Franz Martin Wimmer, Wien
 
 

Vorlesung "Interkulturelle Philosophie" WS 2001/02

Zur Geschichte der arabisch-islamischen Philosophie I:
Aspekte interkultureller Beziehungen in der Philosophiehistorie
Ibn Ruschd als Beispiel



Die Annäherung an das Denken von PhilosophInnen kann aus unterschiedlichen Gründen schwierig sein. Es kann sein, daß mir ihre Ausdrucksweise, die Bedeutung der Begriffe und deren Verknüpfung fremd sind. Es kann sein, daß mir die Fragen, über die sie nachgedacht haben, und auch ihre Antworten unverständlich sind oder zumindest die Wichtigkeit, die sie selbst oder andere diesen Fragen und Antworten zumessen. Es kann drittens sein, daß mir all dies nach und nach einigermaßen vertraut wird und dennoch die Menschen, deren Denken ich da begegne, fremd bleiben. All dies ist generell so. Wenn aber dazu noch so etwas wie eine "kulturelle" Differenz gegeben ist, so treten die Schwierigkeiten umso deutlicher in Erscheinung.

 Bei der ersten Schwierigkeit habe ich es mit dem hermeneutischen Verhältnis zu tun, bei der zweiten kann man von einem existentiellen, bei der letzten von einem erotischen Verhältnis sprechen. Diese drei Relationen - zwischen der eigenen und einer fremden Sprache, zwischen eigener und fremder Wirklichkeitserklärung, und zwischen eigener und fremder Lebensweise - scheinen mir die zentralen "Aspekte interkultureller Beziehungen" überhaupt zu sein.

Das hermeneutische Verhältnis

Wenn ich auf ein Wort stoße, das ich nicht verstehe, so gibt es gewöhnlich einen einfachen und zuverlässigen Ausweg aus dieser Lage: das Wörterbuch. Zunächst und ganz allgemein ist das Wörterbuch ein Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zwecks: es soll hinreichend sein - und ist oft notwendig -, um mir die Entsprechung eines unbekannten Wortes einer fremden Sprache in meiner Sprache aufzuzeigen. Wenn es diesen Zweck erreichen soll, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein:

 - Das Wörterbuch beruht auf der grundlegenden Voraussetzung, daß es für jedes Wort der fremden Sprache Entsprechungen in meiner Sprache gibt. Freilich zeigt mir das Wörterbuch auch an vielen Stellen, daß es sich nicht um eineindeutige Entsprechungen handelt, doch können wir das vielleicht außer Betracht lassen.

 - Das Wörterbuch zeigt diese Entsprechungen nicht mir allein, es ist nicht mein privates Wörterbuch, sondern es zeigt die Entsprechungen allen, die es verwenden. Als Benützer des Wörterbuchs bin ich also Teil einer Gemeinschaft, der eine Sprache, nennen wir sie die "suchende" Sprache, gemeinsam ist. Diese "suchende Sprache" ist diejenige, die mir am besten vertraut ist, das heißt die Sprache, in der ich die Welt, die Wirklichkeit zu beschreiben und zu verstehen gewohnt bin. Die "gesuchte" Sprache hingegen ist mir ungewohnt. Beide Sprachen aber sind imstande, die Wirklichkeit zu erfassen.

 - Dadurch ist der Umstand bedingt, daß meine Fragen an das Wörterbuch nicht nur (von anderen Benutzern) wiederholbar sind, sondern daß sie auch entscheidbar sind, daß sie zu eindeutigen Antworten führen: das Wörterbuch kann mich objektiv korrigieren oder bestätigen. Es ist ein Standard, an den ich mich (bis zur nächsten Überarbeitung des Wörterbuchs durch eine Redaktion) halten kann.

 - In der "suchenden" wie in der "gesuchten" Sprache verzeichnet das Wörterbuch lauter sinnvolle Elemente, mögliche Bestandteile von Rede über die Welt. Die Ordnung, in der diese Elemente im Wörterbuch zusammengestellt werden, ist sinnvollerweise nicht sinnvoll, denn es soll für alle Gelegenheiten, alle Benutzer zu jeder Zeit verwendbar sein. Eine sinnfreie Anordnung, etwa die alphabetische in den Wörterbüchern über Sprachen in Buchstabenschriften, ist daher angemessen.

 Das Wörterbuch kann mir auch Indizien dafür liefern, wie verschiedene Gesellschaften sich selbst, einander und wie sie die Wirklichkeit sehen. Es erspart mir aber in keinem wichtigen Fall, die Interferenzen zwischen den Sprachen, die (plötzlichen oder langsamen, gewaltsamen oder freiwilligen) Veränderungen wahrnehmen zu wollen, die erst die einzelnen Elemente, die das Wörterbuch verzeichnet, zu sinnvollen Einheiten einer sinnvollen Rede machen.[1]

 Was mir das Wörterbuch erspart, sind Fehler in dem Sinn, daß es mir eindeutig zeigt, welche Sprachform zu einer bestimmten Zeit von der Mehrheit der "suchenden" Sprecher anerkannt ist. Was es mir nicht erspart, wenn ich ihm tatsächlich sinnvolle Einheiten entnehmen will, ist die Frage nach der Lebenswelt, die hinter den Eintragungen steht.

 Stellen wir also fest: auf der Ebene des wörtlichen Verstehens gibt es die Hoffnung auf Eindeutigkeit, die zumindest in vielen Fällen einlösbar ist - darum gibt es Wörterbücher. Es gibt aber auch die Hoffnung auf ein Verstehen der Lebenswelt, die hinter den Wörtern steht - und um diese Hoffnung einzulösen, reicht kein Wörterbuch aus.

