurch in eine klassische Männerrolle. Karenzväter reagieren unterschiedlich auf den Verdienstausfall und die finanzielle Abhängigkeit. Ist es für viele irrelevant, wer das Geld verdient, gibt es doch Männer, die den Rollenwechsel und die finanzielle Abhängigkeit schwer verkraften.

8.6. Reaktionen des sozialen Umfeldes

Die Reaktionen spiegeln wider, daß der Vater in Karenz ein außergewöhnliches Phänomen ist – ein Exot sozusagen. Die dominante Reaktion der eigenen Eltern ist Unverständnis bzw. ein Tabuisieren der Tatsache – d. h. es wird nicht offen darüber gesprochen. Die Eltern rechnen mit negativen Konsequenzen für die berufliche Entwicklung des Sohnes; in ihren Augen hat er zu arbeiten. Das Kind brauche in diesem Fall seine Mutter, und sie zweifeln daran, daß ihr Sohn den Haushalt und die Kinderbetreuung schafft. Heißt es Anfang "Bist du wahnsinnig?", heißt es später "Toll, daß du´s so gut geschafft hast." Nur sehr wenige Eltern und auch Schwiegereltern äußern sich positiv zum geteilten Erziehungsurlaub. Je positiver die Reaktionen der Schwiegereltern sind, um so häufiger übernehmen sie die Kinderbetreuung. Die Bekannten und Freunde äußern sich über Erziehungsurlaub eher positiv und selten wird Neid oder Kritik geäußert. Besonders von Frauen erhalten sie Anerkennung. Die berufstätige Frau wird seitens ihrer Freundinnen und Bekannten bewundert, aber es wird ihr auch Neid und Unverständnis entgegengebracht. Auch bei den Arbeitskollegen reagieren die Frauen positiver, aber es gibt auch Kollegen, die dringend vom Erziehungsurlaub abraten – aus altruistischen oder egoistischen Gründen. Von den Arbeitgebern reagiert der Großteil negativ, was sich auf die zusätzlichen Mehraufgaben zurückführen läßt. Die Reaktionen reichen von Überraschung, über Unverständnis/Fassungslosigkeit bis zu hemmendem Verhalten. In der Nachbarschaft und weiteren Umgebung erfolgen nur selten negative Äußerungen, direkt wird Anerkennung geäußert, aber an manchen Verhaltensweisen erkennt man die konträre Haltung. Väter allgemein erfahren mehr Hilfsbereitschaft. Der Kontakt zu den Freunden bleibt erhalten, und es kommen noch neue Bekanntschaften aus Eltern-Kind-Gruppen, Spielplatz usw. hinzu.

8.7. Beurteilung des Erziehungsurlaubs

Die Erwartungen, die Väter in den Karenzurlaub setzen, beeinflussen das tatsächliche Erleben der Karenzzeit. In der Studie von Rosenkranz (1994) haben sie sich zur Hälfte nicht erfüllt. Der Erziehungsurlaub gestaltete sich nicht so angenehm wie erwartet – er war stressiger und schwerer bewältigbar als angenommen, die Väter hatten weniger Freizeit usw. Die andere Hälfte der Väter erlebten die Karenzzeit wie erwartet oder noch angenehmer. Im Verlauf ihrer Zeit mit dem Kind wurden sie im Umgang mit dem Kind immer sicherer. Die schönen Seiten des Erziehungsurlaubes sind Entwicklung und Lernerfolge des Kindes miterleben zu können. Die Väter können intensiv an der Entwicklung des Kindes teilnehmen und jeden Tag mit ihm bewußt erleben. Sie empfinden es auch als schön, viel Zeit für das Kind zu haben und diese Zeit frei gestalten zu können. Andere Aspekte waren: Genuß einer freien Zeiteinteilung, Spaß haben, Zeit für sich selbst haben, länger schlafen können und mehr Sozialkontakte. Als weniger schön werden die durch Haushalt und Kind entstehenden Belastungen erlebt. Besonders belastend werden Krankheiten des Kindes genannt, leichte Isolationsgefühle und weniger verfügbare Zeit in der Partnerschaft. Weiters kommen sowohl Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber hinzu, als auch die Reaktionen des sozialen Umfelds und finanzielle Sorgen. Trotz allem zweifeln die Männer nie ernsthaft an der Richtigkeit ihrer Entscheidung, auch wenn sich die meisten ein dauerhaftes Hausmannsein nicht vorstellen können.

9. Zusammenfassung (Tanja Kremser)

Auch wenn der traditionelle Mann noch dominiert, gibt es einen Wandel in Richtung neuer Männer und Väter. Während sich vor allem jüngere, in städtischen Gebieten Wohnende und höher Gebildete vermehrt an der Kindererziehung beteiligen, wagt aber nur eine Minderheit von ihnen die Verantwortung für das Kind zu übernehmen und in Karenz zu gehen. Die Entscheidung dafür wird auch, aber nicht ausschließlich, aus finanziellen und beruflichen Gründen getroffen; vielmehr wollen die Väter gleichzeitig eine stärkere Bindung zum Kind aufbauen. Die Folgen sind größtenteils positiv – aber mit Dauer der Karenzzeit leiden die Männer unter ähnlichen Problemen wie Karenzmütter. Trotzdem ist der Großteil der Männer von ihrer richtigen Entscheidung überzeugt – immer zu Hause zu bleiben kann sich aber nur eine Minderheit vorstellen. Männer befinden sich im Umbruch, müssen sich aber noch verstärkt von der traditionellen Rolle lösen; einerseits dadurch, daß sie von den wichtigen Frauen in ihrem Leben unterstützt und gefördert werden, andererseits durch den Staat und die Wirtschaft, indem diese Familie attraktiver machen.