Das existentielle Verhältnis

Interkulturelles Denken setzt nicht voraus, daß es so etwas wie metaphysisch getrennt existierende "Kulturen" gäbe. Doch ist es keine bloße Fiktion, daß es typische Weisen des Verhaltens und der Äußerungen von Menschen gibt, die wir als kulturbedingt erkennen und beschreiben können. Es wäre ein verfehlter Glaube an Substanzen, wenn wir Kulturen als gleichsam ontische Gebilde annähmen, es wäre aber ein ebenso verfehlter und nur scheinbar harmloser Glaube, wenn wir kulturelle Unterschiede als nebensächlich ansehen wollten. Die erste Denkweise, konsequent durchgeführt, würde zu einem Katalog von getrennten, gleichsam inselartigen Kulturen führen, die einander nur äußerlich berühren, was nicht stimmt. Die zweite Denkweise verharmlost hingegen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Möglichkeiten, Menschsein zu entwickeln, in einer gefährlichen Weise, da sie entweder zur faktischen Vereinnahmung des jeweils Fremden oder zu dessen faktischer Ausgrenzung führt.

 Ähnlichkeit wie Unähnlichkeit zwischen Eigenem und Fremdem wird erlebt, auf sie wird reagiert und es verfehlt die Wirklichkeit, die Unterschiede zu leugnen. Die "fremdkulturellen" Menschen gibt es, aber es gibt sie für alle Menschen. Das heißt: alle Menschen sind "fremdkulturell" - für die jeweils anderen. Man könnte auch sagen: alle sind exotisch. Zu diesen "allen" gehören wir selbst ebenso wie die "anderen", denn diese sind "anders" nur für uns.

 Auch für dieses Anderssein gibt es ein "Wörterbuch". Das Wörterbuch der fremden Lebenswelten ist allgegenwärtig, es kommt nicht unter dieser Bezeichnung vor, sondern trägt viele Namen. Daher muß es erst als solches erkannt und in eine begriffliche Ordnung gebracht werden. Bei dieser Aufgabe gehen wir von Materialien aus, die in unterschiedlicher Weise durchdacht, zu unterschiedlichen Zwecken erfunden und gebraucht sind. Als Beispiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, sind zu nennen: Kulturgeschichten, Wörter, Kunstführer, ethnologische Beschreibungen, Geschichtsbücher, Geschichtstheorien und Darstellungen der Universalgeschichte - und auch Philosophiegeschichten.

 Eine Systematisierung des "Wörterbuchs der fremden Lebenswelten" steht aus. In der Philosophie wäre es damit anzuzielen, daß eine Konkordanz der erkenntnisleitenden Grundbegriffe möglichst aller Kulturen, die heute noch einflußreich sind, unternommen würde - ein Unternehmen allerdings, das nur in einem Prozeß gegenseitigen Kommentierens von vielen Traditionen her zu realisieren wäre.

Das erotische Verhältnis

Begegne ich einem Menschen, den ich nicht verstehe, aber verstehen will, so könnte ich mich auch hier nach einem einschlägigen Wörterbuch-Ersatz sehnen - gibt es aber so etwas?

 Mit Platon können wir das Verhältnis zwischen Mensch und Mensch ein "erotisches" nennen und die Frage stellen, ob es, metaphorisch gesprochen, ein "Wörterbuch der Erotik" gibt. Das erotische Verhältnis wird von Platon im "Symposion" mit einer ganzen Kaskade von Mythen zu fassen gesucht: als die Suche nach dem verlorenen Ganzen der eigenen Natur, als die Sehnsucht nach Schöpfertum schlechthin, als Erkenntnis und so fort. Nehmen wir dieses Verhältnis als das Grundverhältnis zwischen Menschen (und auch zwischen Menschen und der Natur), so können wir wieder bei den Merkmalen ansetzen, die für das Wörterbuch im Fall des Verstehens von Wörtern genannt worden sind, und uns fragen:

- Gibt es die wiederholbaren, entscheidbaren Fragen, die eindeutig richtigen oder falschen Antworten beim Verstehen eines Menschen?

 - Gibt es die Entsprechungen im erotischen Verhältnis, wie es die Entsprechungen zwischen den Wörtern verschiedener Sprachen gibt?

- Gibt es ein Regelsystem, das mir anzeigt, wo Verstehen eines Menschen stattgefunden hat und wo nicht - und das dies nicht nur mir zeigt, sondern allen, denen die Regeln bekannt sind (also allen, die das "erotische Wörterbuch" kennen)?

 Der Mythos, den Platon dem Aristophanes in den Mund legt, will auf diese letzte Frage antworten. Ursprünglich seien die Menschen eine Ganzheit gewesen, aber von den Göttern zur Strafe für ihren Hochmut "zerschnitten" worden: "Jeder von uns ist also ein Stück von einem Menschen... Also sucht nun immer jeder sein anderes Stück." Hat er/sie dieses gefunden, so wüßten sie "nicht einmal zu sagen..., was sie voneinander wollen", denn als einzelne wollten sie nichts anderes, als zum Ganzen zu verschmelzen, "aus zweien einer zu werden."[2]

 Dieser Mythos scheint mir durchaus geeignet, als Paradigma für dasjenige zu stehen, was ich zwischenmenschliches Verstehen nennen will. Mit Absicht nenne ich das Verhältnis, in dem ein solches Verstehen stattfindet, erotisch: es ist ein Verhältnis gemeint, das in intensiver Weise am "Gesuchten" wie am "Suchenden" zugleich interessiert ist; ein Verhältnis ferner, das nicht in einer bloßen Ausweitung des "Suchenden" bestehen kann (wie es im Fall des Wörterverstehens noch stattfindet, wo mein Griff nach dem Wörterbuch dem Interesse nach Ausweitung meines Sprachschatzes dient).

 Es ist dieses Interesse am anderen Menschen - abgesehen von seinen Vorstellungen, von seinen Gedanken, Begriffen, Theorien -, das in der Begegnung mit PhilosophInnen zu "biographischen" Fragen führt: Wie haben diese anderen gelebt? Sind diese anderen aufrichtig in ihrem Denken? Was haben sie mir zu sagen? - Solche Fragen stellen wir tatsächlich, wenn wir mit der Geschichte des Denkens zu tun haben - und es sind keine Fragen, die lediglich auf Wahrheit, Plausibilität oder theoretische Begründetheit von Theorien abzielen würden.

 Es gibt mehrere Fälle von Begegnungen mit fremdem Denken, fremder Philosophie, in denen diese personale Beziehung zu den UrheberInnen des Denkens vermieden oder als überflüssig erachtet wird.[3] Ein Fall ist die "ethnophilosophische" Sicht, etwa wenn im Zusammenhang mit afrikanischen Denktraditionen ausschließlich von einer "Philosophie der Yoruba", "der Luo", "der Dogon" etc. die Rede ist, als ob eine solche Einheit und nicht einzelne Menschen interessierten. Ich vermute eine derartige Sichtweise auch dort, wo jemand generalisierend etwa von "chinesischen Weisen" oder "orientalischen Denkern" redet, denen dann eine Denkweise zu- oder abgesprochen wird.

 Einen anderen Fall, in dem die philosophierende Person gleichsam in ihrer Individualität verschwindet, zeigen Verhaltensweisen in vorwiegend systematisch interessierten Traditionen wie der lateinischen Scholastik, wo einerseits Übernamen ("doctor angelicus" oder "communis" für Thomas von Aquin, "doctor subtilis" für Duns Scotus usw.[4]) verwendet werden, die ein bestimmtes Denkprofil ansprechen, wo andererseits eindeutige Funktions- oder Autoritätsindikatoren an die Stelle des Eigennamens treten können: "philosophus", "der Philosoph" ist selbstverständlich Aristoteles und wird nur so genannt; "commentarius", der "Kommentator" überhaupt tritt an die Stelle des Menschen Ibn Ruschd-Averroes.[5]

 Einer der bedeutendsten und vielleicht der einflußreichste Philosophiehistoriker der europäischen Neuzeit, Jakob Brucker, hat sich in seiner "Dissertatio praeliminaris", der methodologischen Einleitung zur "Historia Critica Philosophiae" die Frage gestellt, ob und aus welchen Gründen es überhaupt notwendig sei, Personennamen in der Geschichte der Philosophie anzuführen, wenn es darum geht, "historiam philosophiae" und nicht "philosophorum historiam" zu beschreiben.[6] Man könnte sich überlegen, ob denn überhaupt die Nennung von Eigennamen notwendig sei, da es ja in der Rekonstruktion philosophischen Denkens nur darum gehen müßte, zusammenhängende Gedankenfolgen darzustellen und nicht darum, mit den Personen bekanntzumachen, von denen diese Gedankenfolgen entwickelt worden sind. Dies wäre aber, obwohl auch in der Nachfolge Kants derartige Vorstellungen entwickelt worden sind, eine zumindest sehr ungewohnte Zugangsweise.[7]

 Werden aber zumindest Eigennamen genannt - z.B. 'Platon' -, so wird schon damit ein rudimentärer Zusammenhang einer referierten These mit einer zeitlich oder kulturell fernen, in diesem Fall der griechischen Kultur hergestellt. Für Brucker hat die Selbstverständlichkeit, daß vom Historiker der Philosophie auch biographische und andere Daten über die philosophierenden Personen mitzuteilen sind, einen nicht selbstverständlichen Grund: er will aus den Lebensumständen, den Mitwelteinflüssen, den Tugenden, Lastern und Gewohnheiten ebenso wie aus den intellektuellen Voraussetzungen der Zeit, in der die Philosophierenden ihre Gedanken entwickelt haben, deren Lehrsätze "erklären": Die Lebensumstände der Philosophen haben großen Einfluß auf Art und Aufbau ihrer Systeme, man müsse daher den Grund ("ratio") für diese jeweils darin suchen.[8]

Zum Beispiel Ibn Ruschd ... (Córdoba 1128-1198)

Wenn ich an Ibn Ruschd denke, so besteht zunächst die hermeneutische Schwierigkeit: die Sprache, in der er sich ausdrückt, aber auch die Assoziation der Begriffe ist mir nicht vertraut. Ich habe seine Schriften nicht gelesen, auch nicht in der lateinischen Aristotelesausgabe in 12 Bänden von 1575 oder in modernen Übersetzungen: meine Studienpläne haben das nie von mir verlangt.[9] Im Original könnte ich seine Schriften gar nicht lesen, denn erstens ist mir das Arabische nicht geläufig und zweitens: "Ein Teil der Schriften des Averroes blieb nicht einmal in arabischer Form erhalten".[10] So halte ich mich in erster Annäherung an das, was mir Philosophiehistoriker sagen und frage mich, ob mir die Themen vertraut sind, mit denen er sich befaßt hat, und weiters, ob mir die Begriffe verständlich sind, mit denen er arbeitete.

 "Omnium Saracenorum, qui philosophiam excoluerunt, celeberrimus et famosissimus" nennt Brucker den Ibn Ruschd und stellt ihn somit über Ibn Sina.[11] Worin eigentlich Ibn Ruschds Verdienste in der Geschichte des Denkens liegen, wird mir in der Historiographie der Philosophie nicht gänzlich klar. Seine "Hauptleistung" sieht Bertrand Russell in der "Befreiung des Aristoteles von dem verdrehenden Einfluß des Neuplatonismus"[12], wogegen Kirchner versichert hatte: er "faßte Aristoteles neuplatonisch auf".[13] Daß er als "der Kommentator" schlechthin des Aristoteles galt, war bereits bei Thomas von Aquin klar, der ihn aber zugleich doch als einen Verdreher des richtigen Aristoteles - und der Wahrheit - kritisierte. Die Wirkung seines Philosophierens ("Um 1200 verdrängten Aristoteles, Avicenna und Averroes nicht nur die bislang vorrangige rhetorisch-literarische Bildung und den religiös gefärbten Symbolismus, sondern auch die mathematisierende Naturbetrachtung des platonischen Timaios") sieht Flasch als einen "Vorgang, der sich einer eindeutigen Wertung versagt."[14]