10. Persönliche Stellungnahme (Tanja Kremser)

Neue Väter sind auch für mich nicht nur jene Männer, die Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, sondern auch solche, die zumindest versuchen im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Kind zu erleben – auch wenn das bedeutet, daß der Vater unter der Woche woanders als die Familie wohnt bzw. sich die Frau traditionell in Karenz befindet. Das muß nicht heißen, daß solche Menschen auch traditionelle Rollenvorstellungen haben. Sie haben sich für ein Leben entschieden, von dem sie glauben, daß alle davon profitieren werden. Für mich zählt die Einstellung der Partner zu Kind, Familien-, Beziehungs- und Hausarbeit. Ob dann tatsächlich der Mann oder die Frau in Karenz geht, ist für mich zweitrangig, obwohl ich es durchaus begrüßen würde, wenn mein Partner das letzte halbe Jahr Erziehungsurlaub beanspruchen würde. Die Bereitschaft ist – wie bei vielen Männern – vorhanden, doch auch in unserem Fall müssen die oben genannten beruflichen und finanziellen Voraussetzungen gegeben sein.

Das scheint ein wichtiger Punkt zu sein - wie auch eine kleine spontane Umfrage in meiner Umgebung ergab. Ich frage mich dann, warum der Anspruch auf Karenz für die Frauen so problemlos und selbstverständlich verläuft und von der beruflichen Seite der Männer so problembehaftet ist. Betriebe zeigen hier starken Nachholbedarf, andererseits sollte auch die finanzielle Komponente als Grund für die Nichtinanspruchnahme des Karenz durch die Männer wegfallen. Besteht keine Möglichkeit des Vaters in Karenz zu gehen, so kann er sich ebenso gut in der Kindererziehung engagieren. Ich denke, das Kind fühlt, wie der Vater zu ihm steht und wie stark dessen Interesse für ihn ist – ob er sich ganztags oder nur stundenweise um das Kind kümmert. Unsere Generation ist wahrscheinlich eine der ersten, die viele neue Väter hervorbringt oder hervorbringen kann – vereinzelt haben sie wohl schon früher existiert. An dieser Stelle möchte ich mich bei meinen Eltern bzw. bei meinem Vater bedanken, daß er schon vor 24 Jahren ein sog. neuer Vater war. Wohl aus diesem Grund ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, daß ich von meinem Partner eine gleich hohe Beteiligung an Kindererziehung, Familien-, Beziehungs- und Hausarbeit erwarte. Zumindest bis jetzt haben sich meine Erwartungen erfüllt.

Literaturverzeichnis

Deutsch-Stix, G. & Janik, H. M. (1993). Hauptberuflich Vater. Paare brechen mit Traditionen. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik.

Fthenakis, W. E. (1988). Väter. (Bd. 2). München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

Petzold, M. (1991). Vorbereitete und unvorbereitete Väter nach der Geburt des ersten Kindes. Eine Längsschnittstudie auf der Suche nach neuen Vätern. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 38, 263-271

Rosenkranz, D., Rost, H. & Schröter, A. (1996). Väter und Erziehungsurlaub. Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg.

Werneck, H. (1998). Übergang zur Vaterschaft. Auf der Suche nach den "Neuen Vätern". Wien: Springer.

Zulehner, P. (1994). Österreichs Männer unterwegs zum neuen Mann? Wie Österreichs Männer sich selbst sehen und wie die Frauen sie einschätzen. Wien: Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie.
 
 
 

Inhaltsverzeichnis

19) Düsseldorfer Längsschnittstudie "Paare werden Eltern" (Irene Hanke)

1. Einleitung

Die Lebenssituation von Paaren ändert sich grundlegend, wenn sie Eltern werden. Nach der Geburt des ersten Kindes warten viele neue Aufgaben und Anforderungen auf die beiden Partner: Fertigkeiten der Ernährung und Pflege des Saüglings sind zu erlernen, der Tagesablauf muß den Bedürfnissen des Kindes angepaßt werden, eine neue Verantwortung wird übernommen und es entstehen viele neue Aufgaben. Solch ein Übergang kann, muß aber nicht, ein kritisches Ereignis darstellen. Auf jeden Fall ist diese Zeit ein großer Einschnitt und geht mit umwälzenden Veränderungen einher. Große Bedeutung hat hier auch die Aufrechterhaltung einer zufriedenstellenden Beziehung zum Partner. In der Düsseldorfer Längsschnittstudie "Paare werden Eltern" wurde nun versucht diese Veränderungen und deren Bewältigungsstrategien von werdenden Eltern zu erfassen. Bei diesem Projekt handelt es sich um eine entwicklungspsychologische Längsschnittstudie, deren Ausgangsbasis das am Institut für Entwicklungs- und Sozialpsychologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf durchgeführte Projekt "Eltern-Kind-Interaktionen im ersten Lebensjahr" aus den Jahren 1980 bis 1985 war. Während es bei diesem Vorläuferprojekt hauptsächlich um die Vorbereitung werdender Eltern auf ihr erstes Kind, auf das Geburtserlebnis selbst und die Eltern-Kind-Interaktion in den ersten neun Lebensmonaten ging und nur die in bezug auf den Vater relevanten Aspekte ausgewertet wurden, führte das Anschlußprojekt "Paare werden Eltern" die Erhebung aus der Zeit vor der Geburt mit weiteren Fragestellungen bis zum sechsten, und später bis zum achten Lebensjahr des Kindes fort. In diesen fortführenden Studien beschäftigte man sich vor allem mit den Veränderungen in jungen Familien, die sich nach der Geburt des ersten Kindes ergeben. Im folgenden werde ich nun einige theoretische Ansätze, den Übergang zur Elternschaft betreffend, beschreiben, um dann näher auf diese Studie einzugehen.

2. Theoretische Ansätze

Die Forschung zum Beginn der Elternschaft nahm historisch gesehen in den fünfziger Jahren ihren Ausgangspunkt, als man die populäre Anschauung, daß die Familie mit der Geburt des ersten Kindes in eine Krise gerate, einer wissenschaftlichen Prüfung unterzog. Am Anfang stehen die Untersuchungen von Le Masters (1957), der die Frage aufwarf, ob man die Erweiterung der Familie durch ein Kind nicht mit dem Tod eines Familienmitglieds vergleichen könne, da beides zu gravierenden Umstellungen in der Familienstruktur führt. Er meint durch Tod oder Geburt gerate die Familie gleichermaßen in eine "Krise". In seinen Untersuchungen an amerikanischen Mittelschichtsfamilien gaben 83 % der befragten Eltern an, durch die Geburt des ersten Kindes in eine Krise geraten zu sein. Als Ursache dafür sieht Le Masters eine unzureichende Vorbereitung auf den Status der Elternschaft. 1968 schlug Alice Rossi dann vor hinsichtlich der Geburt eines Kindes nicht mehr von einer "Krise" sondern von einem "Übergang" zur Elternschaft zu sprechen. Rossi verweist darauf, daß im Unterschied zum Tod eines Familienmitgliedes der Beginn der Elternschaft zu neuen Strukturen führt und die Entstehung eines neuen Familiensystems durch den negativen Begriff "Krise" nicht gerade verdeutlicht wird. Der neutralere Begriff "Übergang" umfaßt hingegen sowohl negative als auch positive Entwicklungen. Auch Gloger-Tippelt benutzt den Begriff des Überganges, für die Zusammenfassung der Ereignisse Schwangerschaft, Geburt und Beginn der Elternschaft im Hinblick auf die lebenslange Entwicklung von Mann und Frau als einheitlichen Prozeß. Diese Übergänge führen zu einer beschleunigten Entwicklung bei den Eltern und gehen mit drastischen Veränderungen einher. Der Terminus "Übergang" verdeutlicht, im Gegensatz zum Terminus "Krise" den Prozeßcharakter und die zeitliche Ausdehnung dieser Veränderungen. Von besonderem Interesse ist für die Entwicklungspsychologie, wie mit diesen Übergängen umgegangen wird, bzw. wie die Anpassungsprozesse dabei ausschauen. Der "Übergang zur Elternschaft" zeichnet sich durch mehrere Aspekte aus: Aus der Partnerbeziehung entwickelt sich durch die Geburt des ersten Kindes ein neues Familiensystem. Bei der Anpassung an diese Veränderung spielt es eine große Rolle, ob das Kind selbstverständlich erwartet oder geplant ist. Weiters bewirkt das erstmalige "Elternwerden" Veränderungen biologischer, psychologischer und sozialer Art. So wird nun der Zeitrhythmus durch das Kind diktiert, die persönliche Freiheit wird eingeschränkt, die Mutter gibt eventuell ihren Beruf auf und es entsteht eine zusätzliche materielle Belastung. Dies alles erfordert eine hohe Anpassungsleistung. Diese Veränderungen machen eine beschleunigte Entwicklung notwendig. Das war auch der Anlaß dafür, daß man in einigen wissenschaftlichen Ansätzen den Begriff "Krise" für diese erste Zeit nach der Geburt des ersten Kindes verwendete. Ob es jedoch bei der Geburt eines Kindes zu einer Krise in der Familie kommt, hängt sehr stark davon ab, welche Entwicklungsprozesse eine Familie als System durchläuft und läßt sich so nur jeweils konkret beantworten.

Gloger-Tippelt (1985) entwarf auf den Grundlagen bisher existierender Forschungsergebnisse ein Phasenmodell des Übergangs zur Erstelternschaft. In ihrem Modell strukturiert sie den Übergang zur Elternschaft zeitlich, da es sich dabei um einen "sukzessiven Verarbeitungsprozeß" handelt. In der Schwangerschaft spielen Interaktionen zwischen biologischen, physiologischen und sozialen Faktoren eine große Rolle. Neben Gesundheitszustand, Alter und psychischem Befinden der Mutter ist vor allem der Komplex "Geplantheit der Schwangerschaft" von großer Bedeutung. Daran schließen sich nach Gloger-Tippelt (1985, 1988) folgende acht Phasen an:

"Verunsicherungsphase" (bis zur 12. Woche der Schwangerschaft):

In dieser Phase treten erste Befürchtungen die Schwangerschaft betreffend auf. Je nachdem, ob das Kind erwartet oder erwünscht wird, ist das Ausmaß der Verunsicherung unterschiedlich. In diese Zeit fallen körperliche Beschwerden wie morgendliche Übelkeit, Erbrechen und Ähnliches, das durch die hormonelle Umstellung bewirkt wird. Wie diese Phase erlebt wird hängt wesentlich von der Anteilnahme des Partners ab.