 Die Ungeschaffenheit der Materie und die Endlichkeit des Menschen sowie eine irritierende Ansicht über das Verhältnis zwischen philosophischen und theologischen "Wahrheiten" sind die hauptsächlichen Thesen, mit denen der "Averroismus" gewöhnlich gekennzeichnet wird: "Hier stand zu lesen, die Welt sei ewig. Das gefährdete die christliche Schöpfungslehre. Die Lehre des Averroes vom Intellekt schien unvereinbar mit der Vorstellung individueller Unsterblichkeit. Dies stellte nicht nur theoretische Probleme, es tastete die Herrschaft der Kirche im Alltagsleben an. Deswegen schieden sich an Averroes, mehr noch als an Avicenna, die Geister."[15]

 Ist das alles nicht doch eine überholte Stufe des Reflektierens, für uns Heutige letztlich so uninteressant wie die Steinzeittechnik, Feuer mit einem hölzernen Quirl zu erzeugen oder das mittelalterliche Verfahren, die Zeit mit brennenden Kerzen zu messen? In einer Sichtweise auf die Geschichte des philosophischen Denkens, die darin eine eindeutige Entwicklung sieht, mag es so erscheinen. Ibn Ruschd, seine Vorläufer und Zeitgenossen "haben das Prinzip der Philosophie nicht weitergebracht", sagt Hegel in seinen "Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie".[16] Er spricht von einem "Pantheismus, wenn man will Spinozismus" als dem Standpunkt, der "die allgemeine Ansicht der orientalischen Dichter, Geschichtsschreiber und Philosophen" sei.[17] Es ist also vielleicht überhaupt abwegig, sich mit Ibn Ruschd näher zu befassen, es sei denn, aus rein antiquarischen Gründen, denn "Sonst haben die Araber sehr fleißig Aristoteles' Schriften studiert, sie haben sich im ganzen insbesondere seiner metaphysischen und logischen Schriften, seiner Physik bedient; und sie vielfach zu kommentieren und das abstrakt Logische noch weiter hinauszutreiben, war eine Hauptarbeit. Von diesen Kommentaren sind sehr viele noch jetzt vorhanden. Dergleichen Werke sind im Abendlande bekannt, auch ins Lateinische übersetzt und gedruckt; aber es ist nicht viel daraus zu holen. Die Araber haben Verstandesmetaphysik und formelle Logik ausgebildet. Die berühmten Araber haben zum Teil noch im 8. und 9. Jahrhundert gelebt; dieses ist also sehr schnell gegangen, da das Abendland noch sehr wenig ausgebildet war."[18] Somit reicht für Hegel ein einziger kurzer Satz mit einem späten Sterbedatum, um eine vage Erinnerung an Ibn Ruschd zu behalten: "Averroes starb 1217, hieß vorzugsweise der Kommentator des Aristoteles."[19] Und das war es dann auch: "Die Bekanntschaft der Araber mit Aristoteles hat das geschichtliche Interesse, daß auf diesem Wege auch das Abendland zuerst mit Aristoteles bekannt geworden."[20] Wenn dem nur so ist, habe ich kein "existentielles" Problem mit Ibn Ruschd als Denker: er ordnet sich ein in eine Verlaufs- oder Entwicklungsgeschichte, und was fremd oder "orientalisch" an seinem Denken ist, braucht mich weder zu beunruhigen noch zu interessieren.

 Es ging Ibn Ruschd jedoch auch um etwas, das uns heute noch oder heute wieder beschäftigt: um die Frage nämlich, ob Religion und Tradition einerseits mit Philosophie und Wissenschaft andererseits in Einklang gebracht werden können oder ob man gezwungen ist, das eine aufzugeben, wenn man das andere nicht lassen will. Es gibt heute immer noch die einen, die mit einer wissenschaftlichen Orientierung den wahren Glauben oder die authentische Identität verraten sehen, und es gibt auch die anderen, für die alles außer reiner Wissenschaft gleichermaßen fortschrittshemmender Aberglaube ist.[21]

 Die Wörter haben sich geändert und teilweise auch die Themen. Wir sprechen heute von Säkularisierung und von einer globalen Gesellschaft, von kultureller Identität und von Modernität. Die Sache aber ist aktuell wie eh und je. "Der aufgeklärte Philosoph", so hat Habermas es ausgedrückt, "sieht in den Anhängern einer metaphysischen oder religiösen Lehre einfach Mitglieder verschiedener Interpretationsgemeinschaften, die um jeweils eigene Konzeptionen des guten Lebens integriert sind. Umgekehrt ist der religiöse Mensch davon überzeugt, daß Philosophen die heilsrelevante Bedeutung und Verbindlichkeit prophetisch eröffneter Wahrheiten verfehlen und ihr eigenes Leben einer wesentlichen Dimension berauben."[22]

 Ging es in den Tagen von Ibn Ruschd um die Frage, ob es philosophisch - und das hieß für ihn: wissenschaftlich - beweisbar sei oder nicht, daß die Welt einen Anfang hat und mithin geschaffen sei, oder ob nicht doch die Materie unerschaffen und ewig sei, so ist dies heute für Traditionalisten oder Fundamentalisten wohl selten der zentrale Streitpunkt. Sehr wohl aber sind andere Fragen umstritten geblieben, um die es damals (und nicht nur in Andalusien) auch ging: Fragen nach der Natur des Menschen, nach dem richtigen Leben, nach der Ordnung der Gesellschaft. In diesen und ähnlichen Fragen ist trotz aller Entwicklung von Wissenschaften problematisch geblieben: Können Menschen in allen Dingen auf Vernunft und Wissenschaft bauen oder sind sie besser beraten, letztlich Offenbarungen und Propheten zu folgen?