"Anpassungsphase" (12. bis 20. Woche):

Das Nachlassen der anfänglichen Schwangerschaftsbeschwerden führt eine etwas ruhigere Zeit mit einer ersten kognitiven und emotionalen Anpassung mit sich. Bei ungeplanten Schwangerschaften ist zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung über Fortführung oder Abbruch der Schwangerschaft gefällt, und es erfolgt eine aktive Anpassung. Bei lang geplanter Schwangerschaft ist die Anpassung vorbereitet. Die positive Bewertung und das Akzeptieren der Schwangerschaft steigt, und die Ängste nehmen ab.

"Konkretisierungsphase" (20. bis 32. Woche)

In dieser Phase wird, vor allem durch das Registrieren der ersten Kindesbewegung, die Freude und Erleichterung hervorruft, die Verarbeitung vertieft. Die Schwangerschaft wird nun äußerlich erkennbar, und so erfolgt nun die soziale Anerkennung durch die Umwelt. Die Erwartungen bezüglich der Elternschaft werden konkretisiert und es werden langfristige Entscheidungen getroffen. Innerhalb dieser Phase findet auch die allmähliche Bewußtmachung des Kindes als ein selbständiges Lebewesen statt.

"Phase der Antizipation und Vorbereitung auf die Geburt und das Kind" (32. Wo. – Geb.)

In dieser Phase findet ein Wechsel in der Zeitperspektive statt. Während sich die Eltern bisher an der verstrichenen Zeit der Schwangerschaft orientierten, tun sie das nun an der Zeit, die ihnen bis zur Geburt ihres Kindes verbleibt. Ebenfalls in dieser Phase erfolgt die berufliche Freistellung der Frau. Die Vorfreude auf das Zusammenleben mit dem Kind steigt und die innere Bereitschaft zur Beendigung der Schwangerschaft ist da. Es verstärken sich aber auch die Ängste in Bezug auf den Geburtsvorgang und die damit verbundenen Schmerzen. In dieser Zeit erfolgt neben der kognitiven und emotionalen Anpassung auch eine aktive Geburtsvorbereitung durch Teilnahme an Geburtsvorbereitungskursen.

"Geburtsphase" als Kulminations- und Wendepunkt für die Familienentwicklung:

Nicht nur in biologischer sondern auch in sozialer Hinsicht ist die Geburt ein großes Ereignis, insbesondere was die psychische Verarbeitung betrifft. Wie die Geburt erlebt wird, ist hier von zentraler Bedeutung. Neben Geburtshilfe und Schmerzreduktion ist das Erleben auch für den Aufbau einer Eltern - Kind - Beziehung entscheidend.

"Erschöpfungsphase trotz erstem Glück über das Kind" (bis zum zweiten Lebensmonat des Kindes):

In dieser Zeit wird die Einstellung auf einen vom Kind diktierten Tagesablauf notwendig. Hinzu kommt eine drastische Veränderung des Hormonhaushaltes, was eine große Anpassung auf physischem und psychischem Gebiet verlangt. Kennzeichnend für diese Phase ist die physische Erschöpfung der Mutter. Oft folgt dieser Erschöpfung auch eine anfängliche Phase euphorischen Glücks über das neue Familienmitglied, sodaß man auch von den "Babyflitterwochen"(Geburt bis 1. Monat) spricht.

"Phase der Herausforderung und Umstellung" (2. bis 6. Monat):

Durch die fortschreitende Entwicklung des Kindes begünstigt (erstes Lächeln des Kindes), findet nun eine zunehmende Gewöhnung an die Elternrolle statt. Die Partnerbeziehung ist großen Veränderungen unterworfen und die eheliche Zufriedenheit sinkt, insbesondere bei den Frauen, die durch die erheblich größere Belastung im Haushalt beansprucht werden, oft rapide ab. Diese Phase der Erstelternschaft wird mit dem Terminus "Eltern-Kind-Schock" charakterisiert und oft als krisenhaft betrachtet.

"Gewöhnungsphase" (6. Monat bis 1 Jahr):

Diese Phase ist gekennzeichnet durch eine relative Entspannung und Sicherheit. Erste routinemäßige Verhaltensweisen gegenüber dem Kind treten auf und es kristallisiert sich eine spezifische Eltern-Kind-Beziehung heraus. Das Kind lächelt gezielt und sucht auch bewußt die Nähe der Bezugspersonen. In dieser Zeit ist auch eine erste Ernüchterung über die Elternschaft erkennbar.

Gloger-Tippelt (1985, 1988) meint, daß man noch weitere Phasen unterscheiden könne, diese Anfangsphasen der Elternschaft aber große Bedeutung haben, da sie mit gravierenden Veränderungen einhergehen und sehr bewußt von den Eltern erlebt werden.

Nach Bowker (1977) ist die Bewältigung des Übergangs zur Elternschaft oder das Auftreten einer Krise davon abhängig, wie die neu gefundenen Rollenverteilungen aussehen. Er untersuchte mittels Interviews 50 Mütter nach der Geburt im Krankenhaus, sowie drei Monate später zuhause, und es zeigte sich, daß Frauen mit häuslicher Rollenorientierung die beste Anpassung an die Elternschaft zeigten. Mütter, die weniger traditionell eingestellt waren, hatten im Gegensatz dazu größere Schwierigkeiten.

Zu konträren Ergebnissen kam hingegen Blodgett (1981). Er untersuchte mit strukturierten Interviews 39 Paare vor und nach der Geburt und konnte zeigen, daß sowohl die Mütter als auch die Väter sich nach der Geburt stärker an traditionellen Rollenbildern orientierten. Besondere Schwierigkeiten mit der Elternrolle hatten in seiner Untersuchung gerade diejenigen Frauen, die sich an traditionellen Rollen orientierten und den Wunsch nach einem zweiten Kind hatten. In der Partnerschaft spielt es eine zentrale Rolle, wie sehr die Rollenerwartungen der Partner übereinstimmen. Damit hängt auch die eheliche Zufriedenheit zusammen. Jäckel (1980) meint, daß der Eheerfolg besonders von einem aktiven (gemeinsamen) Bearbeiten von Rollenerwartungen abhängig ist. Auch Olbrich und Brüderl (1986) weisen auf die Notwendigkeit einer solchen aktiven Auseinandersetzung mit Rollenerwartungen in der Partnerschaft hin:

Junge Erwachsene aus ähnlichen Lebensräumen wählen einander für eine Beziehung, die eine intimere, d. h. mehr und mehr binnenpsychische Prozesse einbeziehende Kommunikation und Interaktion einschließen wird. Ähnlichkeit im Erfahrungshintergrund, den Wertorientierungen, den sexuellen und den unbewußten Komponenten der gegenseitigen Attraktion erleichtert den beginnenden Austausch. Allerdings wird mit dem Fortschreiten der Beziehung mehr und mehr aktive Arbeit notwendig – sowohl in der Abstimmung des manifesten Rollenverhaltens als auch bei der Verbesserung der Wahrnehmung der eigenen Person und des Partners. Die Kommunikation zwischen Partnern kann so zunehmend auf die Bearbeitung von Unterschiedlichkeit hinauslaufen. Entwicklung in der Partnerschaft erscheint als eine gemeinsame aktive Anpassungsarbeit, die produktiv sowohl mit Unterschieden zwischen den Partnern als auch mit den geforderten Wandlungen der beiden Personen umzugehen vermag. (Olbrich & Brüderl, 1986, S. 197) 3. Düsseldorfer Längsschnittstudie "Paare werden Eltern" (Petzold 1991)

3.1. Planung und Durchführung

Die Ansätze dieser Längsschnittstudie, die sich als Pilotstudie versteht, basierten auf einem system-ökopsychologischen Modell der Analyse von Interaktionen in der Familie und Zusammenhängen mit sozialen Beeinflussungsprozessen. Von übergeordneter Bedeutung war dabei die Frage, wie sich junge Eltern nach der Geburt ihres ersten Kindes verändern. Dabei interessierten vor allem die drei Dimensionen :

a) Erleben der Elternschaft;

b) Betreuung des Kindes;

c) ökologischer Kontext.

Das Projekt "Paare werden Eltern" wurde 1986 organisatorisch und inhaltlich an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf begonnen. Es griff dabei auf die nicht zu Ende geführten Längsschnitterhebungen des Projektes "Eltern-Kind-Beziehungen im ersten Lebensjahr" – die wichtigsten daraus entstandenen Veröffentlichungen sind Bartoszyk (1984), Nickel (1987), Wenzel (1987) – zurück. Für die Untersuchung konnten 51 Mütter und 43 Väter, von den früheren 59 Eltern des Vorläuferprojektes, wieder für die Weiterführung der Studie gewonnen werden. Durch einige Probleme schrumpfte die Stichprobe dann schließlich auf 35 Paare. Da das Ziel dieser Studie nicht das Finden kausaler Gesetzmäßigkeiten war, sondern es viel mehr darum ging Einstellungs-, Verhaltens- und Kontextmerkmale deskriptiv zu erfassen, wurden qualitative Verfahren angewandt. Dazu wurden, im Interesse der Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit der vorangegangenen Untersuchung, die von Bartoszyk und Wenzel begonnenen Fragebogenerhebungen modifiziert weitergeführt. In den Erhebungen, die im sechsten Lebensjahr des Kindes durchgeführt wurden, nahm man noch zwei Partnerschaftsfragebögen dazu in die Untersuchung auf. Bei der Erhebung im siebten und achten Lebensjahr des Kindes wurden dann zusätzlich ausführliche offene Tiefeninterviews mit den Eltern geführt. Die Erhebungen der gesamten Längsschnittuntersuchung fanden im 3-8 Schwangerschaftsmonat, in der ersten und sechsten Lebenswoche des Kindes, im neunten Lebensmonat und im sechsten, siebten und achten Lebensjahr des Kindes statt. Konkretisierte Problembereiche als Leitlinien für die Analyse der Veränderung der Situation junger Eltern waren dabei: soziokulturelle Ausgangsbedingungen und weitere ökologische Basisdaten, wie z. B. Schichtstatus und Beruf, Planungen für das familiäre Leben vor der Geburt des ersten Kindes, z. B. wer die Hauptbetreuung des Kindes übernimmt, ob berufliche Veränderungen erwartet werden, wie die Wohnsituation gestaltet ist, usw., Einstellungen und Erfahrungen der Eltern, die sich aus der Entwicklung ihrer Elternschaft ergeben, soziale Kontakte des Kindes und der Eltern, Gestaltung des Alltags in bezug auf die Betreuung und Versorgung des Kindes, geschlechtstypische Unterschiede in der Betreuung und Versorgung des Kindes, Rolle der Großeltern in der Betreuung und Versorgung des Kindes, Vergleiche von Familien mit vorbereiteten versus unvorbereiteten Vätern hinsichtlich Erleben der Elternschaft, Betreuung des Kindes und ehelicher Zufriedenheit, Vergleich von Einkind- versus Zweikind-Familien hinsichtlich Erleben der Elternschaft, Betreuung des Kindes und ehelicher Zufriedenheit, Auswirkungen mütterlicher Erwerbstätigkeit auf Erleben der Elternschaft und die eheliche Zufriedenheit, systemische Zusammenhänge zwischen diversen ökologischen Variablen und dem Erleben der Elternschaft, systemische Zusammenhänge zwischen ökologischen Variablen und der Art der Betreuung und Versorgung des Kindes und systemische Muster in bezug auf geschlechtstypisches Verhalten von Müttern und Vätern (Petzold 1991).