 Sieht man nun, wie Ibn Ruschd sich mit einem Fundamentalisten seiner Zeit, mit Al Ghazali auseinandersetzt und wie er letztlich unterliegt - nicht im Argument, wohl aber in der Wirkung -, so kann man das heute schwerlich nur distanzierend-historisch zur Kenntnis nehmen.[23] Worum ging es? Al Ghazali, ein hervorragender Kenner der platonischen und aristotelischen Philosophie (wie sie in seiner Kultur überliefert war: als neuplatonisches Amalgam beider) hatte eine differenzierte, aber im Ergebnis eindeutige Kampfschrift verfaßt, die den Titel "Widerlegung der Philosophen" trägt. Er war in der Darstellung der Philosophen sehr genau vorgegangen, sodaß dieses Buch später gelegentlich als eine Einführung in die Philosophie gelesen wurde. Tatsächlich aber hatte Al Ghazali rationale wissenschaftliche Methoden verworfen und wahre Erkenntnis nur im religiösen Glauben gegeben gesehen. Ibn Ruschd verfaßte gegen ihn seine "Widerlegung der Widerlegung", was rein taktisch schon eine undankbare Angelegenheit war. Ibn Ruschd starb im Exil, er wurde in seiner Tradition vergessen und erlangte die zweifelhafte Ehre, als der letzte große Vertreter der islamisch-arabischen Philosophie in die Geschichte einzugehen. Seine Gedanken und Thesen haben fortgewirkt, die Auseinandersetzung darüber hat viel mit dem zu tun, was in Europa später "Aufklärung" genannt wurde. Aber sein Exil hat ebenso fortgewirkt und viel damit zu tun, was als fehlende Aufklärung innerhalb des Islam konstatiert wurde.[24] Da Ibn Ruschd ein Muslim war und blieb, muß sein Bemühen wohl als vergeblich bezeichnet werden. Zwischen Ibn Ruschd, dem Philosophen, und dem Theologen Al Ghazali findet ein ungleiches Gespräch statt, denn jeder der Beiden geht von einer anderen Grundlage aus: der Philosoph davon, daß es "letzte Wahrheiten gibt, die allein den Philosophen zugänglich sind", wie Ben Abdeljelil schreibt - und mit denen dann die religiösen Glaubensinhalte in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Aufgabe der Religion ist es nach seiner Auffassung, "das Leben der Menschen zu ordnen", aber nicht, "die reine Wahrheit zu erreichen", was er der Philosophie zumutet.[25] Al Ghazali hingegen bestreitet - mit scharfsinnigen Argumenten, die sich noch in den Reflexionen von Hume und Kant wiederfinden -, daß Vernunft imstande sei, allgemeingültige Erkenntnis zu erlangen, sieht jedoch Gewißheit als möglich in einem wörtlichen Glauben an den Text der Offenbarung, also den Koran. Es lohnt, sich diesen Disput in Erinnerung zu rufen, denn er spielt sich in mehreren Formen auch heute noch ab: zwischen dem rationalen Denken und Argumentieren einerseits und verschiedenen Ausprägungen des Autoritätsglaubens andererseits, seien sie religiös, esoterisch oder kulturalistisch.

 Wer war nun dieser Mensch Ibn Ruschd oder "Abul Walid Mohammed Ebn Achmed Ebn Mohammed Ebn Roshd", wie ihn Tennemann[26] nennt? Ein "artzt und liebhaber der weißheit" sagt meine früheste Quelle. "Er hat vil dings gemacht, und also treffenlich uber alle bücher arestotilis geschriben das er den zunamen eines glosirers, erklerers und außlegers zehaben verdient hat. So hat er auch in ertzney ein schöns büch und auch sonst vil löblicher künstreicher schriften gemacht und hynder ime gelassen."[27] Ein sehr unfrommer Mann, erfahre ich, mit weltlichen Ansichten, dessen bedauerlicher Einfluß höchst verderblich war.[28] Einer, dessen nutzlose Spitzfindigkeiten Mode machten, das Denken und den christlichen Glauben verdarben.[29] Ein Wortgläubiger, der die Philosophie durch Aristoteles-Philologie ersetzen wollte?[30] Und dies, obwohl er gar kein Griechisch las, in den griechischen Wissenschaften nicht bewandert war und somit wohl notwendigerweise irregehen mußte?[31] Ein "Freigeist, der nur äußerliche Zugeständnisse an die Orthodoxie gemacht habe"[32] oder doch ein gläubiger und aufrichtiger Muslim[33]? Eins jedenfalls scheint festzustehen: Ibn Ruschd hat Eindruck gemacht. Nicht nur, daß seine Auffassungen für gefährlich genug gehalten wurden, sodaß er in die Verbannung gehen mußte, er hat mit seiner Lehre vom unvergänglichen "nous", dem endlichen Einzelmenschen und damit, was sie "doppelte Wahrheit" nannten, ganze Generationen von christlichen Theologen und Philosophen beschäftigt.