3.2. Ergebnisse

Die Ergebnisse der Längsschnittuntersuchung gliedern sich in deskriptive Beschreibungen ökologischer Basisdaten und subjektiver Einschätzungen der Probanden und einer Darstellung gewisser Veränderungen, die sich im Längsschnitt, in bezug auf die familiäre Lebenssituation, Betreuungsfunktionen und das unterschiedliche Erleben der beiden Ehepartner über die Jahre ergeben haben. Es geht bei diesen empirisch erhobenen Ergebnissen aber nicht darum, eine allgemein gültige Skizze der Entwicklung der Familie nach der Geburt des ersten Kindes mit repräsentativen Anspruch zu zeichnen. Die gesamte Untersuchung war von vornherein nur als explorative Studie geplant und hatte vielmehr das Ziel, verschiedene Aspekte des familiären Lebens beim Übergang zur Elternschaft und in den ersten Jahren des Familienlebens zu erfassen. Es geht also um das Aufzeigen der großen Vielfalt von Möglichkeiten des Familienlebens und den Chancen zur weiteren Veränderungen des familiären Lebens und nicht darum, eine neue Norm für die Familie festzuschreiben.

Im folgenden werden nun überblicksmäßig diese Ergebnisse dargestellt.

Zur Zeit des Erstkontakts waren die Mütter durchschnittlich 26,5 und die Väter durchschnittlich 29,1 Jahre alt. Mit Ausnahme eines Paares waren alle verheiratet. Von den anfänglich 59 Eltern hatten sich zwischen dem zweiten Lebensmonat nach der Geburt und dem sechsten Lebensjahr des Kindes 5 Paare getrennt. Im Verlauf der Längsschnittuntersuchung bekamen 3 Paare ein drittes, 20 Paare ein zweites und 12 Paare kein weiteres Kind mehr. Bezüglich der Wohnsituation und des Einkommens der Eltern ergaben sich im Längsschnitt vielfache Veränderungen. In der sozialen Schichtung wies diese Stichprobe eine gute Streuung auf, bestand aber vorwiegend aus Paaren der Mittelschicht. Daß die Schwangerschaft nicht geplant gewesen sei, gaben nach der Geburt des ersten Kindes 28 % der Eltern an. Fast alle Paare wünschten sich zu diesem Zeitpunkt noch weitere Kinder. Bei der Hälfte dieser Eltern nimmt dieser Wunsch im Laufe der Zeit dann wieder ab.

Während ein Großteil der Mütter vor der ersten Geburt ganztags erwerbstätig war, kehrten bis zum sechsten Lebensjahr der Kinder nur wenige wieder in den alten außerhäuslichen Beruf zurück. Die Hälfte der Mütter ging bis dahin wieder zur Arbeit, allerdings nur wenige ganztags, und nur wenige übten wieder den selben Beruf wie vor der Geburt aus. Hieran wird das gesellschaftlich vorherrschende Rollenstereotyp deutlich: Die primäre Zuständigkeit für Kinderbetreuung und Versorgung des Haushalts wird den Müttern zugeschrieben.

Die Mehrheit der Mütter war im ersten Lebensjahr des ersten Kindes hinsichtlich der Zeitaufteilung Beruf, Haushalt und Leben zufrieden. Im sechsten Lebensjahr stellte sich dies dann nicht mehr so dar. Bei den Vätern ließ sich in bezug auf die Zeiteinteilung bereits zum Ende des ersten Lebensjahres eine große Unzufriedenheit feststellen. Sie wollten lieber mehr Zeit mit dem Kind und der Partnerin verbringen, während die Mütter sich mehr Zeit für sich wünschten. Die Freizeit betreffend verhielt es sich so, daß die Mütter nach der Geburt des Kindes zwar mehr Aktivitäten aufgegeben haben, aber später, verglichen mit den Vätern, auch wieder mehr neue aufgenommen haben. Freizeitbeschäftigungen mit dem Kind waren bei Müttern häufiger zu finden als bei Vätern. Bezüglich des gemeinsamen Ausgehens am Abend kommt es durch die Verpflichtungen gegenüber dem kleinen Kind zu Einschränkungen. Interessant ist dabei, daß im Rückblick Väter häufiger als Mütter angeben, daß sie abends nicht gemeinsam ausgegangen wären. Im sechsten Lebensjahr des Kindes wurde bei fast allen Familien, übereinstimmend von Müttern und Vätern, eine Veränderung des Bekanntenkreises angegeben. Die sozialen Kontakte haben sich also geändert. Nur wenige Eltern fühlten sich, nach der Geburt bis zum sechsten Lebensjahr des Kindes, in ihren eigenen Sozialkontakten eingeengt. Die Analyse der Kontakte des Kindes ergab, daß im Alltag des Kleinkindes fast ausschließlich Mutter und Vater tägliche Ansprechpartner sind. Die Großeltern sehen das Kleinkind durchschnittlich einmal pro Woche. Verschiedene institutionelle Betreuungsformen scheinen heute von größerer Bedeutung zu sein als die Beziehung zu den Großeltern und anderen Verwandten. Dies zeigt einen deutlichen Strukturwandel der Familie. Die häufigste Funktion der Großmutter bestand darin, emotionale Zuwendung zu geben und dem Kind weitere Anregungen zu bieten. Nachgeordnet ist ihre Aufgabe bei der Pflege des Kindes zu helfen. Bezüglich des Erlebens der Belastung, die zu drei Meßzeitpunkten, nämlich im zweiten und neunten Monat sowie im sechsten Lebensjahr des Kindes, zu erfassen versucht wurde, ergab sich im Längsschnitt keine signifikante Veränderung. Es zeigte sich nur andeutungsweise bei den Vätern eine relative Zunahme und bei den Müttern eine gewisse Abnahme der Belastung im sechsten Lebensjahr. Bei der Zufriedenheit mit der Zeitaufteilung Familie/ Beruf/ Haushalt stellte sich heraus, daß Mütter im neunten Lebensmonat am meisten zufrieden sind, während Väter zu dieser Zeit am unzufriedensten sind. Im sechsten Lebensjahr sind dann die Mütter am unzufriedensten, wobei die größte Unzufriedenheit vor allem bei denen mit unvorbereiteten Vätern herrscht.

Nach dem Gefühl der Vernachlässigung durch die Dreierbeziehung (Vater-Mutter-Kind) gefragt, konnte bei den Müttern festgestellt werden, daß sie sich im sechsten Lebensjahr des Kindes signifikant mehr vernachlässigt fühlten, vor allem diejenigen mit vorbereiteten Vätern. Unterscheidet man die Familien nach Kinderzahl, dann zeigt sich für die Väter ein signifikanter Unterschied: Väter mit zwei Kindern fühlen sich deutlich stärker vernachlässigt.

Vor der Geburt des ersten Kindes planen zwei Drittel der Eltern, daß sie beide als Hauptpflegepersonen aktiv werden wollen. Tatsächlich sieht es dann aber so aus, daß die Mütter, von der Geburt an bis ins sechste Lebensjahr des Kindes, hauptverantwortlich für die Versorgung und Pflege des Kindes sind. Nach der Geburt sind die Väter nur gelegentlich beteiligt, und erst im sechsten Lebensjahr des Kindes fühlen sich die meisten Väter vollverantwortlich. Dies zeigt eine signifikante Veränderung der Vaterrolle auf. Die Väter fühlen sich nach der Geburt am unsichersten im Umgang mit dem Baby. Jedoch insbesondere die vorbereiteten Väter erreichen dann relativ bald in ihrer Selbsteinschätzung ein großes Gefühl der Sicherheit im Umgang mit den Kleinkindern. Im sechsten Lebensjahr des ersten Kindes besteht bei den meisten Eltern wieder ein relativ größeres Unsicherheitsgefühl. Mütter, die erwerbstätig sind, fühlen sich im Umgang mit ihrem Kind signifikant sicherer.

Keine signifikanten Veränderungen konnten für die Gesamtgruppe, weder für Mütter noch für Väter, hinsichtlich der erlebten Schwierigkeiten und des Vergleichs von Erwartungen und Erfahrungen statistisch nachgewiesen werden. Bei der Berücksichtigung spezieller Variablen zeigen sich allerdings Unterschiede: Väter mit zwei Kindern, wie auch Väter mit erwerbstätigen Frauen sind signifikant enttäuschter beim Vergleich von Erwartungen und Erfahrungen. Diese Väter sind auch in der Ehebeziehung besonders unzufrieden.