 Der Einfluß des Averroismus auf die europäische Aufklärung ist unverkennbar. Die Vereinbarkeit der Inhalte von Religion und Offenbarung mit Wissenschaft und Philosophie, die auch ein Anliegen von Aufklärern[34] gewesen ist, scheint für gläubige Menschen immer noch ein existentielles Problem zu sein. Es nimmt allerdings gewaltige Proportion an, wenn zur Orientierung nicht ein heiliges Buch, eine religiöse Tradition, sondern viele sich anbieten. In diesem Sinne kann uns die Frage nach der Koran-Treue des Ibn Ruschd heute nicht mehr weiterhelfen. Es wäre aber interessant, zu wissen, warum er vielleicht doch gehofft hat, einen realistischen Standpunkt zu vertreten, wenn er der Wissenschaft (der "Philosophie" in seinem Sprachgebrauch) die Richterrolle zusprach, zu entscheiden, welche theologischen Lehrsätze allegorisch zu interpretieren sind und in welcher Weise dies zu geschehen hat.[35] Dies ist auch gegenwärtig wohl nirgendwo auf der Welt anerkannt, es handelt sich also wohl doch nicht nur um ein "mittelalterliches" Problem. Die meisten modernen Gesellschaften haben das Problem mit der "Trennung von Kirche (bzw. Religion) und Staat" gelöst, andere halten an der Superiorität einer Religion fest, und das Programm eines staatlich verankerten "wissenschaftlichen Atheismus", dem diese Position Ibn Ruschds noch am ehesten zu entsprechen scheint, ist seit dem Zerfall der Sowjetunion schon wieder Geschichte.

 Anscheinend stand Ibn Ruschd doch in einer einfacheren Situation als der heutigen. Er hatte nur den Koran - die Christen und Juden seiner Zeit nur die Bibel - auf der einen und den Aristoteles auf der anderen Seite zu bedenken.[36] Weder die eine Seite - das Religiöse -, noch die Wissenschaft oder Philosophie stellen sich für uns derartig eindeutig dar. Dennoch kann man vielleicht eines sagen: in der Wissenschaft, aber auch in der Philosophie ist es zumindest denkbar und als Programm zu verfolgen, grundlegende Differenzen auf eine methodische Weise - in dialogischen oder "polylogischen"[37] Verfahren - zu einer Klärung zu bringen. Hingegen sind dort, wo es sich um Glaubensdifferenzen im Sinn von dogmatischen Annahmen handelt, Dialoge oder Polyloge über Inhalte nicht möglich.[38] Es scheint immer noch eine Frage persönlicher Entscheidung zu sein, ob jemand religiöse Gewißheit oder philosophische Reflexion sucht.
 
 


Zitierte Literatur:

 Ben-Abdeljelil, Jameleddine: Die rationale Tendenz bei Averroes (Ibn Ruschd) und Maimonides (Ibn Maimun)
Wien: Diplomarbeit 1998

 Brucker, Jakob: Institutiones Historiae Philosophicae Usui Academicae Iuventutis Adornatae. , 2. Auflage
Lipsiae: Bernh. Christoph Breitkopf 1756

 ders.: Historia Critica Philosophiae a mundi incunabilis ad nostram usque aetatem deducta. 2. Auflage in 6 Bänden (Reprint)
Hildesheim: Olms 1975

 Copleston, Frederick: A History of Philosophy. 9 Bde. in 3; Bd. 2 (1950)
New York: Doubleday 1985

 Coreth, Emerich: Grundfragen der Hermeneutik. Ein philosophischer Beitrag.
Freiburg/Br.: Herder 1969

 Flasch, Kurt: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli.
Stuttgart: Reclam 1986

 Habermas, Jürgen: Wahrheit und Wahrhaftigkeit: In: Die ZEIT. (Feuilleton) S. 59-60. Hamburg (1995 12 08)

 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, 3 Bde.) Hg. von Gerd Irrlitz und Karin Gurst
Leipzig: Philipp Reclam jun. 1982

 Job, Eduard: Anfangsgründe der gesammten Weltweisheit zum Gebrauche der Vorlesungen in der Kaiserl. Königl. Theresianischen Militarakademie zu Neustadt.
Wien: Joseph Kurzböck 1769

 Kirchner, Friedrich: Geschichte der Philosophie von Thales bis zur Gegenwart, 3. Aufl.
Leipzig: Weber 1896

 Lessing, Gotthold Ephraim: Die Erziehung des Menschengeschlechts
In: Kurt Rossman, Hg.: Deutsche Geschichtsphilosophie von Lessing bis Jaspers. Bremen: Schünemann 1959, S. 1-29.

 Morhof, Daniel Georg: Polyhistor Philosophicus et Practicus. In: Polyhistor Literarius, Philosophicus et Practicus, 3. Auflage
Lubecae: Petrus Boeckmann 1732

 Russell, Bertrand: Denker des Abendlandes. Eine allgemeinverständliche Geschichte der Philosophie.
Stuttgart: Belser 1962

 Schedel, Hartmann: Weltchronik (= buch der croniken und geschichten mit figuren und pildnussen von anbeginn der welt bis auf dise unsere zeit, 1492).
München: Kölbl (Reprint) 1965

 Senghaas, Dieter und Nasr H. Abu-Zaid: The Islamic World and the Modern Age. In: Gettkant, Andreas (Red.): Development, cultural diversity and peace: visions for a new world order
Bonn: Stiftung Entwicklung und Frieden 1996, S. 21-34.

 Tennemann, Wilhelm Gottlieb: Grundriss der Geschichte der Philosophie für den akademischen Unterricht.
Leipzig: Barth 1825

 Wimmer, Franz Martin: Interkulturelle Philosophie. Geschichte und Theorie
Wien: Passagen 1990

 ders.: Polylog der Traditionen im philosophischen Denken
In: Ram A. Mall und Notker Schneider, Hg.: Ethik und Politik aus interkultureller Sicht. Amsterdam: Rodopi 1996, S. 39-54

 ders.: Sind religiöse Dialoge mögliche Polyloge?
In: Notker Schneider et al., Hg.: Philosophie aus interkultureller Sicht. Philosophy from an Intercultural Perspective. Amsterdam: Rodopi 1997, S. 317-325.