Sieht man sich die Rangfolge für Betreuungstätigkeiten an, die Väter und Mütter aufstellten, wird das vorherrschende traditionelle Geschlechtsrollenstereotyp besonders deutlich. Mütter sind vor allem für die Aufsicht und Pflege des Kindes zuständig, während sich Väter vor allem um Spiel, Zuwendung und Strafe / Kontrolle kümmern. Diese klaren Rollen beginnen sich erst im sechsten Lebensjahr des Kindes aufzuweichen, wenn die Väter auch im Alltag für das Kind zum Ansprechpartner werden. Erst dann zeigt sich eine Tendenz in Richtung auf einen "neuen" engagierten Vater, der auch in der alltäglichen Routine Verantwortung für das Kind übernimmt. Bei der Überprüfung ob sich Familien mit vorbereiteten Vätern von solchen mit unvorbereiteten Vätern hinsichtlich der Betreuungsfunktion unterscheiden, weisen die Angaben der Mütter darauf hin, daß Ehefrauen mit unvorbereiteten Vätern selbst stärker für Pflege, emotionale Zuwendung und Lernanregungen zuständig sind. Während Mütter mit vorbereiteten Ehemännern meinen, daß Väter mehr mit dem Kind spielen, eine stärkere Kontrolle ausüben, dem Kind mehr emotionale Zuwendung und Lernanregungen geben und auch in der Pflege aktiver sind. Zwischen Einkind- und Zweikind-Familien gibt es ebenfalls Unterschiede hinsichtlich der Betreuungsfunktionen. Die Mütter in Zweikind-Familien bestätigen, daß die Väter in der Pflege mehr engagiert sind und dem Kind auch mehr emotionale Zuwendung anbieten. Väter mit zwei Kindern sehen sich auch selbst in der Pflege aktiver. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, daß sich zwar bestimmte Auffassungen in bezug auf die Geschlechtsrolle verändert haben, aber im Verhalten von Müttern und Vätern noch keine Wandlung stattgefunden hat.

4. Zusammenfassung

Wenn Paare Eltern werden, ändert sich vieles in deren Leben. Gerade in der Anfangsphase dieses Übergangs kommt es zu vielen Umstellungen in bezug auf die bisherige Lebensführung. Am Beginn dieser Arbeit ging ich zunächst auf einige theoretische Ansätze aus der bisherigen Forschung ein, und dabei vor allem auf die Frage, ob man die Geburt eines Kindes mit einer Krise derart vergleichen kann, die auftritt, wenn ein Familienmitglied durch den Tod verloren wird. Diese Gleichsetzung wird dann jedoch abgelehnt und es wird von einem Übergang zur Elternschaft gesprochen, der nicht notwendigerweise mit einer Krise einhergehen muß. Auch die Wichtigkeit der Qualität der Partnerschaft wurde betont.

Die Düsseldorfer Längsschnittstudie, die ich dann im Anschluß daran beschrieb und die als Pilotstudie von der Geburt bis zum achten Lebensjahr des ersten Kindes an 35 Paaren durchgeführt wurde, beschäftigte sich mit diesem Übergang zur Elternschaft und der weiteren Entwicklung der jungen Familie. Die drei Bereiche (a) Erleben der Elternschaft, (b) Betreuung des Kindes und (c) ökologischer Kontext standen dabei im Vordergrund.

Diese Studie hatte nicht zum Ziel eine repräsentative, allgemein gültige Beschreibung der Entwicklung der Familie nach der Geburt zu geben, sondern wollte vielmehr verschiedene Aspekte des familiären Lebens während dieser Zeit erfassen. Es ging also nicht darum eine Norm für die Familie festzuschreiben, sondern um das Aufzeigen der großen Vielfalt von Möglichkeiten des Familienlebens. Anhand der Ergebnisse zeigte sich, daß die traditionellen Geschlechtsrollenstereotype nach wie vor ihre Gültigkeit besitzen. Auch wenn es verschiedene Akzentsetzungen z. B. "neue Väter" gibt, sind es nach wie vor hauptsächlich die Mütter, die für Pflege und Aufsicht des Kindes zuständig sind. Während Väter vor allem die Funktionsbereiche "Anregungen und Zuwendung geben" erfüllen. Eine Schlußfolgerung, daß sich die Familie wesentlich verändert habe, kann nicht getroffen werden.

5. Persönliche Stellungnahme

Das Thema "Wenn Paare Eltern werden" finde ich persönlich sehr interessant.

Als ich mehreren Bekannten, die bereits Kinder haben, erzählte, daß ich diese Arbeit schreiben würde, erntete ich meist ein wissendes Lächeln und die Bereitschaft, mir von diesen Veränderungen zu erzählen. Sie berichteten mir von vielen Einschränkungen und Veränderungen in der Partnerschaft, aber auch von dem Glück, das sie durch das Kind erfuhren. Mehrere hatten sich sogar im ersten Lebensjahr des Kindes getrennt, da sie diesen Übergang nicht gemeinsam bewältigen konnten und ihre Partnerschaft, durch die Konzentration auf das Kind, stark vernachlässigt wurde. Ich meine, daß es ganz wichtig ist, sich in der Partnerschaft bewußt Zeit füreinander zu nehmen, um die Qualität der Beziehung aufrechtzuerhalten. Gerade während des Übergangs zur Elternschaft ist das mit sehr viel Arbeit verbunden, aber notwendig, um diese Zeit gemeinsam erleben zu können.

Literaturverzeichnis

Petzold, M. (1991). Paare werden Eltern: eine familienentwicklungspsychologischeLängsschnittstudie. München: Quintessenz-Verlag.


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