ANMERKUNGEN:

[1]Emerich Coreth beschreibt die hermeneutische Situation und zugleich die Grenzen des Wörterbuchs so: "Ich verstehe sowohl sprachlich als auch sachlich, was der Andere sagt oder schreibt, und trotzdem spüre ich, daß ich ihn nicht ganz verstehe; ich spüre, daß mir da etwas anderes und Fremdes entgegenkommt, daß es aus einer ganz anderen, mir fremden Sicht heraus gesprochen ist, daß ein anderer 'Geist' zugrunde liegt, eine andere Gesinnung und Einstellung zu den Dingen und Werten, von denen die Rede ist; eine andere 'Welt' kommt mir entgegen, in der auch das einzelne, was gesagt wird, einen anderen Sinn und Wert bekommt gegenüber meinem bisherigen Sinn- und Wertverständnis. Es steht für den Anderen in einem verschiedenen Zusammenhang, vor einem anderen Erfahrungs- und Wertungshintergrund." (Coreth 1969, S. 124)

[2] Platon, Gastmahl 191d-192e

[3] Zur Frage, "warum und wie" wir überhaupt über PhilosophInnen sprechen, vgl. die Überlegungen von Hakan Gürses bei dem Symposium über Averroes/Ibn Ruschd, Wien 1999.

[4] Diese Namen nennt übrigens Hegel in seinen "Vorlesungen", wo die Tendenz, das Individuelle zugunsten des allgemeinen Ganges der Geistesentwicklung zu reduzieren, auffällig ist. Vgl. dazu unten Hegels "Darstellung" des Ibn Ruschd.

[5] So durchgehend in "De ente et essentia" des Thomas von Aquin.

[6] Brucker stellt fest: "Personarum, id est, hominum philosophantium historia ad primaria quidem philosophicae historiae capita necessario vinculo non pertinet". (Brucker 1767, Bd.1, S.10)

[7]In Kants "Losen Blättern" lesen wir z.B.: "Eine philosophische Geschichte der Philosophie ist selber nicht historisch oder empirisch, sondern rational, d.i. a priori möglich. Denn ob sie gleich Facta der Vernunft darstellt, so entlehnt sie solche nicht aus der Geschichtserzählung, sondern sie zieht sie aus der Natur der menschlichen Vernunft als philosophische Archäologie." (Kant, Akademieausgabe, Bd. XX, S. 341) Grohmann, Heydenreich und andere haben diesen Gedanken ausgeführt.

[8] Vgl. dazu Wimmer 1990, S. 226f

[9] Auf einer CD-ROM mit Texten philosophischer Autoren "von Platon bis Nietzsche", die 1998 erschienen ist, finden sichzwar beispielsweise Texte von Agrippa von Nettesheim oder Karl Philipp Moritz - Autoren, an die man nicht sofort denken würde -, aber kein Name eines arabischen Philosophen. Vgl. dazu die "Übung 1" im Proseminar "Ursprünge des Philosophierens" im WS 1998/99.

[10] Flasch 1986, S. 288

[11] Brucker 1756, S. 435; für Tennemann (1825, S. 245) ist er "der berühmteste unter allen" wobei er ihn mit "Alkendi, Alfarabi, Avicenna, Algazel, Thophail" vergleicht.

[12] Russell 1970, S. 151

[13] Kirchner 1896, S. 235

[14] Flasch 1986, S. 290

[15] Flasch 1986, S. 288

[16] Hegel 1982, Bd. III, S. 28

[17] Hegel ebd., S. 29

[18] Hegel ebd., S. 31f

[19] Hegel ebd., S. 32. Hegel gibt Brucker und Tennemann als Quellen an. Brucker gibt als Sterbedatum 1195 oder 1206 an (a.a.O., S. 436), Tennemann (a.a.O., S. 245) "1206 oder 1217"; Hegels Datierung beruht also hier auf Tennemann. Der Brockhaus von 1843 (Bd. I, S. 683) nennt als Geburtsdatum 1149, als Sterbedatum "1198 oder 1206".

[20] Hegel ebd., S. 32

[21] Diese Thematik "of the general relation of philosophy to theology" hält Copleston für "more interesting ... than Averroes' particular philosophical doctrine" (Copleston 1950, S. 198) "He ... attempted this reconciliation by means of the so-called `double truth' theory. This does not mean that, according to Averroes, a proposition can be true in philosophy and false in theology or vice versa: his theory is that one and the same truth is understood clearly in philosophy and expressed allegorically in theology. The picture-teaching of the Koran expresses the truth in a manner intelligible to the ordinary man, to the unlettered, whereas the philosopher strips away the allegorical husk and attains the truth `unvarnished', free from the trappings of Vorstellung." (ebd. 198)

[22]Habermas 1995, S. 60

[23] Flasch 1986, S. 284: "Er selbst hatte zwar erklärt, sein Ziel sei die Verständigung zwischen Islam und Philosophie. Aber er hatte dabei an einen Islam gedacht, der sich darauf beschränkte, eine praktische Lebenslehre für das Volk zu sein: Die Harmonie sollte dadurch zustande kommen, daß sich der Islam als volkstümliche Bilderrede und ethisch-politische Praxis verstand und sich einer rationalen Erforschung der Welt und einer philosophischen Theologie nicht in den Weg stellte. Nach Averroes konnte die Philosophie die Volksreligion gelten lassen, mußte aber den Anspruch der Theologie verwerfen, die höchste Form menschlichen Wissens zu sein: Die Theologie kann den Anspruch, Leiterin der Wissenschaften zu sein, nicht einlösen; sie ist ein Gemisch aus Volksreligion, Rhetorik und Dialektik.
Eine solch überlegene Rolle der Philosophie konnte die islamische Zivilisation in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts schwerlich zugestehen."

[24] So sagt Nasr H. Abu-Zaid in einem Interview mit Dieter Senghaas: "In the history of Islam, beginning with the ninth century, literal interpretation of the Text became the dominant trend, which meant that the political leadership could manipulate the meaning of the Text. From that moment until now, so-called Islamic fundamentalism has been nothing more than a manipulation of the meaning of the Text." (Senghaas 1996, S. 24)

[25] Vgl. Ben-Abdeljelil 1998

[26] Tennemann 1825, S. 245; dies ist übrigens die einzige derartige Namensnennung dieser Art in meinen philosophiehistorischen Belegen. Brucker nennt ihn "Ebn Roshd, notiori inter Latinos nomine Auerroës dictus", meistens heißt er schlicht "Averroes".

[27] Schedel 1492, S. CCII

[28] Morhof 1732, S. 53: "Fuit vero impius homo Averroës, & profanis sententiis plenus. ..."; Brucker 1756, S. 437: "... latens venenum prodere, unde Auerroismus iste, qui praeclarissima Italiae ingenia seculo XIV et XV corrupit, anathemate tandem percussus est."

[29] Job 1769, S. 20f.: "Im 11ten (Jh.) fieng das Reich der sogenannten Scholastischen Philosophie an: diese war nichts als ein Geweb von spitzfindigen, aber meistens unnützen Fragen aus der Weltweisheit. Man las die Werke des Aristoteles mit den Auslegungen der Araber auf allen Schulen vor. ... Die christliche Religion konnte im 12ten Jahrhunderte durch die Schriften eines heidnischen Weltweisen, und die Auslegungen eines Averroes, und Avicenna, die Mahomedaner waren, unmöglich gewinnen: sie litt entgegen einen großen Schaden."

[30] Tennemann 1825, S. 245: "der grösste, fast sclavische Verehrer des Aristoteles, der vorzugsweise der Commentator heisst ..." Dagegen stellt Flasch a.a.O., S. 285 in Bezug auf den " nicht ins Lateinische übersetzte[n] Traktat über das Zusammenstimmen von Religion und Philosophie" fest: "Wer auch nur einen Blick in diesen Traktat wirft, wird aufhören, das Urteil nachzubeten, Averroes sei ein blinder Verehrer des Aristoteles gewesen: Wenn wahr ist, schrieb Averroes, was in den antiken Büchern steht, `übernehmen wir es; wenn sich darin irgend etwas Unrichtiges findet, weisen wir darauf hin'. ... Wenn Thomisten auch heute noch gegen ihn behaupten, er habe die Philosophie in Aristoteles-Philologie verwandeln wollen, so wiederholen sie nur eine üble Nachrede ehrwürdigen Alters."

[31] Brucker 1756, S. 436: "Dolendum autem, cum et Graeca ignoraret, et Greaecanicis scientiis non esset excultus, saepissime infeliciter, in interpretando Aristotele, eum versatum esse. Cuius ineptae versiones et commentationes cum Latinae factae instar ducis a philosophis Scholasticis adhiberentur, valde hoc pacto philosophiam corruptam lector facile colliget.

[32] So sehen ihn Voltaire und Renan; vgl. Flasch 1986, S. 283, der dazu feststellt: "Seitdem diskutiert man die unentscheidbare Frage nach seiner subjektiven Gläubigkeit und Aufrichtigkeit."

[33] Tennemann 1825, S. 246: "Averroes ist übrigens ein heller aufgeklärter Denker, der die Wahrheit des Alcorans glaubt, aber ihn nur für eine populäre Religionslehre, und eine wissenschaftliche Begründung für nothwendig hält."

[34] Es fällt schwer, hier nicht an einen Text wie die "Erziehung des Menschengeschlechts" von Gotthold Ephraim Lessing zu denken, in dessen postum veröffentlichtem zweiten Teil zu lesen ist: "So wie wir zur Lehre von der Einheit Gottes nunmehr des Alten Testaments entbehren können; so wie wir allmählich zur Lehre von der Unsterblichkeit der Seele auch des Neuen Testaments entbehren zu können anfangen: könnten in diesem nicht noch mehr dergleichen Wahrheiten vorgespiegelt werden, die wir als Offenbarungen so lange anstaunen sollen, bis sie die Vernunft aus ihren andern ausgemachten Wahrheiten herleiten und mit ihnen verbinden lernen?" (SS 72; zitiert nach: Kurt Rossman, Hg.: Deutsche Geschichtsphilosophie von Lessing bis Jaspers. Bremen: Schünemann 1959) Aber schon zu Beginn hatte Lessing in dieser Schrift festgestellt: "Erziehung gibt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte; sie gibt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter. Also gibt auch die Offenbarung dem Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und gibt ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher." (ebd., SS 4)

[35] Copleston schreibt: "What Averroes did was to make theology subordinate to philosophy, to make the latter the judge of the former, so that it belongs to the philosopher to decide what theological doctrines need to be allegorically interpreted and in what way they should be interpreted. This view was accepted by the Latin Averroists, and it was this view, moreover, which drew upon Averroes, and upon philosophy generally, the hostility of the Islamic theologians. ... led to the prohibition in Islamic Spain of the study of Greek philosophy and to the burning of philosophical works." (Copleston a.a.O. 198f)

[36] Wie Ben-Abdeljelil bei dem Symposium "Averroes/Ibn Ruschd" in Wien 1999 zeigte, interpretiert Ibn Ruschd auch Platons "Politeia" gänzlich nach aristotelischen Gesichtspunkten.

[37] Zum Konzept des "Polylogs" in der Philosophie vgl. Wimmer 1996

[38] Vgl. Wimmer 1997, S. 325: "Die mir fremden, `anderen Wege zum Heil' können religiös nicht als gleichwertig mit dem von mir geglaubten gedacht werden. Dialoge zwischen Angehörigen verschiedener Religionen sind möglich und sinnvoll, aber sie verfolgen nicht das Ziel eines interkulturell orientierten Philosophierens: zu vernunftgemäß begründeteten Erkenntnissen zu gelangen trotz und mit Hilfe der kulturell bedingten Differenzen."


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Eintragung am 31. Oktober 2001